Sind das Bilder vom Anschlag in München? Stimmen alle Zahlen in der Doku? Die Arbeit von Fact-Checkern in Redaktionen hat viel gemeinsam, doch es gibt gewichtige Unterschiede. Was man für den Job mitbringen und worauf man verzichten muss.

Es ist eine spektakuläre Aufnahme: Ein Flugzeug ist im Landeanflug in Beirut. Im Hintergrund sind heftige Explosionen zu sehen. Laut Facebook-Post von Oktober 2024 ist das ein Angriff des israelischen Militärs.
Der dpa-Faktencheck aber stellt klar: „Die Aufnahme ist nicht echt, sondern wurde mit künstlicher Intelligenz erstellt.“ Zwar stimme es, dass es in der Nähe des Flughafens zu Angriffen gekommen sei, aber: „Beim Heranzoomen auf das landende Flugzeug ist zu erkennen, dass der Rumpf des Flugzeugs unscharf und die Flügel verzerrt sind.“
Ein Flugzeug ohne Fenster
Seltsam sei auch die Tatsache, dass es im Flugzeug keine Fenster gebe. Die Herkunft des Bildes sei nicht zweifelsfrei feststellbar – es tauche aber auf einem libanesischen Instagram-Account auf, wo der Einsatz von KI auch erwähnt werde. Einer der Faktenchecks, der vom Team von Teresa Dapp erstellt wurde. Die 40-Jährige leitet seit Herbst 2021 die Faktencheck-Redaktion der dpa.

„Wir kümmern uns vorrangig um die Verifikation von user-generated Content aus sozialen Netzwerken“, sagt Dapp. Ein Großteil der Faktenchecks, so auch der Bericht zum libanesischen Flugzeug, werden im Rahmen des Meta-Programms für unabhängige Faktenprüfung erstellt. In den USA hat Meta den Rückzug des Fact-Checking-Programms angekündigt, in allen anderen Ländern läuft es bislang weiter.
„Unser Team besteht aus etwa 30 Personen, die in Österreich, der Schweiz, Deutschland und den drei Benelux-Ländern sitzen“, sagt Dapp. Welche potenziellen Falschmeldungen gecheckt werden, entscheidet das Fact-Checking-Team selbstständig.
Meta identifiziert darüber hinaus mögliche Fakes anhand von Signalen wie dem Feedback der User und leitet diese an dpa weiter. Ob es dann tatsächlich zu einem Faktencheck kommt, liegt in der Hand von Dapps Team. Das checkt etwa: Zeigt das bei Instagram gepostete Video wirklich den Täter von Aschaffenburg? Stammen die Bilder vom Facebook-Post tatsächlich vom Anschlag aus München? Und hat sich die Explosion aus dem Livestream in Pakistan ereignet?
Technisch fit, immer offen
„Man kann sich sicher sein: Bei jedem Flugzeugabsturz gibt es innerhalb von Minuten angebliche Bilder dazu, die aber Jahre alt sind, einen ganz anderen Absturz zeigen oder aus einem Computerspiel stammen“, weiß Dapp. Ihre Abteilung ist darauf spezialisiert, Verbreitungswege von Inhalten zu rekonstruieren. „Wir arbeiten mit weltweitem Bezug und werden von anderen Redaktionen, sowohl intern als auch extern, angefragt“, sagt sie.
Methodisch muss ihr Team technisch fit sein und offen für neue Tools. „Was wir machen, ist Detektivarbeit“, sagt sie. Mal braucht es Methoden der Geolokalisierung, um zu ermitteln, ob ein Bild am vorgegebenen Ort aufgenommen worden sein kann. Passen etwa Flugroute oder Schiffsdaten und Bildhintergrund zusammen? Mal steht die Berechnung von Schattenwinkeln und -längen an, um beantworten zu können, ob der fragliche Zeitpunkt passt. Auch der Einsatz von KI gehört zum Repertoire. So können Tools etwa berechnen, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Bild KI-generiert ist.
„Unsere Faustregel: Wenn gefälschte Bilder von nachrichtenrelevanten Ereignissen auftauchen, findet man das ohne Tool und mit Logik heraus, KI ist nur ein Hinweis“, sagt Dapp. Ob der schöne Sonnenuntergang am Strand echt sei, sei mitunter schwierig zu sagen. Aber, ob Merkel und Obama dort gemeinsam Eis essen – das finde man mit Logik und klassischer Recherche heraus.
