THEMA | Audio

Kein „Weiter so“

Eine Strukturanalyse weist den Weg für den Lokalfunk
22. Dezember 2022, Sascha Fobbe

Die Werbeeinbrüche während der Pandemie ab 2020 haben deutlich gezeigt, dass viele der Lokalradios in NRW wirtschaftlich nicht gut dastehen (siehe auch Kasten). Eine aktuelle Analyse, die die Landesanstalt für Medien (LfM) mit den Beteiligten aus dem Lokalfunk-System erarbeitete, hat es allerdings in sich: „Zukünftig wird es wirtschaftlich nicht mehr möglich sein, 44 lokale Sender in 44 autarken Strukturen unverändert fortzuführen. Veränderungen in den (Kosten-)Strukturen der Stationen sind daher unausweichlich.“

Was das konkret bedeutet, steht aber nicht im „Ergebnis Strukturanalyse Lokalfunk NRW“. Das Papier, das Ende November öffentlich wurde, soll für alle Akteurinnen und Akteure im Lokalfunk die weitere Marschrichtung festlegen – für LfM, radio NRW, den Verband Lokaler Rundfunk (VLR) für die Veranstaltergemeinschaften sowie den Verband der Betriebsgesellschaften (BG-Verband).

Es bedarf der Weiterentwicklung

Eigentlich war allen Beteiligten schon lange klar, dass das System angesichts sinkender Hörerzahlen und steigender Audioangebote übers Internet einer Weiterentwicklung bedurfte. So hatte die LfM schon 2018 darauf verwiesen, dass die Einführung eines landesweiten DAB+-Multiplexes (2021 kamen 16 neue Sender auf den Markt) und die verstärkte Nutzung von Angeboten übers Internet zu deutlich sinkenden Werbeeinnahmen führen würde. Weil sich die Verantwortlichen nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen konnten, blieb die Warnung zunächst ohne Folgen.

„Es war klar, dass das System auf einen kritischen Punkt zulaufen könnte“, erklärt Dr. Tobias Schmid, Direktor der LfM. „Daher haben wir gesehen, dass die Probleme jetzt angegangen werden müssen und nicht irgendwann.“ Die LfM begann, sich mit der Frage zu beschäftigen, wie stabil das Lokalfunk-System ist und ob nicht grundlegende Änderungen nötig sind.

Handlungsbedarf im System
Es besteht Handlungsbedarf: So lässt sich das Ergebnis des Ad-hoc-Ausschusses Lokalfunk zusammenfassen, den die Landesanstalt für Medien NRW (LfM) 2021 ins Leben gerufen hatte. Der Hintergrund: Infolge der Pandemie und des Lockdowns 2020 sah die Medienkommission der LfM eine potenzielle Gefahr für die lokale Vielfalt in NRW.
Der Abschlussbericht der Ad-hoc-Kommission aus Mai 2021 belegte ­erheblichen Handlungsbedarf im ­System. Die Werbeeinbrüche wegen der Pandemie hätten zwar die Lage verschärft, aber seien nicht der Grund für die angespannte Situa­tion. Damit der NRW-­Lokalfunk zukunftsfähig bleibe, brauche es bessere Kommuni­ka­tions- und Entscheidungsstrukturen sowie eine gemeinsame strategische Ausrichtung in bestimmten Bereichen. Mit dem jetzt vorliegenden Papier hat die LfM den Prozess angestoßen./cbl

„Eine ganz eigene Wirkung“

„Die LfM hat die Gespräche im Winter 2021 mit uns begonnen und uns zunächst einen Spiegel vorgehalten“, erklärte Timo Naumann, Geschäftsführer des VLR. „Die Erkenntnisse, die uns vorgetragen wurden, waren für den Lokalfunk nicht neu, diese von Dritten zu hören hat dann aber doch eine ganz eigene Wirkung. Schnell wurde allen Beteiligten klar, dass ein ‚weiter so‘ auf absehbare Zeit nicht funktioniert.“ Die LfM habe in den Gesprächen verdeutlicht: „Ohne Wirtschaftlichkeit funktioniert der privatwirtschaftliche Lokalfunk nicht.“

