Eine Berichterstattung über geheime Lageberichte der Bundeswehr ist zulässig, weil sie dem öffentlichen Interesse dient. So urteilte der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH), der unter anderem für das Urheberrecht zuständig ist, im April (AZ: I ZR 139/15) und setzte damit ein klares Signal für die Pressefreiheit.
Die WAZ hatte im November 2012 in ihrem Recherche-Blog interne Dokumente der Bundeswehr über den Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan veröffentlicht. Bei den sogenannten Afghanistan-Papieren handelte es sich um vertrauliche wöchentliche militärische Lageberichte der Bundeswehr aus dem Zeitraum von 2001 bis 2012. Sie stammten aus dem Bundesverteidigungsministerium, das damit die Abgeordneten im Verteidigungsausschuss des Bundestags informierte. Die geleakten Dokumente trugen die Kennzeichnung „VS – Nur für den Dienstgebrauch“, das entspricht der niedrigsten Geheimhaltungsstufe.
Mit IFG-Anfrage gescheitert
Die WAZ-Recherchegruppe hatte damals eigenen Angaben zufolge zunächst vergeblich versucht, mithilfe des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) Einsicht in die Dokumente zu bekommen. Das Verteidigungsministerium habe mit dem Argument abgelehnt, dies könne Feinde Deutschlands zu Erkenntnissen verhelfen und damit deutsche Soldaten gefährden.
Das Ministerium hatte die Löschung der Unterlagen verlangt, dem die Seite nicht nachkam. Ein Blick in die Originaldokumente zeige, so erklärte das WAZ-Rechercheblog seinerzeit, dass sich in ihnen nichts finde, „was als Geheimnis geschützt werden müsste“. Zudem hätten die Bürger ein Recht, die Wahrheit über den Kriegsverlauf nachzulesen.
Die Bundesregierung verklagte die damalige WAZ-Gruppe (heute Funke Mediengruppe) daraufhin auf Verletzung des Urheberrechts. Nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Köln musste die Mediengruppe die Dokumente 2015 aus dem Netz nehmen, legte aber beim BGH Revision ein. Um die Frage zu klären, ob die Grundrechte der Informationsfreiheit und der Pressefreiheit Einschränkungen des Urheberrechts rechtfertigen, verwies der BGH das Verfahren 2017 an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg.
Informationsdokumente in neutraler Sprache
Im Laufe des Verfahrens äußerte der europäische Generalanwalt Maciej Szpunar Zweifel daran, dass einfache militärische Lageberichte nach EU-Recht urheberrechtlich geschützt seien. Bei ihnen handele es sich um reine Informationsdokumente, die in einer neutralen und standardisierten Sprache verfasst seien. Das Urheberrecht dürfe nicht dazu dienen, die Verbreitung bestimmter Informationen zu unterdrücken, soll der Generalanwalt erklärt haben, wie das Blog Netzpolitik im Oktober 2018 berichtete. Dies habe überhaupt nichts mit den Zielen des Urheberrechts zu tun. Das Urheberrecht werde hier für die Verfolgung von Zielen instrumentalisiert, die ihm völlig fremd seien.
Mit seinem Urteil vom 29. Juli 2019 verwies der EuGH die Sache an den BGH zurück. Danach kann selbst bei einem angenommenen Urheberrechtsschutz die Veröffentlichung im Rahmen der Meinungs- und Pressefreiheit zulässig sein. Der Bundesgerichtshof hat nun in seinem Urteil deutlich gemacht, dass der Bund „die Veröffentlichung militärischer Lageberichte über den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr durch die Presse nicht unter Berufung auf das Urheberrecht untersagen“ kann.
„Schutzschranke“ für Berichterstattung zu Tagesereignissen
Die Frage, ob für die Dokumente überhaupt ein Urheberschutz geltend gemacht werden könne, ließ der BGH offen. Die Veröffentlichung der Dokumente habe jedenfalls nicht gegen das Urheberrecht verstoßen. Denn nach dem Urheberrechtsgesetz ist die Berichterstattung über Tagesereignisse wie die sogenannten Afghanistan-Papiere grundsätzlich erlaubt, dafür sorge die „Schutzschranke der Berichterstattung über Tagesereignisse (§ 50 UrhG)“, wie es in der Pressemitteilung des BGH heißt.
Journalistisch aufgearbeitet
Eine Berichterstattung im Sinne dieser Bestimmung liege genauso vor wie eine journalistische Auseinandersetzung mit den Inhalten. Dazu verwies der BGH darauf, dass es einen Einleitungstext sowie weiterführende Links gegeben habe. Zudem habe die Recherchegruppe zur interaktiven Partizipation eingeladen und diese in systematisierter Form präsentiert.
Die Berichterstattung habe auch ein Tagesereignis zum Gegenstand, den zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch stattfindenden und damit aktuellen deutschen Afghanistan-Einsatz, der im Auftrag des deutschen Bundestags erfolgte. Die Veröffentlichung betreffe die Frage, ob die jahrelange öffentliche Darstellung des Einsatzes als Friedensmission zutreffe oder ob darin eine Beteiligung an einem Krieg zu sehen sei. Zudem habe die Berichterstattung nicht den durch den Zweck gebotenen Umfang überschritten.
Das Urheberrecht diene nicht dazu, das Interesse an der Geheimhaltung von Umständen zu unterbinden, deren Offenlegung Nachteile für staatliche Interessen haben könnte. Für diese Zwecke gebe es andere strafrechtliche Vorschriften, etwa die Bestimmungen gegen Landesverrat und die Gefährdung der äußeren Sicherheit. Darauf habe sich der Bund aber nicht berufen.
„Erhebliches allgemeines Interesse“
Der BGH kommt zum Schluss, dass ein Geheimhaltungsinteresse nach den Umständen des Streitfalls das Veröffentlichungsinteresse nicht überwiegen könne, das durch die Meinungs- und Pressefreiheit gemäß Art. 5 des Grundgesetzes geschützt werde. So heißt es in der Pressemitteilung: „Dem Interesse an einer Veröffentlichung der hier in Rede stehenden Informationen kommt im Blick auf die politische Auseinandersetzung über die Beteiligung deutscher Soldaten an einem Auslandseinsatz und das damit berührte besonders erhebliche allgemeine Interesse an der öffentlichen und parlamentarischen Kontrolle von staatlichen Entscheidungen in diesem Bereich größeres Gewicht zu.“
Die Funke Mediengruppe reagiert erfreut auf das Urteil: Verlagsgeschäftsführer Thomas Kloß erklärte, das sei ein guter Tag für die Pressefreiheit in Deutschland, „Wir waren von Anfang an der Überzeugung, dass die Veröffentlichung der Dokumente vom Presserecht gedeckt ist und das öffentliche Interesse in diesem Fall klar überwiegt. Die jahrelange juristische Auseinandersetzung hat sich gelohnt, das heutige Urteil sollte alle Medien darin bestärken, ihre Wächterfunktion zu behaupten und auch unbequeme Wahrheiten zu veröffentlichen.“||
Ein Beitrag aus JOURNAL 3/20, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Juni 2020.