THEMA| Der Wert des Lokalen

Tipps von Profis

Wie der Lokaljournalismus relevant bleibt
28. September 2023, Marie Illner

Der Lokaljournalismus hat zentrale Aufgaben in der Demokratie, nämlich Wächter und Plattform für unterschiedliche Meinungen zu sein. Wie lässt sich angesichts sinkender Medienvielfalt sicherstellen, dass er diese elementaren Funktionen in einer auseinanderdriftenden Gesellschaft weiter erfüllen kann? Unsere Autorin Marie Illner hat sich zu dieser Frage bei fünf Medienprofis aus Tageszeitungen und Kommunen umgehört: Welche Wege empfehlen sie, damit der Lokaljournalismus weiter relevant bliebt?

Mein Tipp: Online noch besser werden
Karoline Poll, stellvertretende Redaktionsleiterin WAZ Bochum
Die Medienvielfalt sinkt nicht. Es ist allein Auf­lage der gedruckten Zeitung, die unaufhörlich schmilzt. Die Zahl unserer Leserinnen und Leser, die unsere Inhalte online konsumieren, steigt – und genau dort muss unser Ansatz liegen, wenn wir als Lokaljournalistinnen und -journalisten unsere gesellschaftliche Funktion weiter erfüllen wollen.

Karoline Poll, stellvertretende Redaktionsleiterin WAZ Bochum
Karoline Poll, stellvertretende Redaktionsleiterin WAZ Bochum. | Foto: WAZ

Im täglichen Buhlen um Aufmerksamkeit konkurrieren wir im Internet gegen (vermeintliche) Nachrichten in den sozia­len Netzwerken, halb-seriöse Blogs und bunte Reichweiten-Portale. Mit SEO-Rüstzeug, dem Wissen, wie wir die sozialen Netzwerke für uns nutzen können, und einer ­Offenheit gegenüber neuen Wegen und Technologien sind wir auf einem guten Weg, um unsere Zielgruppen mit unseren Themen zu erreichen. Die Mühe, die wir in die Verpackung eines gesellschaftlich relevanten Themas stecken müssen, die ist größer geworden.
Für welche Menschen in meiner Stadt ist dieser Text relevant, und wie erreiche ich sie? In welchen sozialen Netzwerken hole ich sie ab, erreiche ich sie über einen Newsletter oder welche Google-Suchbegriffe werden sie wohl nutzen? Haben wir nur eine reine Nachricht oder können wir zusätzlich ein Analyse-Stück anbieten? Diese Gedanken sollten wir uns in den Redaktionen zu möglichst jedem Text machen, den wir veröffentlichen. Wir brauchen ein Bewusstsein um die Notwendigkeit dieser Ansätze. Wir dürfen nicht in ängstlicher Starre ob der Auflagenverluste verharren, sondern müssen mutig neue Wege ausprobieren.||

Mein Tipp: Auf Qualität und Relevanz setzen
Nicolette Bredenhöller, stellvertretende Chefredakteurin Die Glocke
Ich bin überzeugt davon, dass ­Lokaljournalismus das Leben in den Kommunen und auf dem Land positiv verändern kann. Die großen gesellschaftlichen Themen spiegeln sich alle auch im Kleinen: Wohnungsnot, Probleme bei der Kinderbetreuung, Vereinsamung älterer Menschen, Rückstände bei der Digitalisierung, fehlende Ausstattung beim Sportverein, Mängel in Schulen oder bei der ärztlichen Versorgung – die Liste ließe sich beliebig lang fortsetzen. Diese Themen aufzugreifen nimmt die Verantwortlichen vor Ort in die Pflicht, an Zukunfts­lösungen zu arbeiten. Eine solche Berichterstattung motiviert aber auch Menschen, sich einzubringen und zu engagieren – politisch, in sozialen Initiativen, im Vereinsleben. Ohne Lokaljournalismus bliebe häufig Ehrenamt auf der Strecke.

