Dem auffallend jungen Publikum sitzen drei deutlich ältere Semester gegenüber: Eine reine Männerrunde, alles ausgewiesene Experten, stellt sich den Fragen von Moderatorin Stephanie Funk-Hajdamowicz. Das Thema: „Vom Knecht zum König? Arbeiten in der TV-Produktion heute“.
Keine Frage: Das Thema zieht, der Raum im Obergeschoss platzt fast aus allen Nähten. Die drei Männer sind vom Fach, alle hatten bzw. haben eine enge Bindung an den WDR, einen der größten Auftraggeber von TV-Produktionen im Land. Jürgen Schulte hat schon mit Anfang 30 dem WDR Ade gesagt und eine Produktionsfirma gegründet. Sein Mut zum Risiko hat sich gelohnt: Er holte in Düsseldorf TV-Mann Frank Plasberg als Geschäftsführer an Bord, 45 Beschäftigte produzieren bei „Ansager & Schnipselmann“ Sendungen fürs Erste, darunter „Hart, aber fair“ und „Frag die Maus“.
Er wollte „selbstbestimmt arbeiten und eigene Ideen entwickeln“, erzählt Schulte beim Journalistentag. Vom Knecht ist er weit entfernt, als König sieht er sich ebenso wenig, auch wenn er sich durchaus zu den Etablierten der Branche zählen kann. Er weiß um die Mechanismen im Haifischbecken der TV-Unterhaltung und kennt sich aus mit schwarzen Zahlen. Auch wenn der zunehmende Produktionsdruck „deutlich spürbarer wird“. Früher wurde der ARD-Tatort in 28 Tagen produziert, „heute musst du es in 21 Tagen schaffen“. Zudem hätten sich die Honorare „extrem nach unten verändert“. Manchmal grenze der Einsatz an Selbstausbeutung.
Enormer Kostendruck
Der Spardruck der Sender gehe einher mit der zunehmenden Verlagerung von Produktionen zu privaten Firmen, weiß auch die Moderatorin, die selbst für den WDR arbeitet und Vorsitzende des Fachausschusses Rundfunk im DJV-NRW ist. Horst Schröder, Mitglied im WDR-Rundfunkrat und Aufsichtsratsmitglied bei Bavaria, erinnert an die Boomzeit Anfang der 1990er-Jahre, als zunehmend Privatsender in den Markt drängten. „Da war noch viel Geld vorhanden.“ Dagegen sei das Spardiktat der öffentlich-rechtlichen Sender heute „hochdramatisch“. Den jungen Leuten im Raum empfiehlt er, sich frühzeitig über Stipendien und Fördermaßnahmen, etwa der Film- und Medienstiftung NRW, schlau zu machen. Wer sich für ein Start-up im Produktionsbereich interessiere und mit mehr als 800 Euro im Monat herauskommen wolle, müsse schon „verdammt gut rechnen“.
Axel Beyer, langjähriger WDR-Fernsehmann und jetzt Chef des privaten Kölner Medien-Management-Instituts an der Hochschule Fresenius, pflichtet ihm bei. Die Medienlandschaft nicht nur in NRW „hat sich total verändert – ebenso die Mediennutzung. Junge Leute setzen auf Streamingdienste. Wer verfolgt noch lineares Programm?“ Kritisch beobachtet Beyer auch die wirtschaftliche Entwicklung, fast wöchentlich würden sich Produktionsfirmen zusammenschließen, um dem harten Wettbewerb besser gewachsen zu sein. Und rät vom Jammer-Modus ab: „Wir müssen uns selbstbewusst mit der Situation auseinandersetzen.“
Dies auch vor dem Hintergrund wachsender Renditeerwartungen milliardenschwerer US-Investoren wie KKR oder Permira, „denen wurscht ist, was sie finanzieren. Hauptsache, am Ende bleiben 20 Prozent Rendite – und das im Bewegtbildbereich“.
