Auf einer ebenen Fläche liegen drei Handys, auf denen die Logos verschiedener sozialer Netzwerke zu erkennen sind. Auf den Smartphones und dazwischen stehen zahlreiche bunte Spielfiguren aus Holz, wie man sie bei klassischen Brettspielen verwendet.
Wie verteilen sich die Nutzerinnen und Nutzer auf die verschiedenen Netzwerke? Danach entscheiden Redaktionen und Pressestellen auch, wo sie wie intensiv aktiv sind. | Foto: Matthias Jung
 
THEMA | Social Media

Die richtigen Kanäle finden

Social-Media-Strategien von Redaktionen und Pressestellen
23. April 2025, Bettina Blaß

TikTok, X, Facebook, YouTube oder Instagram – die sozialen Medien gehören seit Jahrzehnten zum Berufsalltag von Journalistinnen und Journalisten. Die neuesten Entwicklungen bringen aber viele Redaktionen, Freie, Medienhäuser und Pressestellen zum Nachdenken. Was ist besser: Gehen, bleiben – oder vielleicht auf einer anderen Plattform ein neues Profil anlegen?

@teamrecherche heißt der neue Kanal der ARD auf TikTok – er verzeichnet Anfang März mehr als 6 500 Follower. In der Pressemitteilung dazu heißt es: „Gerade auf einer Plattform, auf der sich neben unterhaltenden Inhalten auch Desinformation und populistische Meinungsbeiträge verbreiten, will das ARD Team Recherche faktenbasierten Journalismus platzieren, Hintergründe verständlich erklären und komplexe Recherchen für ein jüngeres Publikum zielgruppengerecht aufbereiten.“

Wen will ich eigentlich erreichen?

Ein kluger Schachzug, denn auf TikTok sind die Zielgruppen zu finden, die die öffentlich-rechtlichen Sender über lineares Fernsehen und Radio, aber auch über ihre eigenen Webseiten und Mediatheken kaum erreichen. Das gilt ebenso für Twitch, wo die Tagesschau seit Oktober 2024 vertreten ist und ihr mehr als 82.000 folgen. Zielgruppe auf der Gaming-Plattform, auf der es auch Musik-Streams und politische Formate gibt: die 18- bis 28-Jährigen. Also überwiegend diejenigen, die bei der Bundestagswahl im Februar zu großen Teilen für die rechtspopulistische AfD oder die Partei Die Linken gestimmt haben.

Aber bei der Präsenz auf solchen Plattformen geht es nicht nur um Politik und andere journalistische Themen. Viele in dieser Altersgruppe nutzen TikTok oder Instagram vermehrt wie Suchmaschinen: Wer dort nicht präsent ist, kommt in ihrer Welt nicht vor.

Wem überlässt man den öffentlichen Raum?

Die eigentliche Frage lautet darum: „Wem überlässt man den öffentlichen Raum?“, sagt der Social-Media-Berater Andreas Rickmann. „Soziale Medien kann man nicht ignorieren. Viele Menschen informieren sich nur noch dort. Gerade Jüngere gehen nicht direkt auf Internetseiten. Sie bauen erst auf den sozialen Medien zu den Menschen hinter den Profilen eine Beziehung auf, bevor sie sich auf deren Angebote einlassen, also beispielsweise auf Newsletter oder die Bezahlangebote von Medienhäusern.“

Ein Mann mit dunklen kurzen Haaren und eniem schwarzen Rollkragenpullover steht im Grünen. Er hat die Arme verschränkt, hält ein Smartphone in der Hand und schaut etwas skeptisch in die Kamera.
Dem Instagram-Kanal @verliebtinkoeln von Andreas Rickmann folgen mehr als 50.000 Menschen. | Foto: Matthias Jung

Rickmann selbst erreicht mit seinem Instagram-Kanal @verliebtinkoeln mehr als 50.000 Follower, sein gleichnamiger Newsletter hat mehr als 21.000 Abonnentinnen und Abonnenten. Aus ihnen werden häufig Kundinnen und Kunden in seinem Onlineshop.

Ein weiterer zentraler Punkt ist für Andreas Rickmann die Frage, wo man seine Followerschaft erreicht. Er ist sicher: „Die Social-Media-Welt wird noch kleinteiliger werden“. Gab es früher Facebook, Twitter (heute X) und YouTube, sind im Laufe der Zeit noch Pinterest, Instagram, Threads, Bluesky, Mastodon und einige mehr hinzugekommen. Letztlich müssten alle genauer hinsehen, wo sie ihre Rezipientinnen und Rezipienten erreichen. „Alle Plattformen kann man nicht mehr bespielen“, sagt der Social-Media-Experte.

