Schön voll ist es an diesem Samstag in der Sparkassenakademie am Phoenix See in Dortmund. Mehr als 500 Menschen sind zum 16. Journalistentag gekommen, um sich mit Perspektiven und Zukunft des Berufs auseinanderzusetzen. Darunter viele Studierende: Wo die Stühle nicht reichen, lehnen sie an der Wand, sitzen auf dem Boden, verfolgen konzentriert die Diskussionen auf dem Podium oder die Präsentationen in den Workshops, zeichnen in Pausen eigene Interviews auf.
In der Aula reichen die Stuhlreihen bei weitem nicht aus, als der Landesvorsitzende Frank Stach morgens die Veranstaltung eröffnet. Mit Blick auf das diesjährige Motto „Zukunft des Journalismus – jetzt oder nie“ ermuntert Stach: „Lasst uns heute mal nicht mäkeln, sondern nach vorne blicken.“ Er möchte an den Innovationsgeist der frühen Verleger anknüpfen, die meist auch Journalisten waren. Dieser Willen zur Neuerung fehle in den Führungsetagen heutiger Medienhäuser, sagt Stach. Sein Aufruf an die Kolleginnen und Kollegen: „Wir müssen die Innovationstreiber sein. Macht Euch schlau, schaut nach vorne und vernetzt Euch.“
Dazu bieten die Foren und Workshops reichlich Gelegenheit: Mehr als vierzig Expertinnen und Experten aus den Bereichen Journalismus, Hochschule, Wirtschaft und Politik sprechen über Algorithmen und Künstliche Intelligenz, über Meinungsmacht und Fake News, über Geschäfts- und Arbeitsmodelle, über Konzepte für das Radio und Lokalmedien, über Arbeiten für TV-Produktionsfirmen und über neue Möglichkeiten für Journalismus und PR.
Ermöglicht wird die Angebotsvielfalt durch ehrenamtliche Arbeit und durch das RDN-Team um Stefan Prott und Tatjana Hetfeld. Stach dankt den Programmmacherinnen und -machern, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der DJV-Landesgeschäftsstelle – und natürlich den Sponsoren, ohne die diese hochwertige Veranstaltung nicht zu stemmen wäre.
Europas Herausforderungen
Die Bedeutung des freien Journalismus hebt Renate Schroeder hervor, Direktorin der Europäischen Journalisten-Föderation (EJF). Sie spricht in ihrem Impulsvortrag über die Beziehungen zwischen Europa und Medien und vertieft dies anschließend im Gespräch mit der stellvertretenden Landesvorsitzenden Andrea Hansen und dem Plenum. Dabei wirft Schroeder einen Blick auf das, was gut läuft und was weniger gut läuft in Europa: Zu den positiven Beispielen zählt sie unter anderem die Unterstützung junger Medienschaffender durch die EU und den erhöhten Haushalt für Medienprojekte, auch, um Monitoring und Medienkompetenz zu fördern.
Aber es gibt eben auch die enormen Herausforderungen, denen der Journalismus in Europa gegenübersteht, unter anderem durch illiberale Demokratien, durch Desinformation und politische Trolle, die die Grundwerte der EU von innen auszuhöhlen versuchen. Genau deswegen brauche es Qualitätsjournalismus, erklärt die EJF-Chefin und fordert, Journalismus müsse zum öffentlichen Gut werden.
„Setzt Euch ein für freie unabhängige Medien, Europa braucht den Journalismus“, appelliert Schroeder an Politik und Medienschaffende. Europa müsse in Sachen Journalismus eng zusammenrücken: „Wie europäische Staaten konkret auf die Morde und Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten reagieren, wird nicht nur die Zukunft der Presse, sondern auch die Zukunft der Demokratien bestimmen. Morde sind die extremste, sichtbarste Methode, um Journalisten zum Schweigen zu bringen. Aber es gibt noch andere, weniger sichtbare Bedrohungen, die die Freiheit und Sicherheit von Journalisten in Europa beeinträchtigen.“
Die vom Europarat eingerichtete Plattform zum Schutz von Journalistinnen und Journalisten liste bereits 638 Angriffe, Schikanen und Einschüchterungen auf, berichtet Schroeder, davon 14 aus Deutschland. Darunter ist vermutlich noch nicht die Demo, die die NPD für den gleichen Tag in Hannover angemeldet hat, um drei namentlich genannte Journalisten, die im Milieu der Neonazis recherchieren, an den Pranger zu stellen. Tags zuvor hat das Verwaltungsgericht Hannover das Verbot gekippt, das die Polizei ausgesprochen hatte.
