Es bröckelt: Wer Nachrichtenkompetenz fördert, fördert das Vertrauen in journalistische Arbeit. | Foto: sic!
Es bröckelt: Wer Nachrichtenkompetenz fördert, fördert das Vertrauen in journalistische Arbeit. | Foto: sic!
 
THEMA | Nachrichtenkompetenz

Vertrauen zurückgewinnen

Können wir die Gesellschaft vom Wert des Journalismus überzeugen?
17. Dezember 2020, Dagmar Thiel

Demokratie braucht Meinungsbildung auf der Basis sachkundiger, seriöser und vielfältiger Informationen. Dass Journalismus diesen Dienst für die Öffentlichkeit leistet, war lange unbestritten. Aber etwas ist ins Rutschen geraten. Zwar haben die meisten Menschen nach wie vor Vertrauen in etablierte Medien, wie aktuelle Studien belegen. Allerdings gibt es eine wachsende Zahl Menschen, die Gerüchte und Fake News verbreiten, die Hass schüren, um politisch davon zu profitieren. Um solche Desinformation zu erkennen, braucht eine demokratische Gesellschaft medienmündige Bürgerinnen und Bürger. Und genau da hakt es manchmal.
Fotos, Videos, Chats, Tiktok, Twitter, Instagram: Möglichkeiten, sich zu informieren, gibt es mehr als genug. Doch was ist wirklich wichtig, was ist überhaupt richtig? Das Thema Medienkompetenz ist allgegenwärtig und wird oft verstanden als Kompetenz im Umgang mit digitalen Medien, nicht aber vorrangig als Kompetenz im Umgang mit den dort gebotenen Inhalten. Doch gerade diese Nachrichtenkompetenz ist unerlässlich, um sich im Dschungel der Informationen zurechtzufinden – und um gute Informationsquellen zu erkennen.

Die Allwissenden? Das war einmal

Befördert durch den digitalen Wandel suchen Redaktionen und Bildungsakteurinnen und Bildungsakteure nach Strategien, diese Nachrichtenkompetenz in der Gesellschaft zu fördern. Ziel ist es, Vertrauen in journalistische Arbeit zu festigen – beziehungsweise zurückzugewinnen, wo es verlorengegangen ist. „Die Rolle von Journalistinnen und Journalisten hat sich in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend verändert. Sie sind nicht mehr die Gatekeeper des 20. Jahrhunderts. Ihre Leserinnen und Leser, Zuschauerinnen und Zuschauer sehen in ihnen nicht mehr die Allwissenden, die ihnen Informationen zuteilen, an die sie sonst nicht herankommen“, sagt Cordt Schnibben, lange Redakteur bei Spiegel und ZEIT und heute Leiter der digitalen Bürgerakademie für Medienkompetenz, die sich das Thema Medienmündigkeit für Erwachsene zum Ziel gesetzt hat (siehe unten).

Gerade die Digitalisierung hat nicht nur das journalistische Handwerk radikal verändert, sondern auch die Beziehung zum Publikum. „Die Printmedien können ihre Zeitungen und Zeitschriften nicht mehr wie Care-Pakete über den Leserinnen und Lesern abwerfen: Das Netz macht aus ihnen Gesprächspartnerinnen und -partner, Korrektorinnen und Korrektoren, aber auch Nervensägen, Hetzerinnen und Hetzer“, sagt Schnibben.

Trotzdem – oder gerade deswegen – heißt Dialog das Zauberwort, mit dem Medienhäuser versuchen, ihr Publikum zu halten und im besten Fall neu zu gewinnen. Das verspricht durchaus Erfolg, bedeutet aber auch viel Aufwand.

Fehler eingestehen und korrigieren, statt schamvoll darauf zu hoffen, dass sie nicht auffallen: Mit solcher Transparenz können Redaktionen viel Vertrauen schaffen. | Foto: benicce
Fehler eingestehen und korrigieren, statt schamvoll darauf zu hoffen, dass sie nicht auffallen: Mit solcher Transparenz können Redaktionen viel Vertrauen schaffen. | Foto: benicce

