Themenwahl, Geschlecht oder sexuelle Orientierung, Name oder Hautfarbe, manchmal reicht auch einfach nur ein provokanter Tweet: Es gibt viele Gründe, warum Journalistinnen und Journalisten in der digitalen und der realen Welt Gewalt erfahren. Sie werden diskreditiert, bedroht und schlimmstenfalls tätlich angegriffen. Was vor einigen Jahren bei Pegida-Demonstrationen begonnen hat, setzt sich aktuell bei den sogenannten Hygienedemos und anderen Protesten gegen Corona-Schutzmaßnahmen fort.
Eine aktuelle Studie des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld liefert Zahlen dazu: „Hass und Angriffe auf Medienschaffende“, erschienen im Mai 2020, ist eine Neuauflage der Studie „Publizieren wird zur Mutprobe“ von 2017. Diesmal wurden bundesweit 322 Medienschaffende anonym online befragt, die Studie ist nicht repräsentativ.
59,9 Prozent der Befragten gaben an, in den vergangenen zwölf Monaten mindestens einmal angegriffen worden zu sein. Zwar erreicht ein Großteil der Anfeindungen die Kolleginnen und Kollegen über die sozialen Netzwerke oder per Mail. Aber jeder sechste Befragte (16,2 Prozent) wurde nach eigenen Angaben im Berufsalltag auch schon körperlich angegriffen, etwa gleich viele (15,8 Prozent) hatten Morddrohungen erhalten. 84 Prozent der Betroffenen rechneten diese Attacken dem rechten Spektrum zu.
Bestimmte Themen locken Hass an
Vor allem, wer über Geflüchtete und Migration berichtet oder über die AfD, scheint den Hass geradezu anzulocken, wie sich auch auf Twitter und Facebook gut beobachten lässt. Seit die Befragungen für den Zeitraum 2019 durchgeführt wurden, dürfte ein weiteres Thema hinzugekommen sein, das die Gesellschaft polarisiert: das Coronavirus und die Maßnahmen, die zum Schutz vor Ansteckung erlassen wurden.
Bei den Protesten sammelte sich eine schwer einschätzbare Mischung verschiedener Gruppen, darunter Menschen, die sich durch die Auflagen in Not fühlen, aber auch Impfgegner, Verschwörungsanhänger, Reichsbürger und Rechtsextremisten. Während die Schutzmaßnahmen schrittweise gelockert werden, scheint der radikalisierte Kern endgültig das Ruder zu übernehmen. Und der schreckt auch vor Gewalt gegen Medienschaffende nicht zurück. Das zeigte der Angriff auf ein Team der heute show in Berlin am 1. Mai. Wenige Tage später kam es zu zwei weiteren Vorfällen bei Demos in Berlin, bei denen die Einsatzkräfte sofort reagierten.
Angriff auf zwei Journalisten in Dortmund
Auch in NRW erfährt der DJV immer wieder von Vorfällen. Zuletzt etwa in Dortmund: Dort attackierte am 9. Mai ein stadtbekannter Rechtsextremist zwei WDR-Journalisten. Zunächst beschimpfte der Angreifer einen der beiden Reporter, dann schlug er so heftig gegen dessen Filmkamera, dass diese den anderen Journalisten am Kopf traf und ihn leicht verletzte. Der mutmaßliche Täter wurde festgenommen. Die beiden WDR-Kollegen haben Anzeige erstattet.
Schon vor diesem Zwischenfall sollen an diesem Tag in Dortmund Medienleute bedrängt worden sein, wie die Seite Nordstadtblogger berichtet. So hätten Rechtsextremisten den Bildjournalisten Leopold Achilles zunächst beleidigt und dann über den Platz gejagt, Umstehende hätten die Angreifer verbal unterstützt und die Medienvertreter mit Gewalt bedroht, sagte Achilles. Er habe sich in die Obhut der Polizei flüchten müssen. Die Beamten hätten dann dafür gesorgt, dass die Journalisten wieder ihre Arbeit machen konnten, „ohne dass irgendjemand mit erhobener Faust vor einem gestanden hat“, sagte Achilles.
Die Polizeidirektion in Dortmund gehört zu den Dienststellen, die sich das Thema zu eigen gemacht haben. Nicht immer werden die Einsatzkräfte ihrer Aufgabe gerecht, freie Berichterstattung sicherzustellen. Oft genug kritisieren Medienschaffende, dass Einsatzkräfte ungerührt zuschauen, wenn sie bei Demos angegangen werden (siehe zum Beispiel auch „Bildjournalistinnen und -journalisten unter Druck“, JOURNAL 4/18). Deswegen fordert der DJV-NRW seit Längerem von den Polizei- und Ordnungsbehörden, dass sie Reporterinnen und Reporter bei solchen Anlässen besser schützen.
Druck auf Journalistin in Aachen
Nicht nur, dass Einsatzkräfte schon mal wegschauen, wenn es für Drehteams oder Fotografen eng wird. Im Einzelfall sind sie es sogar, die Journalistinnen und Journalisten bei der Berichterstattung behindern. So hat ebenfalls am 9. Mai ein Polizeibeamter in Aachen eine Journalistin auf einer Demonstration mit Gewalt von ihrer Arbeit abgehalten.
Nach DJV-Informationen hatte der Polizist die Journalistin aufgefordert, ein angeblich entstandenes Foto zu löschen. Obwohl sie darauf hinwies, dass sie ein entsprechendes Foto überhaupt nicht geschossen hatte, und auch anbot, ihren Presseausweis zu zeigen, entriss der Beamte ihr die Kamera. Dabei wurde die Journalistin leicht verletzt, die Kamera kam zu Schaden. Erst als die Kollegin nach Einsatzleitung und dem Pressesprecher verlangte, entspannte sich die Situation.