„Lieber bunt statt braun“
Um dem Hass etwas entgegenzusetzen, versammeln Kolleginnen und Kollegen sich mittags vor der Sparkassenakademie. „Journalisten lassen sich nicht einschüchtern. Wir stellen uns solidarisch hinter die Kolleginnen und Kollegen, denen die NPD in Hannover den Schneid abkaufen will“, erklärt Stach zu dieser Solidaritätsaktion. Ein breites Bündnis für Meinungsvielfalt sei Grundlage für eine funktionierende Demokratie, der Einsatz für den Wert des Journalismus und der Medien gehöre zu den Kernaufgaben der Journalistengewerkschaften. „Wir alle sind lieber bunt statt braun.“
Nicht jeder hat wohl den Aufruf zum Fototermin mitbekommen, denn das Programm ist dicht gepackt. Zehn Minuten liegen zwischen Zeitslots, in denen jeweils drei parallele Foren plus zwei Workshops oder Werkstattgespräche stattfinden.
Wer eine Pause vom Input braucht, geht runter zum Marktplatz im Erdgeschoss – um bei Kaffee und Snacks zu netzwerken. Hier informieren die V&S-Service GmbH und der Freienreferent Michael Hirschler mit einer Honoraraktion zum Jahr der Freien. Hier stellen sich weitere Anbieter vor wie idw, DKV und die Journalistenschulen ProContent sowie das neue Journalisten-Zentrum in Herne (siehe Neues Journalisten-Zentrum in Herne). Hier sind die Sponsoren Dialog Milch und Emschergenossenschaft vertreten. Der Hauptsponsor, die Sparkassen in Nordrhein-Westfalen, lockt im Eingangsbereich mit frischem Kaffee, Espresso oder Cappuccino.
Am Stand des DJV-NRW tummeln sich morgens unter dem Motto „Der frühe Vogel“ Expertinnen und Experten, die gerade der Nachwuchs gerne zu ihren Fachgebieten befragt. Zwölf Nichtmitglieder lassen sich hier auch direkt von den Vorteilen des DJV überzeugen und reichen den Mitgliedsantrag ein: Unter ihnen verlost der Landesverband nachmittags eine Jahresmitgliedschaft, Seminargutscheine und mehr.
Nicht zuletzt spiegelt der Marktplatz auch das Zukunftsmotto dieses Jahres: Bei WDR, ZDF und der Emschergenossenschaft lassen sich Virtual- und Augmented-Reality-Anwendungen ausprobieren.
Algorithmen, KI und Co.
Aktuelle Entwicklungen rund um Algorithmen, Künstliche Intelligenz (KI) und Augmented Reality (AR) sind auch Thema in verschiedenen Panels und Workshops. Im Gespräch mit Moderator Kay Bandermann erklären ZDF-Technikchef Andreas Grün und Thomas Laufersweiler, Chefredakteur von ard.de, wie die beiden Mediatheken ihren Content ausspielen und dabei dem öffentlich-rechtlichen Auftrag entsprechen sollen: Teilhabe an der gesellschaftlichen Entwicklung und der politischen Meinungsbildung zu ermöglichen. Das bedeute auch, „dass man Menschen nicht in eine maßgeschneiderte algorithmische Zwangsjacke steckt, wo Filterkammern und Echoblasen immer kleiner werden”, erläutert Laufersweiler.