„Es gibt eine ganz große Notwendigkeit, darüber zu informieren, wie wir arbeiten, was Journalismus ist“, sagt Benjamin Piel, Chefredakteur des Mindener Tageblatts. Seiner Erfahrung nach haben die Menschen schon große Mühe, Formate auseinanderzuhalten: Was ist der Unterschied zwischen einem objektiven und einem subjektiven Text? Was darf ein Kommentar, was eine Reportage? „Die Leute erwarten von den Medien in erster Linie, neutrale Informationen zu bekommen, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können“, sagt Piel. Hier sei es wichtig zu erläutern, dass das Thema Neutralität sehr viel mehr Facetten hat, als auf den ersten Blick erkennbar ist. „Geschlecht, Bildungshintergrund, soziales Umfeld tragen dazu bei, wie man auf die Welt blickt.“ Das gilt für jeden Menschen, muss aber gerade Journalistinnen und Journalisten im besonderen Maße bewusst sein: „Ich setze ja bereits Schwerpunkte, wenn ich zum Beispiel einen Einstieg auswähle.“

Entscheidungen täglich begründen

Grundsätzlich hätten die Menschen Interesse, über Medien ins Gespräch zu kommen. Dazu setzt das Mindener Tageblatt auf mehrere Strategien. In der täglichen Rubrik „Durchgeblättert“ greift die Redaktion seit 2019 Entscheidungen auf, die sie für die aktuelle Ausgabe getroffen hat.

Beispielsweise, wie die Wahl für eine bestimmte Überschrift gefallen ist, welche Alternativen diskutiert wurden oder warum die Bildauswahl ist, wie sie ist. „Es ist gut, Entscheidungsprozesse transparent zu machen und die Menschen so in die Redaktion zu holen. Es ist aber auch mühsamer als gedacht, jeden Tag eine solche Rubrik interessant zu füllen. Allerdings führt sie auch dazu, dass wir in der Redaktion jeden Tag selbst hinterfragen, warum wir Entscheidungen so getroffen haben.“

Wie andere Medienhäuser verschickt auch das Mindener Tageblatt einen Newsletter, in dem der Chefredakteur spannende Geschichten empfiehlt, Ausschnitte der Redaktionsarbeit zeigt und schreibt, was ihm sonst noch aufgefallen ist. Persönliche Antworten sind ausdrücklich erwünscht. Von den rund 1 100 Abonnentinnen und Abonnenten erhält Piel im Schnitt 30 Rückmeldungen pro Aussendung.

Für ihn ist es ein „ausdrückliches Ziel, dass sich so Dialoge entspinnen. Davon profitieren ja beide Seiten. Die Leute erwarten aber auch eine Antwort innerhalb einer Woche. Man kommt hier durchaus an die Grenzen, den Aufwand zu bewältigen.“ Insgesamt überwiege für ihn das Positive. Durch den Newsletter komme die Redaktion zudem immer wieder an Geschichten: „Die Menschen entwickeln Vertrauen und liefern Themen.“

Ein Element der Allgemeinbildung

Für den Tübinger Medienwissenschaftler Prof. Bernhard Pörksen ist Medienmündigkeit längst zur Existenzfrage der Demokratie geworden. Pörksen plädiert in seinem Buch „Die große Gereiztheit“ dafür, von der digitalen zur redaktionellen Gesellschaft zu werden. Das bedeute, die Grundfragen des guten Journalismus sollten zu einem Element der Allgemeinbildung werden. Dazu zählen Fragen wie: Was ist glaubwürdige, relevante, veröffentlichungsreife Information? Was verdient es, publiziert zu werden, was nicht? Nur dann könnten alle im Detail verstehen, wie Desinformation funktioniert.

Glaubwürdigkeit und Vertrauensbildung sind auch Anliegen der Initiative „Qualität im Journalismus“ (IQ), ein Zusammenschluss von Akteurinnen und Akteuren der journalistischen Aus- und Weiterbildung, Berufsverbänden sowie Medienforschung und -kritik. „Studien zeigen, dass das Vertrauen in die Medien in den vergangenen Jahren relativ gleich geblieben ist, aber die Polarisierung hat sich vergrößert. Es gibt eine Kluft zwischen denen, die Journalismus vertrauen, und denen, die das gar nicht mehr tun“, sagt IQ-Sprecherin Ulrike Kaiser.

