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Das Recht auf Information

Veranstaltungen zum Tag der Pressefreiheit
15. Juli 2024, Corinna Blümel, Mitarbeit Rainer Kohl
Ein Podium mit zwei Frauen und einem Mann, der ein Dokument hochhält.
Unter Moderation von Lima Fritsche (M.) erinnerten Gemma Pörzgen (l.) und Andy Artmann in Köln an die Gründung der Deutschen Sektion von Reporter ohne Grenzen. | Foto: Ilya Pusenkoff

Die Pressefreiheit steht in vielen Ländern der Welt unter Druck. Verschiedene Regime versuchen, Kontrolle über alle Informationsflüsse in ihrem Land zu halten. Medienschaffende werden überwacht, inhaftiert, gefoltert oder sogar getötet. Aber auch in demokratischen Ländern wird die journalistische Arbeit durch schärfere Gesetze behindert, durch missbräuchliche strategische Klagen (SLAPP), durch Einschüchterung, Bedrohung und auch Gewalt. Zwar hat Reporter ohne Grenzen Deutschland im aktuellen Ranking der Pressefreiheit wieder hochgestuft, aber Entwarnung ist auch mit Platz 10 nicht verbunden.

„Die Pressefreiheit gerät unter Druck, wo Journalistinnen und Journalisten auf Demos oder im Netz beschimpft und bedroht oder die Auslieferung von Medien durch Belagerung von Druckhäusern verhindert wird“, kommentierte die DJV-Landesvorsitzende Andrea Hansen.

Alle müssen sich engagieren

„Wenn wir im Ranking nicht direkt wieder abstürzen wollen, muss jetzt dringend etwas passieren. Qualitätsjournalismus durch unabhängige Medien ist wichtiger denn je. Dafür müssen alle zusammen anpacken: vor allem die verantwortliche Politik und die Arbeitgeber, die gerne Sparvorhaben vor Schutz der Kolleginnen und Kollegen und Medienvielfalt stellen. Aber auch wir alle, in dem wir uns für die Pressefreiheit engagieren.“

Das taten der DJV-NRW sowie einige seiner Orts- und Regionalvereinigungen mit Veranstaltungen rund um den Tag der Pressefreiheit (3. Mai). Dabei gab es die internationale Perspektive genauso wie den Blick vor die Haustür in NRW: Die Kölner Journalisten-Vereinigung (KJV) richtete am 5. Mai den Blick auf die Lage der Medien in Belarus und erinnerte zudem an die Gründung der deutschen Sektion von Reporter ohne Grenzen vor 30 Jahren. Der Journalisten-Kreis Emscher-Lippe (JKEL) lud am 7. Mai zusammen mit der VHS Marl zu einem Podiumsgespräch über die konkrete Bedrohung in der Region. In einer zweiten JKEL-Veranstaltung am 16. Mai in Gelsenkirchen ging es ums Whistleblowing.

Vor einem roten Kino-Vorhang unterhalten sich eine Frau und ein Mann, beide halten ein Mikro.
In Essen sprach Landesvorsitzende Andrea Hansen nach dem Film mit Regisseur Klaus Stern über die Risiken der Überwachung. | Foto: Volkmar Kah

Besonders gut besucht war die zentrale Veranstaltung des Landesverbands, die sich am 15. Mai im Glückauf Filmstudio in Essen dem brisanten Thema Überwachungssoftware widmete. Gezeigt wurde – rund drei Wochen vor dem offiziellen Kinostart – der Dokumentarfilm „Watching you. Die Welt von Palantir und Alex Karp“.

Software mit einer dunklen Seite

Der US-Unternehmer Alex Karp hat mit seiner Firma Palantir Technologies die Datenanalyse-Software „Gotham“ entwickelt, die eine helle und eine dunkle Seite hat. Sie liefert einerseits Informationen an Geheimdienste, Militär und Polizeibehörden, letztere auch in Deutschland. Hier soll sie helfen, Verbrechen aufzuklären oder Terroranschläge zu verhindern. Anderseits setzen bestimmte Staaten die Software ein, um ihre Bürgerinnen und Bürger umfassend zu überwachen. Zudem können die Daten auch zum gezielten Töten genutzt werden. Zwar hat Alex Karp sich immer wieder dem Filmemacher Klaus Stern entzogen, aber der konnte viele Menschen im Umfeld befragen – Leute, die ihn auf seinem Weg begleitet haben, genauso wie jene, die in kritisieren.