Um möglichst viele Menschen zu erreichen und mit ihnen in den Dialog zu treten, nutzt auch die Deutsche Welle (DW) Social Media strategisch: „Wir sind dort, wo unsere Nutzenden sich aufhalten. Die Reichweite und der Nutzen der diversen Accounts auf den jeweiligen Social-Media-Plattformen werden kontinuierlich überprüft und evaluiert. Das Social-Media-Angebot wird entsprechend angepasst. Solange die DW ihre Zielgruppen weiterhin via Social Media erreicht, wird sie dort aktiv bleiben und ihren Usern freie Informationen liefern“, schreibt Carla Hagemann, Corporate Spokesperson, per E-Mail. Das gilt auch für das X-Profil des Senders mit fast 750.000 Followern.

Eine Entscheidung, an der sich die Geister scheiden – und über die anscheinend nicht gerne gesprochen wird. So war es schwierig, von angefragten Gesprächspartnerinnen und -partnern überhaupt Informationen zu bekommen. Und von denen, die bereit waren zu antworten, bevorzugten viele zudem als Antwortkanal eine Mail statt eines Telefongesprächs.

Ein Politikum

„Gehen oder bleiben“ scheint ein Politikum zu sein. Kein Wunder: Es gibt für beides gute Argumente – und man bringt immer einen Teil der Followerinnen und Follower gegen sich auf, egal wie man sich entscheidet.

Vor allem in Bezug auf X klagen viele seit der Übernahme durch Elon Musk über zu viel Desinformation und Hass. Gleichzeitig biete diese Plattform aber auch zu wenig messbaren Nutzen. Das führt in Redaktionen und Pressestellen zur kühlen Abwägung, ob es noch sinnvoll ist, die erforderlichen Ressourcen einzusetzen, um die oft schwierigen Diskussionen im Griff zuhalten, wenn über das Netzwerk zugleich merkbar weniger Menschen erreicht werden. „Die Reichweite über X hat zuletzt signifikant abgenommen“, schreibt Henning Bulka, stellvertretender Chefredakteur der Rheinischen Post.

Kein Einzelfall, wie die Studie „Journalism, media, and technology trends and predictions 2025“ zeigt, in der das Reuters Institute einen deutlichen Rückgang des Traffics für Nachrichtenseiten aufzeigt: Bei Facebook betrug dieser in den vergangenen beiden Jahren 67 Prozent, von X kommend liegt der Rückgang bei 50 Prozent.

Für die Rheinische Post zeigten Mediennutzungsstudien zudem, dass die Zielgruppen, die man erreichen wolle, nicht mehr nennenswert auf X vertreten seien. Die Folge: Die Rheinische Post hat ihr Profil dort gelöscht.

Dass viele Menschen X sehr kritisch sehen, hat sich mit der Rolle, die der Tech-Milliardär und Eigentümer Elon Musk als wichtigster Berater des US-Präsidenten Donald Trump spielt, deutlich verschärft. Insbesondere, nachdem Musk vor Fernsehkameras den Hitlergruß gezeigt hat.

Gesammelter „eXit“

Für viele Medienschaffende, aber auch für Kommunen oder Bildungseinrichtungen, waren die letzten Wochen und Monate zu viel: Sie haben ihre Profile auf X gelöscht oder zumindest auf inaktiv gesetzt. Von einem „eXit“ war Anfang Dezember 2024 gar die Rede: 60 Prominente, darunter Fernsehmoderatorin Dunja Hayali, aber auch Fernsehmoderator Jo Schück, haben dazu einen offenen Brief unterschrieben. Auch der britische Guardian postet nicht mehr auf X, und der DJV-Bundesverband hat eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der er erklärt, warum er sein Profil nach 15 Jahren gelöscht hat (siehe auch Interview „Wir konnten dort nicht guten Gewissens bleiben“). DJV- Pressesprecherin Gina Schad erklärt, dass die Entscheidung nicht leicht gefallen sei: „Wir hatten auf X unter allen Plattformen, auf denen wir präsent sind, die meisten Follower.“ Doch wie die Rheinische Post hat auch der DJV festgestellt, dass die Reichweite immer weiter gesunken ist. Zudem habe der Bundesverband vermehrt Fragen bekommen, warum er auf X noch poste.

