Wie beeinflussen Journalismus und Gesellschaft sich gegenseitig? Können Medien dazu beitragen, dass gesellschaftliche Debatten wieder näher an die Menschen rücken? Um diese Fragen ging es beim diesjährigen Campfire-Festival, das am 31. August und 1. September vom gemeinnützigen Recherchebüro Correctiv vor dem Düsseldorfer Landtag ausgerichtet wurde. Auch der DJV-NRW war wieder mit einem eigenen Zelt auf dem „Festival für eine bessere Gesellschaft“ vertreten, um mit Journalistinnen und Journalisten aller Altersklassen ins Gespräch zu kommen und den Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern zu suchen.
Kein Anspruch auf Deutungshoheit
Breites Interesse fand zum Beispiel die Diskussion mit Georg Restle, dem Leiter der Monitor-Redaktion, und dem DJV-Bundesvorsitzenden Frank Überall, die auf dem Podium von WDR-Redakteurin Kerstin Timm-Peeterß über Haltung im Journalismus sprachen. Dabei machte Restle gleich deutlich, dass der Begriff Haltung inzwischen vergiftet sei. „Haltungsjournalismus ist zum Kampfbegriff geworden“ – als ob „Haltung wichtiger sei als Wahrhaftigkeit“. Das sei eben nicht so, stellte er klar. „Journalisten stehen für Unabhängigkeit, Distanz und Wahrhaftigkeit.“ Restle spricht deswegen lieber von wertorientiertem Journalismus.
Zugleich betonte der Monitor-Chef, dass es die von Kritikern geforderte Neutralität („auch das ein rechter Kampfbegriff“) nicht gebe. „Journalismus ohne Haltung ist nicht möglich.“ Jede Auswahl von Themen, jede Beurteilung werde ja auch von der eigenen Position geprägt. Und: „Es gäbe den Skandal nicht, wenn wir keine Werte und keine Haltung hätten. Journalismus misst die Politik an diesen Werten.“
Auch Frank Überall hob die Frage nach dem „Wertefundament“ hervor. Teile der Gesellschaft seien nicht mehr an Fakten interessiert, sondern nur an Emotionen. Sie lehnten die Deutungsangebote der Medien ab, weil sie selbst Deutungshoheit beanspruchten. „Genau diese Menschen würden in ihren Veröffentlichungen eben nicht die andere Seite abbilden.“ Dass Journalismus Deutungsangebote mache, ohne Deutungshoheit zu beanspruchen, betonte auch Restle: „Journalisten wollen Debatten anstoßen.“
Überall sieht ein wesentliches Problem in der mangelnden Medienkompetenz. Journalistinnen und Journalisten müssten die eigene Arbeit heute deutlich mehr erklären. Das sei schwierig wegen der hohen Arbeitsbelastung in den Redaktionen und für freie Kolleginnen und Kollegen eine zusätzliche Herausforderung, weil die Honorare stagnierten oder sogar sänken. Natürlich haben die höheren Anforderungen an die Transparenz der Medien auch gute Seiten, finden sowohl Restle wie Überall, die auch übereinstimmend einen zivilisierteren Ton in den Debatten fordern.
Wie Restle mit den Bedrohungen umgehe, fragte Kerstin Timm-Peeterß zum Schluss. Er persönlich sei nicht ängstlich, erzählte Restle, aber es werde für sein persönliches Umfeld schwieriger. „Es ist perfide, dass Menschen hineingezogen werden, die nichts damit zu tun haben.“ Und eines habe er sich auferlegt: Kein Blick in Social Media vor dem Schlafengehen.
Den NRW-Lokalfunk sichern
Zulauf fand auch die Podiumsrunde zur Zukunft der Lokalradios, die unter Moderation der freien Journalistin Sascha Fobbe zusammenfand. Timo Naumann, Geschäftsführer Verband Lokaler Rundfunk (VLR) in NRW, Thorsten Kabitz, Chefredakteur Radio RSG, Alexander Vogt (MdL, SPD) und Volkmar Kah, Geschäftsführer des DJV-NRW, waren sich einig, dass der NRW-Lokalfunk mit seinem Zweisäulen-Modell aus Veranstalter- und Betriebsgesellschaften ein Erfolgsmodell ist. Allerdings stehen die derzeit 44 Lokalradios vor technischen und finanziellen Herausforderungen. „Die Politik muss Rahmenbedingungen schaffen, damit die Sender das bewältigen können“, forderte SPD-Medienpolitiker Alexander Vogt. Das betreffe DAB+ sowie die Auffindbarkeit der Lokalradios im Netz. Und es sei wichtig, die Vertretung gesellschaftlicher Gruppen in den Veranstaltergemeinschaften zu bewahren. „Wir brauchen aus der Politik ein starkes Bekenntnis zum jetzigen System.“
Volkmar Kah verwies auf die neue Zahlungsbereitschaft im Digitalen. Dafür müsse der Lokalfunk Angebote und Geschäftsmodelle entwickeln. Er forderte, dass die Veranstaltergemeinschaften Transparenz über die wirtschaftliche Situation der Betriebsgesellschaften erhalten. Um die Glaubwürdigkeit der Medienmarken im Onlinezeitalter zu sichern, brauche es eine klare inhaltliche Zuständigkeit für alle Kanäle.
