„Marlon Brando hat mir die Tür vor der Nase zugeknallt“

Dokumentarfilmer Georg Stefan Troller kam durch Zufall zum Journalismus
14. Juni 2017, Viola Gräfenstein

Georg Stefan Troller hat mit seinem subjektiven Stil den modernen Journalismus geprägt wie nur wenige andere. Seine Karriere als Dokumentarfilmer begann er beim WDR mit der legendären Fernsehserie „Pariser Journal“. Im Mittelpunkt der 45-minütigen Filme standen Weltstars, unbekannte Leute von der Straße oder ganze Stadtviertel. Es folgte die Sendereihe „Personenbeschreibung“ beim ZDF. Trollers Dokumentarfilme und Porträts schrieben Fernsehgeschichte. Im Dezember 2016 feierte Georg Stefan Troller seinen 95. Geburtstag. JOURNAL-Autorin Viola Gräfenstein hat mit dem Journalisten zurückgeblickt.

 

Georg Stefan Troller. | Foto: Viola Gräfenstein
Georg Stefan Troller. | Foto: Viola Gräfenstein

JOURNAL: Sie haben den Deutschen mit Ihrer WDR-Dokumentarfilmreihe „Pariser Journal“ jahrzehntelang Frankreich nähergebracht. Was hat Ihnen die Sendung bedeutet?

Georg Stefan Troller: Das war eine tolle Chance. Diese Sendung hat mich überhaupt erst zum Menschen gemacht. Ich gehörte damit endlich einem Team an und fühlte mich zugehörig. Paris erschien mir anfangs wie ein erschreckender Moloch. Das „Pariser Journal“ gab mir die Chance, das alles zu überwinden. Paris hat mir die Augen geöffnet und viel beigebracht. Es war ein Großstadtleben gegenüber der kleinstädtischen Kleinigkeit, die man in Deutschland überall fand.

JOURNAL: Sie waren in Paris weit weg von den deutschen Redaktionen?

Troller: Ich war glücklicherweise weit weg. Die Redakteure in Deutschland, mit denen ich zu tun hatte, waren alles gestandene Herren und gehörten einer anderen Generation an. Sie hatten ihre Vorstellung und wollten mich davon überzeugen, dass manche Filme so nicht gingen, wie ich sie machen wollte. Und nachher ging es doch. Ich machte meine eigenen Filme und kam nur zur Sprachaufnahme und Endmischung nach Deutschland.

„Heute ist alles viel schwerer als damals“

JOURNAL: Was unterscheidet Ihre journalistische Arbeit von der heutiger Journalisten?

Troller: Ich weiß, dass heute alles viel schwerer ist als damals. Ich hatte Glück, weil wir uns in der Aufbauzeit des Rundfunks und Fernsehens befanden. Ich konnte viel ausprobieren. Anfangs war ich mit meinem 25 Kilogramm schweren Aufnahmegerät als Rundfunkreporter unterwegs. Später hatte ich als Korrespondent ein Kamerateam dabei und durfte Themen setzen und eigene Dokumentationen drehen. Ich hatte vergleichsweise mehr Zeit als die Journalisten heute.

JOURNAL: In Ihrem aktuellen Buch „Unterwegs auf vielen Straßen – Erlebtes und Erinnertes“ erzählen Sie Geschichten aus Ihrem Reporterleben. Wer war für Sie interessanter: Prominente oder die unbekannten Leute auf der Straße?

Troller: Beide natürlich. Die hohen Herrschaften in den Sendern wollten gerne, dass ich mehr Berühmtheiten drehte, weil man damit Publikum anzog. Mit Prominenten war es oftmals schwieriger, weil ich nicht immer dieselben Dinge herausholen wollte, die sie schon hundertmal zuvor gesagt hatten. Ich musste deshalb gerade bei den Stars besonders originell sein. Bei manchen Promis ist es mir gelungen, ihnen besonders nah zu kommen. Andere haben mich auch einfach abgewimmelt.

JOURNAL: Wer zum Beispiel?

Troller: Marlon Brando hat mir die Tür vor der Nase zugeknallt. Woody Allen wollte sich für meine Dokumentation einfach nicht filmen lassen und kehrte mir beim Drehen ständig den Rücken zu. Picasso amüsierte sich über meinen mitgebrachten Blumenstrauß und beschimpfte mich so, dass ich das hier nicht laut sagen kann. Einmal hatte ich an der Riviera Spaziergänger gedreht, unter denen sich ein Herr mit einer Dame befand, die allerdings nicht seine Frau war. Wir mussten den Film vor seinen Augen aus der Kamera herausziehen.