Die ehemalige stellvertretende DJV-Bundesvorsitzende und langjährige Chefredakteurin des journalist hält deshalb nicht nur Transparenz für wichtig, sondern insbesondere eine offene Fehlerkultur. „Redaktionen müssen zu Fehlern stehen und diese korrigieren – und nicht hoffen, dass das überlesen wird. Schon eine solch kleine Maßnahme kann Vertrauen aufbauen.“

Ombudsleute vermitteln

Ein traditioneller Weg zur besseren Fehlerkultur sind Ombudsleute. Nach einer Idee aus den 1970er Jahren befassen sie sich mit Publikumsbeschwerden, vermitteln zwischen den Nutzern und der Redaktion und informieren über deren Arbeitsweise und Vorgänge. Weltweit gibt es nach Auskunft der Vereinigung der Medienombudsleute (VDMO) etwa 90 Presse-Ombudsleute, darunter zwölf in deutschen Redaktionen.

Ulrike Kaiser (l.) und Joachim Umbach engagieren sich für Qualität im Journalismus. | Fotos: Anja Cord, privat
Ulrike Kaiser (l.) und Joachim Umbach engagieren sich für Qualität im Journalismus. | Fotos: Anja Cord, privat

Das ist wenig angesichts von 327 Tageszeitungen mit 1 452 lokalen Ausgaben in Deutschland. Dabei sollten alle Zeitungen Ombudsleute haben, so Ulrike Kaisers Überzeugung. „Journalisten haben es in der Vergangenheit versäumt, zu erklären, warum und wie sie etwas machen. Ohne diese vertrauensbildende Maßnahme ist es aber nahezu unmöglich, auf Leser zuzugehen.“

„Vertrauen bildet sich nur, wenn man so offen wie möglich miteinander umgeht“, sagt auch Joachim Umbach, NRWs einziger Ombudsmann bei der Neuen Ruhr Zeitung in Essen. Umbach, Jahrgang 1948, war von 1992 bis 1997 stellvertretender Chefredakteur der NRZ, danach zehn Jahre Chefredakteur der Schwäbischen Zeitung. Seit April 2019 arbeitet er von Zuhause in Teilzeit. Die Ombudsstelle wird vom NRZ-Herausgeber bezahlt, ihm allein ist Umbach auch verantwortlich. Das stärke seine Position auch gegenüber der Redaktion, gerade bei berechtigter Leserkritik. Einmal im Monat trifft er sich mit den anderen deutschen Ombudsleuten per Videokonferenz. „Hier tauschen wir uns aus und wissen so, welche Themen bei den anderen brisant sind.“

Rund zehn Mails erreichen Umbach täglich, etwa die Hälfte dreht sich um Vertriebsprobleme. Der Rest befasst sich mit Inhaltlichem, vom nicht gedruckten Leserbrief bis zur Nachrichtenauswahl. „Es kommt häufiger vor, dass die Menschen nicht verstehen, warum ein Thema es in die Zeitung geschafft hat und ein anderes, das sie vielleicht im Internet gefunden haben, eben nicht.“ Umbach schaut sich jeden Fall an und erläutert, nach welchen Kriterien die Redaktion Nachrichten auswählt. Manches greift er in seiner wöchentlichen Kolumne auf.

Wie sich Berichterstattung dadurch ändern kann, zeigt sein bisher intensivster Dialog: Eine Leserin hatte bemängelt, die NRZ berichte weniger ausführlich über die erfolgreichen Essener Fußballerinnen der 1. Bundesliga als über den Männerverein der Regionalliga West. Inzwischen seien die Artikel über die Fußballerinnen länger und würden deutlich besser platziert.

Der Blick von innen und von außen

Ob Newsletter aus der Redaktion, redaktionelle Erklärstücke oder Ombudsleute: Redaktionen verfolgen vielfältige Strategien, um darüber zu informieren, wie sie arbeiten (siehe auch Kasten „Kontakt zum Publikum suchen“). Dazu gehören auch Redaktionsblogs wie etwa „Nachrichten hinter den Nachrichten“ aus der Tagesschau-Redaktion. So räumte die Chefredaktion von ARD aktuell im August selbstkritisch „eine journalistische Fehleinschätzung“ ein, nachdem Tagesschau und Tagesthemen nicht angemessen über die Explosion im Beiruter Hafen mit mehr als 190 Toten berichtet hatten: Man habe zwar über Social Media schnell reagiert und ausführlich berichtet, aber im klassischen Fernsehen habe man das Nachrichtenereignis nicht angemessen abgebildet.

