MEDIENSZENE NRW |

Schwieriger als gedacht

Wie sich die neuen Programme auf DAB+ im Markt bewähren
3. Juli 2024, Sascha Fobbe

Im Herbst 2021 veränderte sich die Radiolandschaft in NRW: Zehn Sender gingen auf der neuen DAB+-Landesmultiplex-Plattform an den Start, später kamen sechs weitere hinzu. Mit der Ausschreibung der Sendeplätze wollte die Landesmedienanstalt (LfM) eine größere Anbieter- und Angebotsvielfalt erreichen, möglichst verbunden mit NRW-spezifischen Inhalten. Im ­Oktober 2022 kam mit NRW1 der erste landesweite private Radiosender auf UKW hinzu, der zugleich einen Platz auf dem DAB+-Multiplex übernahm.

Die ersten sind schon wieder weg

Julia Schutz ist Geschäftsführerin und Programmchefin von ANTENNE NRW. | Foto: ANTENNE NRW
„Für Reichweite braucht man heute mehr als ein gutes Programm“, hat Julia Schutz ist Geschäftsführerin und Programmchefin von Antenne NRW, festgestellt. | Foto: Antenne NRW

Die neuen Sender richteten sich an spezielle Zielgruppen wie Sport-, Schlager-, Partymusik- oder Rockfans oder auch Kinder. Inzwischen sind einige wie egoFM und KISS FM allerdings schon nicht mehr auf dem Multiplex vertreten, vier haben den Sendebetrieb sogar komplett eingestellt (Fe­motion, Sportradio NRW, Zound1Mix, Zound1Max). Offenbar gingen die finanziellen Erwartungen nicht auf.
Dass die Bedingungen schwierig waren, bestätigt Julia Schutz, Geschäftsführerin und Programmchefin von ­An­tenne NRW: Wegen der Coronapandemie, des Ukrainekriegs und der hohen ­Inflation wurden Marketinginves­titionen zurückgehalten. Zwar sei sie mit den Wachstumskurven der Reichweiten von Antenne NRW zufrieden, erklärt Schutz. „Aber es ist schwieriger, als wir alle dachten.“

Eine der Herausforderungen für die gesamte Branche sei die „unkontrolliert wuchernde Werbung“ Dritter. Viel genutzte Onlinedienste wie ­TuneIn oder Radio.de schalten vor dem und im laufenden Programm Werbung, an der die jeweiligen Stationen nichts verdienen. Fake-Apps sind ein weiteres Problem: Betrüger erstellen Kopien von Radio-Apps, verlinken diese auf die echten Sender-Apps und schalten Werbung, von der nur sie profitieren. „Ich würde lieber mehr Geld ins Programm stecken als Anwälte zu bezahlen, die gegen diese Betrüger vorgehen“, ärgert sich Schutz.

Erschwerend kamen im August 2023 mit har­mony.fm und Big FM NRW zwei neue Wettbewerber auf den Multiplex. Konkurrenz, mit der laut Schutz nicht zu rechnen war. Anders als Antenne NRW müssen die etablierten Sender nicht erst in Personal, Technik und Marketing investieren. Zudem sind sie ­bereits in der ma Audio ausgewiesen – deswegen buchen Agenturen Werbezeiten bevorzugt dort.

Nicht alles umgesetzt

Die schwierige wirtschaftliche Lage führte dazu, dass Antenne NRW inhaltlich nicht alle Vorhaben umsetzen konnte. Die geplanten reinen NRW-Nachrichten jeweils zur halben Stunde gibt es bislang nicht. Drei Reporter und Reporterinnen sollten aus den einzelnen Landesteilen berichten. Diese Aufstellung habe sich in einem kleinen Team für ganz NRW nicht bewährt, erklärt Schutz. Stattdessen wurde die Frühschiene mit einem eigenen News-Anchor und einer zusätzlichen Redakteurin verstärkt; ein Reporter kümmert sich um NRW-Themen. Tagsüber reichert die Redaktion in Köln die von Antenne Bayern gelieferten Welt- und Deutschlandnachrichten mit NRW-relevanten Themen an.

Als „Feel-Good-Sender“ mit eindeutiger musikalischer Ausrichtung verzichtet Antenne NRW auf harte Nachrichtenthemen im Programm, setzt aber deutliche NRW-Bezüge mit Rubriken wie „Die gute Nachricht des Tages“, „Ist es ok, frag NRW“ oder „Gemeinsam sind wir NRW“.
Auch andere Sender wie kulthit­RADIO oder Schlager Radio hatten ein Programm mit Bezug aufs Bundesland angekündigt. Hier gibt es in der Regel zusätzlich zu den Weltnachrichten noch ­einige NRW-spezifische Meldungen, manche senden auch Wetter oder sogar Verkehr für Nordrhein-Westfalen. Das jeweilige restliche Programm wird bundesweit ausgestrahlt, ohne länderspezifische Inhalte.