Dem stimmte Chefredakteur Thorsten Kabitz zu: Lokalradios könnten ihr digitales Potenzial bisher nicht ausspielen, weil die Betriebsgesellschaften die Zuständigkeit dafür beanspruchten. Hier müsse der Gesetzgeber klare Verhältnisse schaffen. Auch eine stärkere Rolle der Chefredakteure forderte Kabitz, damit Lokalradios attraktiv bleiben und weiterhin eine starke Rolle in der Ausbildung spielen können.
Die Zuständigkeit der Veranstaltergemeinschaften für digitale Inhalte forderte auch VLR-Chef Timo Naumann und warnte: „Der Lokalfunk wäre ein anderer, wenn die Betriebsgesellschaften direkten Zugriff auf das Programm hätten.“ Weniger an die Medienpolitik als an die Lokalsender selbst richtete sich seine Forderung, die Hörerinnen und Hörer abzuholen und mit einer besseren Onlineerreichbarkeit den neuen Hörgewohnheiten gerecht zu werden.
Kompaktes Know-how
Während diese Diskussionen die Rahmenbedingungen von Journalismus in den Mittelpunkt stellten, ging es bei anderen Angeboten im Zelt des DJV-NRW um Know-how und kompakte Weiterbildung. Etwa beim Thema Künstliche Intelligenz (KI). Im ersten Teil erläuterte Ute Korinth, Vorsitzende des Fachausschusses Online auf Bundesebene und stellvertretende Vorsitzende im NRW-Ausschuss, wo Bots, also automatisierte Dialogsysteme, genutzt werden, was beim Aufsetzen zu beachten ist und wo Journalistinnen und Journalisten ins Spiel kommen.
Auch Bots brauchen Menschen
Bots kommen im Kundenservice und im Marketing zum Einsatz, und sie stehen und fallen mit guten Texten. Das ist der Punkt, am dem schreibende Menschen ins Spiel kommen, erläuterte Ute Korinth. Damit für die Nutzerinnen und Nutzer ein angenehmer und hilfreicher Dialog entsteht, müssen verschiedene Fragevarianten vorgegeben werden, und die Antworten dürfen Spuren von Humor enthalten. Tatsächlich soll ein Bot „menscheln“, also den Eindruck einer eigenen Persönlichkeit vermitteln.
Und wie verändern Bots und KI den Journalismus? Mit dieser Frage befasste sich im zweiten Teil Kai Heddergott, ebenfalls Mitglied im Landesfachausschuss Online. Noch befinden wir uns in der Phase schwacher KI, erklärte er. Das heißt, die Systeme entwickeln keine eigenen Problemlösungen, sondern werden unterstützend eingesetzt. Sie können zum Beispiel Texte auf Lesbarkeit untersuchen und Verbesserungsvorschläge machen. Auch Suchmaschinen oder Bilderkennungssoftware mit automatischer Verschlagwortung sind Felder, auf denen uns KI bereits im Alltag begegnet. Zur Inhalteproduktion im journalistischen Umfeld wird sie erst auf wenigen – stark standardisierten – Feldern eingesetzt, etwa bei Wetter- und Börsendaten oder in bestimmten Teilen der Sportberichterstattung. Auch die Statusberichte zum Feinstaub bei den Stuttgarter Nachrichten werden per KI erstellt – und als computergenerierte Berichte gekennzeichnet, wie der DJV dies fordert.
Neben der Kennzeichnung gibt es weitere Fragen, mit denen sich die Branche auseinandersetzen muss. Dazu gehören etwa die Folgen für die Aufmerksamkeitsökonomie und ein möglicher Stellenabbau und mögliche Verzerrungseffekte durch Algorithmen. Aber Heddergott und Korinth hoben auch die Chancen hervor, darunter die Möglichkeit, Entlastung bei Routinen und damit Raum für aufwendige Recherchen zu schaffen. Oder Falschmeldungen und andere manipulierte Inhalte aufzudecken. Unter den Chancen finden sich auch neue Tools und neue Geschäftsmodelle sowie die noch genauere Personalisierung des Medienkomsums.