Auf dem Markt verfügbare Algorithmen sind für den Zweck „mehr schlecht als recht“ geeignet, berichtet Technikchef Grün über die Erfahrungen des ZDF, das schon länger eine personalisierte Mediathek betreibt. Also investierte der Sender aufwendig in die Entwicklung eigener Algorithmen.
Zum Thema Personalisierung passt eines der Start-ups, die die Landesanstalt für Medien NRW in einem externen Workshop vorstellt. MediaRecSys will Empfehlungen auf Grundlage journalistischer Kriterien ausspielen und nicht ausschließlich nach persönlichem Nutzungsverhalten. So wollen die Macher Personalisierung jenseits von Filterblasen und Echokammern ermöglichen. Auch andere Workshops greifen technische Entwicklungen auf. So stellt Kai Heddergott im Workshop „Chatbots & Co.“ die Frage, wie KI für Journalismus und PR genutzt werden kann. Lena Brochhagen vom WDR und Ralph Benz von ZDF/3sat präsentieren in einem Werkstattgespräch AR-Projekte als neue Darstellungsformen für den Journalismus.
Plädoyer für bessere Fehlerkultur
Dass Darstellungformen wie das Storytelling und selbst preisgekrönte Reportagen auch ein Problem sein können, weiß die Branche spätestens, seit vor fast einem Jahr beim Spiegel der Fall Relotius aufgedeckt wurde. „Wie können Redaktionen solche gravierenden Fehler vermeiden?“, fragt Andrea Hansen im Panel „Fehlerkultur in Redaktionen“ mit Brigitte Fehrle, Marlis Prinzing und David Schraven. Ganz klar: Indem die Qualitätssicherung mit der Pflege des Vier- und Mehr-Augen-Prinzips und des Faktenchecks (wieder) selbstverständlich wird, fordert nicht nur David Schraven vom Recherchenetzwerk Correctiv, das intern, aber auch im Kundenauftrag Faktenchecks durchführt.
Weil es bei Relotius um Betrug und bewusste Irreführung ging, sei er kein repräsentatives Beispiel für Fehler im Journalismus, stellt die Runde fest. Brigitte Fehrle hat als Mitglied der Spiegel-Kommission zu Relotius mit vielen Redakteuren gesprochen. Die Gründe für das Versagen der Redaktion liegen für sie zum Teil in der „gewissen Unantastbarkeit“, die das Gesellschaftsressort beim Spiegel genoss. Zum anderen sieht sie aber auch die Reportage als „anfälliges Genre, weil sie unter dem Diktum steht, besonders schön geschrieben sein zu müssen“. Dagegen betont Journalistikprofessorin Marlis Prinzing: Auch die Reportage sei „Wahrheit und Wirklichkeit verpflichtet“.
Nicht nur Fehrle sieht ein Problem im Weglassen und Glattschleifen von Fakten, die nicht zur These oder zum Plot passen. Das zeigt das Forum „Storytelling – zu perfekt, um wahr zu sein? Wenn die Story heißer ist als die Wirklichkeit“. Auf dem Podium von Thomas Münten sitzen Prof. Dr. Rainer Leschke, Medienwissenschaftler an der Universität Siegen, WDR-Redakteur Martin Suckow, (Menschen hautnah, Die Story) sowie Ilka Brecht vom ZDF-Magazin Frontal21.
