Wenn neue Hörerzahlen veröffentlicht werden, schauen auch die Lokalfunksender genau hin: Wer hat gewonnen, wer verloren? Und was muss man tun, um in den Top Ten im System zu landen? Vor ein paar Jahren gehörten Lokalradios mit 30 Prozent „Hörer gestern“ zum oberen Drittel, inzwischen reicht das gerade fürs Mittelfeld. Die Topsender haben mehr als 40 Prozent, auch 50 Prozent kommen vor. Ganz oben stehen aktuell Sender, die zwischen neun und 15 Stunden selbst senden, etwa Radio Hochstift, Radio Kiepenkerl oder Radio 91,2.
Weniger Mantelprogramm von radio NRW, mehr eigene Sendezeit und damit mehr lokale Inhalte: Damit wollen viele NRW-Lokalradios seit 2015 Hörer gewinnen. Lizenziert wurden sie von der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) ursprünglich für fünf oder acht eigene Sendestunden – in Abhängigkeit von der Wirtschaftskraft im Verbreitungsgebiet. Mittlerweile haben nach Angaben der LfM 19 der 44 Lokalfunksender den Anteil des eigenen Programms auf zehn oder mehr Stunden ausgeweitet, viele andere von vormals fünf auf sechs oder acht Stunden. Dafür haben sie Frühsendungen verlängert sowie eigene Vormittags- und/oder Nachmittagssendungen eingeführt. Hat sich das für die Sender ausgezahlt?
Was lokal interessiert
„Definitiv“, sagt Timo Fratz, Chefredakteur von Radio Bielefeld. In einer durchschnittlichen Stunde habe der Sender 20 Prozent mehr Hörer. Statt der ursprünglich lizenzierten acht Stunden sendet Radio Bielefeld jetzt 14 Stunden mit eigenen Moderatoren. „Man muss aber auch wissen, was man macht in der Sendezeit.“ Es brauche mehr Personal, um die Sendungen mit lokalen Inhalten zu füllen. Dabei gelte schon seit längerem für die Sender in Ostwestfalen plus Radio WAF im Münsterland, die zur Vermarktungsgruppe ams gehören: „Lokal ist nicht, was lokal passiert, sondern was lokal interessiert.“
Dazu zählen auch die Sondierungsgespräche für eine mögliche große Koalition, für die das Mantelprogramm die Berichterstattung übernimmt. Radio Bielefeld ergänze die dann zum Beispiel durch eine lokale Umfrage. Mehr Zeit für Lokales, Themen über den ganzen Tag ziehen und die Hörer anders ansprechen können – mehr eigene Sendestunden haben handfeste Vorteile. Fratz hat dafür in Abstimmung mit dem Geschäftsführer der Betriebsgesellschaft Uwe Wollgramm den Freienetat erhöht, dann auch das Personal aufgestockt.
Das gilt nicht für alle Sender. Beschäftigte klagen, dass sie am Anschlag arbeiten, weil sie mit gleicher Personalstärke mehr Sendezeit füllen müssen. Auch für die Sendungsvorbereitung fehlt oft Zeit: Nach Faustregel braucht ein Moderator pro Sendestunde eine Stunde Vorbereitung. Bei einer Fünf-Stunden-Sendung an einem Acht-Stunden-Arbeitstag unmöglich. Dann leidet zwangsläufig auch die Qualität.
Bei der Ausweitung der Sendezeiten machen denn auch nicht alle mit: Neun Lokalradios sind bei ihren Stunden geblieben. Etwa Radio Euskirchen mit vier eigenen Stunden am Morgen und lokalen Beiträgen nachmittags in einem Fenster des Mantelprogramms. Chefredakteur Norbert Jeub hat nach eigener Aussage nie mit dem Gedanken gespielt, das auszuweiten: „Das ist finanziell für uns gar nicht machbar.“ Der Werbemarkt gebe das nicht her, selbst wenn die Quoten stiegen.