Nicolette Bredenhöller, stellvertretende Chefredakteurin Die Glocke.
Nicolette Bredenhöller, stellvertretende Chefredakteurin Die Glocke. | Foto: Die Glocke

Verlässlichkeit, Seriosität, sachliche Informa­tion, die Gegenüberstellung von Positionen und kritisches Hinterfragen bleiben die wichtigsten Bausteine des Lokaljournalismus. Gerade in Zeiten, in denen Behauptungen durch ungeprüftes Teilen im Netz plötzlich zu Wahrheiten zu werden scheinen, sind gründliche Recherche und Fakten zur Einordnung umso wichtiger. Dafür brauchen wir Redakteurinnen und Redakteure, die für ihren Beruf brennen, die nah an den Menschen in „ihrem Ort“ sind, die Ideen ent­wickeln, selbst Themen setzen und nicht nur reagieren.
Was sich seit einigen Jahren ändert ist die Verpackung, in der diese Informationen transportiert werden, vom gedruckten Produkt hin zum Digitalen. Leser zu gewinnen und zu halten, kann letztendlich nur über die Qualität der Berichterstattung und die Relevanz der Themen gelingen.||

Mein Tipp: Auf die Wächterrolle besinnen
Sarah Brasack, stellvertretende Chef­redakteurin Kölner Stadt-Anzeiger
Die Kontrollfunktion des Journalismus ist gerade im Lokalen extrem wichtig. Aufgrund von Enthüllungen unserer Redaktion mussten zuletzt etwa im Rhein-Sieg-Kreis verantwortliche Politikerinnen und Politiker zurücktreten. Viele Skandale bleiben ohne gut ausgestattete Redaktionen unentdeckt, wie Beispiele etwa aus US-Regionen ohne Zeitung bereits zeigen. Um diese gesellschaft­liche Funktion weiter erfüllen zu können, gibt es nicht die eine beste Idee und nicht den einen wichtigsten Weg, sondern viele Stellschrauben.

Sarah Brasack, stellvertretende Chef­redakteurin Kölner Stadt-Anzeiger.
Sarah Brasack, stellvertretende Chef­redakteurin
Kölner Stadt-Anzeiger. | Foto: Max Grönert

Redaktionen brauchen dringend innovative Bezahlmodelle. Sie brauchen eine enge Bindung an die Leserschaft/Community und einen Blick auf Themen, der nachhaltig ein Abonnement ­interessant macht. Redaktionen müssen gegen Polarisierung arbeiten, den Austausch von ­Argumenten fördern, dürfen Haltung nicht mit Aktivismus verwechseln. Sie müssen KI in der Redaktion – schnell – so einsetzen, dass größtmögliche Freiräume für journalistische Recherchen auch in Zeiten weiter sinkender personeller Ressourcen erhalten bleiben.
An den Schulen müssen der Wert und die Aufgabe von Medien vermittelt werden. Der Kölner Stadt-Anzeiger leistet mit seinem von der Bundeszentrale für politische Bildung ausgezeichneten digitalen Bildungsprojekt „Facts for Future“ für Schulen einen Beitrag dazu.
Und die Politik muss den Wert von Journalismus endlich auch durch Handeln anerkennen: Zustellförderung, Steuer-Erleichterungen und strenge Gesetze für gigantische digitale Player sind drei Mindestbedingungen dafür, dass die lokalen Lagerfeuer der Demokratie nicht ausgehen.||

Mein Tipp: Finanzierung neu denken
Eliza Diekmann, Bürgermeisterin in Coesfeld und ehemalige Journalistin

Das Thema Lokaljournalismus ist groß und wichtig. Hier in Coesfeld haben wir nur noch eine Lokalzeitung, die als einziges Medium berichtet. Sie hat wenig Kapazitäten, weshalb nur eine kurze Nachrichtenberichterstattung stattfindet. Pressemitteilungen werden eins zu eins übernommen, und wenn ein Thema etwas komplexer ist, wird an einem Tag der eine Aspekt beleuchtet, am nächsten Tag ein anderer – das zieht sich manchmal durch zwei ­Wochen. Eine umfangreiche, ausgewogene Berichterstattung zu einem größeren Thema findet nicht statt.

