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„Du und deine Familie – Ihr gehört ins KZ“

Bei einem digitalen Info- und Gesprächsabend zum Thema Bedrohungen schildern Medienschaffende, was zu ihrem Alltag gehört
14. Juli 2022, Mareike Weberink

Was erleben Journalistinnen und Journalisten im Alltag? Was flattert in ihre (elektronischen) Briefkästen und was bekommen sie bei Demonstrationen vor den Kopf geknallt? Welche Form von Bedrohungen Kolleginnen und Kollegen erleben und wie sie damit umgehen, stand im Mittelpunkt eines Info- und Themenabends, den der DJV-NRW vor gut acht Wochen digital angeboten hat.

 Matthias Bau, Faktenchecker bei Correctiv, erhält regelmäßig Drohmails. Foto: Ivo Mayr
Matthias Bau, Faktenchecker bei Correctiv, erhält regelmäßig Drohmails. Foto: Ivo Mayr

Besonders eindrücklich schilderte Matthias Bau, Faktenchecker bei Correctiv, seine Erfahrungen: „Es gibt Menschen, die uns klar als Feinde in ihrem Weltbild einsortieren und uns vor allem elektronisch bedrohen.“ Erlebnisse, die auch Redakteurin Chelsy Haß von der Oldenburger Nordwest-Zeitung kennt: „Ich erhalte beleidigende Mails und Anrufe, bin aber zum Glück noch nicht körperlich angegriffen worden.“ Haß berichtet regelmäßig von Demos aus dem Querdenken-Milieu.

300 Hassmails in 18 Monaten

Wie solche Anfeindungen aussehen, weiß Matthias Bau: „Sie haben doch keine Ahnung“ oder „Was schreiben Sie für einen Mist“ gehöre noch zu den harmlosen Zuschriften. Doch es geht auch anders: „Sie werden erhängt“ oder ganz konkret: „Wenn das System kippt, werden Sie erschossen“. In anderthalb Jahren haben Bau und Team etwa 300 Hassmails erhalten, das „gehört zum Alltag unserer Arbeit“. Chelsy Haß kennt solche Vorwürfe: „Wir sind auch entweder ‚regierungskonform‘ oder ‚gekauft‘. Als ich bei einer Demonstration am Rand mitgelaufen bin und keine Presseweste getragen habe, war das gleich der Beweis, dass ich eigentlich ein Mitglied der Antifa bin.“

Wie ernst Bedrohung im Netz genommen wird, das erklärte Oberstaatsanwalt Markus Hartmann, Leiter Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen (ZAC NRW): „Wir haben eine Sonderabteilung für digitale Hasskriminalität eingerichtet“. Diese kümmere sich ausschließlich um Bedrohungen im virtuellen Raum. Doch nicht nur die Quantität, auch die Qualität solcher Zuschriften werde „immer dramatischer“, wie es Volkmar Kah, Geschäftsführer des DJV-NRW, formulierte. Das sei etwa seit dem Aufkommen von Pegida zu beobachten. „Mittlerweile macht es einen Schwerpunkt unserer Arbeit aus: konkrete Hilfe für bedrohte Kolleginnen und Kollegen leisten, Lobbyarbeit, um etwa gegenüber der Politik beständig auf die doch sehr reale Bedrohung hinzuweisen, und Bildungsarbeit.“

Wenn die Lage sich so zugespitzt hat, wollte die Moderatorin des Abends, Andrea Hansen, von Markus Hartmann wissen: „Haben Sie genug Leute, um das alles zu verfolgen?“ Hartmann räumte ein: „Ich kenne keinen Chef, der nicht immer sagen würde, er könne noch mehr Mitarbeiter gebrauchen. Wenn wir also 20 zusätzliche Staatsanwältinnen und Staatsanwälte hätten, hätten die auch noch gut zu tun.“

Chelsy Haß, Redakteurin, berichtet regelmäßig von Demos aus dem Querdenken-Milieu. | Foto: Max Stoyke
Chelsy Haß, Redakteurin, berichtet regelmäßig von Demos aus dem Querdenken-Milieu. | Foto: Max Stoyke