JOURNAL: Und was war Ihre amüsanteste Promi-Panne?

Troller: Ich kann mich noch gut an ein Interview mit Brigitte Bardot erinnern. Sie hatte zu ihrem Namenstag alle Brigitten von Paris in ein Musical eingeladen, in dem sie auftrat. Am Abend standen 1 000 Brigitten vor der Tür des Musicaltheaters. Ich schlug mich zum Künstlereingang durch, den ich glücklicherweise gut kannte. Und dann kam sie plötzlich heraus, flankiert von zwei Gorillas. Ich zog sofort mein Mikro und stellte ihr meine Fragen. Doch im Nachhinein stellte sich heraus, dass es Fragen waren, die jeder Reporter ihr schon gestellt hatte.

JOURNAL: Was haben Sie sie denn gefragt?

Troller: Madame Bardot, was war die dümmste Frage, die man Ihnen je gestellt hat? Ihre Antwort: Diese. Und was war Ihr schönster Tag in Ihrem Leben? Ihre Antwort: Das war in der Nacht. Das Interview war leider nicht zu gebrauchen.

JOURNAL: Dabei sind Sie für Ihre tiefschürfenden Interviews bekannt und dafür mit zahlreichen Preisen überhäuft worden.

Troller: Ja, das stimmt. (lacht)

„Ich war vielleicht aus so eine Art Beichtvater“

JOURNAL: Sie haben den Menschen immer tief in die Seele geschaut. Wie haben Sie das geschafft?

Troller: Eine sehr gute Vorbereitung sowie die richtigen Worte sind wichtig. Bestimmte Worte können Schwingungen bei den Gesprächspartnern auslösen, die diese zum Sprechen bringen. Diese inneren Schwingungen beim Partner herauszufühlen und hervorzurufen ist die Hauptaufgabe des Fragestellers. Dann kann etwas Magisches passieren, und sie öffnen sich. Es ist außerdem die Möglichkeit, die ich den Menschen geboten habe, sich vor der Kamera darzustellen, ja möglicherweise auch zu beichten. Ich hatte sogar manchmal das Gefühl, dass sie von mir, dem Filmemacher, Vergebung erlangen wollten für das, was sie waren. Ich war deshalb vielleicht auch so eine Art Beichtvater.

JOURNAL: Welcher Gesprächspartner hat Sie rückblickend am meisten beeindruckt?

Troller: Das waren viele, aber der querschnittgelähmte Vietnamkriegsveteran und Friedensaktivist Ron Kovic, der später durch sein Buch und die Verfilmung mit Tom Cruise, „Geboren am 4. Juli“, weltweit bekannt wurde, hat mir selbst viel beigebracht. Ich fand seinen Mut bewundernswert, zu sich selbst zu stehen und nicht mehr mit seinem Schicksal zu hadern. Und er konnte sich und anderen verzeihen. Das beeindruckte mich.

JOURNAL: Was hat Sie am Reporterjob interessiert?

Troller: Ich bin durch Zufall Journalist geworden. Ich war ein heimatloser emigrierter Jude, der in Amerika lebte und nicht wusste, was er mit seinem Leben anfangen sollte. Als amerikanischer Soldat kehrte ich nach dem Krieg nach Europa zurück und verhörte für die US-Army dank meiner Sprachkenntnisse deutsche und österreichische Kriegsgefangene. Dabei habe ich meine Fragetechnik entwickelt.

JOURNAL: Erst mit 50 Jahren outeten Sie sich als Österreicher mit jüdischer Herkunft. Warum nicht früher?

Troller: Viele hielten mich für einen Südtiroler oder Elsässer. Ich wollte, dass die Deutschen meine Filme, Texte und eben mich liebten, so wie ich war. Die Deutschen sollten sagen, „ach, er ist ein Jude, das haben wir ja gar nicht gewusst“. Sie sollten meine Arbeit schätzen und nicht mehr zurückkönnen. Dahin wollte ich.

„Journalist zu sein war für mich ein Mittel der Selbstheilung“

JOURNAL: Sie haben rund 1 700 Interviews geführt. Warum haben Sie sich so sehr für Menschen interessiert?