Die Sorge des DJV auf Bundesebene steht exemplarisch für viele, die X verlassen haben: Man habe die Gefahr gesehen, so Gina Schad, dass am Ende nur noch wenige seriöse Nutzerinnen und Nutzer übrig blieben, denen viele Anhängerinnen und Anhänger von Verschwörungserzählungen gegenüberstünden.

Prominente Rückkehrer

Auf der anderen Seite ist ein soziales Medium eben doch mehr als nur die Person, die es gegründet hat oder besitzt. Social Media ist das, was die Nutzer und Nutzerinnen daraus machen. Verlassen sehr viele Menschen, Institutionen und Organisationen eine Plattform wie X, trägt nicht nur Elon Musk die Schuld daran, dass das betreffende soziale Netzwerk einseitiger wird, sondern auch die Gesellschaft selbst.

Vor diesem Hintergrund kehrte beispielsweise Grünen-Politiker Robert Habeck, von 2021 bis 2025 stellvertretender Bundeskanzler sowie Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, während des Wahlkampfs für die vorgezogene Bundestagswahl im November bewusst auf X zurück und erreicht seither fast 134.000 Followerinnen und Follower: Man dürfe die Plattform nicht den Schreihälsen und Populisten überlassen, schrieb er in einem seiner ersten Posts nach der Rückkehr. Auch Stephen King, US-amerikanischer Buchautor mit fast sieben Millionen Followern auf X, ist seit Februar zurück – um dort klar Position gegen die US-Regierung zu beziehen.

Mehr als Blödsinn

Sigi Lieb, Freiberuflerin und Buchautorin mit dem Fokus auf Geschlecht, Gender und Sprache, war wie die Deutsche Welle und andere Medien gar nicht erst weg von X. Sie fragt: „Warum sollte ich?“ Für sie sei die Plattform, die sie seit 2022 aktiv nutzt, eine Art digitaler, globaler Stammtisch. „Ja, da geht es derb zu, da wird viel Blödsinn erzählt, aber nicht nur. Es gibt auch interessante Leute mit validen Argumenten und Informationen“, sagt sie. „Skeptisch bleibe ich natürlich immer. Das gehört zur journalistischen Sorgfalt.“

Eine Frau mit braunen langen Haaren lehnt seitlich an einem vollen Bücherregal. Sie trägt Jeans und ein blaues T-Shirt und lächelt entspannt in die Kamera.
Sigi Lieb befasst sich als Freiberuflerin und Buchautorin mit den Themen Geschlecht, Gender und Sprache. | Foto: Matthias Jung

Durch die Übernahme von Twitter durch Elon Musk seien auch sinnvolle Maßnahmen eingeführt worden, die ihr auf anderen sozialen Netzwerken wie LinkedIn fehlten, sagt Sigi Lieb. „Geblockte Accounts können bei X sehen, was über sie geschrieben wird und sich so mittels Screenshots gegen Hetze wehren.“ Nach ihrer Überzeugung helfen die Community Notes, „Fake-News zu entlarven und richtigzustellen“.

Unter Community Notes versteht man Anmerkungen von anderen X-Nutzenden, die neben dem betreffenden Tweet angezeigt werden. Dazu müssen genügend andere Nutzerinnen und Nutzer sie als hilfreich bewertet haben.

Auch der Meta-Konzern setzt seit Mitte März auf solche Anmerkungen. Denn zumindest in den USA will Mark Zuckerberg, CEO, auf seinen Plattformen nicht mehr mit Fakten-Checkern kooperieren, und spricht rückblickend auf diese Zeit von „Zensur“.

Eine Studie der US-amerikanischen Cornell University in Ithaca merkt allerdings an, dass insbesondere in der Anfangsphase der Verbreitung eines Tweets Community Notes zu langsam sein könnten, um wirksam zu sein.

Am 20. Februar schrieb Elon Musk überdies an seine mehr als 219 Millionen Follower auf X: „Unfortunately, @CommunityNotes is increasingly being gamed by governments & legacy media. Working to fix this …”. Auf Deutsch also: „Leider werden @CommunityNotes zunehmend von Regierungen und etablierten Medien manipuliert. Wir arbeiten daran, das zu beheben.“ Belege für seine Behauptung blieben aus, und wie genau das „Reparieren“ aussehen wird, ließ er ebenfalls offen.