Mindestens ebenso wichtig wie solche Dialog-Instrumente ist der Blick von außen. Denn Grenzverletzungen wie reißerische Überschriften, Verstöße gegen den Pressekodex, mangelnde Recherche oder die Vermischung von Journalismus und PR prägen das Bild des Journalismus negativ. Verschiedene Zeitschriften und Medienmagazine in Hörfunk und Fernsehen sowie Blogs und Websites beobachten, hinterfragen, erklären und bewerten, was andere Redaktionen machen, und stoßen so Veränderungsprozesse an.

Kritik macht besser

Wie gut arbeiten wir als Medienschaffende eigentlich? Sind wir sorgfältig genug, widerstehen wir Einflüssen Dritter und erfüllen wir unsere Aufgabe als vierte Gewalt? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der Medienjournalismus. Aus den Tageszeitungen ist er fast bis auf wenige Ausnahmen wie die taz-Medienseiten verschwunden. Aber andere halten die Fahne hoch, darunter der journalist und weitere Printmagazine wie Menschen machen Medien oder Medium-Magazin sowie Branchendienste wie epd Medien und Medienkorrespondenz. Im Fernsehen berichtet das NDR-Medienmagazin ZAPP, im Hörfunk informieren wöchentliche Mediensendungen wie Töne Texte Bilder (WDR5) und MedienMagazin (Bayern5). Wochentags läuft @mediasres im Deutschlandfunk, seit September gibt es ergänzend einen Medienpodcast. Die Sendung Was mit Medien, die bis August 2020 bei Deutschlandfunk Nova lief, steht inzwischen wieder auf eigenen Füßen.

Der älteste deutsche Medien-Watchblog ist das Altpapier, das seit 2017 unter dem Dach des MDR-Portals Medien360G erscheint. Seit 2000 kommentiert die Kolumne die wichtigsten medienkritischen Beiträge des Tages. „Reflexion, Offenheit für unterschiedliche Perspektiven der Kritik an der eigenen Arbeit muss heute Teil des journalistischen Prozesses sein. Nicht aus Masochismus, sondern aus der Vorstellung heraus, dass kluge Kritik von klugen Kolleginnen und Kollegen Journalismus besser macht“, sagt Boris Lochthofen, Direktor des MDR-Landesfunkhauses Thüringen, anlässlich des 20. Geburtstags des Altpapiers im November 2020. Weitere bekannte medienkritische Angebote sind BILDblog (seit 2004) und Übermedien (seit 2016)./

Medienkritik als Medienbildung

Wesensmerkmal all dieser Angebote ist der kritische Blick auf den eigenen Berufsstand. Sie richten sich damit keineswegs nur an die Branche selbst. Für interessierte Bürgerinnen und Bürger bieten sie eine Art Medienbildung: Wer sie regelmäßig verfolgt, lernt viel darüber, was guten vom schlechten Journalismus unterscheidet, über die notwendige Selbstkritik der Medienschaffenden und nicht zuletzt über eine gelungene Fehlerkultur. Die Macherinnen und Macher schaffen dadurch Glaubwürdigkeit und vermitteln dem Publikum: Journalistinnen und Journalisten, die seriös arbeiten, haben nichts zu verbergen und können die eigene Arbeit vorbehaltlos erklären.

Auch Anja Pasquay, Sprecherin des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV), sieht Glaubwürdigkeit als zentral an. „Wir müssen Transparenz schaffen: Warum tue ich, was ich tue? Das muss ich den Leserinnen und Lesern vermitteln.“ Pasquay hält es für notwendig, insbesondere die Nachrichtenkompetenz in der gesamten Gesellschaft gezielt zu fördern. „Bei Nachrichtenkompetenz geht es um das Erkennen und Bewerten von Nachrichten, um das Prüfen von Quellen. Das Erkennen von Fake News ist nicht nur für den Alltag wichtig, sondern auch für die Demokratie“, sagt Pasquay und sieht darin auch den Beweis für die „Systemrelevanz von Zeitungen“.

Bei der Nachrichtenkompetenz gibt es allerdings erhebliche Defizite, und zwar nicht nur bei Kindern und Jugendlichen, wie oft vermutet wird, sondern auch bei Erwachsenen – darunter auch bei Lehrkräften, die Medienkompetenz vermitteln sollen. Das zeigt eine Studie aus dem Frühjahr 2020, für die das Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Stiftervereinigung der Presse mehr als 500 Lehrkräfte befragt hat (siehe dazu auch „Eine Querschnittsaufgabe“).