Da wird manchem Gast etwas unbehaglich, vor allem junge Leute im Publikum runzeln die Stirn. Manche von ihnen erhoffen sich hier Rückendeckung beim Gedanken, sich nach dem Studium selbstständig zu machen. Wer möchte sich schon entmutigen lassen oder von ersten TV-Träumen frühzeitig verabschieden?
Kreatives Potenzial entscheidend
Für Beyer ist „kreatives Potenzial entscheidend. Wer das gut nutzen kann, hat deutlich bessere Chancen im hart umkämpften Produktionsgewerbe“. Ex-WDR-Mann Schulte unterstreicht das und verweist auf Bewerbungsgespräche in seinem Haus. „Wie kann ich bei Ihnen kreativ und selbstständig arbeiten?“, erkundigen sich künftige TV-Macher, bevor es um materielle Fragen geht.
Den Sprung „vom Knecht zum König“, so viel macht die Diskussion deutlich, schaffen nur Ausnahmetalente. Immer mehr junge Leute tummeln sich zunächst mit eigenen Ideen auf Facebook, YouTube oder Instagram. „Da ist auch durchaus Geld zu verdienen. Das Netz ist viel wichtiger geworden, auch für gestandene Produktionsfirmen“, weiß Schulte. Auch wenn der Sprung von sozialen Netzwerken ins etablierte Produktionsgeschäft viel Inspiration, Kondition und Geschick verlangt: Dieser Weg könne durchaus zum Ziel führen – vor allem für diejenigen, die sich frühzeitig fragen: Was erwarten die Nutzer, welche Angebote haben Chancen?
Axel Beyer verweist darauf, dass es deutlich einfacher geworden sei, etwa mit einem iPhone statt mit einem kompletten Kamerateam zu produzieren. Und fügt hinzu, dass „sich die Leistung oft entwertet, das Honorar sich an den Views orientiert statt an tarifvertraglich vereinbarten Vergütungen“.
Attraktives Arbeitsumfeld möglich
Die drei TV-Experten verweisen schließlich auf die Chancen, die „radikal sich verändernde Berufsbilder“ mit sich bringen. Auch in Zeiten befristeter Arbeitsverträge böten manche Produktionsfirmen ein „ausgezeichnetes Arbeitsumfeld, vor allem im Bereich zukunftsweisender Unterhaltungsformate“, meint Jürgen Schulte. Sein Kollege Beyer empfiehlt, „Lernen zu lernen in einer rasant sich verändernden Medienwelt, deren Dynamik nicht aufzuhalten ist“. Und Horst Schröder verweist auf den enormen Produktionsbedarf in Zeiten von Netflix & Co.: „Die gefräßigen Content-Maschinen müssen gefüttert werden, der Bedarf an Produktionen nimmt zu.“
Magdalena Austermann wirkt nach 50 Minuten Zuhören leicht konsterniert, die 20-jährige Studentin aus Gelsenkirchen und „begeisterte funk-Nutzerin“ kann sich dennoch den Sprung in die Selbständigkeit gut vorstellen. „Ich vermisse interessante Programme, die mich ansprechen.“ Da sieht sie vor allem die Öffentlich-Rechtlichen in der Pflicht – und in der Verantwortung, dem jungen Publikum stärker gerecht zu werden.
Immerhin weiß sie schon, was sie will. Die junge Frau zieht es in den Sportjournalismus, bevorzugt Online und TV. Sie hat frühzeitig ihre Fühler ausgestreckt und ist mancher Kommilitonin sicher eine Nasenlänge voraus. Ein Jahr vor ihrem Bachelor-Abschluss fliegt sie im Sommer 2020 nach Tokio, um über die Paralympics zu berichten. Ein Stipendium des Berliner Tagesspiegel macht’s möglich. Magdalena Austermann strahlt. Ihre Perspektiven scheinen, allen Unkenrufen zum Trotz, rosiger als erwartet. Sie atmet kurz durch, bevor sie den nächsten Workshop ansteuert. Sie will keine Zeit verlieren.||
Ein Beitrag in Ergänzung zu JOURNAL 6/19, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Dezember 2019