Der Markt in Nordrhein-Westfalen war lange für andere private Radioanbieter gesperrt. Der Grund: Man wollte das bundesweit einzigartige Lokalfunksystem in NRW mit seiner fast landesweiten Abdeckung mit Lokalradios schützen. Mit dem Aufkommen von Streamingdiensten, Internet- und bundesweiten DAB+-Sendern war die Abschottung allerdings hinfällig. Bereits diese Konkurrenz setzte dem ­Lokalfunk zu, obwohl nach wie vor die meisten Menschen Radio über UKW hören. Insgesamt sinkt aber die Radionutzung, zudem verteilen sich die Hörer auf mehr Sender (siehe auch „Audio boomt – und Radio?“ sowie „Radio der Zukunft“, JOURNAL 4/22). Sinkende Nutzung führt zu geringeren Werbeeinnahmen, der einzigen Einnahmequelle der Lokalfunkstationen.

Ein Thema für die Betriebsgesellschaften (BGen), die für die Vermarktung der Lokalradios zuständig sind. Die neuen DAB+-Sender veränderten „natur­gemäß“ den Hörer- und Werbemarkt, erklärt der Vorsitzende des BG-Verbands, Uwe Peltzer. „Wie stark das jeweils auf das UKW-Programm NRW1 oder die DAB+ Sender zurückzuführen ist, lässt sich nur schwer beantworten. Zumal die Entwicklungen der letzten Jahre auch durch diverse Sondereinflüsse geprägt wurden.“

Ein landesweiter UKW-Sender unter den Neuen

NRW1 ist das einzige private landesweite Programm, das über UKW zu empfangen ist. Eigner sind mehrere private Radiosender, darunter ­Antenne NRW und Radio NRW. Sie hatten sich alle einzeln auf die neue UKW-Kette beworben und auf ein Gemeinschaftsprogramm geeinigt (siehe „Neue Hörfunkkette in NRW“, JOURNAL 1/22).

Ein Mann steht lachend und mit verschränkten Armen vor einerZiegelwand.
Thomas Schwahlen, Geschäftsführer von NRW1, meint: „Wer NRW im Sendernamen hat, muss auch für NRW stehen.“ | Foto: Christina Koerte

Der Fokus bei der Themen-Auswahl liege auf NRW, sagt Thomas Schwahlen, Geschäftsführer von NRW1: „Wer NRW im Sendernamen hat, muss auch für NRW stehen.“ Im Programm finden sich dann auch – ähnlich wie bei Antenne NRW – regelmäßig Rubriken mit NRW-Bezug wie „Das große NRW-Quiz: Du gegen Johan“ oder „NRW in 60 ­Sekunden“. Die weitere Gemeinsamkeit der beiden Sender: Im August 2023 sind sie zusammen ins neue Audio Center NRW in Köln gezogen und teilen sich einige Räume. Im Programm unterscheiden sie sich, die Nachrichten sind identisch.

Aber auch NRW1 hat mit der Werbeflaute zu kämpfen. So mussten kürzlich drei Mitarbeitende und eine studentische Hilfskraft gehen, ein Teilzeitvertrag wurde nicht verlängert. Aktuell sind noch 17 Personen fest angestellt, gut die Hälfte ­arbeitet redaktionell.

„Eine traurige Entwicklung“, kommentiert DJV-Landesgeschäftsführer Volkmar Kah. „Man möchte sagen: als Tiger gesprungen, als Bettvorleger gelandet.“ Damit erinnert er an die großen Vorschusslorbeeren und Hoffnungen, die seinerzeit mit dem Launch des Senders verbunden waren. Besonders kritisch sieht der DJV natürlich, dass es „der übliche Beißreflex ist, Mitarbeitende zu entlassen. Darunter leidet am Ende die journalistische Qualität – und die ist auch für eine dauerhafte Refinanzierung elementar.“

„Keine merklichen Veränderungen“

Mit den aufs Bundesland bezogenen Themen wären Antenne NRW und NRW1 als einzige Privatradios in der Lage, den Lokalfunkstationen inhaltlich Konkurrenz zu bieten; sie sehen sich aber als ergänzende Angebote. Offizielle Zahlen, wie viele Menschen die beiden Sender einschalten, gibt es bisher nicht.