Schaut man auf die Sendergruppen, fällt auf, dass besonders die AMS-Sender ihre Stunden massiv ausgeweitet haben. Dasselbe gilt für die Lokalfunkstationen, die keinen großen Verbünden angehören, wie Radio MK oder Radio Kiepenkerl. Viele Sender, die zur Funke Mediengruppe (hauptsächlich Ruhrgebiet), zu DuMont (Köln-Bonner-Raum) oder zur Rheinischen Post (Düsseldorf, Niederrhein) gehören, sind dagegen bei ihren Zeiten geblieben, einige senden sogar weniger, was die LfM aufgrund der wirtschaftlichen Lage erlaubt.
Auch die Münsterland-Sender haben ihre Zeiten von fünf bzw. acht auf zehn Stunden ausgeweitet. Antenne Münster dreht die Uhr aber wieder zurück. Die eigene Vormittagssendung von 10 bis 12 Uhr hat sich quotenmäßig nicht gelohnt, sagt Chefredakteur Stefan Nottmeier. Es sei daher sinnvoller, „mehr Power in die Morgensendung zu stecken“.
Nun bereitet ein Mitarbeiter das Top-Thema für die nächste Morgensendung vor. Viel Zuarbeit für die Frühsendung, für die Vormittagssendung war das gar nicht drin: Der Moderator hatte morgens vorab schon die Frühsendung inhaltlich betreut, extra produzierte lokale Inhalte waren daher am Vormittag eher selten.
„Je mehr man am Tag selbst sendet, je lokaler die Anmutung, desto sinnvoller sind mehr eigene Stunden“, ist sich Nottmeier sicher. Er glaubt aber nicht, dass zusätzliche Stunden allein ausschlaggebend für eine bessere Quote sind.
Kein Selbstläufer
Dass Erfolg und Misserfolg nicht monokausal zu erklären sind, findet auch Thomas Rump, Programmchef von radio NRW: Er verweist auf Faktoren wie die Persönlichkeit des Moderators, interessante und relevante Geschichten sowie eine stimmige Auswahl des Musikangebots. Aber auch die Positionierung einer Station als Marke sei wichtig. Es habe sich gezeigt, dass markenstarke Sender durchaus davon profitieren können, wenn sie die lokale Sendezeit ausweiten. Das gelte aber nicht automatisch für markenschwache Stationen.
Nach dieser Logik ist Radio Siegen ein markenstarker Sender. Der Sender hatte schon mit fünf Stunden Eigenprogramm hohe Quoten. Es haperte aber bei der Verweildauer, die wichtig ist für die Berechnung der Ausschüttung von radio NRW. Weil der Sender handwerklich nur im eigenen Programm etwas verbessern könne, habe er nach und nach auf neun Stunden ausgedehnt, erklärt Chefredakteur Rüdiger Schlund. „In den eigenen Stunden gibt es keine abgebrochenen Musiktitel, wir können Verkehrsmeldungen wie Blitzer sofort durchgeben, und die Hörer bekommen die für sie wichtigen Infos zu jeder Zeit.“ Am liebsten würde Schlund auch von 12 bis 15 Uhr selbst senden. Das sei aber nicht zu stemmen – weder personell noch finanziell. „Ich bin froh, dass es da radio NRW gibt. Die machen ja kein schlechtes Programm.“ Seit Rump da sei, habe sich einiges getan. „Aber die emotionale Bindung zur Region kann ein Moderator in Oberhausen gar nicht schaffen.“
Zusätzliche Jugendsendung
Seit kurzem haben die AMS-Sender in Ostwestfalen bei den Sendezeiten noch draufgesattelt: Seit 15. Januar (zeitgleich zum Start von Noxx von radio NRW, siehe Kasten Seite 18) läuft dort die Jugendsendung dein.fm jeden Abend von 21 bis 0 Uhr. Dein.fm war mal als Jugendmarke der NRW-Verleger für die frei gewordenen UKW-Frequenzen geplant. Die Frequenzen gingen an Metropol FM; aufgrund eines Rechtsstreits wird dort aber nach wie vor nicht gesendet (JOURNAL berichtete).
Dein.fm war lange nur ein unmoderierter Musikstream im Internet. Dann haben die AMS-Sender dein.fm freitag-, samstag- und sonntagabends mit Moderatoren ausgestrahlt – und nun auch in der Woche. Radio-Bielefeld-Chefredakteur Fratz nennt zwei Gründe: Zum einen will man jüngere Hörer gewinnen. Zum anderen gebe es aufgrund der längeren Sendestrecken für Nachwuchsmoderatoren kaum noch Möglichkeiten, Erfahrungen zu sammeln. Für sie sei dein.fm sozusagen eine Spielwiese, auf der sie sich ausprobieren könnten.