Den Stress besiegen
Dass neben aller Offenheit für Neues auch Selbstfürsorge ein wichtiges Thema für Journalistinnen und Journalisten ist, machte Ute Korinth bei ihrer zweiten Session am Samstagnachmittag deutlich. Die fortschreitende Digitalisierung mit Begleitscheinungen wie wachsender Unsicherheit und Komplexität erfordert ein genaueres Hinschauen, wie wir mit unseren Ressourcen, speziell unserer Lebenszeit umgehen. Dem Dauerstress lässt sich etwas entgegensetzen, zeigte sie: Resilienz lässt sich unter anderem durch regelmäßige Meditation, durch Achtsamkeit und bessere Kommunikation erreichen.
DSGVO und Urheberrecht
Eine Weiterbildung mit hohem Nutzwert waren die Vorträge von DJV-Referent Michael Hirschler zur Fotografie im DSGVO-Zeitalter und zur Existenzgründung, die er jeweils auf die Publikumswünsche zuschnitt, sowie von Christian Weihe zum Urheberrecht. Alle drei Themen sind Dauerbrenner in der Beratungsarbeit des DJV, entsprechend eifrig fragten die Zuhörerinnen und Zuhörer im DJV-Zelt nach.
Bei der Umsetzung der DSGVO-Richtlinie habe Deutschland verpasst, in den Ausführungsbestimmungen die Ausnahmen zu definieren, wie Artikel 85 es zulasse, erläuterte Michael Hirschler. Eine der grundsätzlichen Ausnahmen gilt für Medien, denen im journalistischen Kontext die Datenverarbeitung ohne explizite Zustimmung erlaubt ist. Zudem „sticht“ das Kunsturhebergesetz in vielen Fällen gegenüber der DSGVO – nicht nur, wenn die Aufnahmen einem höheren Kunstanspruch genügen. So kann etwa bei zeitgeschichtlichen Ereignissen fotografiert werden, ebenso bei Veranstaltungen – sofern der Veranstalter einverstanden ist. Eine Grenze haben diese Rechte wie eh und je, wenn berechtigte Interessen der Betroffenen verletzt werden. Nicht zuletzt gelte natürlich Art. 5 GG, wonach jeder das Recht hat, seine Meinung in Wort und Bild zu verbreiten.
Auch beim Urheberrecht hat sich durch die zur EU-Urheberrechtsreform gegenüber den früheren Regelungen gar nicht so viel geändert, machte Christian Weihe klar. Die Richtlinie, die in den nächsten zwei Jahren in nationales Recht umgesetzt werden muss, werde – entgegen weit verbreiteten Befürchtungen – nicht das Internet gefährden, wie wir es jetzt kennen. „Ich bin zuversichtlich, dass wir es mit Lizenzen lösen können, um auf Uploadfilter verzichten zu können“, sagte Weihe zum Abschluss seines Vortrags.
Viele Wege in den Beruf
Der zweite Tag stellte die Orientierung für junge Leute in den Vordergrund. Beim morgendlichen Speed-Dating unter Leitung von Stanley Vitte, dem Hochschulbeauftragten des DJV-NRW, erörterten Expertinnen und Experten im lockeren Gespräch individuelle und allgemeine Fragen zum Einstieg in den Beruf. Menschen am Beginn ihres Berufslebens und erfahrene Praktikerinnen und Praktiker tauschten Ideen und Kontakte aus.
In Vortragsform beleuchtete Stanley Vitte zudem die unterschiedlichen Wege in den Beruf, vom Praktikum über freie Mitarbeit bis hin zum Volontariat. Vitte empfahl, sich früh auszuprobieren und ein eigenes Profil zu entwickeln. Genauso wichtig sei die Vernetzung mit Kolleginnen und Kollegen, um in der Branche auf dem Laufenden zu bleiben. Die Möglichkeiten dazu bietet der DJV-NRW. Dazu gab Vitte viele konkrete Tipps, was die individuelle Profilbildung angeht, aber auch zu Selbstwert und Verhandlungstaktiken.
Für den DJV-NRW zog Geschäftsführer Volkmar Kah eine positive Bilanz: „Das Campfire-Festival hat Menschen angelockt, die sich für die Gestaltung der digitalen Zukunft interessieren. Das war eine gute Gelegenheit, unser Wirken für den Wert des Journalismus darzustellen und potenzielle Mitglieder von unseren Angeboten zu überzeugen.“||
Ein Beitrag aus JOURNAL 5/19, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Oktober 2019.