Sonntagmorgen. Noch ruht die Stadt. In wenigen Stunden aber wird sie vibrieren, wenn froh gelaunte Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle und ihre Freunde in Fußgruppen und auf bunt geschmückten Lastwagen durch die Innenstadt tanzen. Köln ist ganz vorn, wenn es um den Christopher Street Day geht. Die Parade gilt europaweit als eine der größten ihrer Art.
„Nie wieder“ heißt das Motto in diesem Jahr. Assoziationen weckt es auch in der Kölner Journalisten-Vereinigung (KJV), der Regionalvereinigung im DJV-NRW. Nie wieder 1933, nie wieder mediale Gleichschaltung. Stattdessen: Vielfalt, Vielfalt, Vielfalt! Bereits im Winter hatte der KJV-Vorstand beschlossen: „Da wollen wir mitmachen!“ Erstmals.
13 Uhr. Inzwischen knallt die Sonne vom Himmel herab. Die Parade läuft, mittendrin ein Sträfling. Schweigsam und bedachten Schrittes führt er die Gruppe Nr. 74 an – ganz ohne Partysound und Lkw. Über ihm steht ein bunter Regenbogen aus Helium-Ballons, in dessen Mitte ein großes Herz mit der Aufschrift „Kölner Journalisten-Vereinigung“ schwebt. Mit seinem Auftritt im Sträflingskostüm lenkt Frank Überall, DJV-Vorsitzender und KJV-Mitglied, Aufmerksamkeit auf die Situation von Deniz Yücel und anderen inhaftierten Journalistinnen und Journalisten in der Türkei. Auf seinem schwarz-weiß gestreiften Oberteil ist zu lesen: „#FreeDeniz“ und „Journalismus ist kein Verbrechen“.
Die in mehreren Reihen dicht gedrängte Partygesellschaft am Straßenrand reagiert irritiert, teils fast erschrocken. Zuschauerinnen und Zuschauer verstummen und staunen, dann klatschen manche oder jubeln. Andere nicken nur verhalten, als seien sie selbst hier in Sorge, der Falsche könne es beobachten. Ein paar Schritte weiter: Eine junge Frau aus dem Publikum ruft der Gruppe zu: „Wie seid ihr denn drauf?“ Sie beginnt zu tanzen. Andere Zuschauer treten aus der Menge heraus und fotografieren, danken für die Aktion, küssen, loben oder diskutieren auch mal.
Medienvielfalt wirkt
Statt Party zu machen, legen die KJVler den Finger in die Wunde. Sie erinnern daran, was passiert, wenn demokratische Grundregeln bröckeln. Und sie zeigen, was Demokratie bedingt: Medienvielfalt. Dazu verteilt die heterogene Gruppe, zu erkennen an den DJV-Westen und -Fahnen, insgesamt 50 Kilogramm Zeitungen, Zeitschriften und Magazine. Etliche Verlagshäuser haben sich der Aktion angeschlossen und Freiexemplare nach Köln geschickt, vom Reisemagazin bis zur aktuellen Tageszeitung.*
Teil der KJV-Fußgruppe ist auch der DJV-Landesschatzmeister Pascal Hesse. Mal hilft er, Gedrucktes unters Volk zu bringen, mal tritt er beim Lastenfahrrad in die Pedale. Die Stimmung auf und entlang der bunt dekorierten Strecke begeistert ihn, er träumt bereits von der nächsten CSD-Teilnahme, dann noch größer, bunter… Und während der Essener so schwärmt, erwischt ein willkommener Wasserstrahl die ganze KJV-Gruppe. Immer wieder sorgen Anwohner mit Gartenschläuchen und Gießkannen für wohltuende Erfrischung.
Der politische Spaziergang führt vom Stadtteil Deutz über den Rhein bis zum Dom, in dessen Schatten die Parade Stunden später endet. Die KJVler sind glücklich über die große Resonanz off- wie online, aber auch müde. Das Statement in der Sommerhitze hat geschlaucht. Trotzdem, einen Moment wollen sie noch gemeinsam erleben, lösen die Ballons vom Bogen und entlassen sie in den Himmel. Verbunden mit dem Wunsch, dass auch die inhaftierten Kolleginnen und Kollegen in der Türkei und der ganzen Welt bald wieder Sonne, Himmel und fröhliche Menschen erleben können! ||
*Die KJV dankt: taz.am wochenende, Rheinische Post, heise online, Gruner + Jahr, dem Freitag, der ZEIT, FAZ.NET – Frankfurter Allgemeine Zeitung, journalist – das Medienmagazin, Axel Springer und NRZ.
Ein Beitrag aus JOURNAL 4/17, dem Mitglieder- und Medienmagazin des DJV-NRW.