In dem Prozess, den die LfM maßgeblich steuerte, ging es zunächst um eine Definition der Ausgangslage. Auf dieser Basis ermittelte die Analyse Handlungsbedarfe und identifizierte strategische Konzepte sowie wirtschaftliche und organisatorische Strukturfragen. Zu jedem Unterpunkt wie beispielsweise „Vermarktungsstrategie“ wurden Ziele festgelegt und Probleme und Chancen sowie erste Maßnahmenvorschläge aufgezeigt.

Starke Konzentration aufs Finanzielle

Vieles in dem elfseitigen Papier dreht sich um die bessere Vermarktung im Digitalen, um Synergieeffekte und Kooperationsmodelle. Diese Betonung auf finanzielle Punkte ist aus Sicht des DJV-NRW eine Schwäche der Strukturanalyse. „Ich glaube, mehr Orientierung am Public Value wäre besser gewesen“, sagt Geschäftsführer Volkmar Kah. Er kritisiert weiter, dass zwar viele Details zum Finden von Synergien festgeschrieben, dass aber Investitionen nur unkonkret beschrieben wurden. Schmid bestätigt, dass vieles bislang nur abstrakt behandelt wurde, „aber wir können nur so anfangen. Die Fragen sind klar umrissen, nun müssen die Punkte abgearbeitet werden. Mit dem Zwischenstand bin ich zufrieden.“

Grundsätzlich begrüßt der DJV-NRW die Initiative der LfM. Besonders wichtig ist für Kah dabei das Bekenntnis zum Zwei- Säulen-Modell und zum Solidarprinzip. Letzteres besagt, dass innerhalb eines Senderverbunds Verluste eines Lokalradios durch Gewinne eines anderen ausgeglichen werden. Dieses Solidarprinzip wurde in jüngerer Zeit von den Betriebsgesellschaften (BGen) infrage gestellt.

Zitat Peltzer, Vorsitzender BG-Verband

Die festgelegten Kennzahlen hält Kah allerdings für unrealistisch: Danach sollen in einem Verbund mindestens zehn Prozent planerisches EBIT erreicht werden, „hier hat man sich eher an Wunschdenken als an der Realität orientiert“. Es ist zu befürchten, dass die BGen damit einen Hebel in der Hand haben, wirtschaftlich unrentable Radiostationen doch dicht zu machen. Immerhin fährt ein Drittel der Sender aktuell Verluste ein.

Uwe Peltzer, der Vorsitzende des BG-Verbands, weist das von sich: „Es ist nicht unser Plan, Sender ‚ganz dicht zu machen‘.“ Das Gegenteil sei der Fall: „Es ist unser Ziel, auch defizitäre Sender so lange zu erhalten, wie es nur irgendwie geht. Unsere Zusage ist ein eindeutiges Bekenntnis zum Lokalfunk.“ Es gehe auch darum, einen im Medienbereich üblichen Gewinn zu erreichen, ergänzt Schmid – aber eben nicht für jeden einzelnen Sender.

Kostendeckel und Funkhausmodelle

Aus Sicht des DJV-NRW gibt es weitere Kritikpunkte: So wurde eine Obergrenze für „Content-Kosten“ festgelegt, das Budget für ein Lokalradio darf 700 000 Euro nur unter bestimmten Bedingungen überschreiten. Eine Mindestausstattung wurde aber nicht definiert. Widerspruch rufen auch die „weitreichenden Synergiepotenziale zur Kostensenkung der Lokalsender“ auf redaktioneller Ebene hervor. Danach sollen „Funkhäuser gebildet und Kooperationsmodelle genutzt werden“. Beispiele für mögliche Funkhausmodelle seien „eine gemeinsame Redaktion, wobei die inhaltliche Verantwortung gebündelt werden sollte“ oder „durchlässiges Personal, das im Funkhaus flexibel eingesetzt werden kann“.

