Nicht nur Kunst gab’s im Juni in Münster, sondern für viele Kollegen etwas bislang Ungehörtes: Applaus auf einer Pressekonferenz – und davon reichlich. Es klatschten viele der weit mehr als 500 Journalistinnen und Journalisten, die zur Eröffnungspressekonferenz der renommierten Kunstschau „Skulptur Projekte 2017“ gekommen waren. Die Ausstellung von Kunst im öffentlichen Stadtraum Münsters, die seit 1977 alle zehn Jahre stattfindet, lockte Medienvertreter aus zahlreichen Ländern an. 1.000 Kollegen hatten sich allein für das Eröffnungswochenende akkreditiert.
Zugegeben, die Kunstszene geht mit ungeschriebenen Gesetzen schon mal großzügiger um. Aber Beifall schon nach ein paar Absätzen einer Presseerklärung? Nun gut, vielleicht für Kaspar König, den Seniorstar der drei Ausstellungsmacher. Dann Applaus für die Worte der Sponsoren, später auch noch für die Träger der Kunstschau, den Oberbürgermeister, für den Direktor des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL). Nicht wenige Journalisten schauten sich fremdschämend an. Lautet doch einer der Branchengrundsätze: „Journalisten haben nichts zu beklatschen.“ Schon, damit nicht einmal der Anschein entstehen könnte, sie machten sich mit einer Sache gemein.
Traditionell gelten Pressekonferenzen als Gelegenheit, kritische Fragen zu stellen. Aber verkommen sie nicht gerade zur inszenierten Befriedigung von Sponsoren- und Veranstalterinteressen? Mit Journalisten als Claqueuren? Und wurden sie im politischen Bereich nicht längst durch Statements in Hotellobbys und vor Parteizentralen ersetzt?
Neuer Wert für kritische Fragen
Da könnte es scheinen, dass sich Pressekonferenzen, die heute längst Medienkonferenzen heißen könnten, als Instrument überlebt haben. Wäre da nicht zum Beispiel die hohe Aufmerksamkeit, die den Geschehnissen im Presseraum des Weißen Hauses gewidmet wird, seit Präsident Trump mit Teilen der Medienöffentlichkeit im Clinch liegt. Wo kritische Fragen explizit unerwünscht sind, rückt ihr Wert wieder ins Bewusstsein. Nicht umsonst hat die Deutsche Welle den Freedom of Speech Award in diesem Jahr an die Vereinigung der Korrespondenten im Weißen Haus verliehen.
Während in Washington die Atmosphäre zwischen Presse und Pressesprecher immer eisiger wird, endete in Münster die Pressekonferenz-Aufführung übrigens mit einem Schlussapplaus. Das Nachfragen stand hier allerdings auch nicht hoch im Kurs: Wer noch was wissen wollte, wurde von der Sprecherin Jana Duda vertröstet: Fragen Sie das doch bitte per Mail oder halt später. Der Ablauf ging vor. Schließlich warteten draußen schon die Kunstführer auf die Medienvertreter.
Der internationale Pressespiegel zeigt: Die durchinszenierte PK hat nicht gestört. Die Kollegen loben das Kunstevent in den Himmel. Für Dudas Sprecher-Kollegin Judith Frey war das Klatschen übrigens kein Thema: Wie? Ist das nicht üblich? Sie fand den Applaus nicht störend, er war ihr nicht einmal aufgefallen. Die Kunstszene hat eben ihre eigenen Regeln.
Von 500 Teilnehmern wie in Münster brauchen andere Veranstalter von Pressekonferenzen nicht einmal zu träumen. Etwa Christian Frevel von Adveniat in Essen: Mit seinem Team um die Pressesprecher Carolin Kronenburg und Stephan Neumann macht der Bochumer Öffentlichkeitsarbeit für das katholische Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat. Das zählt mit seiner Weihnachtsaktion zu den 15 großen Spendensammlern in Deutschland.