Wie also stellen Redaktionen sicher, dass eine Recherche nicht um der guten Story willen zurechtgebogen wird? Etwa, indem die Redaktion schon bei Auftragsvergabe deutlich mache, dass nicht jede Recherche zu einem sendefähigen Beitrag werden müsse, sagt Suckow, dass sie aber gegebenenfalls trotzdem bezahlt werde. „Das liegt ja auch in der Natur des Formats“, ergänzt ZDF-Kollegin Ilka Brecht: „Sechs von zehn Geschichten verlaufen im Sande.“ Allerdings bleibt das Storytelling aus Sicht von Medienwissenschafter Leschke ein Dilemma, weil Objektivität und Narration sich gegenseitig geradezu ausschlössen: „Wenn Sie versuchen, komplexe Sachverhalte in eine Narration zu pressen, entfernen Sie sich vom Sachverhalt.“
Viele Knechte, wenige Könige
Mit Gegenwart und Zukunft von Fernsehproduktionen beschäftigt sich auch das gut gefüllte Forum „Vom Knecht zum König? Arbeiten in der TV-Produktion heute“. Dem auffallend jungen Publikum sitzen drei deutlich ältere Semester gegenüber: Den Fragen von Moderatorin Stephanie Funk-Hajdamowicz stellen sich Prof. Axel Beyer vom MEMI Institut Köln, Jürgen Schulte von Ansager & Schnipselmann sowie Horst Schröder, Mitglied im WDR-Rundfunkrat und Aufsichtsratsmitglied bei Bavaria.
Anders als Anfang der 1990er Jahre, als Privatsender in den Markt drängten und viel Geld verdient wurde, herrscht heute immenser Spardruck, den die Sender an die Produktionsfirmen weitergeben. Schröder empfiehlt den jungen Leuten im Raum deshalb, sich frühzeitig über Stipendien und Fördermaßnahmen, etwa der Film- und Medienstiftung NRW, zu informieren. Wer sich für ein Start-up im Produktionsbereich interessiere und mit mehr als 800 Euro im Monat auskommen wolle, müsse schon „verdammt gut rechnen“.
Auch Axel Beyer sieht den Wandel und den Konzentrationsprozess in der Produktionslandschaft. Letztlich entscheidend ist für ihn aber kreatives Potenzial: „Wer das gut nutzen kann, hat deutlich bessere Chancen im hart umkämpften Produktionsgewerbe.“
Den Sprung „vom Knecht zum König“, so viel macht die Diskussion deutlich, schaffen nur Ausnahmetalente. Immer mehr junge Leute tummeln sich zunächst mit eigenen Ideen auf Facebook, Youtube oder Instagram. „Da ist auch durchaus Geld zu verdienen. Das Netz ist viel wichtiger geworden, auch für gestandene Produktionsfirmen“, weiß Jürgen Schulte. Zwar verlange der Sprung von sozialen Netzwerken ins etablierte Produktionsgeschäft viel Inspiration, Kondition und Geschick, aber er könne durchaus gelingen – vor allem für diejenigen, die sich frühzeitig fragen: Was erwarten die Nutzer, welche Angebote haben Chancen?
UKW einfach abschalten?
Und was macht derweil das Radio? Audio boomt, aber die Sender profitieren nicht unbedingt davon. Auch hier stehen dank Spotify und Smartspeakern grundlegende Umbrüche an – weg vom linearen Hören, hin zu Streaming und Podcasts. Michael Mennicken von der FM Online Factory eröffnet die Diskussion um das Radio der Zukunft mit einer provokanten These: „Eigentlich muss man UKW abschalten, damit sich die Menschen neue Wege suchen.“ Mit ihm auf dem Podium von Sascha Fobbe: Berthold Blesenkemper mit seiner lokalen Nachrichtenplattform inklusive Audio-App aus Bocholt und Podcast-Produzent Matthias Milberg.
Auch wenn Mennicken seine Forderung „UKW abschalten“ im Verlauf der Diskussion abschwächt, ist er sicher: Die bisherige Konstellation werde nur solange funktionieren, bis Werbekunden realisierten, wie zielgenau sie bei Podcasts ihre Werbung schalten könnten.
„Das Radio verliert gerade eine Generation, und es braucht eine starke Medienmarke, ganz egal, wo der Konsument künftig zu finden ist“, mahnt Milberg. „Wir müssen dahin gehen, wo die Menschen sind, auf ihren Kanälen, sonst kommt keiner mehr zu den Radiomachern von heute“, lautet seine ernüchternde Bilanz.