Wie das in der Praxis aussehen soll, können sich Beschäftigte nicht vorstellen. Qualitätsverluste scheinen  vorprogrammiert, wenn zum einen eine Redaktion gar nicht vor Ort tätig ist und zum anderen tiefergehende Kenntnisse über gleich zwei Sendegebiete gefordert sind.

„Vertrauen in die Beteiligen“

Der VLR beruhigt: Die Bildung von Funkhäusern werde nur in Ausnahmefällen vorkommen. „Dort, wo es dennoch passieren sollte, haben wir das Vertrauen in die Beteiligten, dass derartige Veränderungen sinnvoll und auch programmlich sinnvoll umgesetzt werden, sodass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht überfordert werden“, schreibt Naumann

Peltzer ergänzt: „Qualitätsverlust ist das Letzte, was auch wir als Betriebsgesellschaften gebrauchen können. Ohne erfolgreiche Lokalradios und damit ohne Hörer haben wir keine Werbeeinnahmen. Wichtig ist, dass wir für die Zukunft zusammen intelligente Lösungen erarbeiten, die nicht in Stein gemeißelt sind.“ Beispiele wie Ennepe-Ruhr (siehe „Neustart in Gemeinschaft“, Seite 28) und Aachen zeigten, dass vieles denkbar sei. Das reiche „von Kooperationen über virtuelle bis hin zu tatsächlichen Funkhäusern“.

Der DJV-NRW hat dennoch Vorbehalte: „Man sieht dem Papier an, dass wir als Vertreter der Beschäftigten gar nicht und die Chefredakteurinnen und Chefredakteure im Prozess nur minimal eingebunden waren“, rügt Kah.

Schmid erklärt dieses Vorgehen so: „Unsere Aufgabe war es, die strukturellen Rahmenbedingungen zu verbessern. Beim Programm haben wir keine wesentlichen Probleme gesehen, die Akzeptanz bei den Hörerinnen und Hörern ist sehr hoch. Uns ist wichtig, die lokale Vielfalt zu erhalten – das geht aber nur, wenn das System als Ganzes auch wirtschaftlich ist. Wir werden die Chefredakteure einbinden. Wie wir das genau machen, werden wir im nächsten Schritt sehen.“

Der DJV-NRW ist gespannt auf die Umsetzung. „Wie erfolgreich das Papier ist, sehen wir spätestens dann, wenn die Praktikerinnen und Praktiker auf Ebene der Chefredaktionen und der Beschäftigten einbezogen werden. Es ist aus journalistischer Sicht wichtig, auch redaktionelle Mindeststandards festzulegen. Wir sind bereit, da konstruktiv mitzuwirken“, betont Kah.

Willensäußerung zum Weitermachen

Das Strukturpapier ist bislang nur eine Willensäußerung, mit dem Prozess auf Basis der festgelegten Eckpunkte weiterzumachen und ein Vertragswerk auszuhandeln. „Die tatsächliche Strukturveränderung muss noch folgen und wird allen Beteiligten noch viel abverlangen“, betont VLR-Geschäftsführer Naumann.

Was genau sich wie bei den 44 Lokalfunksendern ändert, steht also noch längst nicht fest. Für Peltzer ist aber klar: „Wir müssen schnell agieren, denn die Zeit rennt. Weder Hörermarkt noch Werbemarkt warten auf uns. Jetzt können wir die Weichen stellen, und wenn wir sie gut stellen, sehe ich zumindest eine gute Chance, dass wir unser Lokalfunk-System für die kommenden Jahre krisenfest machen.“

Voraussetzung ist, dass auch alle weiter mitziehen. „Ich kann nur mühsam jemanden dazu zwingen. Aber das ist auch gar nicht nötig, denn die Situation lässt eigentlich keine wirkliche Alternative zu“, sagt Schmid.||

Siehe auch Kommentar Public Value ist Daseinsvorsorge.

Ein Beitrag aus JOURNAL 4/22, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Dezember 2022.