Themen werden heute anders gesetzt
„Die Pressekonferenz funktioniert für uns noch für die zentrale Jahresbotschaft“, stellt Frevel fest. Aber sie ist längst nicht mehr das Instrument, um inhaltliche Themen zu setzen. Denn mal kommen fünf Teilnehmer zur PK, mal 15. Adveniat veranstaltet deshalb bundesweit und im jeweiligen Bistum „flankierende Maßnahmen“. Reisen für Regionalmedien nach Südamerika gehören dazu, ebenso das komplette multimediale Programm heutiger Öffentlichkeitsarbeit von der Pressemitteilung über O-Töne und einen Podcast bis zum Engagement in den sozialen Netzwerken.
Zu zwei großen Pressekonferenzen lädt Adveniat jährlich ein – beide mit bundesweiter Aufmerksamkeit. Bei der jährlichen Bilanz-Pressekonferenz im Frühsommer legt das Hilfswerk Rechenschaft über den Umsatz von rund 50 Millionen Euro ab. Transparenz ist gerade für so eine Organisation wichtig. Bis zu 15 Teilnehmer kommen zu diesem Termin. Zum „Hintergrund“, der anschließenden Kontaktpflege, werden Butterbrote serviert. Das war’s.
Mit der zweiten großen Pressekonferenz – jährlich in einem anderen Bistum – startet Adveniat kurz vor dem Ersten Advent die Mobilisierung für die traditionelle Weihnachtskollekte bei katholischen Gottesdiensten und Krippenfeiern. Auch in diesem Jahr hoffen Frevel und sein Team in Paderborn auf die Vertreter der großen Nachrichtenagenturen, der großen Sender und der lokalen Medien. Adveniat-PKs sind Traditionstermine für die Medienbranche und werden von Vor- und Nachberichterstattung begleitet. Für Christian Frevel steht trotz guter inhaltlicher Vorbereitung und einem gepflegten Verteiler fest: „Es geht nicht ohne News.“
Neuigkeiten und Themen gibt es beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe genug zu vermelden, ähnlich wie bei seinem rheinischen Gegenstück, dem Landschaftsverband Rheinland. Denn der LWL mit 16.000 Mitarbeitern betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 17 Museen. Zudem ist der LWL einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Um darüber zu informieren, bereitet der westfälische Kommunalverband jährlich bis zu 100 Pressekonferenzen und Pressegespräche vor.
Trotz der vielfältigen Themen machen sich die PK-Besucher manchmal rar, wie Frank Tafertshofer feststellt. Er leitet die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des LWL seit fast einem Vierteljahrhundert und beobachtet in den vergangenen 15 Jahren in der Medienbranche eine Tendenz, die er „Klumpenbildung“ nennt: „Entweder es kommen ein oder zwei Kollegen, oder es kommen alle.“
Event schlägt Inhalte?
Dabei ist auch erkennbar, dass Medien sich eher für Kultur interessieren, etwa für Ausstellungen mit antiken Schätzen oder modernen Skulpturen. Wenn es um Soziales, Psychiatrie oder Maßregelvollzug geht, wird’s schwieriger. Tafertshofer sieht – durchaus kritisch – einen Trend zur „Eventisierung“, wie etwa mit der Massen-PK zu den Skulptur Projekten. Das ebenso aufwendig vorbereitete Pressegespräch vor Ort in einer Förderschule oder einer forensischen Klinik bleibt in der medialen Aufmerksamkeit dagegen weit abgeschlagen zurück.
