Der Blick von außen auf die neue Vertikalisierung. Was sagt ein Medienforscher zum Newsletter-Trend?
JOURNAL: Wie bewerten Sie die Zunahme von hochpreisigen Newsletter- und Briefing-Angeboten auf dem deutschen und europäischen Markt?
Dirk Engel: Dieser Trend scheint einige zu irritieren, leben wir doch in einer Zeit, in der so viele Informationen frei und umsonst verfügbar sind wie nie zuvor. Aber das ist genau das Problem: Die Informationen, die man im Internet leicht findet, sind nicht immer vertrauenswürdig. Beiträge von Publikumsmedien sind oft oberflächlich und wandern zunehmend hinter Paywalls. Beim Googeln findet man meist zu viel Material, bei dem man aufwendig prüfen muss, ob die gefundenen Informationen glaubwürdig, zuverlässig, aktuell und relevant sind. Meist trifft mindestens eine dieser Eigenschaften nicht zu. Manche Daten sind glaubwürdig, aber nicht aktuell. Andere scheinen relevant, aber die Quelle ist unklar. Vor diesem Hintergrund sind „Very-special-interest-Medien“ attraktiv: Sie trennen die Spreu vom Weizen, schätzen die Qualität der Informationen ein und „veredeln“ sie durch die eigene Reputation und Glaubwürdigkeit.
JOURNAL: Als Zielgruppe werden oft Entscheiderinnen und Entscheider genannt. Ist diese Zielgruppe spitz genug für ein langfristiges Geschäftsmodell?
Engel: Ja, denn das Geschäftsmodell ist anders als bei herkömmlichen journalistischen Medien. Diese sind meist ein Koppelprodukt, bei dem Vertriebs- und Werbeerlöse ausbalanciert werden. Um möglichst viele Menschen zu erreichen, geht man eher in die Breite als in die Tiefe. Weil die Werbeeinnahmen seit Längerem sinken, muss der Anteil der Vertriebserlöse steigen. Doch die Bereitschaft, mehr Geld zu zahlen, besteht nicht für generische Informationen, sondern nur für spezielle und relevante.
Deep-Journalism-Newsletter konkurrieren deshalb nicht mit den herkömmlichen Publikums- und Fachmedien, auch nicht mit Fachbüchern. Sie sind eher zu vergleichen mit einem Beratungsangebot, dem Besuch einer Konferenz oder eines Seminars. Da sind ganz andere Preise selbstverständlich: Ein Konferenztag kostet ja schon mal 1 000 bis 2 000 Euro.
Hochpreisige Spezial-Newsletter sind also kein journalistisches, sondern ein Beratungsprodukt. Solange die so gelieferten Informationen relevant, vorsortiert und exklusiv sind, gibt es eine Bereitschaft, dafür Geld auszugeben. Besonders, wenn die Leserinnen und Leser den Eindruck haben, sie bekommen dadurch einen strategischen Vorteil gegenüber allen, die diese Newsletter nicht beziehen.
JOURNAL: Gibt es eine Art wirtschaftliche Untergrenze?
Engel: Das Konzept von Premium-Informationsdiensten funktioniert auch mit wenigen Abos. Spitze Zielgruppen sind deshalb kein Nachteil – solange sie Geld haben und bereit sind, für wertvolle, exklusive und verlässliche Informationen zu zahlen. Das ist die Chance auch für Einzelkämpfer oder Top-Expertinnen. Ein Newsletter kann durchaus schon mit knapp 100 Abonnentinnen und Abonnenten funktionieren, wenn sie bereit sind, pro Jahr zwischen 1 000 und 2 000 Euro zu zahlen. Typische Kostenfaktoren wie Druck, Vertrieb, Layout, Fotos oder Beiträge von Prominenten fallen weg. Stattdessen muss man sich auf das wirklich Wesentliche konzentrieren – den konkreten Nutzwert für die Abonnierenden.
JOURNAL: Wo bleibt das Journalistische bei kostenpflichtigen Special-Interest-Newslettern?
Engel: Die journalistische Aufbereitung ist wichtig. Die Inhalte solcher Newsletter sind zum Teil exklusiv (von aufwendigen Studien bis zu Klatsch aus den gut informierten Kreisen). Ein anderer Teil kann aber aus leicht zugänglichen Quellen kommen – deswegen ist es wichtig, diese Berichte journalistisch zu veredeln. Das geschieht durch die Sammlung aus einer Vielfalt von Quellen, eine kritische Prüfung, eine Kommentierung von angesehenen Expertinnen und Experten sowie eine Darstellung, die den Lesenden Zeit spart. Das ist eine Art von Journalismus, der wenig Wert auf Schönheit oder Unterhaltung legt, sondern auf den reinen Nutzwert fokussiert ist.
JOURNAL: Sind Newsletter-Angebote zur ökonomischen und gesellschaftlichen Transformation Europas oder zu Klima und Umwelt eine langfristig notwendige Ergänzung zu herkömmlichen Medien? Oder steckt da doch eher Zeitgeist drin?
Engel: Wie langfristig das Interesse daran ist, wird sich zeigen. Reine Zeitgeist-Themen sind aber nicht die Domäne des Deep Journalism. Die Zeitgeister schweben nur über den Oberflächen, sie tauchen nicht in die Tiefe ab.
Nachhaltigkeitsthemen mit den entsprechenden Berichtspflichten bereiten beispielsweise derzeit vielen Entscheiderinnen und Entscheider Kopfzerbrechen. Hier sind verlässliche Informationen wertvoll. Wer sich hier ein bisschen besser auskennt als die Konkurrenz (seien es andere Wettbewerber im Markt oder die Kolleginnen und Kollegen, die auf meinen Posten scharf sind), hat einen strategischen Vorteil.||
Ein Beitrag aus JOURNAL 2/24, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Juni 2024.