Dass die richtigen Inhalte dennoch ihr Publikum finden, zeigt Berthold Blesenkemper mit seiner Nachrichten-Plattform für Bocholt. Er produziert für Online und Social Media, erstellt einen Newsletter und produziert seit Jahresanfang einen drei- bis fünfminütigen Nachrichtenpodcast. Seine Chance sieht er darin, dass das zuständige Lokalradio wenig präsent sei. „Da entsteht eine Lücke auf dem Land“, so erklärt er sich die gute Resonanz auf sein Angebot.
Auf Podcasts setzt auch Radio Lippe und gehört nach Aussage von Milberg mit mehr als zweimillionenfach abgerufenen Folgen zu den erfolgreichsten Podcasts im Lande. Während der Lokalfunk linear möglichst alle Themen mitnehmen müsse, kann ein Podcast sich thematisch beschränken. Das brauche aber die starke Marke, sagt Milberg. Doch die lasse sich im Zusammenspiel mit dem Mantelprogramm von Radio NRW gut aufbauen. Das Forum zeigt: Das Thema treibt Rundfunkjournalisten um. Um vor allem junge Menschen zu erreichen, braucht es neue Konzepte.
Bei Radio Essen versucht man genau das, erzählt Chefredakteur Christian Pflug auf einem anderen Podium. Gemeinsam mit seinem Team hat er sich jüngst Gedanken über digitale Verbesserungen gemacht. Die Redaktion verzeichnet Zuwächse beim Internetstreaming und hat das steigende Interesse an Podcasts für die eigene Digitalpräsenz genutzt. Das Ergebnis: eine fünfminütige Zusammenfassung der lokalen Nachrichten des Tages, die täglich um 19.30 Uhr gesendet wird und dann als Podcast zum Abruf bereit steht.
Pflug sitzt in Horst Kläusers Forum „Klasse statt Masse: Wie wir näher an den Nutzer kommen“. Mit ihnen auf dem Podium Verleger Klaus Rieping von der Ibbenbürener Volkszeitung (IVZ) und Uwe Renners, Chefredakteur Digital der Tageszeitung Rheinpfalz. Zusammen sollen sie erläutern, auf welchen Wegen Menschen für den Journalismus gewonnen werden können. Zu digitalen Instrumenten beim Erreichen der Zielgruppen hat Rieping allerdings eher wenig zu sagen. Er setzt auf die harte Paywall und hat damit in der ländlichen Region Erfolg – wohl auch, weil die IVZ dort keinen Wettbewerber hat.
Kultur plötzlich als Abo-Treiber
Die Rheinpfalz hat dagegen differenzierte Zahlen zur digitalen Nutzung, weil sie investiert hat, erzählt Renners. Eine überraschende Erkenntnis bei der Kulturberichterstattung: In Print wenig gelesen, „ist sie digital einer der wichtigsten Abo-Treiber“. Ebenso die Fußballspiele des FC Kaiserslautern. Probeabos geben der Redaktion dann 14 Tage Zeit, um die Neukunden mit Qualität zu überzeugen, dass sie bleiben. Wenn das gelingt, macht Renners sich wenig Sorgen über Abo-Kündigungen.
Dank dieser Messmöglichkeiten haben Volos auch größere Freiheiten als früher, verrät Renners: Wenn einer mit einem Themenvorschlag komme, „dann sag ich, ‚mach mal‘, und dann gucken wir uns hinterher die Daten an“.
Um die Frage, wer wen wie erreicht, dreht sich auch das Panel „Von der Pressestelle zum Newsdesk“, das der Fachausschuss Presse- und Öffentlichkeitsarbeit präsentiert und das dessen Vorsitzender Daniel Rustemeyer moderiert. Kurz nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts gegen die Stadt Dortmund (siehe auch „Pressesubstituierender Gesamtcharakter“: Gericht gibt Lensing Recht) ist das Thema hochaktuell. Die Ruhr Nachrichten fühlen sich darin bestärkt, dass die öffentliche Hand nicht Aufgaben der Medien übernehmen darf, erklärt RN-CvD Matthias Langrock. Die kommunale Pressestelle könne natürlich die Arbeit der Stadt darstellen, dürfe aber eben nicht über Dinge wie eine BVB-Meister- oder Pokalfeier berichten.
