Pressekonferenz in Walporzheim an der Ahr mit Markus Wipperfürth (4. v. l.) und Wilhelm Hartmann (2. v. r.). | Foto: Carmen Molitor
Pressekonferenz in Walporzheim an der Ahr mit Markus Wipperfürth (4. v. l.) und Wilhelm Hartmann (2. v. r.). | Foto: Carmen Molitor
 
THEMA | Blickpunkt Flut

Hass und Helden

Nach der Flut entgleiste die Berichterstattung durch Influencer
27. Juni 2022, Carmen Molitor

Nicht nur Journalistinnen und Journalisten haben im Sommer 2021 und den Monaten danach über das Hochwasser und die Folgen berichtet, über dramatische Rettungsaktionen, erschreckendes Behördenversagen, das Leid der Betroffenen und die beispiellose Welle der Hilfsbereitschaft von tausenden Freiwilligen, die in den Flutgebieten aufräumten und eine kostenlose Versorgungsinfrastruktur aufbauten.

Manche, die sich zu Katastrophenberichterstattern aufschwangen, sind keine Journalisten und wollen es auch nicht sein. „Ich bin Bauer, kein Journalist“, betont zum Beispiel Markus Wipperfürth, ein Landwirt und Lohnunternehmer aus Pulheim bei Köln. Wie viele andere Menschen auch waren er und sein Freund Wilhelm Hartmann, ein Garten- und Landschaftsbauer aus Fulda, am Tag nach der Flut spontan als freiwillige Helfer mit ihren Traktoren und Schleppern an die Ahr gefahren.

Streamender Bauer mit Reichweite

Sie blieben und streamten mit ihren Handykameras über Monate hinweg live aus dem Katastrophengebiet. Täglich ließen sie ein wachsendes Publikum auf Facebook daran teilhaben, wie die Aufräumarbeiten und Hilfsaktionen vorangingen, an denen sie und ihre Freunde beteiligt waren. Vor allem Wipperfürth erreichte damit enorme Reichweiten. Er bekam allein in der ersten Woche mehr Likes und Reaktionen als die Facebook-Kanäle von ZDF-Heute, BILD, Tagesschau und Der Spiegel zusammen, analysierte das Onlineportal Meedia.

Beide Unternehmer motivierten durch ihre Dauerberichterstattung viele andere, vor allem Landwirte, mit ihren Maschinen zur Hilfe ins Ahrtal zu kommen, und vernetzten die Freiwilligenszene. So ziemlich alles, was sie dort taten, fühlten und kritisierten, teilten sie mit der Öffentlichkeit, betonten immer wieder, dass sie selbstlos und unentgeltlich anpackten – und erlangten schließlich vor allem in der Helferszene einen Kultstatus mit einer treuen Anhängerschaft, die ihr Konterfei in Holz schnitzte oder als Bild aus Kork bastelte. Zwei Influencer waren geboren.

Wipperfürths Markenzeichen wurde seine abgewetzte Baseballkappe. Nicht nur deshalb erinnerte er immer ein bisschen an US-Dokumentarfilmer Michael Moore, wenn er mit laufender Handykamera auf unvorbereitete Protagonisten zuging, um mit ihnen auf kumpelhafte Weise ins Gespräch zu kommen. „Ich nehme euch jetzt einfach mal mit…“, sagte er oft am Anfang seiner Übertragungen zu seiner Community, und schon fühlte man sich ganz nah am Geschehen und hatte aus der Ferne teil an dem warmen Gefühl der „SolidAHRität“, dem großen Kreis derer, die anpackten, um das Ahrtal wieder aufzubauen.

Unerschütterliche Gefolgschaft

Na und? Tu Gutes und streame darüber, lautet eine aufgefrischte Grundregel der PR. Allerdings fassen viele der Hundertausenden Facebookfreunde das, was sie täglich von ihren Fluthelden zu sehen bekommen, nicht als informative Spielart der PR und Imagebildung auf. Für sie ist es „echter“ Journalismus. Sie vertrauen den Narrativen ihrer Helden unerschütterlich und lassen sich teilweise mobilisieren. Nicht nur zum Helfen.

Helferinnen und Helfer hinterließen ihre Botschaften an diesem Haus in Dernau. | Foto: Carmen Molitor
Helferinnen und Helfer hinterließen ihre Botschaften an diesem Haus in Dernau. | Foto: Carmen Molitor

So ist im Ahrtal seit Monaten exemplarisch zu beobachten, wie groß und einschüchternd die mediale Macht von Influencern mit einer geradezu nibelungentreuen Anhängerschaft werden kann. Wer die Helden hinterfragt, muss mit Shitstorms, Stalking, Beleidigungen und Bedrohungen rechnen. Das gilt auch für professionelle Journalistinnen und Journalisten. Knapp ein Jahr nach der Katastrophe beschäftigen diese Konflikte auch die Gerichte.