Der Meta-Konzern plant noch mehr Neues: Er führt ein Programm ein, mit dem Content-Creatoren und -Creatorinnen Geld verdienen können, wenn ihre Posts besonders viele Menschen erreichen. Dabei zeigte eine Studie des Massachusetts Institute of Technology schon 2018, dass sich Fake News schneller verbreiten als seriöse Informationen. Daran dürfte sich nichts geändert haben. Wenn Menschen von Plattformen zusätzlich zu anderen Monetarisierungsformen für Reichweite bezahlt werden, könnte also eine noch größere Flut an Desinformation auf die Nutzerinnen und Nutzer zukommen.

Europäische Alternativen?

Eine Alternative könnte da ein europäisches soziales Netzwerk sein, in dem nicht Aufmerksamkeit als höchste Währung gilt – oder in dem die Algorithmen zumindest kontrolliert werden. Save Social ist eine Initiative, die unter anderem dies fordert. Ob ein solches Netzwerk von den Bürgerinnen und Bürgern angenommen würde, ist jedoch eine andere Frage: Die Erfahrung zeigt, dass sich europäische Lösungen wie Wero statt Paypal, Mistral statt ChatGPT oder Threema statt WhatsApp nicht so leicht durchsetzen.

Möglicherweise wäre eine Kontrolle der Algorithmen eine bessere Lösung. Ein Bündnis aus mehr als 75 zivilgesellschaftlichen Initiativen, Organisationen und Verbänden mit mehr als 1.000 Mitgliedsorganisationen fordern die künftige Bundesregierung auf, das Thema Plattformkontrolle und gemeinwohlorientierte Digitalisierung anzugehen.

Auch in den USA gibt es rund um TikTok ähnliche Ideen. Zu den Bietern auf die Plattform, die verkauft werden soll, gehört „Project Liberty“. Ziel des Milliardärs Frank McCourt, der das Projekt gegründet hat, ist ein dezentrales und „besseres“ Internet, wie es in der FAZ Anfang März hieß.

Ich selbst frage mich natürlich auch, ob ich meine Profile löschen soll oder nicht. Dabei habe ich deutlich weniger Followerinnen und Follower als Medienhäuser, Pressestellen, Institutionen oder Organisationen. Für mich lautet die Antwort: Solange ich noch Kunden und Kundinnen habe, die von mir Infos zu Facebook, X und Instagram erwarten, bleibe ich dort. Auch bei diesem Artikel war ein Zugang zu X sinnvoll, um Zahlen und Inhalte recherchieren zu können. Außerdem hat die Mitgliedschaft für mich den bitteren Vorteil, dass ich dort sehr schnell Desinformation und Hass-Posts finde, wenn ich diese für meine Arbeit benötige.

Zwei junge Frauen stehen an einem hohe Tisch. die eine zeigt der anderen lachend etwas auf dem Handy. Weitere Personen im Hintergrund zeigen, dass die Szene auf einer Veranstaltung eingefangen wurde.
Das Smartphone ist längst Informationszentrale, vor allem für Jüngere, wie hier zwei Teilnehmerinnen bei #durchstarten (siehe auch „#durchstarten: Ein Tag für die Medienprofis von morgen“). Soziale Netzwerke spielen dabei eine wichtige Rolle. | Foto: Karsten Schöne

Werteorientierter Abwägungsprozess

Der Landschaftsverband Rheinland (LVR) dagegen gehört zu den Institutionen, die ihr X-Profil gelöscht haben: „Die Entscheidung ist das Ergebnis eines fortlaufenden Abwägungsprozesses zwischen kommunikativen Aufgaben, zielgruppenseitiger Akzeptanz und plattformspezifischen Entwicklungen“, schreibt Mathis Beste, Referent für Medien- und Öffentlichkeitsarbeit, auf meine
Fragen per Mail. Der LVR reagiere damit auf die zunehmende Verbreitung von extremistischen und demokratiefeindlichen Positionen auf der Plattform, die im Widerspruch zu den Werten des LVR stehen. „Mit dem Verlassen der Plattform X wollte der LVR ein Zeichen für eine werteorientierte Kommunikation setzen“, betont Beste.

Auf den Meta-Plattformen seien Werte wie Vielfalt, Meinungsfreiheit und ein respektvolles Miteinander derzeit noch gewährleistet. „Dennoch beobachten wir dauerhaft alle Plattformen, auf denen wir uns bewegen, um mögliche Veränderungen frühzeitig zu erkennen“, schreibt Beste.

Auch die Uni Münster bespielt X trotz fast 21.000 Folgenden nicht mehr. Sie hat das Konto im Gegensatz zum LVR aber nicht gelöscht: „Wir wollen die Kontrolle über das Handle ‚uni_muenster‘ behalten“, schreibt Pressesprecher Norbert Robers. Zudem sei eine Rückkehr nicht ausgeschlossen.