Städte kommunizieren (auch) direkt
Die Arbeit der Stadt direkt darzustellen sei heute absolut notwendig, macht Thomas Sprenger, CvD am Newsdesk der Stadt Bochum, deutlich. Weil viele Menschen kein Zeitungsabo mehr hätten, müsse eine Kommune versuchen, Bürgerinnen und Bürger auf Kanälen wie Twitter, Facebook und Instagram direkt zu erreichen. Eine Konkurrenz zu Medien wolle die Stadt nicht sein, versichert Sprenger, aber sie müsse ihre Themen kontinuierlich in eigenen Kanälen verfolgen, wie er am Beispiel einer Klimakampagne erläutert: Für Redaktionen sei so ein Thema üblicherweise nach einem Bericht über die Auftaktveranstaltung „durch“.
Dem Dortmunder Richterspruch entnimmt Sprenger nicht nur eine Botschaft an Kommunen und andere öffentliche Akteure. „Es ist auch eine Aufforderung an Medien: Komm deiner Verantwortung nach und berichte auch über das städtische Leben“, sagt der Bochumer Desk-Chef und erntet Beifall. Gibt es denn (echte oder gefühlte) „weiße Flecken“ in der Lokalberichterstattung? Langrock räumt ein, dass die Redaktion nicht mehr alle Termine besetze. Aber: „Wir berichten über alles, was wirklich relevant ist für die Menschen.“ Recherche heiße heute eben auch: „Wir schauen inzwischen auf mehr als 20 Kanäle, um zu sehen, was passiert oder wo wir anknüpfen können.“
Prof. Dr. Wiebke Möhring vom Journalistik-Institut der TU Dortmund sieht tatsächlich Lücken, die die klassische Medienberichterstattung hinterlässt und warnt vor Folgen für die Demokratie. Zur Frage der Newsdesks in der Öffentlichkeitsarbeit sei sie zwiegespalten, räumt die Journalismusforscherin ein. Neue Kommunikatoren seien gut, „um die Lücken zu füllen“. Sie bedauere aber, „wenn es Kommunikatoren sind, für die nicht mehr die Unabhängigkeit der Berichterstattung an oberster Stelle steht“, wie es bei Pressestellen anzunehmen sei.
Dabei arbeiten nicht nur in kommunalen Pressestellen häufig Seitenwechsler aus dem Journalismus. Kein ungewöhnlicher Schritt, wenn die Arbeitsbedingungen in den Medienhäusern immer unbefriedigender werden. Was heißt das für die Nachwuchsgewinnung der Redaktionen?
Schwierige Nachwuchssuche
Die ist schwieriger geworden, da herrscht Einigkeit auf Katrin Kroemers Panel „Nur nichts mit Medien? Wie Journalismus sexy bleiben kann“ mit Lars Reckermann, Sascha Devigne und Prof. Dr. Wiebke Möhring. Letztere beobachtet einen Bewerberrückgang beim Journalistik-Studiengang der TU Dortmund. Das belege jedoch nicht zwingend, dass das Interesse am Journalistenberuf abnehme. Es gebe viele zusätzliche Kommunikationsstudiengänge, und mancher wähle jetzt direkt die PR.
Dabei gibt es immer noch gute Gründe, sich für Journalismus zu entscheiden. Das zeigt ein Video mit Statements von Volos beim Duisburger TV-Sender Studio 47, das dessen Chefredakteur Sascha Devigne mitgebracht hatte. Und auch Lars Reckerman, freier Journalist und ehemaliger Chefredakteur der Nordwest-Zeitung, wirbt für den Beruf: „Wer neugierig auf Menschen ist, hat nach wie vor keine andere Wahl.“ Dass Medienhäuser inzwischen nicht immer Zugriff auf Hochschulabsolventen mit Einser-Abschluss haben, findet Reckermann durchaus positiv. So würden die Perspektiven im Journalismus vielseitiger.