Die Psychologin und freie Buchautorin Ao Krippner ist eine von denen, die nach eigenen Angaben inzwischen reihenweise Anzeigen erstattet. So will sie dem etwas entgegensetzen, was sie als übergriffiges Stalking und Mundtotmachen erlebt. Sie war die erste, die für Risse in der Heldensaga der Flut-Influencer sorgte. In einem sechsteiligen, investigativen Podcast auf ihrer Facebookseite „Faktencheck Ahrtal“ hatte sie einige der Narrative von Wipperfürth, Hartmann und anderen prominenten Fluthelfern unter die Lupe genommen: Vor allem versuchte sie mit ihren Recherchen zu widerlegen, dass die Unternehmer als Erste und völlig allein im Ahrtal die Hilfe begonnen hätten und dass sie immer selbstlos und ohne jede finanzielle Absicht monatelang im Tal halfen.

Der Podcast wirkte von der Dramaturgie und Form her wenig professionell. Aber bezüglich der Recherche war er eine Fleißarbeit, und was Krippner inhaltlich behauptete, hatte Sprengkraft: Konnte es sein, dass die Fluthelden sich bereicherten? Dass sie gar ihre mediale Macht dafür nutzten, Verantwortliche in den Kommunen unter Druck zu setzen, um an Aufträge zu kommen oder in Eigenregie angestoßene Projekte nachträglich abzurechnen?

Seit sie diese Fragen stellt und hartnäckig weiterverfolgt, ist Krippner für die Influencer und Teile ihrer Community ein rotes Tuch und eine „Haterin“. Sie berichtet fast täglich davon, dass sie auf üble Weise belästigt, an ihrer Privatadresse aufgesucht, beobachtet und verleumdet werde. Aus dem Umfeld der Fluthelden, wie sie betont.

Kurz nach der Podcast-Veröffentlichung verschwand ihr Facebook-Kanal „Faktencheck Ahrtal“ von der Plattform. Ein dort kritisierter Sachverständiger hatte eine Kölner Rechtsanwaltskanzlei damit beauftragt, die Löschung zu erwirken, was dieser außergerichtlich gelang. Krippner meldet sich seither auf ihrer privaten Facebookseite zu Wort und betreibt jetzt die „Fe*male Communications Alliance“ (FCA), nach eigenen Angaben ein investigatives Kooperationsprojekt mehrerer Onlinejournalisten und Blogger.

Mit harten Bandagen diskutiert

Von dem Podcast und der erbitterten Auseinandersetzung zwischen der Helferbubble und der Faktencheckerin nahmen zunächst nur wenige Notiz. Zum in der Öffentlichkeit teilweise mit harten Bandagen diskutierten Thema wurde das Gebaren der prominenten Helfer erst, als im Februar Lars Wienand, leitender Redakteur Recherche bei T-Online, in einem langen Report die gleichen kritischen Fragen stellte wie Krippner („Fluthelden auf Besatzerkurs“).

Kurz darauf zog auch die Rhein-Zeitung (RZ) nach, die seit der Flut täglich intensiv über die zahlreichen Facetten der Katastrophe am nördlichen Rand ihres Verbreitungsgebiets berichtet („Fordernde Fluthelden im Ahrtal“ und „Wer Kritik äußert, muss mit Shitstorm rechnen“).

Beide Medien schilderten, dass sich Ortsbürgermeister inzwischen von Helfern mit starker Fanbase eingeschüchtert fühlten, die ihre eigene Agenda durchsetzen wollten. „Ein wesentlicher Eindruck meiner Recherchen war, mit Erschrecken festzustellen, wie viele Menschen die Sorge haben, ihre Erfahrungen auch mit ihrem Namen veröffentlicht zu sehen“, schrieb Lars Wienand auf Facebook. „Und ich habe mit Unternehmern, Helfern, Mitarbeitern von Hilfsorganisationen, Anwohnern und Ortsbürgermeistern gesprochen, die allesamt im Text nicht erwähnt sind.“

Enormer Druck und öffentliche Anfeindungen

Der grüne Stadtrat Ralf Urban aus Sinzig sagte nach einem Streit mit der Helferbubble im Gespräch mit der RZ, er sehe die „Demokratie im Ahrtal“ bedroht: „Mit dem enormen Druck der Follower sollen kritische Medien, Institutionen, und Personen eingeschüchtert werden und weitere Kritik – ob gerechtfertigt oder nicht – unterbunden werden.“

Die Influencer und ihre aufgebrachte Community empfanden die Berichte wohl regelrecht als Majestätsbeleidigung und schalteten ebenfalls Medienrechtsanwälte ein. Lars Wienand wurde in Kommentaren öffentlich angefeindet, als Hetzer und „Schande für den deutschen Journalismus“ betitelt. Wipperfürth stellte einen Antrag auf einstweilige Verfügung gegen den T-Online-Bericht, der aber laut Wienand scheiterte.