Nicht alle löschen X wirklich (schon)

Diese „Zwischenlösung“ ist bei einigen zu beobachten, so ist etwa Dunja Hayali nach dem eXit trotzdem noch bei X zu finden – der Account ist auf privat gesetzt, weitere Posts hat es seither nicht gegeben. Ähnlich handhabt es auch der DJV-NRW (siehe Kasten „Und der DJV-NRW?“).

Und der DJV-NRW?
Anders als der Bundesverband hat der DJV-NRW seinen X-Account bisher nicht gelöscht. Der Landesverband hat – wie andere Organisationen – seinen X-Account mit ­einem Schloss versehen und ruhend gestellt. Denn auch der Landesvorstand und die Geschäftsstelle mit der Abteilung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit diskutieren die Frage, ob es moralisch geboten ist, das ­zunehmend schwierige Netzwerk zu verlassen, oder ob man einen Fuß in der Tür halten soll, um den öffentlichen Raum nicht preiszugeben.
Die endgültige Entscheidung steht noch aus und soll im Rahmen eines größeren Konzepts für die Neuaufstellung der Social-Media-Arbeit fallen./cbl

Auch den Social-Media-Analyst und Scientific Programmer Luca Hammer mit etwa 14 500 Followern findet man weiterhin auf X. Aber er hat im Gegensatz zur Uni Münster und anderen die meisten seiner Tweets gelöscht Dafür hat er ein Programm entwickelt, das er auch anderen zugänglich macht. Eine gute Lösung für diejenigen, die ihr Profil nicht löschen, aber unterbinden wollen, dass die eigenen Tweets zum Beispiel für das Training des X-eigenen KI-Modells Grok genutzt werden.

Die Uni Münster und Luca Hammer setzen jetzt auf Bluesky – wie viele andere, übrigens auch der DJV. Dort allerdings erreichen alle drei bisher deutlich weniger Menschen: Bei der Uni Münster sind es im März rund 1.850 Follower, Luca Hammer erreicht rund 4.000, der DJV mehr als 11.000 Follower.

Die Uni Münster erreicht ihre Studierenden derzeit am ehesten auf der Meta-Plattform Instagram und auf LinkedIn, das zu Microsoft gehört: „Grundsätzlich beobachten wir die Situation auf allen Kanälen und das jeweilige rechtliche Umfeld kontinuierlich und genau“, schreibt Robers.

Auf einem Halmabrett liegen drei Smartphone mit den Logos von X, Bluesky und Facebook. Um jedes Handy stehen Spielfiguren einer Farbe.
Erreichen die einzelnen Netzwerke noch alle oder sammeln sich bei ihnen jeweils spezifische Bubbles? | Foto: Matthias Jung

Auch die Rheinische Post fokussiert sich auf andere, für sie „besonders vielversprechende Netzwerke“: „Das sind vor allem Facebook, Instagram und auch TikTok. Hinzu kommen ausgewählte
Kanäle auf WhatsApp“, erklärt Henning Bulka.

WhatsApp – ebenfalls ein Produkt des Meta- Konzerns – ist für viele Medienhäuser, aber auch Pressestellen, derzeit interessant. Im Februar 2025 kommt beispielsweise WDR aktuell auf rund 210.000 Follower, Correctiv.Faktencheck auf mehr als 130.000, der Kölner Stadt-Anzeiger erreicht knapp 19.000, Borussia Dortmund mehr als 2,2 Millionen, die Deutsche Welle um die 30.000, die Westfalenpost mit dem Kreis Olpe mehr als 7.000, der Landtag NRW knapp 8.400, die Siegener Zeitung rund 16.000 und Radio Essen mehr als 11.000 Follower. Bei WhatsApp sind Medienschaffende ganz nah an den Leserinnen und Lesern – und zwar vor allem an den Jüngeren, wie die ARD/ZDF-Medienstudie 2024 zeigt.

Community-Aufbau sinnvoll

Auch wenn die Alternativen mehr oder weniger gut funktionieren: Längst nicht alle Medienhäuser, Freiberuflerinnen und Freiberufler oder Pressestellen haben die Lust und vor allem die Zeit, immer und immer wieder neu Reichweite auf sozialen Kanälen aufzubauen.

