Ein Strand unter wolkigem Himmel, rechts steht ein Pfhal mit einem Rettungsring
 
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Ruf an, wir hören zu

Die Helpline beschleunigt die Kulturveränderung im Journalismus
3. Oktober 2024, Ute Korinth

Im November 2023 ging die Helpline von Netzwerk Recherche an den Start. Ein Projekt, das aus meiner Sicht durchaus als wichtiger Meilenstein im Bereich Mental Health im deutschen Journalismus angesehen werden kann. Die Helpline richtet sich an festangestellte und freie Journalistinnen und Journalisten und bietet kollegiale Unterstützung an.

Das Ziel ist klar: die psychische Gesundheit von Medienschaffenden zu fördern und sie dabei zu unterstützen, ihren oft stressigen und belastenden Alltag besser zu bewältigen. Kostenlos und anyonym.

Ein zurückhaltender Anfang

Als eine der Peers, die den virtuellen Hörer für die Helpline abhebt, war ich gespannt darauf, welche Herausforderungen auf mich zukommen würden. Zwar habe ich schon viele Menschen gecoacht und ihnen zu mehr Resilienz verholfen, aber eine Beratung am virtuellen Telefon hatte ich noch nie durchgeführt. Nach intensiver Schulung fühlte ich mich bereit, die Anrufe zu beantworten und Journalistinnen und Journalisten zu beraten, die im täglichen Spannungsfeld zwischen hohen beruflichen Anforderungen und persönlichen Belastungen stehen.

Obwohl: Ein wenig mulmig war mir schon vor dem ersten Anruf. Würde ich in der Realität genauso souverän reagieren können wie im Training? Konnte ich. Doch was schon bald nach dem Start klar wurde, war, dass die Anzahl der Anrufe hinter unseren Erwartungen zurückblieb. Woran lag das?

Immer noch stigmatisiert

Ein wesentliches Hindernis scheint die leider nach wie vor anhaltende Stigmatisierung von psychischen Problemen im Journalismus zu sein. Obwohl sich das Bewusstsein für die Bedeutung von Mental Health in vielen Bereichen der Gesellschaft in den letzten Jahren verbessert hat, bleibt das Thema in der Medienbranche oft noch ein Tabu. Journalistinnen und Journalisten, die täglich über soziale Missstände, Krieg, Krisen und Katastrophen berichten, haben in vielen Fällen nach wie vor das Gefühl, stark sein zu müssen. Schwäche zu zeigen oder auch nur Hilfe in Anspruch zu nehmen wird oft als Zeichen mangelnder Professionalität wahrgenommen. Gerade bei Freiberuflerinnen und Freiberuflern – das wurde aus Gesprächen klar – ist das auch mit der Furcht verbunden, keine Aufträge mehr zu bekommen. Ein Zustand, den wir dringend ändern müssen.

Betrieb für zwei Jahre gesichert
Die Helpline von Netzwerk Recherche war im Herbst 2023 dank verschiedener Förderpartner in eine mehrmonatige Testphase gestartet. Auch der DJV gehörte zu den Förderern. Anfang 2024 wurde die Telefon-Hotline für ein zweijähriges Förderprogramm der Bundesregierung ausgewählt. Mit dieser Fördersumme konnte das Projekt im Frühsommer in den Regelbetrieb übergehen./
Alle Informationen: https://netzwerkrecherche.org/helpline/

Trotz der nach wie vor relativ geringen Anrufzahlen haben wir es mit einer breiten Palette an Themen zu tun. Das zeigt, wie vielfältig die Herausforderungen im journalistischen Alltag sind. Häufig geht es um das Gefühl der Überforderung, aber auch um den Umgang mit Existenzangst oder traumatisierenden Erlebnissen, die während der Berichterstattung auftreten.

Die Anrufgründe sind vielfältig, und das sollen sie auch sein. Einige Kolleginnen und Kollegen berichten von Schlaflosigkeit und dem Gefühl, emotional ausgelaugt zu sein, weil sie sich nicht wertgeschätzt fühlen oder sogar angefeindet werden; andere werden von Zukunftssorgen geplagt.

Eine Sache, die uns Peers beschäftigt hat, war die Tatsache, dass gleich mehrere Anrufende sich nicht sicher waren, ob ihr Problem schwerwiegend genug sei. Deswegen ist es uns besonders wichtig klarzustellen: Ihr müsst nicht erst kurz vor dem Burnout sein oder ein Trauma erleiden, bevor ihr anruft. Es reicht, wenn es euch aus irgendeinem Grund nicht gut geht und ihr reden möchtet.

Deshalb haben wir jetzt auch Postkarten, die das verdeutlichen. „Plagen dich Selbstzweifel?“, „Ist dir alles zu viel?“, „Fühlst du dich unsicher?“, „Bist du gestresst?“, „Hast du Angst?“ steht darauf. Bei der Jahreskonferenz von Netzwerk Recherche haben wir sie erstmals an einem Stand ausgelegt und mussten mehrfach nachfüllen.

Die richtige Ansprache finden

Ein zentraler Aspekt unserer Arbeit besteht darin, die richtigen Worte zu finden, um Betroffenen Mut zu machen und gleichzeitig die Sensibilität der Themen zu respektieren. Jeder Anruf erfordert ein hohes Maß an Empathie und das Einlassen auf die individuelle Situation. Wir sind keine Psychologinnen oder Psychologen, aber wir hören zu, wir bieten Orientierung und versuchen, gemeinsam Wege zu finden, die Belastungen zu reduzieren.

Dabei legen wir großen Wert darauf, keine schnellen Lösungen anzubieten, sondern die Anrufenden dabei zu unterstützen, ihre eigenen Ressourcen zu mobilisieren. Und diese spiegeln und zurück, dass sie gerade das Zuhören oft als besonders wertvoll empfinden. Es vermittelt ihnen das Gefühl, mit ihren Sorgen nicht allein zu sein, einen Austausch auf Augenhöhe zu haben mit jemandem, der die Branche und ihre Tücken kennt.

Auch zwischen den Peers gibt es einen regelmäßigen Austausch. Beim monatlichen Stammtisch sprechen wir über unsere Erfahrungen und geben uns gegenseitig Ratschläge und lernen so voneinander, um uns in unseren Fähigkeiten weiterentwickeln zu können. Und natürlich gibt es auch die Möglichkeit, nach einem belastenden Gespräch ein Supervisionsgespräch zu führen. Ich empfinde das als sehr wertvoll.

Und eben dieser Austausch, sowohl mit Peers als auch mit Medienschaffenden, findet auch live auf Tagungen und Konferenzen statt. In Form von Workshops, Panels oder eben Ständen unter anderem bei der Konferenz correctiv.lokal, bei der re:publica, beim Global Media Forum, bei Besser Online, beim b*future Festival und zahlreichen anderen.

Kultur der Unterstützung

Auch, wenn es etwas schleppender läuft als erwartet, erkennen wir, dass wir mit unserer Arbeit immer mehr Journalistinnen und Journalisten erreichen. Das sorgt dafür, dass eine aktive Diskussion um Mental Health entsteht, dass es okay ist, darüber zu sprechen, wenn man struggelt. Und nur diese Diskussion kann dauerhaft dazu beitragen, die Stigmatisierung nach und nach abzubauen und das Bewusstsein für die Bedeutung psychischer Gesundheit im Journalismus zu schärfen sowie eine Kultur der Wertschätzung und Unterstützung in den Medienhäusern zu schaffen.

Der Weg dorthin ist noch lang, aber die ersten Schritte sind gemacht.||

Ein Beitrag aus JOURNAL 3/24, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im September 2024.