Damit senden die AMS-Sender sogar bis zu 18 Stunden am Tag selbst. Als sie anfingen, die Sendezeiten auszuweiten, wurde das im System auch als Protest gegen das oft kritisierte Mantelprogramm verstanden. Fratz will das so nicht stehen lassen: „Was radio NRW macht, ist nicht per se schlecht. Aber wir in Ostwestfalen waren thematisch eher abgehängt. Da haben wir beschlossen, ein bisschen mehr selbst zu machen.“
„Für das System denken“
Kritik am Programmangebot von radio NRW führt Thomas Rump auf unterschiedliche Erwartungen zurück. Er versuche, ein attraktives Programm anzubieten, das die Lokalsender gerne übernehmen. „Wir müssen für das System denken und können uns nur bedingt auf einzelne Stationen gezielt zubewegen“, beschreibt er sein Dilemma.
Ein rundes Mantelprogramm zu liefern, obwohl praktisch zu jeder Stunde unterschiedlich viele Sender auf das eigene Programm setzen, ist eine Herausforderung. Manche fangen um 5 Uhr morgens mit der Frühsendung an, einige übernehmen den Vormittag, andere senden bis 18 Uhr oder eben noch länger. Das sehr zersplitterte Übernahmeschema sei nicht neu, aber „schon ein Problem bei der Sendegestaltung“. Steckt radio NRW denn weniger Mühe in die Programmstunden, die nur wenige Sender übernehmen? Das streitet Rump ab: „Ich sende für die, die uns zuhören, nicht für die, die uns nicht hören. Wir können uns nicht erlauben, ein schwarzes Loch zu senden. Dafür gibt es zu viele Alternativen im Markt.“
Und diese Alternativangebote werden mehr: Streamingdienste, Internetsender und nun auch „Smart Speaker“ wie Alexa, Echo oder Google Home. Per Sprachbefehl liefern sie fast alles, was Radio ausmacht – Musik, Wetter und Verkehr. Was noch fehlt, sind redaktionelle Inhalte, gerade aus dem Lokalen. Trotzdem glauben viele Experten, dass linear gesendetes Radio bald nicht mehr wettbewerbsfähig sei.
Wie auf die neue Mediennutzung zu reagieren ist, darüber machen sich die Lokalradios zusammen mit radio NRW schon länger Gedanken. Rump glaubt, dass Investitionen jenseits der reinen UKW-Programme notwendig sind, um den neuen Herausforderungen besser begegnen zu können. Gerade hier habe ein Mantelprogramm gute Chancen, diese Entwicklungen mit voranzutreiben.
Das sei auch nötig, sagt Rüdiger Schlund von Radio Siegen. Seiner Meinung nach hat sich im System in Sachen Digitalisierung bislang zu wenig getan. Er setzt Hoffnungen in Christopher Witte, der Mitte Januar die neu geschaffene Stelle als Digitalchef bei radio NRW übernimmt. „Der Fluch ist: Wir wollen und müssen weiter das lineare Programm machen und parallel dazu auf die digitalen Herausforderungen reagieren.“
Noxx bei radio NRW
Seit 15. Januar sendet radio NRW mit Noxx ein neues Nachtprogramm für die NRW-Lokalradios. Bei dem stehen nach Angaben von radio NRW Musik, Unterhaltung und die Moderatoren im Vordergrund. Noxx läuft täglich von 21 bis 6 Uhr Uhr. Allerdings übernehmen nicht alle Lokalradios die gesamte Sendestrecke. So haben die Lokalsender in Ostwestfalen-Lippe die Sendezeiten ihres Jugendangebots dein.fm verlängert (siehe Haupttext) und steigen erst ab Mitternacht bei Noxx ein.
Bisher setzte die Nachtstrecke bei radio NRW auf Informationen. So fassten die Nachtnachrichten zum Beispiel das Wichtigste des Tages zusammen. Nun orientiert sich das Nachtprogramm am gestiegenen Unterhaltungsbedürfnis der Hörer. /cbl
JOURNAL 1/18