Ein weiteres Problem: „Kolleginnen und Kollegen, die im rechten Milieu recherchieren, kennen solche Bedrohungen seit Jahren“, sagt Volkmar Kah, „Doch dabei bleibt es nicht, mittlerweile trifft es auch Otto-Normal-Redakeurinnen und -Redakteure.“ Das beschäftigt auch Petra Tabeling, Dozentin und Trauma-Expertin, die Redaktionen im Umgang mit psychischen Belastungen trainiert: „Um Auswirkungen zu haben, muss ich nicht einmal selbst betroffen sein“, erklärt sie. „Es macht auch etwas mit mir, wenn ich das bei Kolleginnen und Kollegen beobachte. Vor zehn oder 15 Jahren hat es das so in der Form noch nicht gegeben, da war eine Minderheit betroffen. Heute kennt das jede Social-Media-Redakteurin und jeder Social-Media-Redakteur.“ Häufig empfinden diese sich von traumatisierenden Erlebnissen nicht betroffen, da sie ja „nur am Schreibtisch“ säßen. Tabeling greift zu einem Beispiel: „Doch sie sehen die schlimmen Bilder nach der Flutkatastrophe im Ahrtal oder jetzt aus der Ukraine. Wer mit solchen Bildern umgehen muss, befindet sich in einer belastenden Situation.“

Verfolgen statt nur löschen

Das bestätigt auch Matthias Bau aus eigener Erfahrung: „Meine Partnerin war von den Drohungen mehr belastet als ich.“  Bau wollte daraufhin eine Meldesperre erreichen. „Doch beim Einwohnermeldeamt wurde mir gesagt, das gehört zum Berufsrisiko.“ Bau ist erfolgreich mit einem Anwalt dagegen angegangen. „Jetzt kommt keiner mehr so einfach an meine Privatadresse.“ Das beruhige ihn, vor allem nach Aussagen wie „Du und deine Familie, ihr gehört ins KZ“.

Auch Chelsy Haß ist mit dem Versuch, eine Meldesperre zu erwirken, gescheitert. „Ich habe nach vier Monaten die Ablehnung bekommen – und das, obwohl ich viele Belege und Unterlagen dabei hatte: ein Schreiben meines Arbeitgebers und eine Gefährdungseinschätzung der Polizei“. Dazu machte Volkmar Kah deutlich, dass der DJV-NRW seine Mitglieder rechtlich unterstützen kann – „auch Freie, die keinen starken Arbeitgeber im Rücken haben.“

Petra Tabeling brachte einen weiteren Aspekt ins Spiel: „Wenn ich durch die Demonstrationen in die Situation komme, nicht mehr zu berichten, weil ich weiß, dann kommen wieder Hassmails, dann ist das eine Form der Zensur. Da kann ein Training helfen, mit der Hilflosigkeit umzugehen. Ich selbst habe zudem ein Self-Defense-Training gemacht, das kann ich nur empfehlen.“

Auch Oberstaatsanwalt Hartmann hatte noch einen Tipp: Er verwies auf die Initiative „Verfolgen statt nur löschen“, deren Ziel es ist, Hasskommentare nicht ungeahndet zu lassen und Medienhäusern und Medienschaffenden als Partner zur Seite zu stehen (siehe Kasten unten).||

So kann der DJV-NRW helfen
Bei Bedrohungen und Anfeindungen kann der DJV-NRW konkrete Hilfe leisten. Dazu gehört zum Beispiel
* Unterstützung beim Erwirken einer Meldesperre
* Beratung nach Bedrohung – Aber: Selbstverständlich ist die Polizei die erste Anspechpartnerin, wenn Medienschaffende bedroht, verletzt oder angegriffen werden.
Wenn Betroffene im Anschluss Beratung oder Hilfe brauchen, steht der DJV-NRW seinen Mitgliedern zur Seite. Dafür hat er eine eigene Mailadresse (hilfe@djv-nrw.de) sowie eine spezielle Telefonnummer (02 11-2 3399 33) eingerichtet (auch am Wochenende erreichbar).
* Der DJV-NRW ist zudem seit Mai Mitglied in der Initiative „Verfolgen statt nur löschen“.
* Weiterbildung rund um Themen wie Selbstschutz und Resilienz
Mehr unter www.djv-nrw.de/hilfe

Ein Beitrag aus JOURNAL 2/22, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Juni 2022.