Dabei bleibt der Community-Aufbau eines der wichtigen Themen, egal auf welcher Plattform. Das gilt auch mit Blick darauf, welche Auswirkungen künstliche Intelligenz auf das Suchverhalten über Programme wie ChatGPT oder Microsoft Copilot hat. Denn nicht nur über soziale Medien kommt immer weniger Traffic auf Internetseiten. Auch die KI-Antwortmaschinen sorgen vermehrt für sogenannte Zero-Click-Anfragen – mit bedenklichen Folgen für Medienschaffende und andere, die die Original-Inhalte erzeugen (siehe Kasten „Was Zero-Click-Anfragen für Medien bedeuten“).

Was Zero-Click-Anfragen für Medien bedeuten
Künstliche Intelligenz verändert das Internet: Je mehr Menschen mit Antwortmaschinen wie Microsoft Copilot, Perplexity.AI oder ChatGPT im Internet suchen, desto mehr wird die Zahl der Zero-Click-Anfragen steigen. Erschwerend kommt hinzu, dass auch Google neuerdings KI-Zusammenfassungen auf einige Suchanfragen anzeigt. Sie erscheinen über den Listen mit Links, die zu Webseiten weiterführen. Ob Nutzer und Nutzerinnen nun mit einer Antwortmaschine oder mit Google suchen: Sie müssen keine blauen Links mehr anklicken, um eine Antwort zu sehen. Vielmehr werden diese sofort angezeigt. Nur, wer gründlich ist, klickt den Link auf die Quelle, um zu prüfen, ob diese seriös und aktuell ist.
Folge: Internetseiten von Medienhäusern, aber auch von Unternehmen bekommen weniger Traffic. Gleichzeitig gibt es einen Wandel von der Aufmerksamkeitsökonomie hin zur „Intimacy Society“. Liken, Teilen, Klicken waren lange Zeit Erfolgsgaranten für eine hohe Sichtbarkeit in den sozialen Medien. Je mehr Menschen sich aber von Algorithmen abgestoßen und manipuliert fühlen, desto eher suchen sie nach persönlichen und vertrauensvollen Beziehungen. Das ist der Kern der Intimacy Society. Es stehen also Beziehungen im Vordergrund.
Das bedeutet: Wer künftig eine hohe Sichtbarkeit im Internet haben möchte, muss unter anderem auf Communitys setzen. Ein WhatsApp-Kanal kann da ein guter Ansatzpunkt sein./bb

Andreas Rickmann stellt darum den Community-Gedanken in den Fokus seiner Beratungen, aber auch seines eigenen Geschäftsmodells. Sein Tipp: „Besser heute als morgen mit dem Aufbau einer Community beginnen! Schließlich dauert es lang, bis man sie aufgebaut hat“ – sechs oder sieben Jahre zu investieren ist keine Seltenheit.

Wer frühzeitig so gehandelt hat, heute fünf- oder gar sechsstellige Followerzahlen erreicht und einen Teil seiner Einnahmen über Kooperationen verdient, hat übrigens ein weiteres Argument dafür, nicht einfach sein Profil bei X, TikTok oder Instagram zu löschen. Das wird umso mehr für diejenigen gelten, die sich für die in Deutschland neuen TikTok-Shops entscheiden. In den USA, aber auch in Großbritannien, haben sich Social Commerce und die damit verbundenen Impulskäufe über die Plattform bereits etabliert.

Rickmann rät Medienschaffenden außerdem, nicht einfach nur einige Worte und einen Link auf sozialen Netzwerken zu veröffentlichen. „So wird man nie eine nennenswerte Zielgruppengröße erreichen“, sagt er. Mehr denn je gelte, dass der Fokus auf dem Austausch liegen muss, auf dem Miteinander, auf der Diskussion. „Ich sehe, dass sich jetzt viele von X abwenden, weil sie dort nicht mehr erfolgreich waren. Das liegt aus meiner Sicht häufig daran, dass viele nicht den Community-Gedanken gelebt haben“, so Rickmann. Seine persönliche Antwort auf die Frage „Gehen oder bleiben?“: „Wenn ich von allen Plattformen weggehe, wo mir etwas nicht gefällt, bleibt am Ende wenig übrig“, sagt er. Zwar schimpften jetzt viele auf X – „wer aber auf TikTok unterwegs ist, läuft Gefahr, dass seine Verhaltensdaten an die chinesische Regierung gesendet werden könnten. Auch nicht gut!“||

Die Recherche zu diesem Beitrag fand vorwiegend in der ersten Hälfte des März 2025 statt.

Ein Beitrag aus JOURNAL 1/25, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im April 2025.