MEDIENZIRKEL |

„Recht auf Vergessen“ nicht uneingeschränkt

30. Juli 2020,

Im Falle prominenter Persönlichkeiten dürfen Journalistinnen und Journalisten auch über lange zurückliegende Verfehlungen berichten, wenn es einen objektiven Anknüpfungspunkt gibt. Das hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) entschieden (AZ: 1 BvR 1240/14). Ob ein hinreichendes Berichterstattungsinteresse bestehe, müsse die Presse selbst beurteilen können. Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht lasse sich kein Recht ableiten, so dargestellt zu werden, wie man es wünsche. Mit dem Beschluss hat das BVerfG das „Recht auf Vergessenwerden“ konkretisiert und damit die Pressefreiheit gestärkt.

Geklagt hatte das Manager Magazin. Es hatte 2011 ein mehrseitiges Porträt über einen Unternehmer und das börsennotierte Unternehmen veröffentlicht, das seinen Namen trug und das er damals als Vorstandsvorsitzender leitete. In dem Beitrag ging es unter anderem um jüngere Liquiditätsschwierigkeiten des Unternehmens sowie um verschiedene rechtliche Probleme des Betroffenen und des Unternehmens. Dabei kam zur Sprache, dass der Unternehmer in den 1980er Jahren wegen eines Täuschungsversuchs vom juristischen Staatsexamen ausgeschlossen worden war.

Der Unternehmer sah sich öffentlich bloßgestellt und klagte. Nach so langer Zeit dürften Medien nicht mehr über den Täuschungsversuch berichten. Vor dem Landgericht Hamburg und dem Hanseatischen Oberlandesgericht hatte er Recht bekommen. Das BVerfG entschied in seinem am 9. Juli veröffentlichten Beschluss dagegen: Ob ein „Recht auf Vergessenwerden“ besteht, hänge nicht allein vom Zeitablauf ab, sondern vom jeweiligen Einzelfall. Eine wahrhafte Berichterstattung über Umstände des sozialen und beruflichen Lebens sei im Ausgangspunkt hinzunehmen. Im vorliegenden Fall sei zu berücksichtigen, dass der Unternehmer öffentlich tätig war und selbst die Öffentlichkeit gesucht habe. Unter diesen Umständen könne eine Person „nicht verlangen, dass ihre in der Vergangenheit liegenden Fehler, nicht aber ihre Vorzüge in Vergessenheit geraten“.

In ihrem Beschluss verwies die 2. Kammer auch auf Grenzen für die Berichterstattung. Die bestehen, wenn der Kern der Privatsphäre betroffen sei, etwa die sexuelle Orientierung. Auch eine anprangernde Berichterstattung müssten Betroffene nicht einfach hinnehmen. Das Gericht verwies die Sache zur erneuten Verhandlung an
das Landgericht zurück./

Eine Meldung aus JOURNAL 4/20, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im August 2020.