Medienwissen unzureichend

Während fast alle Befragten (95 Prozent) die Vermittlung von Nachrichtenkompetenz als mindestens „wichtig“ einstuften, fand die Studie bei überraschend großen Teilen der Lehrkräfte eine beunruhigende Haltung zu Rundfunk und Presse. Unsicherheiten zeigten sich vor allem bei Fragen nach den Aufgaben von Medien. So wussten nur 62 Prozent, dass es Aufgabe der Medien ist, „die Mächtigen kritisch zu beobachten und zu kontrollieren“. 19 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu, dass „viele Nachrichten, die eigentlich wichtig sind, in den normalen Medien verschwiegen werden und man sie nur in sozialen Netzwerken, Foren oder Blogs findet“. Immerhin jede zehnte Lehrkraft zeigte sich überzeugt, dass Medien die Meinungsbildung im Sinne der Regierung lenken sollen.

Journalistik-Professorin Marlis Prinzing (l.) und Anja Pasquay, Pressesprecherin des BDZV. | Foto: Martin Jepp, BDZV
Journalistik-Professorin Marlis Prinzing (l.) und Anja Pasquay, Pressesprecherin des BDZV. | Fotos: Martin Jepp, BDZV

Solche Positionen offenbaren ein Verständnis von Medien als Teil einer Obrigkeit, wie es seit Jahren von rechten Gruppierungen und neuerdings verstärkt von Verschwörungsideologen verbreitet wird, unter anderem aktuell bei den Prostestveranstaltungen gegen die Coronamaßnahmen.
„Da kommt das eine zum anderen“, sagt Marlis Prinzing, Professorin für Journalistik an der Hochschule Macromedia in Köln, die diese Studienergebnisse als „total erschreckend“ bewertet. „Wenn ich in der Schule mit so einem Wissen versorgt werde, ist es kein weiter Schritt, dass ich mich angesprochen fühle von Leuten, die auf Demonstrationen von Systemmedien reden.“

Wie viele andere auch hält Prinzing eine systematische Medienbildung bei Schülerinnen und Schülern für dringend geboten – aber ebenso bei Erwachsenen. Denn auch, wenn Medienbildung noch besser in den Schulcurricula verankert werden muss, wird das nicht reichen, die Gesellschaft als Ganzes medienmündiger zu machen. Die konkreten Arbeitsregeln des guten Journalismus müssten heute eigentlich zum Allgemeinwissen gehören. Denn Mediennutzer sind ja längst nicht mehr nur Empfänger von Nachrichten, sondern jede und jeder ist potenziell auch Sender.

Offensive zur Medienbildung

Umfassende Medienbildung ist auch eine Forderung, die sich der DJV-NRW auf die Fahne geschrieben hat – nicht zuletzt angesichts einer wachsenden Aggressivität gegenüber Medienschaffenden. „Wir brauchen dringend eine Offensive zu Medienbildung in NRW“, erklärte Geschäftsführer Volkmar Kah bei einer Anhörung im NRW-Landtag (mehr dazu siehe „Medienschaffende besser schützen“).

„Unsere Gesellschaft muss sich wieder darüber klar werden, dass funktionierende freie Medien konstituiv für unsere Demokratie sind.“
Zu vermitteln, wie Journalismus funktioniert, und damit Enttäuschte wieder für die Medien zurückzugewinnen ist eines der Ziele des „Experimentierraums für den Journalismus der Zukunft“, den der DJV-NRW im Rahmen der RuhrKonferenz angestoßen hat (siehe zuletzt JOURNAL 6/19: „Der Experimentierraum geht in die Umsetzung“).

Das sogenannte Media Lab Ruhr soll dazu dienen, innovative Ansätze von Journalismus und Medienkompetenzförderung zu erproben, um Medien und Meinungsvielfalt zu stärken. Dafür sollen Medienunternehmen, Anbieter der journalistischen Aus- und Weiterbildung, kommunale Stellen, Hochschulen, Volkshochschulen und Bibliotheken zusammenarbeiten. Welche Informations- und Themeninteressen haben die Menschen? Wie können wir sie motivieren, sich aktiv einzubringen? Interessierte aller Altersgruppen sollen – zum Beispiel über Wettbewerbe – angeregt werden, sich journalistisch zu engagieren.

