Mann heiratet Kobra. Klingt unwahr, oder? Aber irgendwie witzig: Dazu ein skurriles Foto, auf dem ein asiatisch aussehender Mann neben einer Schlange vorm Fernseher sitzt. Die angebliche Verehelichung soll in Thailand stattgefunden haben. Soziale und etablierte Medien spülten die Meldung in die Welt, im November 2016 – exakt zu der Zeit, als die USA Donald Trump zum Präsidenten wählten. Haha, bei all der ernsten Politik ist „Mann heiratet Kobra“ aber auch (wie) gemacht zum vergnügten Weiterleiten an Freundeskreis, Kollegium und Familie. Ein harmloser Gag in unseren Timelines?
Mit harmlosen und bösartig-manipulativen Falschmeldungen befasst sich die länderübergreifende Initiative Lie Detectors, die die Journalistin Juliane von Reppert-Bismarck gegründet hat. Ihre Zielgruppe: Zehn bis 15-jährige Jugendliche – und Journalistinnen und Journalisten, die sie in Schulen besuchen. Die Medienkompetenz-Initiative wurde im Dezember 2018 mit dem EU Digital Skills Award ausgezeichnet.
Genauer hingeschaut
Juliane von Reppert-Bismarck gehörte 2016 zu den wenigen, die am Wahrheitsgehalt der Meldung mit der Kobra interessiert waren und dazu recherchierten. Einer der Gründe dafür hieß Donald Trump, ein anderer war ihr Patenkind aus der niedersächsischen Provinz. 2016 war von Reppert-Bismarck in den USA sowie in Großbritannien unterwegs und beschäftigte sich mit dem US-Wahlkampf und der internationalen Resonanz. Sie schrieb über das Thema und tauschte sich auch in der Familie dazu aus. So hörte sie von ihrer 13-jährigen Nichte, dass deren Schule gespalten sei: Manche seien für die Kandidatin Hillary Clinton, manche für Trump.
Die Journalistin war verblüfft. Warum finden Schülerinnen und Schüler einen Kandidaten wie Trump glaubhaft? Die Nichte schickte ihr Screenshots von Meldungen, die auf dem virtuellen Schulhof kursierten. „Ich war schockiert“, sagt von Reppert-Bismarck, „was für wüste Verschwörungstheorien die Jugendlichen erreichen.“ In Instagram und anderen sozialen Medien zirkulierten Lügen zu Clinton, Behauptungen zu Trump und andere Gerüchte. Verfasst waren sie beispielsweise von angeblichen Community-Managern aus Russland. Das Problem: Die Kinder lasen die Lügen oft als Tatsachen und werteten dubiose Quellen als seriös.
So einer Manipulation von jungen Menschen wollte Juliane von Reppert-Bismarck daraufhin „so schnell wie möglich“ etwas entgegensetzen. Denn in dieser Zeit trafen sie auch persönlich immer mehr Anfeindungen. Selbst in ihrer eigenen Familie herrschte ein diffuses Misstrauen – dank Trump und anderer Populisten mit ihrem negativen Lügenpresse- und Fake-News-Framing. In ihrer Familie fiel zum Beispiel der Satz: „Du bist Journalistin, dir kann man doch nichts glauben.“
Bis dahin hatte von Reppert-Bismarck ihren Beruf 20 Jahre lang gewissenhaft ausgeübt, ihre Arbeit geliebt. Die Absolventin der Graduate School of Journalism der Columbia University in New York sieht in der Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen einen Schlüssel für die Zukunft: „Denn sie fangen mit etwa zehn Jahren an, politische Informationen zu konsumieren.“ Damit beginnen die Heranwachsenden auch, nachhaltige Meinungen herauszubilden. Als Journalistin suchte von Reppert-Bismarck damals nach bestehenden Initiativen, die Falschmeldungen mit Jugendlichen aufdecken und aufarbeiten. Erstmal, um über sie zu berichten und bekannter zu machen. Wie sie erzählt, war ihre Recherche aber erfolglos: „Es gab da nichts mit Schulen!“
Rein in die Schulklassen
In Brüssel entwarf von Reppert-Bismarck kurzerhand ein eigenes Programm. Die Initiative, mit vollständigem Namen „Lie Detectors. Critical Thinking“, soll Kinder zum kritischen Denken anregen. Das Konzept ist auf den ersten Blick simpel: Als Wahrheitsdetektive gehen Journalistinnen und Journalisten in die Klassenzimmer und klären über Falschmeldungen auf. Nur wie, ohne pädagogische Kenntnisse?
Für solche Schulbesuche feilte von Reppert-Bismarck 2016 einen Leitfaden aus. Den sollen Journalistinnen und Journalisten an die Hand bekommen, die sich trauen, mit einer Klasse Heranwachsender über Medien zu sprechen. Außerdem suchte die Gründerin Fördergelder und hatte dabei schnell Erfolg. Sie findet Mitstreitende, die Schweizer Wyss-Stiftung finanziert den Aufwand. Laut von Reppert-Bismarck, weil die Stiftung zum Schutze der Natur oft auch mit Verschwörungstheorien zu kämpfen hat – in dem Fall zum Thema Klimawandel.
2017 startete eine ausführliche Testphase für die Unterrichtsbesuche. Psychologinnen und Psychologen sowie Lehrkräfte halfen, den Leitfaden inhaltlich und didaktisch anzupassen. Und schließlich trugen die Kinder selbst zur Verbesserung bei, indem sie die Unterrichtsbesuche anschließend bewerteten. Jetzt, knapp zwei Jahre später, ist das Feedback der Kinder und Jugendlichen immer noch das Herzstück der Initiative. Weil sich ihre Medien und ihr Medienverhalten schnell ändern, können Heranwachsende am besten selbst bewerten, ob das Besprochene für sie noch relevant ist.
