„Die Anderen“ und „Wir“

Kommentar
30. Juli 2020, Corinna Blümel

Warum fällt es vielen Menschen so schwer, auf Begriffe und Bilder zu verzichten, die diskriminieren? Die sprachlich Grenzen zementieren und das „Wir“ von „den Anderen“ trennen? Vor allem: Warum sollte das gerade uns Journalistinnen und Journalisten schwerfallen? Sind wir nicht die Profis für Sprache und Bild?

Die meisten von uns würden sicher zustimmen, dass Journalismus eine lebenslange Fortbildung ist. In mehrfacher Hinsicht: Die Themen, über die wir berichten, ändern sich. Die Technik, die wir nutzen, ändert sich. Das Tempo von journalistischen Beiträgen ändert sich (ja, schon lange, bevor das Internet den Turbo angeworfen hat). Die ganze Medienlandschaft ändert sich. Und wir ändern uns mit.

Schon der Einstieg in den Beruf war zu jeder Zeit damit verbunden, reichlich Wissen und Fertigkeiten zu erwerben. Ob im Volontariat, an einer Uni oder Fachhochschule oder „learning by doing“ als Freie, ob im Bereich Print, Hörfunk, Fernsehen, Online oder Pressestelle: Wir haben verschiedene journalistische Formen eingeübt und uns bestimmte Konventionen angeeignet: die Zahlwörter bis zwölf ausschreiben; Nachricht und Kommentar trennen. Wir vermeiden Schachtelsätze und gestelzte Formulierungen und unterscheiden zwischen dem „letzten“ und dem „jüngsten“ Treffen.

So wie wir klaglos bereit sind, manches aus unserem Sprachschatz auszusortieren, haben wir in unserem Leben schon unzählige neue Begriffe und Redewendungen in unser Vokabular integriert und kamen uns dabei manchmal sogar besondern modern vor. Das betrifft Technisches wie Podcast und Laptop, bloggen, simsen und mailen. Aber auch politische Begriffe wie Brexit, Schuldenunion, Ankerzentrum und Flugscham gehören dazu. Und selbst, wer Wörter wie Elchtest, Ostalgie und Stehpaddeln eher nicht nutzt, empfindet es vermutlich nicht als Affront, dass sie irgendwann in den allgemeinen Sprachgebrauch aufgenommen wurden.

Das meiste ist Journalistinnen und Journalisten so selbstverständlich, dass sie nicht darüber nachdenken. Sie halten sich an diese Konventionen, genau wie der überwiegende Teil der Bevölkerung sich an die Höflichkeitsregeln hält, die wir in der Kindheit und Jugend gelernt haben. Auch dieser Lernprozess umfasste, bestimmte Dinge nicht zu tun. Wenn wir ernsthaft und nicht im Scherz „du Sau“ zu jemandem sagen oder ein besonders unvorteilhaftes Foto von jemandem öffentlich machen, dann wollen wir bewusst herabsetzen oder verletzen.

Warum sollten gerade wir als Journalistinnen und Journalisten also nicht in der Lage sein, in unserer Arbeit, aber auch im Privatleben ein Gespür dafür zu entwickeln, welche Begriffe und Bildmotive verletzen, weil sie eine Geschichte mit sich herumschleppen und Menschen in Kategorien mit negativer Konnotation stecken? Und warum sollte es uns nicht möglich sein, neue Sprachmuster einzuüben, die nicht zwischen uns und den anderen unterscheiden?

Einfach mal ganz leise für sich versuchen: „Geflüchtete“. „Schokokuss“. „Teilnehmende“. „Menschen mit Behinderung“. „Journalist*innen“. Tut gar nicht weh, oder?||

Der Kommentar ist Teil der Titelgeschichte zum Thema Sprache und Diskriminierung.
Zum Haupttext: „Eine Art Hirntraining“
Zum Text: „Es soll ruhig stören“


Ein Beitrag aus JOURNAL 4/20, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im August 2020.