„Das ist ein sehr anspruchsvolles Projekt, das wir als DJV-NRW alleine sicher nicht stemmen können. Daher bin ich dankbar, dass das Land hier erhebliche Mittel bereitstellen will“, sagt Geschäftsführer Kah. „Wie oft bei solchen Vorhaben liegt der Teufel im Detail. Ich hoffe aber, dass wir das Projekt gemeinsam mit Partnern Anfang 2021 auf die Straße bekommen.“

Kontakt zum Publikum suchen
  • In einer Sonderausgabe zum 100-jährigen Bestehen stellte das Mindener Tageblatt 2019 ausführlich die eigene Arbeit dar: Was kommt in die Zeitung? Was passiert in der Redaktion? Wie gehen wir mit Leserbriefen um? Für den Einblick in Arbeitsweisen und Entscheidungswege der Redaktion gab es 2020 die Auszeichnung „Medienspiegel – Preis für transparenten Journalismus“ von der Initiative Tageszeitung und der Vereinigung der Medien-Ombudsleute.
  • Die ZEIT veröffentlicht unter großen Artikeln der Printausgabe einen Absatz „Hinter der Geschichte“ zur Entstehung des Textes. Seit Oktober 2017 bietet ein gleichnamiger Podcast einen Blick hinter die Kulissen: Was hat an dem Thema gereizt? Was war überraschend? Wo sind die Journalistinnen und Journalisten auf Widerstände und wo vielleicht auch mal an ihre Grenzen gestoßen?
  • In ihrer „SZ-Werkstatt“ erzählen Autorinnen und Autoren der Süddeutschen Zeitung 2020 von ihren Recherchen und beantworten Fragen von Leserinnen und Lesern, etwa: Wie strikt trennt die Redaktion Inhalte und Werbeanzeigen? Was hat sich für die SZ seit Relotius geändert?/DT

Journalismus verständlich machen

Das Ziel, auch Erwachsenen dieses Wissen über guten Journalismus zu vermitteln, verfolgt die digitale Bürgerakademie für Medienkompetenz. Im Frühjahr 2020 wurde sie als Schwesterprojekt der Reporterfabrik gestartet, einer Journalistenschule im Netz, die von den Journalisten Cordt Schnibben und David Schraven gegründet wurde. Träger der Einrichtung ist die gemeinnützige GmbH Correctiv und die Journalisten-Initiative Reporterforum.

Während sich in der Reporterfabrik vor allem Journalistinnen und Journalisten sowie an Journalismus Interessierte wie zum Beispiel Bloggerinnen und Blogger qualifizieren können, richtet sich die Bürgerakademie an eine breitere Öffentlichkeit: „Wir wollen journalistisches Wissen und Handwerk an interessierte Bürger vermitteln und die Arbeit der klassischen und sozialen Medien durchschaubar machen“, erklärt Leiter Cordt Schnibben.

Seit Eröffnung der Bürgerakademie vor einem halben Jahr haben sich nach Angaben Schnibbens 15 000 Teilnehmer für die Onlinekurse angemeldet. Diese gute Resonanz führt er auch auf eine Kooperation mit mehr als 40 Volkshochschulen (VHS) bundesweit zurück, die die Kurse bei der Bürgerakademie buchen und in ihre Programme aufnehmen. Die Bürgerakademie, die einmalig mit 15 000 Euro von der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung unterstützt wird, hat derzeit 520 Lehrvideos im Angebot.

Je praxisorientierter und je interaktiver die Kurse sind, desto stärker werden sie nachgefragt. Themen wie „Werde Blogger, aber wie?“ oder „Drehen mit dem Smartphone“ sind besonders beliebt. Die Kurse sollen journalistische Arbeitsweisen vermitteln, aber auch, wie man verantwortungsbewusst in und mit den Medien agiert. „Wer selbst einen Film mit dem Smartphone dreht, dabei vielleicht auch Fehler macht, entwickelt Verständnis für Medien und Journalismus insgesamt“, sagt Schnibben.