Wenn junge Menschen die PR dem Journalismus vorziehen, mögen auch Arbeitsbedingungen in den Medien eine Rolle spielen. Ist Coworking ein Mittel, um das künftig besser zu gestalten? Oder ist diese Form von New Work nur ein Hype? Das fragt ein Forum mit Moderator Johannes Meyer. Die Antworten bleiben allerdings vage. Dabei berichten Joachim Dreykluft, stellvertretender Chefredakteur der sh:z in Flensburg, und seine Kollegin Barbara Maas über ein interessantes Projekt: das HHLab als gemeinsame digitale Zentrale der regionalen Medienhäuser NOZ Medien und mh:n Medien. Hier arbeiten Journalisten und Entwickler gmeinsam an der Zukunft des Journalismus. Die Erläuterungen voller „Buzzwords“ verwirren einen Teil der Zuhörerinnen und Zuhörer allerdings eher.
Konkreter wird der dritte Experte: Dr. Rüdiger Klatt forscht zur Zukunft der Arbeit. Danach sind Coworking-Spaces, also Orte mit der notwendigen Büro-Infrastruktur, vielleicht sogar mit Kita, Carsharing und Fahrradstation, eine wohnviertelnahe Alternative zu Home Office oder Pendeln ins Büro. Unter dem Strich bleibt die Erkenntnis, dass die Arbeit der Zukunft anders aussehen wird als heute. Und dass nicht jedes Modell für jeden geeignet sein wird.
Nutzwert und Disruption
Der Zukunft zugewandt sind auch die Workshops, viele davon von externen Anbietern. Besonders gut kommen die nutzwertigen Themen an, wie Tipps zum Online-Storytelling mit Instastories mit Gavin Karlmeier oder zum Umgang mit Hass im Netz mit Stanley Vitte. Weitere Workshopthemen sind Content Curation, Fundraising als Finanzierungsweg im Journalismus sowie die Frage, wie die journalistische Branche mit disruptiven Umbrüchen umgehen kann.
Wer das kompakte Programm bis zum Nachmittag verfolgt hat, mit so vielen Neuerungen, guten Vorsätzen und Visionen für die Zukunft, braucht etwas zum Ausklingen – und vielleicht auch eine augenzwinkernde Hilfestellung beim Verarbeiten des Gehörten. Die liefert Kabarettist Martin Kaysh bei seinem „Satirischen Tagesrückblick“. Nicht nur Moderatorin Andrea Hansen bekommt zu spüren, dass Satire wehtun kann. Kaysh teilt kräftig aus.
Die Maßgabe „Nach vorne blicken, nicht mäkeln“ entpuppt sich bei ihm als prima Steilvorlage zum Ignorieren. Kaysh liefert einen Rückblick auf schmerzvolle Niederlagen: Die Schließung der Westfälischen Rundschau 2013 erspart der Kabarettist aus Recklinghausen den Kolleginnen und Kollegen ebenso wenig wie Grundsätzliches zur aktuellen Lage im Journalismus: „Nehmen wir Kabarettisten Journalisten die Arbeit weg, die sie nicht mehr machen? Ja.“ Was dagegen helfen könnte? Kaysh hat da so seine Tipps: Hinterm Schreibtisch hervorkommen, sich selbst vermarkten, mehr Rampensau sein …
Nach dem bitterbösen und zugleich fröhlichen Abspann zieht Frank Stach am Spätnachmittag ein zufriedenes Resümee: „Journalistinnen und Journalisten leben für ihren Beruf. Das haben mir die Leidenschaft und Energie der Kolleginnen und Kollegen in den Diskussionen heute gezeigt. Wir sind auf einem guten Weg in die Zukunft.“||
Corinna Blümel und Beate Krämer unter Mitarbeit von Steffen Heinze, Christian Schlichter, Jakob Surkemper und Uwe Tonscheidt.
Ausführlichere Texte zu den Foren unter journal-nrw.de/journalistentag.
Ein Beitrag aus JOURNAL 6/19, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Dezember 2019.