Auch die Kolleginnen und Kollegen der RZ mussten sich im Shitstorm warm anziehen: „Ihr gehört erschossen drecks Pack was ihr euch rausholt. Ausrotten sollte man euch ihr drecks Viecher“, las Chefredakteur Lars Hennemann in aller grammatikalischen Schönheit auf seinem Handy. Er postete es auf Facebook. „Wir weichen vor sowas nicht einen Millimeter zurück, und wir haben keine Angst“, betonte er.

Auf die konkreten Vorwürfe gingen Wipperfürth und Hartmann inhaltlich kaum ein. Sie machten vielmehr ihre Community Glauben, alle Helferinnen und Helfer an der Ahr würden durch diese Berichte in Misskredit gebracht und verhöhnt. Noch perfider: Hartmann instrumentalisierte die Freitode von Flut-Betroffenen. Diese hätten „vermutlich“ wegen der kritischen Berichterstattung befürchtet, dass die prominenten Helfer nun aus dem Ahrtal abzögen und es dann keine Unterstützung mehr für sie gäbe, mutmaßte er. Eine haltlose Behauptung, die er zwar später zurückzog, die aber dennoch als ein Tiefpunkt des Streits und ein Höhepunkt der Anmaßung gelten kann.

„Wer so etwas schreibt, ist kein Held, sondern ein ganz grässlicher Demagoge!“, empörte sich Andy Neumann, selbst Flutbetroffener von der Ahr, BKA-Beamter und Autor des Flut-Bestsellers „Es war doch nur Regen?!“. „Nichts und niemand rechtfertig ein so unbedarftes Umgehen mit großen Mengen an Gefolgschaft.“

Wipperfürth kramte in Lars Wienands Vergangenheit und versuchte, ihn als unfairen Reporter darzustellen, dem es nur um Klickzahlen gehe und der neidisch auf seinen Erfolg sei. Und er veröffentlichte einen Abgesang auf die RZ, obwohl man einander bis dahin wohlgesonnen war: „Meine persönliche Einschätzung für die Rhein-Zeitung als Printmedium: Es werden viele Menschen ihren Job verlieren und man wird krampfhaft versuchen, ein neues Format zu finden“, schrieb er öffentlich an Chefredakteur Hennemann. „Meine Prognose: der Zug ist abgefahren.“

Kurz vor dem Jahrestag der Flut ist die Facebook-Öffentlichkeit in zwei unversöhnliche Lager aufgespalten, die sich in den Kommentarspalten der unterschiedlichen Protagonisten regelmäßig in schrillen Tonlagen angiften oder blocken. Wipperfürth berichtet seltener aus dem Ahrtal. In seinen Postings geht es jetzt, wie vor der Flut, wieder mehr um Lobbypolitik für die Landwirte. Bis heute wuchs die Zahl der Follower seines Kanals @WippiTV auf fast 467 000.

Das Medieninteresse im Ahrtal ist groß (wie hier beim Besuch des Untersuchungsausschusses in Schuld). Trotzdem fühlten sich viele Menschen durch nicht-journalistische Berichterstattung zeitweise näher dran. | Foto: Carmen Molitor
Das Medieninteresse im Ahrtal ist groß (wie hier beim Besuch des Untersuchungsausschusses in Schuld). Trotzdem fühlten sich viele Menschen durch nicht-journalistische Berichterstattung zeitweise näher dran. | Foto: Carmen Molitor

Immer nur der eigene Blickwinkel

Aber bei immer mehr Besonnenen, die diese Berichte verfolgen und anfangs begeistert über den täglichen authentischen Blick in die Helferszene waren, kommt bei der steigenden Selbstverliebtheit der Influencer allmählich ein schaler Geschmack auf: Wenn jemand nur aus dem eigenen Blickwinkel berichtet, sich nicht hinterfragt, wenn er keine Recherchen und Gegenchecks macht und sich über jede Kritik erhaben fühlt, kann daraus keine Berichterstattung werden, die das ganze Bild zeigt. „Echter“ Journalismus braucht mehr als größtmögliche Nähe zum Objekt. Nämlich professionellen Abstand, handwerkliches Können, Ausgewogenheit und Verantwortungsbewusstsein.||

Was Journalistinnen und Journalisten beachten sollten, wenn sie aus Katstrophengebieten berichten, hat Carmen Molitor hier zusammengestellt.

Ein Beitrag aus JOURNAL 2/22, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Juni 2022.