Troller: Journalist zu sein war für mich ein Mittel der Selbstheilung und der Lebensrettung. Meine Seele als jüdischer Emigrant, der dem Holocaust entkommen war und 19 Angehörige verloren hatte, war verletzt. Als emigrierter Jude empfand ich mich jahrzehntelang als minderwertig, heimat- und identitätslos. Ich wusste nicht, wer ich war, wo ich hingehörte und was ich überhaupt im Leben sollte. Ich nenne meinen Job Gesundung durch andere.

JOURNAL: Sie haben sich durch Ihren Job als Journalist selbst geheilt?

Troller: Es war für mich wichtig herauszufinden, wie diese Menschen, die ich befragte, es schafften zu überleben, wie sie es schafften, mit ihrem Schicksal umzugehen. Die Menschen spürten, dass ich mich für sie interessierte, und öffneten sich. Ich setzte für mich selbst Puzzleteile für mein eigenes Leben zusammen und brachte im Gegenzug meine Gesprächspartner dazu, zu ihrer eigenen Wahrheit durchzustoßen.

JOURNAL: Dabei war die Kamera für Sie auch immer eine Art Schutzschild?

Troller: Ja, nach Jahrzehnten habe ich begriffen, dass die Kamera auch immer ein Schutzmechanismus war, um viele Dinge – wie zum Beispiel meine Fotoaufnahmen vom Konzentrationslager Dachau – überhaupt ertragen zu können.

JOURNAL: Sie sind Filmemacher und Autor. Was war Ihnen wichtiger: das Bild oder das Wort?

Troller: Was mich immer interessiert hat, war beides. Filme ergänzt durch das Wort. Am liebsten ist mir, dass die Leute am Ende nicht wissen, was da gesprochen wurde. Sie haben das als Teil des Bildes wahrgenommen, das Wort als Bild. Das war das Beste, was einem passieren kann. Ich habe meine Worte immer so gesetzt, dass sie das Bild nicht störten, sondern ergänzten und vielfältiger machten, als es eigentlich war.

JOURNAL: Und wie schreiben Sie Ihre Bücher?

Troller: Meine geschriebenen Bücher sind ganz stark von meinen Kommentaren beeinflusst. Kurze, prägnante Sätze sowie der Versuch, immer etwas Neues in jedem Satz zu bringen. Ich wollte um alles in der Welt nie langweilen. Das hat mich ganz stark beeinflusst.

JOURNAL: Mit welchen Mitteln arbeiten Sie?

Troller: Ich schreibe bis heute meine Texte auf meiner Hermes-Baby-Schreibmaschine. Ich habe keinen Computer und kein Internet, sondern nur ein Faxgerät. Meine Manuskripte faxe oder schicke ich meinem Verleger per Post. Anmerkungen mache ich mit einem vierfarbigen Kugelschreiber.

JOURNAL: Sie haben in verschiedenen Ländern gelebt. Seit 1949 leben Sie in Paris. Warum ist die deutsche Sprache für Sie so wichtig?

Troller: Ich fühle mich noch immer dem deutschsprachigen Raum zugehörig. Ich liebe die deutsche Sprache. Sprache gibt Identität und Zugehörigkeit, deshalb wollte ich sie auch im Ausland nie aufgeben.

„Die Presse sieht sich als eine Art Volksbelehrer“

JOURNAL: Wie hat sich der Journalismus heute im Vergleich zu Ihrer aktiven Zeit als Journalist verändert?

Troller: Beispielsweise war die Ausplauderei über sexuelle Affären von Politikern – im Gegensatz zu Amerika – damals in Frankreich nicht üblich. Man respektierte ihre Privatsphäre. Alle Zeitungen bringen mittlerweile diese Dinge. Heute scheint es, als wäre es das einzige, was Journalisten und Leser interessiert.

JOURNAL: In vielen Ländern ist der Rechtspopulismus im Kommen. Welche Rolle spielt dabei die Presse?

Troller: Die Presse spiegelt nicht die Volksmeinung wider. Sie sieht sich als eine Art Volksbelehrer, aber die Massen mit ihren Vorurteilen und Ängsten vor Einwanderern und Flüchtlingen, die in der Presse kein Gehör finden, die finden sich nicht repräsentiert und schon gar nicht im Parlament oder in der Regierung. Da kommen schweigende Mehrheiten auf uns zu, von denen wir keine Ahnung haben, weil sie nie in der Presse auftauchten.