DJV-Landesgeschäftsführer Volkmar Kah (l.) und Cordt Schnibben von der Bürgerakademie für Medienkompetenz. | Foto: Andreas Wegelin FotoArt, Bernhard Riedmann
DJV-Landesgeschäftsführer Volkmar Kah (l.) und Cordt Schnibben von der Bürgerakademie für Medienkompetenz. | Foto: Andreas Wegelin FotoArt, Bernhard Riedmann

Weiterbildungsinstitute machen seit Jahren die Erfahrung, dass der Preis ein wichtiges Kriterium für den Besuch von Seminaren ist – egal, ob die Teilnehmenden die Kosten selbst tragen oder ihre Medienhäuser zahlen. Ein Grund für den guten Zuspruch der Bürgerakademie dürfte daher auch sein, dass ein Drittel ihrer Angebote kostenlos zugänglich ist. Die anderen Workshops kosten fünf oder 15 Euro.

„Wenn doch Einigkeit darüber besteht, dass wir insgesamt eine größere Nachrichtenkompetenz und Medienmündigkeit in der Gesellschaft brauchen, dann sollten solche Weiterbildungsangebote subventioniert oder von Medienhäusern gefördert werden, damit sie günstig oder sogar kostenlos stattfinden können. Dafür machen wir uns als DJV-NRW stark“, stellt Kah klar.

Kritiker zurückgewinnen

Die Kurse an der Bürgerakademie werden allerdings in erster Linie von der klassischen VHS-Klientel genutzt, die politisch und gesellschaftlich ohnehin überdurchschnittlich interessiert sein dürfte. Die Frage bleibt, wie diejenigen zu erreichen sind, die eine distanzierte Haltung zum klassischen Journalismus haben – aktuell auch befeuert von den erwähnten Verschwörungsideologen, die gezielt Zweifel an den etablierten Medien wecken.

Journalistik-Professorin Prinzing macht zwei Gruppen in der Gesellschaft aus: Diejenigen, die sich in den sogenannten alternativen Medien und in ihrer eigenen Filterblase eingerichtet haben. Nach ihrer Einschätzung gibt es wenig Chancen, diese noch zu erreichen. „Der deutlich größere Teil aber tummelt sich in beiden Welten, und zwar stärker in der klassischen Medienwelt als in der alternativen. Und diese Menschen können Medien erreichen“, sagt Prinzing.

Auch sie empfiehlt Transparenz, so wie es einzelne Medien vormachen: Warum und wie gehen wir an eine Geschichte heran, welche Quellen nutzen wir? Um deutlich zu machen, was Qualitätsarbeit im Journalismus bedeutet, sollten Redaktionen das zumindest an ausgewählten Beispielen tun.

Schere zur Realität

Marlis Prinzing führt erschreckende Zahlen aus Studien an: Fast ein Drittel des Publikums fühlt sich mit seinen Themen und Positionen in den klassischen Medien nicht wahrgenommen. „Dieser Wert ist zum einen der persönlichen Wahrnehmung dieser Menschen geschuldet, zum anderen aber auch der Themensetzung in den Redaktionen. Manche Gruppen kommen in der Berichterstattung einfach weniger zu Wort“, sagt Prinzing.

Das liege auch daran, dass Redakteurinnen und Redakteure zu oft gar nicht mehr aus der Redaktion herauskämen, was teilweise der Personalsituation geschuldet sei. „Das führt aber dazu, dass sie in manche Quartiere einer Stadt nicht mehr gehen und gar nicht mehr wirklich hinhören, welche Themen die Menschen umtreiben“, sagt Prinzing. Mehr als 40 Prozent der Menschen nähmen die gesellschaftlichen Zustände in ihrem persönlichen Umfeld völlig anders wahr, als sie von den Medien dargestellt würden.
Hingehen, wo die Menschen sind, die das Interesse am oder das Vertrauen in den Journalismus verloren haben: Das ist auch eine der Ideen des erwähnten Experimentierraums. Unter anderem sollen etwa in Bibliotheken sogenannte Makerspaces entstehen. Volkmar Kah: „Unsere Idee ist, fixe Orte einzurichten, an denen sich Menschen wohnortnah in niederschwelligem Angeboten journalistisch ausprobieren können.“

Kontakt nicht nur zu Medienschaffenden, sondern auch zum Publikum sucht der DJV-NRW bei Veranstaltungen wie dem Campfire-Festival (hier im Sommer 2019).  | Foto: Alexander Schneider
Kontakt nicht nur zu Medienschaffenden, sondern auch zum Publikum sucht der DJV-NRW bei Veranstaltungen wie dem Campfire-Festival (hier im Sommer 2019). | Foto: Alexander Schneider