Unter dem Motto „Palantir und Pressefreiheit – zwischen Kriegen, digitalem Kapitalismus und KI“ führte die DJV-Landesvorsitzende Andrea Hansen das anschließende Filmgespräch mit dem Regisseur Klaus Stern. Er berichtete über die Entstehung des Films – ein Projekt, das er jahrelang verfolgt hatte. Und er beantwortete kundige Fragen der Journalistinnen und Journalisten im Publikum.

„Zwar versteht er in Sachen Überwachung keinen Spaß, aber darüber hinaus ist er ein Mensch mit viel Humor“, stellte Andrea Hansen fest. Und Landesgeschäftsführer Volkmar Kah freute sich anschließend, „dass es uns als DJV-NRW immer wieder gelingt, Diskussionen anzustoßen und auf Themen aufmerksam zu machen, ehe sie in der breiten Gesellschaft ankommen“.

Das Panels einer Podiumsdiskussion mit drei Männern und einer Frau.
Sprachen über Bedrohungen im journalistischen Alltag (v.l.): Moderator Kay Bandermann mit Lokalchefin Martina Möller, WDR-Journalist Christof Voigt und Landesgeschäftsführer Volkmar Kah. | Foto: Rainer Kohl

Einen Film als Ausgangspunkt für den Austausch nutzte auch die JKEL-Veranstaltung am 16. Mai. Im Schauburg Filmpalast Gelsenkirchen stand der Film „Reality“ auf dem Programm. Die Whistleblowerin Reality Winner hatte bei Übersetzungsarbeiten für die National Security Agency (NSA) Zugriff auf geheime Dokumente, die belegten, wie Russland die Präsidentschaftswahlen 2016 in den USA zugunsten von Donald Trump zu beeinflussen versuchte. Brisantes Material, das Reality Winner an das Onlineportal The Intercept schickte.

Im Anschluss an den Film diskutierten die Kolleginnen und Kollegen im Foyer des Kinos mit dem stellvertretenden Landesvorsitzenden Kristian von Bentem über den Film und die Bedeutung des Whistleblowings für die Demokratie und die Pressefreiheit.

Über die Köpfe des Publikums hinweg ist ein Panel mit drei Frauen zu sehen. Über ihnen wird auf einer Leinwand ein Bild von den Protesten in Belarus projiziert.
Matinee der KJV mit Gemma Pörzgen von Reporter ohne Grenzen (l.) und der belarussischen Fotografin Violetta Savchits (M.). Das Gespräch führte Carmen Molitor. | Foto: Ilya Pusenkoff

Besonderer Fokus auf die Frauen

Für Demokratie gingen auch die Menschen in Belarus 2020 auf die Straße. Monatelang protestierten sie gegen Machthaber Alexander Lukaschenko, der das Land seit 1994 diktatorisch regiert. Die Proteste wurden von den Spezialkräften zunehmend brutal niedergeschlagen. Dass sich an den Protesten damals ungewöhnlich viele Frauen jeden Alters beteiligten, hat Violetta Savchits dokumentiert. Die belarussische Fotografin war am 5. Mai Gast bei einer Matinee der Kölner Journalisten-Vereinigung (KJV) im Kölner Literaturhaus. Sie saß zusam-men mit Gemma Pörzgen, Vorstandsmitglied bei Reporter ohne Grenzen, auf dem Podium; KJV-Beisitzerin Carmen Molitor moderierte. Die Veranstaltung rückte ein Land in den Mittelpunkt, das durch andere Krisen aus dem Fokus geraten ist.