JOURNAL: Die meisten Medien versuchen auch durch Volksbefragungen, alle Gesellschaftsschichten zu Wort kommen zu lassen. Reicht das nicht mehr?

Troller: In Umfragen sagen die Anhänger von populistischen Parteien nie, dass sie eigentlich einer solchen Partei anhängen. Deshalb gab es meiner Meinung nach auch die falschen Prognosen in Amerika. Sie sagen eher, sie seien noch nicht entschieden bei Wahlen. Und dann wählen sie eine rechtspopulistische Partei. Davor habe ich auch Angst in Deutschland: dass diese Opposition im Stillen wächst und auf einmal als Mehrheitspartei dasteht.

„Ich empfinde keine Notwendigkeit mehr, mich in Leute einzufühlen“

JOURNAL: Also sollten Journalisten verstärkt Aufklärungsarbeit leisten?

Troller: Letztlich ist es den meisten dieser Leute wurscht. Vielen ist es einfach egal, ob in der Zeitung steht, wir müssen uns beispielsweise um die Immigranten kümmern. Es hat keinen Einfluss oder nur ganz wenig Einfluss auf ihr Leben. Und viele lesen auch keine Zeitung. Es ist schwer, diese Menschen zu erreichen.

JOURNAL: Sie haben Hunderte von Interviews geführt und sich selbst einmal als Menschenfresser bezeichnet. Ist Ihr Appetit inzwischen gestillt worden?

Troller: Ich denke ja. Ich empfinde nicht mehr die Notwendigkeit, mich in Leute einzufühlen. Heute lässt man die Leute so sein, wie sie sind.Und noch wichtiger: Man lässt sich selbst so sein, wie man ist. Im Alter nimmt man die Welt, so wie sie ist, mit der verzweifelten Hoffnung, dass man irgendetwas hinterlässt.

JOURNAL: Sie haben zahlreiche Preise erhalten, unter anderem mehrere Grimme-Preise, die Goldene Kamera und sogar einen Bambi. Dann verschwanden Ihre Auszeichnungen über Nacht. Was war passiert?

Troller: Es war mein letzter Tag im ZDF-Studio in Paris. Ich hatte nur noch einen Karton in meinem Büro mit meinen Preisen, den ich am nächsten Tag mitnehmen wollte. Doch eine Putzfrau hatte ihn über Nacht versehentlich entsorgt. Sie dachte, er sei Abfall.

JOURNAL: Ihr Lebenswerk auf der Müllhalde: Wie war das für Sie?

Troller: Das war einen Moment lang ein Schock, danach war es mir wurscht. Ich habe ohnehin keinen Platz bei mir dafür. Die Preise habe ich gewonnen, den Ruhm eingeheimst, das Geld verdient. Wem soll ich mit einer goldgefärbten Kamera oder einem Bambi imponieren? Es ist irgendwo auch eine Erleichterung, dass ich diese Klunker nicht mehr habe. Es sind ja doch nur Äußerlichkeiten.

Lebensweg

1921 wird Georg Stefan Troller als Sohn eines jüdischen Wiener Pelzhändlers geboren. In Wien macht er eine Ausbildung zum Buchbinder. Als es 1938 zum Anschluss Österreichs kommt, flieht er mit 16 Jahren vor den Nazis in die Tschechoslowakei, von dort nach Frankreich, wo er bei Kriegsausbruch interniert wird. 1941 erhält er in Marseille ein Visum für die USA. Dort wird er zum Kriegsdienst eingezogen und ist 1945 an der Befreiung Münchens beteiligt. Für die US-Army verhört er deutsche und österreichische Kriegsgefangene.

Troller kehrt zurück in die USA und studiert Anglistik und Theaterwissenschaften. 1949 geht er mit einem amerikanischen Stipendium nach Paris und nimmt ein Angebot als Rundfunkjournalist beim RIAS Berlin an. Danach arbeitet er für alle deutschen Sender. Ab 1962 liefert Troller dem WDR das „Pariser Journal“, 50 Geschichten aus und über Paris. Ab 1971 lief seine 70-teilige TV-Sendereihe „Personenbeschreibung“ im ZDF, mit Porträts über prominente und unbekannte Menschen. / VG

Lesetipp

Die Textsammlung des österreichischen Autors und Filmemachers Georg Stefan Troller, „Unterwegs auf vielen Straßen. Erlebtes und Erinnertes“, ist im Verlag Edition Memoria erschienen. Weitere Infos: www.edition-memoria.de