Timo Naumann, Geschäftsführer des Verbands Lokaler Rundfunk (VLR), in dem die Veranstaltergemeinschaften der Lokalradios organisiert sind, nimmt die UKW-Konkurrenz durch NRW1 relativ entspannt, er sieht „keine merkliche Veränderung des ohnehin bestehenden Wettbewerbs auf dem Hörermarkt“. Und er verweist auf das Alleinstellungsmerkmal des Lokalfunks: „Er kann journalistisch in jedem Sendegebiet besser auf lokale Themen eingehen als jeder andere Sender in NRW.“

Ursprünglich war geplant, dass NRW1 Beiträge der Lokalsender gegen Bezahlung übernimmt. ­Offenbar ist es dazu nicht gekommen. Ein Gespräch mit der LfM und den Lokalradios habe ­jedoch zu einer alternativen Lösung geführt. Diese berücksichtige, „dass gerade der journalistische Inhalt den höchsten Wert für jeden einzelnen Sender darstellt“, erklärt NRW1-Chef Schwahlen. Eine weitere Ankündigung besagte, dass das landesweite Programm aus den Gewinnen Geld an die Lokalfunkstationen weiterleiten würde. Nach einem Jahr gibt es laut Schwahlen aber noch keinen Überschuss. NRW1 werde seiner Verantwortung aus den Lizensierungsgesprächen aber gerecht.

Großes Interesse am NRW-Markt

Dass der Markt in NRW weiterhin ­attraktiv ist, zeigt sich am großen Interesse für den DAB+-Regio­nalmultiplex (Bewerbungsschluss 27. Juni). Nach anfänglicher Ablehnung wollen nun auch die NRW-Lokalsender dabei sein. Weil sich DAB+ mittlerweile etabliert habe, sei „dies der richtige Zeitpunkt, auch als Lokalradios auf diesem Verbreitungsweg präsent zu sein“, sagt Peltzer. „Die LfM geht in ihrer Förderausschreibung von Verbreitungskosten in Höhe von 36 000 Euro pro Programmplatz aus. Diese Kosten müssen von uns zusätzlich gestemmt werden, aber wir sehen dies als eine Investition in die Zukunft der NRW-Lokalradios.“

Dem stimmt der VLR zu und verweist auf die neu aufgelegte Förderung der LfM zu DAB+, die dem Lokalfunk helfen könne, eigene Investitionen gering zu halten. „Dennoch hätten wir uns hier gewünscht, dass der Gesetzgeber eine sogenannte ,Must-Carry-Regelung’ vorsieht, mit der garantiert wäre, dass jeder Lokalsender in jedem Fall auf dem regio­nalen DAB+-Multiplex in seinem Sendegebiet abgebildet wird“, erklärt Naumann. Da es mehr Interessenten als Sendeplätze gibt, könnten Lokalradios das Nachsehen haben. „Sollte sich DAB+ in Zukunft noch weiter als Verbreitungsweg etablieren, wäre dies eine erhebliche Benachteiligung für den jeweiligen Lokalsender.“

Wünsche an die Gesetzgebung hat auch Antenne-NRW-Chefin Schutz ­– allerdings auf EU-Ebene. Ihr geht es um mehr Unterstützung für einen fairen Marktzutritt und gleiche Wettbewerbs­bedingungen, die Voraussetzung für Medien- und Meinungsvielfalt seien. „Ich kann mir ein Bein ausreißen für guten, selbst gemachten Journalismus hier vor Ort in NRW. Ich bekomme das aber nicht finanziert, wenn ich nicht die dafür ­nötige Reichweite aufbauen kann, weil internationale digitale Gatekeeper keiner Pflicht für diskriminierungsfreie Bedingungen unterliegen.“

Das Ziel: Ausgewiesene Reichweite

Den großen Vorteil für Antenne NRW sieht Schutz darin, dass die Antenne-Bayern-Group als Mutterkonzern hinter dem Sender steht und weiteres Wachstum auch bei den gegenwärtigen Herausforderungen ermögliche. Das nächste Ziel sei genug Reichweite, um in der ma Audio ausgewiesen zu werden. Dann ließen sich auch mehr journalistische Arbeitsplätze finanzieren, sagt Schutz: „Heutzutage liegt die Reichweiten-Entwicklung aber eben nicht mehr nur an einem guten Programm.“

Auch Schwahlen nennt als ein wichtiges Ziel die Ausweisung in der ma ­Audio im kommenden Jahr: „Basierend auf dem Ausweis in 2025 gehen wir davon aus, dass NRW1 in den kommenden ma‘s der Sender mit dem jeweils höchsten prozentualen Reichweiten-Wachstum in NRW sein kann.“

Tragen die neuen Sender zur Vielfalt auf dem NRW-Radiomarkt bei? Was die Zielgruppen und die Musikfarben angeht, sicherlich. Im Programm liefern lediglich Antenne NRW und NRW1 Themen aus Nordrhein-Westfalen und sind auch bei Veranstaltungen vor Ort präsent. Die LfM ist dennoch zufrieden: „Im Sinne der Hörerinnen und Hörer bewerten wir diese Art an Zugewinn der Programm- und Anbietervielfalt in NRW als positive Entwicklung. Es ist für den Audiomarkt in NRW und die Vielfalt mit NRW-Bezug wesentlich, dass sich der Zuwachs der Angebote nicht alleine auf internationale Streamingdienste verteilt, sondern eben auch auf eine vielfältige Radiolandschaft.“||

Ein Beitrag aus JOURNAL 2/24, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Juni 2024.