Ausdrücklich begrüßte der DJV-NRW, dass die Aachener Polizeiführung den Vorfall umgehend nach Bekanntwerden bedauerte. Sie hatte zudem Kontakt zu der Journalistin aufgenommen und Aufklärung zugesagt. „Damit Journalistinnen und Journalisten ihrer wichtigen Aufgabe nachgehen können, müssen Einsatzkräfte deren uneingeschränkte Bewegungsfreiheit sicherstellen“, erklärte Frank Stach, Landesvorsitzender des DJV-NRW. Das gelte gerade in Zeiten, in denen sich Angriffe auf Medienvertreter häuften.
Freie Berichterstattung schützen
Das Problem ist nicht neu: Der DJV wirbt auf Bundes- und Landesebene seit Jahren bei den Innenministerien für einen besseren Dialog zwischen Polizei und Presse. Dabei geht es um die Schulung von Ordnungs- und Einsatzkräften, um die Bekanntheit des Presseausweises und um effektivere Schutzmaßnahmen für Kolleginnen und Kollegen im Einsatz.
Entsprechend begrüßt der DJV-NRW auch die Initiative der SPD-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag, die die Landesregierung Ende Mai aufforderte, gemeinsam mit Journalistenverbänden ein Konzept zur Stärkung der freien Berichterstattung zu entwickeln. Selbstverständlich stehe der DJV-NRW der Landesregierung gerne beratend zur Verfügung, bekräftigte Stach mit Verweis auf wiederholte Angebote, gemeinsam an entsprechenden Konzepten zu arbeiten. Dass es einen Schulungsbedarf bei der Polizei gibt, zeigte sich Ende Mai auch bei der Berichterstattung über Proteste in Datteln (siehe diese Meldung).
Handlungsbedarf sieht der DJV-NRW auch für den Gesetzgeber, zum Beispiel beim Verbot von sogenannter Passivbewaffnung. Derzeit dürfen Reporterinnen und Reporter bei Demos keine Schutzkleidung wie Helme oder Stichwesten tragen. Der DJV-NRW verlangt eine Präzisierung des Gesetzes: „Es kann nicht sein, dass eine solche – im Grundsatz sicher sinnvolle – Regelung verhindert, dass Journalistinnen und Journalisten sich schützen können“, sagte Stach. Eine weitere Forderung von Betroffenen gilt einfacheren Melderegistersperren für Journalistinnen und Journalisten, um deren persönlichen Lebensbereich zu schützen.
Feindseligkeit hat Folgen
Dass ein feindseliges Klima gegenüber Medienschaffenden Einfluss darauf hat, wie und worüber berichtet wird, zeigt die aktuelle Bielefelder Studie: So gab ein knappes Drittel der Befragten (31,5 Prozent) an, sie spürten Angst, dass Angriffe durch das Publikum in ihrem beruflichen Alltag weiter zunähmen. 15,9 Prozent erklärten, dass sie selbst aus Sorge vor Angriffen schon abgelehnt hätten, über bestimmte Themen zu berichten. Und 52,3 Prozent zeigten Verständnis dafür, dass Kolleginnen und Kollegen dies tun, um sich zu schützen.
Die Veröffentlichung zitiert Kommentare, die den Umgang mit möglichen Hassreaktionen beschreiben: Man sei „nicht mehr frei und ungehemmt in der Berichterstattung“, denke schon beim Schreiben „über die Hate-Speaker-Reaktionen“ nach oder mache sich „im Vorfeld einer Veröffentlichung Gedanken über die möglichen Reaktionen. Ich gehe dann in Gedanken alle Möglichkeiten durch, nicht nur für mich, sondern auch für die Personen, über die ich schreibe.“
Journalistinnen und Journalisten,die Erfahrungen mit Hasskommentaren, Drohungen oder Gewalt machen, berichten von psychischen Belastungen (63,3 Prozent). Dabei fühlten 40,6 Prozent „Ängste, Stress und Unsicherheit“, 23,9 Prozent berichteten von „inhaltlichen Auswirkungen auf die Arbeit und Arbeitsprozesse“. Als hilfreich stuften die befragten Journalistinnen und Journalisten die Unterstützung durch Redaktionen ein, etwa in Form von Beratung oder eines Rechtsbeistands. Schwieriger ist es dagegen für Freie ohne redaktionelle Anbindung.
Ein gesellschaftliches Thema
Neben einem konsequenteren Umgang mit Hate Speech forderten viele Befragte mehr öffentliche Solidarität und Unterstützung von politischer Seite, um die Freiheit und Unabhängigkeit journalistischer Arbeit in Deutschland wahren zu können.
Auch der DJV weiß, dass es mit gesetzgeberischen Maßnahmen und einer Schulung von Ordnungskräften nicht getan ist. Die Gesellschaft als Ganzes muss für den Wert des Journalismus und der Pressefreiheit sensibilisiert werden. Deswegen engagiert sich der Landesverband NRW auch in Projekten zur Medienkompetenz. Stach forderte die Landesregierung auf, dieses Themenfeld bereits in der Schule in den Fokus zu rücken: „Ohne Medienbildung von Anfang an geht es nicht. Hier sind andere Bundesländer deutlich weiter.“ ||
Ein Beitrag aus JOURNAL 3/20, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Juni 2020.