Platz 167 von 180

Nachdem Hunderte Medienschaffende vorübergehend festgenommen, einige zu mehrjährigen Haftstrafen, teils sogar zu Lagerhaft verurteilt wurden, sind die meisten Medien in Belarus heute fest in der Hand des Regimes. Ausländische Medien sollen ebenfalls unter Kontrolle gehalten werden. So wurde die Deutsche Welle, die bereits seit März 2022 als extremistisch eingestuft war, jüngst auf allen Plattformen verboten. Journalistinnen und Journalisten, die nicht ins Exil gegangen sind, stehen unter starkem Druck. Im aktuellen Ranking der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen belegt Belarus Platz 167 von 180. Unabhängiger Journalismus ist im Land weitgehend verstummt. Allerdings können Journalistinnen und Journalisten sowie Medien aus dem Exil die Menschen in Belarus erreichen, erklärte Gemma Pörzgen.

Auch Violetta Savchits ist seit drei Jahren im Exil. Anfangs war sie mit Unterstützung von Reporter ohne Grenzen in Deutschland. Danach zog sie nach Kiew, inzwischen lebt sie in Vilnius. Hoffnung zu bewahren sei schwierig, sagte sie. Aber gerade lese sie ein Buch vom Fall der Berliner Mauer. Das zeige ihr, dass die Dinge mit Abstand doch noch gut werden könnten.

Knackpunkt humanitäre Visa

Dass Violetta Savchits nicht in Deutschland bleiben konnte, hat auch mit den Schwierigkeiten zu tun, humanitäre Visa zu bekommen, erläuterte Gemma Pörzgen. Das zu erleichtern sei eine wichtige Forderung von Reporter ohne Grenzen an die Bundesregierung.

Das Schlaglicht auf die Lage in Belarus zeigte am konkreten Fall, warum die Arbeit von Reporter ohne Grenzen so wichtig ist. Dreißig Jahre ist es her, dass die deutsche Sektion der Organisation gegründet wurde. Auch daran erinnerte die Kölner Veranstaltung am 5. Mai. Unter Moderation der KJV-Beisitzerin Lima Fritsche erzählten zwei Mitglieder des Gründungsvorstands von dieser Zeit: Gemma Pörzgen, die aktuell wieder im Vorstand sitzt, und Andy Artmann, der sich heute als Beisitzer im KJV-Vorstand engagiert.

Die internationale Organisation Reporters sans frontières (RSF) gab es in Frankreich bereits seit 1985. 1994 trafen sich rund 40 Journalistinnen und Journalisten aus allen Medienbereichen und mit einem breiten Spektrum politischer Einstellungen in Berlin zur Gründung der deutschen Sektion. „Wir haben damals nicht im entferntesten gedacht, dass es mal so eine große Organisation wird“, erzählte Gemma Pörzgen. Rund 3 000 Mitglieder hat der Verein heute. Die deutsche Sektion ist nach Frankreich die zweitgrößte.

Andy Artmann betonte: „Bei Pressefreiheit denken wir oft, dass es um unser Recht geht, frei berichten zu können. Es geht aber vor allem um das Recht der Menschen auf Information.“

Bespuckt, geschlagen, bedroht

Trotzdem haben die Bedingungen, unter denen Journalistinnen und Journalisten arbeiten, natürlich wesentlichen Einfluss auf die Pressefreiheit. Und auch wenn diese in Deutschland, gemessen an Ländern am unteren Ende des Pressefreiheits-Rankings um vieles besser sind, können sich Medien und Gesellschaft angesichts von Bedrohung von Medienschaffenden und Übergriffen auch hierzulande nicht entspannt zurücklehnen.