Politisches Wissen und Ausdauer
Was also muss man für den Job mitbringen? „Beim Fact-Checking sind logisches Denken und der Einsatz vieler verschiedener Tools geboten. Man muss in viele Richtungen denken“, sagt Dapp. Man brauche Recherche-Tricks in den sozialen Netzwerken und müsse sicher mit Internetarchiven umgehen können. „Dabei geht es darum, Links rechtsicher zu archivieren, aber auch gelöschte Postings wiederzufinden“, erklärt sie.
Politisches Wissen ist von Vorteil. „Daran ist schließlich viel Desinformation geknüpft“, sagt Dapp. Aber auch wirtschaftliche Falschinformationen oder manipulierte Bilder von Stars gehören zum Alltag der Fact-Checker.
Mal gehe es um praktische Dinge wie den Wahlzettel, der angeblich ungültig ist, wenn oben eine Ecke fehlt, mal um sehr aktuelle Themen wie Polizeigewalt bei Demos, oft aber auch um sehr komplexe Themen wie Migration, Energiepolitik und Klima.
Manche Faktenchecks sind schnell gemacht, an anderen sitzen mehrere Leute mehrere Tage. „Teamarbeit ist ohnehin entscheidend“, sagt Dapp. Solche, die gerne ausgeschmückte Reportagen schreiben, würden mit Fact-Checking vermutlich auf Dauer nicht glücklich. „Ein Faktencheck ist nicht das am schönsten zu lesende Format, sondern eher ein Gutachten“, resümiert Dapp.
Von Vorteil: Frustrationstoleranz
Vieles von dem, was ihr Fact-Checking-Team tut, ist bekanntes journalistisches Handwerkszeug: Quellenarbeit, Gespräche mit Expertinnen und Experten und immer wieder: Kontextualisieren.
Manchmal hat das Fact-Checking aber auch etwas Frustrierendes: „Es gibt mehr Desinformationen, als wir jemals checken könnten. Und natürlich gibt es auch Menschen, die der beste Faktencheck nicht überzeugt“, erklärt Dapp. Statt sich entmutigen zu lassen, denkt sie dann lieber an Nachrichten, in denen sich jemand bedankt, weil er oder sie selbst einem Fake aufgesessen ist.
Noch etwas schätzt Dapp an der journalistischen Form des Faktenchecks: „Jeder Schritt ist transparent. Man weiß genau, wie ein Faktencheck zu seinem Ergebnis gekommen ist“, sagt sie.
Die eigenen Produkte kritisch prüfen
Anders sieht die Arbeit der Fact-Checker beim WDR aus. Udo Grätz, Leiter der Programmgruppe Inland, betreut dort Redaktionen wie „WDR Doku“, „Monitor“ „Maischberger“ „Presseclub“ und „Hart aber fair“. Im Redaktionsbereich setzt der WDR vorrangig auf freie Mitarbeitende als Fact-Checker. Ihre Aufgabe: WDR-Produkte vor, während und nach der Veröffentlichung zu prüfen. „Im Doku-Bereich wird jedes Stück von einer weiteren Person, die nichts mit dem Projekt zu tun hat, komplett gecheckt. Von Jahreszeiten und Jahreszahlen bis hin zu tiefen inhaltlichen Fragen“, sagt Grätz.

Hinzu kämen Mitarbeitende aus dem Archiv, an die sich die Redaktion mit der Aufgabe wenden können: „Bitte recherchiert doch mal, ob das so stimmt oder nicht.“ Grätz erklärt, das seien von Hause aus keine Journalistinnen und Journalisten, sondern festangestellte Archivarinnen und Archivare. „Sie werden auch beim Fact-Checking parallel zu Sendungen eingesetzt.“
Irgendetwas, das weiß Grätz aus Erfahrung, findet sich beim Fact-Checking immer. „Oft vermeintliche Kleinigkeiten, die ärgerlich sind. Da wird aus einer 52-Jährigen eine 72-Jährige. Manchmal aber auch Sachen, wo man dann wirklich nochmal richtig rangehen muss“, sagt Grätz. Was ein Fact-Checker aus seiner Sicht mitbringen muss: Spaß am peniblen Steine- Umdrehen.