Redaktionen fehle die Zeit für solche Informationstermine, hören die Öffentlichkeitsarbeiter des LWL häufiger. Das Pressegespräch sei deswegen nicht mehr „unbedingt das Mittel der Wahl“, erklärt Tafertshofer. Stattdessen plant der LWL, Medienvertreter demnächst bei Interesse per Videoschaltung mit LWL-Fachleuten zusammenzubringen. Daneben bietet die Pressestelle per Mail und Social-Media Infos, Bilder und O-Töne an. Tafertshofer: „Das hätten wir uns früher nicht getraut.“
Und klappt die Umstellung? Ja, sagt Frank Tafertshofer, gerade die Fachpresse sei ein guter Abnehmer solcher aufbereiteten Informationen. Aber es gibt ein internes Problem: Die betroffenen Einrichtungen im LWL verstehen manchmal nicht, warum das Medieninteresse an ihren Themen nachlässt, berichtet Tafertshofer. Da gebe es dann intern viel über Medienwandel zu erklären.
Vom Bedeutungsverlust der klassischen PK merkt die Düsseldorfer Landespressekonferenz (LPK) nicht viel. Ähnlich wie der LWL kommt sie auf rund 100 Pressekonferenzen pro Jahr. Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied zu anderen Veranstaltern: Wie bei der Bundespressekonferenz in Berlin sind es in Düsseldorf die Journalisten, die die Politiker zur PK einladen und auch die Spielregeln festlegen. Dieses deutsche Verfahren ist weltweit einmalig, freut sich der LPK-Vereinsvorsitzende Tobias Blasius, der für die Funke-Mediengruppe schreibt.
Journalistische Bedürfnisse gehen vor
Ausgerichtet sind diese Rahmenbedingungen ganz auf die Bedürfnisse der Berichterstatter in Wort und Bild. Dazu hat der LPK-Verein mit seinen derzeit 128 Mitgliedern neun Goldene Regeln formuliert, die dafür sorgen, dass die Themen einer PK schnell ankommen und der Austausch darüber klappt. Denn, sagt Blasius, „nichts ist schlimmer als eine halbstündige Powerpoint-Präsentation“. Deshalb muss jede Landespressekonferenz einen exklusiven Neuigkeits- und Nachrichtenwert für die Korrespondenten von Verlagen und Sendern haben. „Jedes Mitglied darf fragen. Keine Frage bleibt ungestellt.“ Nach den LPK-Regeln sind für eine Pressekonferenz maximal 90 Minuten vorgesehen, gängig ist eine halbe bis eine Stunde. Es gibt nichts zu essen und – schon aus Rücksicht auf die Fotografen und Kameraleute – keine Namensschilder, die in den eingefangenen Motiven stören könnten.
Über die Hinweise der LPK habe sich bisher noch keiner beschwert, sagt Blasius und nimmt es als gutes Zeichen. Auch wenn PKs früher schon bei Volontären als langweilig galten: Der Vorsitzende ist sich sicher, dass „die Pressekonferenz als das gängigste Instrument journalistischer Informationsbeschaffung“ angesichts der Auseinandersetzungen im Pressesaal des Weißen Hauses in Washington weltweit eine neue Beachtung erfährt.
Gibt es denn Kriterien für gute Pressekonferenzen? „Ja“, sagt Blasius, „und sie sind durchsetzbar.“ Auch wenn die LPK-Mitglieder damit öffentlichen Streit heraufbeschwören, wie im Sommer 2015 mit der damaligen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und JOURNAL 5/2015 Kasten „Bedaure, keine Zeit“. Sie hatte nämlich keine Zeit für monatliche Auftritte vor der LPK. Und nun mit Armin Laschet als NRW-Ministerpräsident? Während der Koalitionsverhandlungen sei sehr kontinuierlich informiert worden, lobt Blasius. „Vielleicht hat er als gelernter Journalist ein Auge für die Bedürfnisse der Journalisten.“
Applaus für Informationen allerdings, wie bei der Pressekonferenz der Skulpturen Projekte in Münster, hat Tobias Blasius bisher bei keiner Landespressekonferenz erlebt. Auch der Bochumer Christian Frevel, der schon auf Pressekonferenzen in vielen Ländern der Erde war, bestätigt: Nein, Applaus habe er bislang noch nie gehört. Wie tröstlich.||
Ein Beitrag aus JOURNAL 4/17, dem Mitglieder- und Medienmagazin des DJV-NRW.