Am Abend der Europawahl ging es mir zum ersten Mal so: Um 18 Uhr mochte ich, als politisch sehr Interessierte, das ewig gleiche Ritual aus Prognosen und Analysen nicht mehr sehen, hören, lesen. Die Fragen, Kommentare, Parolen und Einordnungen in „den Medien“ folgten nur der Parteienlogik und guckten zu wenig auf das aktuelle Ergebnis.
Wenn aber jede Wahl nur noch Stimmungstest für die nächste ist, wird der für die Demokratie so zentrale Urnengang zur reinen Umfrage degradiert. Im Gespräch mit Sally Lisa Starken (siehe „Die Informantin fragt nach“) stellte ich fest: Das ärgert nicht nur mich!
Politikberichterstattung folgt schon viel zu lange den immer gleichen Ritualen. Es geht zu oft um Personen und zu selten um Positionen. Dabei wäre die größte Hilfe für eine reflektierte Stimmabgabe die nüchterne Überprüfung der geleisteten Arbeit. Im Falle der Regierung könnte man den Koalitionsvertrag zugrunde legen. Im Falle von Oppositionsparteien, wie oft sie eine alternative Lösung präsentiert haben und wie umsetzbar diese wäre. Wie ermüdend dagegen, dass (im Vorfeld wie am Wahlabend) vor allem interessiert, wer mit wem nicht kann oder will.
Denn die spannendste Frage ist doch nicht, ob Kanzler X oder Kanzlerin Y am Ende vom Bundestag gewählt wird. Die Fixierung auf Personen ist auch die Basis für Hass und Hetze: Wo es nicht mehr um Parteiprogramme und deren Umsetzung geht, sondern Namen zum Synonym von Entscheidungen werden wie „Habecks Heizhammer“, wird die inhaltliche Ablehnung persönlich.
Was fehlt, sind ein paar Prinzipien, an die sich alle halten. Politikerinnen und Politiker aller Parteien und Medienschaffende aller Sparten, versichert euch: Wer regelmäßig verfälschend vereinfacht oder tatsächlich die Unwahrheit sagt, wird in Live-Sendungen nicht mehr eingeladen. Und zwar nicht wegen seiner oder ihrer Meinung, sondern wegen fehlender Verlässlichkeit im politischen Diskurs. Sendungen werden erst in Mediatheken eingestellt, wenn der Faktencheck eingearbeitet ist. Denn auf der Homepage zur Sendung schauen lange nicht alle nach, ob noch etwas korrigiert worden ist. Aktuell werden Ausschnitte aus dem Zusammenhang gerissen, „nackt“ über Soziale Medien geteilt und als wahrhaftig „verkauft“. Mit integrierter Korrektur wäre das nicht mehr so leicht möglich.
Natürlich wird es am Ende immer Menschen geben, die es sich mit ihrer Meinungs- und Willensbildung leicht machen oder ihre Ansicht nicht von Fakten erschüttern lassen. Aber viele wollen informiert werden, sie kommen nur mit der Flut negativer Nachrichten immer schlechter zurecht. Und wer will es ihnen verdenken? Ab und zu auch mal eine good news einzustreuen oder einen Lösungsansatz zu präsentieren, reicht eben nicht.
Darum lasst uns die Politikberichterstattung neu erfinden! Es ist Zeit. Es würde den Alltag leichter machen – sowohl für Macherinnen und Macher als auch fürs Publikum!
Ein Beitrag aus JOURNAL 3/24, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im September 2024.