Auch mit der Teilnahme am Campfire-Festival, das das gemeinnützige Recherchebüro Correctiv in den vergangenen Jahren vor dem Düsseldorfer Landtag ausgerichtet hat, verfolgt der DJV-NRW das Ziel, andere Bevölkerungsgruppen zu erreichen als etwa auf dem eigenen Journalistentag: Im Sommer 2019 lockte das Festival Interessierte mit der Leitfrage, wie Journalismus und Gesellschaft sich gegenseitig beeinflussen – und wie Medien dazu beitragen können, dass gesellschaftliche Debatten wieder näher an die Menschen rücken.

„Der DJV-NRW hat in den vergangenen Jahren immer ein eigenes Zelt mit seinen Themen bespielt und hofft darauf, dass das auch künftig wieder möglich sein wird“, sagt Kah. „Wir nutzen so eine Veranstaltung natürlich, um potenzielle Mitglieder von unseren Angeboten zu überzeugen. Aber es geht eben auch darum, nach außen unser Wirken für den Wert des Journalismus darzustellen und mit Menschen ins Gespräch zu kommen, die den traditionellen Medien skeptisch gegenüberstehen.“

Auch die Bürgerakademie sucht den Austausch dort, wo sich Menschen bewegen, die die klassische Medien möglicherweise nicht mehr erreichen. Die Macherinnen und Macher suchen allerdings nicht im Viertel um die Ecke, sondern im Netz, etwa bei Facebook, Twitter, Instagram. Sehr nutzernahe Themen und prominente Kursleiter wie Günter Jauch, Doris Dörrie, Sandra Maischberger oder Sascha Lobo sollen dabei helfen, Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu gewinnen.

Benjamin Piel hält es dagegen für extrem schwierig bis unmöglich, Kritikerinnen und Kritiker von etablierten Medien zu erreichen: „Ich habe meine ursprüngliche Hoffnung, dass man eigentlich jeden durch Dialog zurückgewinnen kann, inzwischen aufgegeben. In der Pandemie hat sich gezeigt, dass manche Menschen so weit weg von uns sind, dass man mit ihnen gar nicht mehr ins Gespräch kommt.“ Es gelinge nicht mehr, deren Sicht der Dinge zu durchbrechen.

Drastisches Beispiel ist die Schaufensterpuppe, die Ende Oktober an einem Strick von der Glacisbrücke in Minden hing. Um ihren Hals baumelte ein großes Pappschild mit der Aufschrift „Covid-Presse“. „Es ist ein mieses Gefühl, als Journalist auf die symbolische Hinrichtung eines Medienvertreters schauen zu müssen. Ob man es will oder nicht: Man sieht sich zwangsläufig selbst dort hängen. Haben Menschen, die so etwas tun, jede Empathie verloren, wie sich das für die Betroffenen anfühlt? Haben diese Menschen jedes Mitgefühl verloren? Offenbar“, schrieb Piel wenige Tage danach in seinem Newsletter.

Wichtiger Demokratiebeitrag

Nicht nur die Schaufensterpuppe von Minden, sondern auch die wachsende Zahl von Übergriffen auf Medienschaffende etwa bei Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen zeigt, dass das Wissen darum, wie Journalismus und Medien funktionieren, bei einem Teil der Gesellschaft verloren gegangen ist. Dabei gilt Medienmündigkeit als eine Schlüsselkompetenz für politische Urteils- und Handlungsfähigkeit, für eine lebendige, funktionierende Demokratie.

Umso wichtiger ist es, dass Journalistinnen und Journalisten Menschen zu kritischer Aufmerksamkeit für Medien einladen. Über die eigene Arbeit transparent berichten, sie immer wieder hinterfragen, Fehler eingestehen: Nur mit einer solchen Offenheit kann es gelingen, Menschen für guten Journalismus zu gewinnen. Für Journalistinnen und Journalisten bleibt das ein mühsames Geschäft, aber es ist nicht zuletzt auch nutzbringende Selbstreflexion, weil es das eigene Bewusstsein für Qualität schärft. Guter Journalismus lebt vom Vertrauen derer, die lesen, hören, zuschauen. ||


Ein Beitrag aus JOURNAL 6/20, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Dezember 2020.