Zwei Sachen sprechen die Journalistinnen und Journalisten in den Klassen an, sagt die Gründerin: „Was Desinformationen sind und was jeder dagegen tun kann.“ Dahinter verbergen sich natürlich weitere Fragen: Warum gibt es Desinformationen? Wie kann ich Lüge aufdecken und Wahrheit beweisen? Wer verbreitet Falschmeldungen mit welchen Zielen? Was ist vielleicht nur Satire und/oder harmlos? Wem können Falschinformationen schaden? Was darf ich bedenkenlos weiterleiten?
Lernen, wie Medieninhalte entstehen
Dabei ist der Lie-Detector-Gründerin besonders wichtig, dass echte Journalistinnen und Journalisten in die Schulen gehen. Viele junge Menschen haben noch nie persönlich jemanden getroffen, der in den Medien arbeitet. Auch deshalb verstehen viele kaum, wie Medieninhalte entstehen und wie Journalistinnen und Journalisten vorgehen. Beim Unterrichtsbesuch hören die Kinder etwas über journalistische Arbeitsweisen und dass auch mal Fehler passieren – beispielsweise ein Vertipper, der sich fortsetzt. „Das ist das Wichtigste“, sagt die Gründerin. Wenn die Journalistinnen und Journalisten von ihren Fehlern erzählten, dann setze irgendwann der Aha-Effekt ein: Verbreitete Irrtümer sind was anderes als gezielte Falschmeldungen.
„Mann heiratet Kobra“, meint Juliane von Reppert- Bismarck, ist dabei ein hervorragendes Beispiel für eine gezielte Falschmeldung. Denn die Geschichte komme ohne große Politik daher. Kinder fänden sie witzig, spannend wegen der Giftschlange und harmlos, weil sie keinen Geschädigten erkennen. In dem Fall stecke auch nicht das Ziel dahinter, das Publikum in ihrer politischen Meinung zu manipulieren. Aber eine einzelne Person wird ausgenutzt, offenbar um über einen längeren Zeitraum möglichst viele Klicks zu kriegen und damit Geld zu verdienen, wie von Reppert-Bismarck erklärt.
Durch die Besuche der Lie Detectors sollen die Kinder und Jugendlichen lernen nachzuforschen: nach dem Absender, seinen Absichten, den Adressaten und den Auswirkungen. Mit der Bilder-Rückwärtssuche lässt sich zum Beispiel feststellen, dass die Fotos echt sind. Allerdings stammen sie von einem malaysischen, statt thailändischen Feuerwehrmann, der sich auf die Bergung von Schlangen spezialisiert hat. Zusätzlich offenbart die Suchmaschineneingabe, dass eine Story-Variante in Singapur spielen soll.
An solchen Ungereimtheiten erkennen auch Kinder schnell, ob ihr Bauchgefühl Recht hat, wenn es meldet: „Klingt unwahr, oder?“ In den Unterricht eingebaut sind auch Spiele und viel Interaktion. Denn was die Kinder sich selber erarbeiteten, behielten sie am besten, erklärt von Reppert-Bismarck. Und während Initiativen wie mimikama.at im Netz darüber aufklären, dass solche Meldungen Quatsch sind, geht es den Lie Detectors um den direkten Kontakt: „Wir wollen die Journalisten von den Bildschirmen wegholen.“ Positiver Nebeneffekt: Auch sie kommen dann mit ihrem Publikum und echten Meinungen in Berührung.
Übrigens: Der malaysische Feuerwehrmann ist inzwischen tot, sagt die vielfach ausgezeichnete Journalistin. Zum Beispiel bei der britischen BBC ist nachzulesen, dass der Schlangen-Experte an einem Schlangenbiss gestorben ist. Vorher hatte die BBC mit ihm gesprochen. Im Interview sagte er, dass die gefälschten Berichte über ihn schwer enttäuschend gewesen seien. Auch seine Freundin leide darunter.
Wichtiger Stoff für alle Schulen
Lie Detectors wächst. Das Konzept gibt es inzwischen auf Französisch, Englisch und Deutsch. In Deutschland gibt es beispielsweise Projekte in Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Nordrhein-Westfalen. Allein in Köln sind inzwischen rund 30 Journalistinnen und Journalisten für Besuche ausgebildet. Weitere Städte sind in der Vorbereitung. Dafür sucht die Initiative viele Engagierte, auch auf dem Land. Der Stoff ist einfach wichtig für alle Schulen, meint von Reppert-Bismarck. Mit der gewonnenen Expertise berät Lie Detectors inzwischen auch die EU oder Medienhäuser wie die ARD. Am Ende zählt aber vor allem die Resonanz der Schülerinnen und Schüler. Sie haben im besten Fall gelernt, kritisch aufzuhorchen, nicht alles weiterzuleiten, sondern weiterzudenken. Eine Zehnjährige aus Waterloo schreibt nach dem Besuch der Lie Detectors: „Gut, dass ich dies jetzt und nicht erst später lerne, weil wir soziale Medien viel nutzen.“ Ein 14-Jähriger aus Brüssel notiert: „Das Beste war, etwas über das Leben eines Journalisten zu erfahren, was das Thema real machte.“ Und ein Fünftklässler aus Berlin resümiert: „Megageil und mal ‘ne Abwechslung.“
Transparenzhinweis: Die Autorin engagiert sich inzwischen auch bei den Lie Detectors.
Ein Beitrag aus JOURNAL 2/19, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im April 2019.