THEMA | Blickpunkt Flut

Gemein gemacht

Einfach nur berichten ist manchen Medien in der Katastrophe zu langweilig
27. Juni 2022, Eine Glosse von Carmen Molitor

Fragen Sie sich immer noch, wer oder was den Journalismus vor dem Untergang rettet? Lassen Sie sich gesagt sein: Diese Frage ist out. Heute geht es eher darum, wen oder was der Journalismus selbst retten kann.

Einige Medien verstanden beispielsweise instinktiv, dass die Flutgebiete in NRW und Rheinland-Pfalz ohne ihre Dauerpräsenz verloren wären – und da wollten sie nicht nur Berichterstatter, sondern auch edler Retter sein. Oder zumindest so aussehen.

Carmen Molitor bei ihren Recherchen im Ahrtal. | Foto: privat
Carmen Molitor bei ihren Recherchen im Ahrtal. |
Foto: privat

Der heilige Zorn durchfuhr den damaligen BILD-Chefredakteur Julian Reichelt, als er bei einem Besuch an der Ahr die Klagen über das Katastrophenmanagement hörte. Man werde dableiben, „bis es keine Geschichten mehr gibt, …bis es diese erschütternden Geschichten nicht mehr gibt“, gelobte Reichelt feierlich. Merke: BILD kämpft auch für Sie! Zumindest so lange, bis es bei ihnen wieder provinziell-langweilig wird.

Reichelt entsandte vier Reporterinnen und Reporter, die vor Ort bleiben und später mit einem „BILD-FLUTMOBIL“ wachsam durch die Täler rollen sollten. Bevor die BILD-Leute alles wegberichtet hatten, verschenkten sie eifrig Sachspenden und schrieben darüber: „Als erste Maßnahme verteilten Redakteure hochwertige Powerbanks von Media Markt, weil viele Betroffene keinen Strom haben. Der Werkzeughersteller Einhell lieferte 60 Trocken-Nass-Sauger und 180 Akku-Lampen.“ Und: „Jetzt will BILD die Hilfe vor Ort ausbauen.“

Auch das rechtsradikale Magazin Compact ließ sich nicht lumpen und eröffnete ein Büro im Ahrtal: „Compact war neben BILD das einzige Medium, das dringend benötigte Hilfsgüter direkt in das Katastrophengebiet gebracht hat“, verkündete Chefredakteur Jürgen Elsässer im Netz. „Und im Unterschied zu der Springer-Lieferung wurde unser Transport sogar vom Chefredakteur persönlich geleitet.“ Nimm das, Reichelt! Um die Niederlage perfekt zu machen, ließ sich Elsässer noch verschwitzt und mit dem Schlagbohrer in der Hand bei der Arbeit in einem Fluthaus großformatig abbilden und kündigte an, Hilfsarbeiten zu koordinieren und einen magazineigenen „Handwerker-Trupp“ loszuschicken, um das Tal zu retten. Sonst macht‘s ja keiner! Der journalistische Auftrag, das zeigte sich angesichts der Flut, ist breit.||

Was Journalistinnen und Journalisten beachten sollten, wenn sie aus Katstrophengebieten berichten, hat Carmen Molitor hier zusammengestellt.

Ein Beitrag aus JOURNAL 2/22, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Juni 2022.