Drei aktuelle Fälle in NRW
Wie aktuell das Thema Pressefreiheit auch in NRW ist, musste der DJV im Mai wieder feststellen. So wurden binnen weniger Tage zwei Journalisten Opfer gewalttätiger Übergriffe, zudem wurde ein Kamera-Team der ARD bedroht.
In der Nacht vom 8. auf den 9. Mai wurde ein Journalist der Dortmunder Agentur news4 Video-Line bei einem Stadtfest in Herdecke schwer verletzt. Der Täter schlug dem Reporter mehrfach ins Gesicht und brach ihm die Nase, weil er dachte, er sei fotografiert worden.
Schläge und Tritte trafen einen Reporter von Radio Duisburg am 12. Mai beim letzten Heimspiel des MSV Duisburg nach dem Abstieg in die Regionalliga. Bei den gewalttätigen Ausschreitungen wurden weitere Menschen verletzt.
Beim dritten Vorfall traf es ein ARD-Team, das für Report Mainz in Bonn über Verbindungen zwischen Burschenschaften und der AfD recherchierte. Es wurde vor dem Haus der „Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks“ von Vermummten bedroht und gefilmt.
Der DJV-NRW bietet Mitgliedern Hilfe und Unterstützung – unabhängig vom
Wochentag. Die Notfallkarte zum Einstecken nennt die spezielle Rufnummer, unter der Mitglieder auch am Wochenende anrufen können, wenn sie nach Angriffen oder Bedrohungen Hilfe oder Beratung brauchen. Klar ist aber auch: In akuten Gefahrenlagen muss natürlich die 110 gewählt werden!

Wie Betroffene in NRW mit der zunehmend pressefeindlichen Stimmung umgehen, beschäftigte das JKEL-Podiumsgespräch am 7. Mai bei der VHS in Marl. WDR-Journalist Christof Voigt und Martina Möller, Lokalchefin der Marler Zeitung, berichteten davon, welche Anfeindungen sie im Alltag erleben, darunter körperliche Angriffe bei Demos. Voigt wurde schon bespuckt und mit einer Flasche geschlagen, hat Drohmails und obskure „Pulver-Briefe“ erhalten.

Auch Martina Möller bekommt immer wieder Drohungen per Anruf oder Mail. „Dass wir als ,linksverseuchte Schreiberlinge’ oder ,linkes Gesindel’ beschimpft werden, weil wir ein Thema anpacken – das hat es früher nicht gegeben“, berichtete sie mit Blick auf eine aktuelle AfD-Veranstaltung in Marl. Voigt und Möller waren sich einig: „Nicht zu berichten ist keine Alternative.“ Aber, so machte Möller klar: „Es braucht Unerschrockenheit, um sich nicht einschüchtern zu lassen.“

Zusammen mit Möller und Voigt sowie Moderator Kay Bandermann, Vorsitzender des Pressevereins Ruhr, saß DJV-Landesgeschäftsführer Volkmar Kah auf dem Podium. Er sieht mit „Sorge, dass das Misstrauen gegen Journalismus in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist“.

„Safe places“ bei Demos

Kah konnte aber – unter anderem dank beharrlicher Arbeit des DJV-NRW– auch von Verbesserungen berichten: Inzwischen erhalten Journalistinnen und Journalisten von ihren Redaktionen mehr Schutz und Rückendeckung. Auch seien Medienhäuser zunehmend bereit, Vorfälle zur Anzeige zu bringen. Und die Polizei zeige mittlerweile „klare Kante, auch wenn hier noch Luft nach oben ist“. Voigt bestätigte dies und nannte als Beispiel „safe places“ für Journalistinnen und Journalisten, die die Polizei Dortmund bei Demos einrichte. Ihm selbst stelle die Redaktion inzwischen– wenn erforderlich – eine Security.

Auch die „kommunikative Parallelwelt der sozialen Medien“ (Moderator Kay Bandermann) mit Hasskommentaren und Fake News beleuchtete die Diskussion. Es sei wichtig, „Grenzen deutlich aufzuzeigen“, betonte Kah. Denn: „Aus Worten können Taten folgen.“ Die Plattform-Betreiber seien in die Pflicht zu nehmen. „Sie haben die Verantwortung, was auf ihnen publiziert wird.“ Voigt und Möller nutzen die sozialen Medien als Infoquelle, um Themen dann journalistisch aufzuarbeiten und über die tatsächlichen Sachverhalte aufzuklären. Wünschenswert sei aber zudem eine „Medienbildung von Kind auf“, betonte Möller.

Auch Kah sah darin eine „wichtige Zukunftsaufgabe“ und verwies auf das Projekt „Journalismus macht Schule“, an dem sich der DJV-NRW beteiligt. Für ihn ist klar: „Unwissenheit ist ein großer Feind der Pressefreiheit.“ ||

Ein Beitrag aus JOURNAL 2/24, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Juni 2024.