Eliza Diekmann, Buergermeisterin der Stadt Coesfeld.
Eliza Diekmann, Buergermeisterin der Stadt Coesfeld. | Foto: Stefan Finger

Das ist sehr schwierig, denn dadurch bekommen populistische Themen Rückenwind, und die Debatte wird immer nur von einem Argument ins nächste geführt. Wir brauchen Pluralität vor Ort, um Demokratie und Meinungsbildung vernünftig abbilden zu können. Das zu erreichen ist angesichts des Personalmangels natürlich schwierig. Redaktionen müssten sich auf einige Dinge konzentrieren und sich dafür Ressourcen und Zeit nehmen – vielleicht auch Debatten über soziale Medien intensiver begleiten.
Dabei stellt sich die Frage der Finanzierung, denn das ­Modell durch Werbeanzeigen ist wackelig. Lokaljournalismus ist für die Demokratiebildung unabdingbar, deshalb muss es eine andere Finanzierung geben – zum Beispiel einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk runtergebrochen auf die lokale Ebene. Die große Frage dahinter: Braucht es noch ARD und ZDF, oder muss das Geld vielleicht in die Lokalpresse fließen und dort nach einem bestimmten Schlüssel verteilt werden?||

Mein Tipp: Orientierung geben
Barbara Löcherbach, Sprecherin der ­Bundesstadt Bonn
„Das ist Demokratie bedrohend!“ – Dieser Gedanke schießt mir immer mal wieder bei verschiedenen Gelegenheiten durch den Kopf. Meist sind dies Situationen, in denen ich das Gefühl habe, Medien, Journalistinnen und Journaisten kommen ihrer Aufgabe nicht nach oder können ihr nicht nachkommen.

Barbara Löcherbach, Sprecherin der Bundestadt Bonn
Barbara Löcherbach, Sprecherin der Bundestadt Bonn. | Foto: privat

Die Aufgabe von Medien ist aus meiner Sicht zunächst einmal die Information und Bericht­erstattung. Medien sollen dazu beitragen, dass Menschen sich fundiert eine eigene Meinung bilden können. Warum gelingt das nicht immer? Die Gründe sind nach meiner Beobachtung vielfältig. Zum einen stehen Medienschaffende ­immer mehr unter Druck – unter Konkurrenzdruck, unter Zeitdruck, unter Arbeitsdruck, ­unter Rechtfertigungsdruck. Das alles führt zwangsläufig zu weniger guten Arbeitsergebnissen. Eine Binsenweisheit, ich weiß.
Was tun? Vielleicht ist es ein Weg, sich zu konzentrieren. Das gilt umso mehr angesichts einer sinkenden Medienvielfalt einerseits und einer zunehmenden Medienskepsis andererseits. ­Medien haben die Aufgabe, Fakten und Sach­lagen aufzubereiten und die vorhandenen Meinungen nach ihrer Relevanz zu gewichten. Sie haben keinesfalls die Aufgabe, alle Meinungen in ihrer Fülle abzubilden. Die Rolle der Medien könnte die des Partners sein, der hilft, Orientierung zu geben in einer komplexen Welt, Lösungen aufzuzeigen, um Ängsten und Verunsicherungen vorzubeugen.
Dies in aller Konsequenz umzusetzen führt zu einem veränderten Rollenverständnis, auf Augen­höhe mit den Leserinnen und Lesern, Hörerinnen und Hörern sowie Zuschauenden.||

 

Ein Beitrag aus JOURNAL 3/23, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im September 2023.