Unter den Journalistinnen und Journalisten in Deutschland gehört Daniel Drepper zu den bekannteren. Der kommissarische Leiter des Rechercheverbunds von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung (SZ) hat spätestens mit den Veröffentlichungen rund um die „Row Zero“ und den Verdacht des Machtmissbrauchs von Rammstein-Frontmann Till Lindemann bundesweite Aufmerksamkeit erregt.
Von Erfahrungen profitieren
Entsprechend gut besucht war das Werkstattgespräch über „Macht, Mut und Verantwortung im Investigativjournalismus“ beim Journalistentag. Vor allem junge Kolleginnen und Kollegen saugten interessiert auf, welche Erfahrungen Drepper im Gespräch mit Sascha Fobbe teilte.
Weil es mehr Themen gibt als Kapazitäten, klopft Drepper jeden Hinweis darauf ab, wie groß der entstandene Schaden ist, wie viele Menschen betroffen sind und ob dahinter ein strukturelles oder organisatorisches Versagen stecken könnte. Abzuwägen ist auch, wie realistisch es ist, Dokumente oder andere Beweise zu finden. „Es muss sinnvoll sein, wenn ich viel Zeit investiere“, betont der Journalist.
Für den Rechercheverbund müsse jedes Thema zudem eine nationale Relevanz haben. Denn durch eine Veröffentlichung auf der Seite 3 in der SZ werde es automatisch groß. Es sei daher zu klären, ob diese Verbreitung angemessen ist oder ob es sich doch eher um ein regionales Thema handelt.
Recherche nach dem Zwiebelprinzip
Die Recherche folgt laut Drepper dem Zwiebelprinzip: „Wir fangen draußen an und arbeiten uns dann vor.“ Mit der Zeit habe er die Erfahrung gemacht, dass es besser ist, früh mit Informationen an die Öffentlichkeit zu gehen. Dadurch könnten sich mehr Betroffene melden. Abgesehen davon: „Die meisten wissen eh, dass ich recherchiere.“
Die wichtigsten drei Worte im Investigativjournalismus sind für ihn deshalb: „Hilf uns recherchieren!“ Die Rammstein-Recherche beispielsweise lief vom ersten Tag an öffentlich, weil sie mit einem Tweet begann, über den Betroffene gesucht wurden. „Das hat total gewirkt, binnen 48 Stunden haben wir über 30 Gespräche geführt.“ Heute würde er für einen entsprechenden Aufruf Bluesky nutzen, sagt Drepper.
Und wie wird man zum Ansprechpartner? Dreppers Handynummer ist seit 15 Jahren öffentlich: „Wer mich erreichen will, kann das.“ Als Blogger und als Mitgründer von Correctiv sei er früh wahrgenommen worden. Seine bisherigen Veröffentlichungen dienen ihm als Visitenkarte. Er stehe mit seiner Arbeit für eine bestimmte Haltung, betont der Journalist, er nehme beispielsweise die Grundrechte ernst oder die Chancengleichheit von LGBTQ-Menschen.
Welche Kompetenzen es braucht
Sollte man sich spezialisieren? Natürlich kann es sinnvoll sein, sich bestimmte Bereiche zu suchen, Umwelt oder Innere Sicherheit etwa, sagt Drepper. Er selbst ist allerdings „generalistisch unterwegs“: In der Musikindustrie kannte er sich gar nicht aus, als die Arbeit an „Row Zero“ begann, bekennt er. „Aber wir werden dafür bezahlt, uns reinzuarbeiten.“ Entscheidend sei, auf ein Thema richtig Lust zu haben, weil die Arbeit daran mitunter Monate oder Jahre dauere. Zudem muss man sich mit dem Informationsfreiheitsgesetz auskennen, mit Presserecht und weiteren rechtlichen Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung: „Das ist unser Werkzeugkasten.“
Beherrschen sollte man nicht zuletzt den Umgang mit Menschen. Drepper erzählt, wie ein Erstkontakt mit einer Quelle abläuft: „Ich pitche mich.“ Die meisten Menschen, mit denen er zu tun hat, kennen sich im Journalismus nicht aus. Er muss ihnen klar machen, wer er ist, was er macht und dass sie sich mit ihm in einem Safe Space befinden.
Für ein erstes Gespräch überlegt er sich in der Regel keine Fragen. Lieber startet er „mit großer Offenheit“, um herauszubekommen, was Menschen erlebt haben oder was sie stört. Zum Umgang gehöre auch ein „Erwartungsmanagement“: Er macht immer sehr klar, dass Recherchen lange dauern können und vielleicht nie etwas veröffentlicht werden kann.
Ein besonderer Fall sind Gespräche mit traumatisierten Menschen. Für Drepper ist es „superzentral“, ihnen die Kontrolle zu überlassen. Schließlich sei Kontrollverlust bei vielen Teil des Traumas. Deshalb findet er es wichtig, Zeit mitzubringen und die Gesprächspartnerinnen oder -partner entscheiden zu lassen, ob er das Gespräch aufnimmt oder mitschreibt. Weitere Tipps für den Umgang mit traumatisierten Quellen gibt es auf der Webseite des DART-Centers.
Das passende Handbuch
Infos verifizieren, Quellen schützen
Und wie können Informationen verifiziert werden? Neben Akten, Dokumenten und Mails hat er auch mal einen Whatsapp-Chat genutzt, den eine Betroffene wenige Stunden nach einem Vorfall mit einer Freundin geführt habe. Selbst mit freigegebenen Unterlagen aus der Psychotherapie habe er schon gearbeitet. „90 Prozent der Quellen sind Ehemalige.“ Um sie zu schützen, sei bei den Informationen immer zu prüfen, wie viele Menschen diese Infos noch haben können. Sind es nur zwei, dann sei es schwierig, bei 20 „ok“ und bei 100 „easy“.
Bei eidesstattlichen Versicherungen von Quellen ist Drepper zwiegespalten. Einerseits erhöhe das die Glaubwürdigkeit, andererseits gefährde es die Quellen, weil sie der
Gegenseite offengelegt werden. „Das ist jedes Mal neu ein Abwägungsprozess.“
Thematisiert wurde auch die Frage, ob Recherche Veränderungen bewirken kann. „Unsere Aufgabe ist nicht die Veränderung, sondern die Beschreibung“, betont Daniel Drepper. Veranstalter von Festivals müssten selbst „was draus machen“, sagt er etwa mit Blick auf die Row-Zero-Recherche.
Bei vielen Veröffentlichungen müssen Investigativ-Journalistinnen und -Journalisten mit Gegenwind rechnen. Wird es auch gefährlich für sie? Angst habe er nicht, sagt Drepper, aber er sei vorsichtig, verberge seine Meldeadresse, vermeide Fotos seiner Kinder in sozialen Netzwerken. Er weiß auch, dass er als „weißer Mann mit einem großen Arbeitgeber“ privilegiert ist und Unterstützung bei juristischen Angriffen erhält. Wer frei arbeite, solle sich deshalb unbedingt Hilfe suchen, etwa beim DJV oder beim Netzwerk Recherche.||
Ein Beitrag aus JOURNAL 4/24, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Dezember 2024.