Erfahrung ist von Vorteil
Erfahrung sei von Vorteil, denn so entdecke man Fehler schneller. „Viele Fehler passieren rund um Zahlen. Bei Dokus passen Zusammenhänge und Bezüge manchmal nicht zusammen“, sagt er. Manchmal hätten Fakten zwar zum Recherche-Zeitpunkt gestimmt, seien später aber wieder korrigiert worden.
Auch in Live-Situationen können Fehler passieren. Grätz ist dabei die Sendung „Hart aber fair“ von Anfang Februar im Gedächtnis. Dabei stoppte Moderator Louis Klamroth die Diskussion über Gruppenvergewaltiger und wandte ein: „Woher die kommen, weiß man nicht, es können Flüchtlinge sein. Oder ein australischer Austauschstudent.“
Im Nachgang der Sendung sorgte diese Einordnung für Ärger. In seinem Faktencheck zur Sendung schrieb der WDR: Mit der Aussage habe Klamroth verdeutlichen wollen, dass die Polizeiliche Kriminalstatistik begrenzte Informationen über Nationalitäten liefere. „In keiner Weise wollte er Australien oder seine Bürger diffamieren“, stellte man klar.
Auch wegen solcher Vorfälle ist Grätz zurückhaltend beim Thema Live-Fact-Checking. „Manchmal bewegt sich eine Aussage im Graubereich – wo fängt eine unzulässige Verkürzung an, wo ist es schon falsch?“, sagt er. Deshalb brauche man zum Fact-Checking immer ausreichend Zeit.
Grätz ist sich sicher, dass die Rolle der Fact-Checker in Zukunft wichtiger werden wird. „Gerade für die Grauzonen wird es immer Menschen brauchen, auch mit KI“, sagt er. Doch man müsse auch ehrlich sagen: Fact-Checking koste Zeit und Geld.
Könne sich eine Redaktion das nicht gesondert leisten, müsse das Vier-Augen-Prinzip immer der erste Ansatz sein. „Die Öffentlichkeit guckt schließlich viel kritischer auf unsere Produkte als früher. Mit der Lupe ist untertrieben, es wird mit dem Mikroskop auf uns geschaut“, sagt er.
Teil einer Überlebensstrategie
Dass sich die Investition in Fact-Checking lohnt, betont auch Martin Knobbe, stellvertretender Chefredakteur beim Handelsblatt. Fact-Checking-Teams sind aus seiner Sicht ein Luxus, für das Handelsblatt aber Teil einer existenziellen Zukunftsstrategie. „Das unterscheidet uns von anderen Medien und sozialen Netzwerken, dass wir da Geld und Zeit reinstecken“, sagt er.

stellvertretender Chefredakteur beim Handelsblatt. | Foto: privat
Das Handelsblatt hat kürzlich ein gesondertes Redigier-Team mit zwölf Leuten geschaffen. Dafür wurden Redakteurinnen und Redakteure aus verschiedenen Ressorts zusammengezogen. „Neben sprachlichen Ungenauigkeiten und Fehlern prüfen sie die Plausibilität der Texte. Sie müssen auch checken: Hält der Text sein Versprechen und gibt Antworten auf die aufgeworfene Frage?“, erklärt Knobbe.
Bescheidenheit gehört dazu
Das Redigier-Team, das ausschließlich dieser Tätigkeit nachgeht, arbeitet in Schichten, sodass die Prüfung auch in Randzeiten sichergestellt ist. „Unsere Textqualität ist durch das Team noch einmal gewachsen“, ist sich Knobbe sicher. Fachexpertise sei durch die Einstellungspolitik beim Handelsblatt bereits seit je her vorhanden. Das Redigier-Team trage dazu bei, dieses Fachwissen auch optimal umzusetzen.
Eines müssen Fact-Checker Knobbe zufolge verkraften: „Sie kriegen wenig Ruhm ab. Bei einer tollen Geschichte geht das Lob eher an den Autor oder die Autorin – auch, wenn die Fact-Checker den Text vielleicht veredelt oder sogar gerettet haben.“ Eine gewisse Bescheidenheit gehöre daher zur Rolle.||
Ein Beitrag aus JOURNAL 1/25, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im April 2025.