Tarife? Sind das nicht diese schrecklichen Biester, von denen sich gerade erst Radio NRW und die Funke Mediengruppe befreit haben? Nein, das sind die Regelungen, für deren Erhalt sich innerhalb von nur drei Tagen bei Radio NRW spontan drei Viertel der Belegschaft zusammengeschlossen haben. Das sind genau die Errungenschaften, die gerade bei Funke Medien bundesweit für eine konzernweite Mitarbeitenden-Bewegung sorgen, für die Anfang Dezember die Kolleginnen und Kollegen der Frankfurter Rundschau auf die Straße gegangen sind.
Warum? Weil sie wissen, dass in Betrieben ohne Tarifbindung die Gehälter im Schnitt elf Prozent niedriger liegen.
Tarifverträge sind aber vor allem in Krisenzeiten wie diesen ein wichtiger Baustein, um unsere Branche für potenzielle junge Fachkräfte attraktiv zu machen. Ich habe das vergangene Jahr gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern aus Journalismus, Film- und Games-Branche auf Einladung des Medienministers in einem Fachkräfte-Beirat verbracht. Dabei haben wir am Ende mehr als 30 Maßnahmen entwickelt. Über allem schwebten aber die Arbeitsbedingungen sowie die Notwendigkeit, der nächsten Generation Sicherheit und Entwicklungsperspektiven für und in unserer Branche zu geben.
Und genau das könn(t)en Tarifverträge leisten. Die sind nämlich nicht in erster Linie dazu da, Arbeitgeber zu knebeln, sondern können am Ende auch dafür sorgen, alle Potenziale eines Betriebs zu heben. „Transformation braucht Mitbestimmung“, so lautete jüngst der Titel einer Fachtagung der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament. Ich gestehe, ich bin da ganz schön demütig raus. Denn Deutschland ist zwar in Sachen betrieblicher Mitbestimmung spitze, bei der tariflichen Entwicklung aber bestenfalls Entwicklungsland.
80 Prozent Tarifbindung mahnt die Europäische Kommission als Ziel im Kontext der Mindestlohnrichtlinie an. Übrigens nicht, weil man sich ex ante für Arbeitnehmerrechte einsetzen will. Sondern, weil alle einschlägigen Studien zeigen, dass das gut für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung ist. In Deutschland profitiert derzeit nicht einmal jede oder jeder zweite Beschäftigte von einem Tarifvertrag. In unserer Branche sind es noch viel weniger. Dabei könnte gerade der Journalismus angesichts der disruptiven Transformationsprozesse jede Hilfe gebrauchen.
Andere Branchen sind da schon weiter. Redet man mit Kolleginnen und Kollegen der IG Metall oder aber auch mit Vertreterinnen und Vertretender des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, vermitteln die einen ganz anderen, kooperativen Geist der Sozialpartnerschaft. Da werden gemeinsam Wege gesucht und gefunden, die Lichtjahre weiter sind als das bloße (wichtige!) Streiten um Prozente oder Berufsjahresstaffeln.
Denn auch das gehört zur Wahrheit dazu: Wenn wir als Gewerkschaft die Tarifbindung verbessern wollen, müssen auch wir unsere Tarifpolitik verändern. Das fordern insbesondere die jungen Kolleginnen und Kollegen ganz offensiv ein. Am Ende braucht es maßgeschneiderte Lösungen für die
einzelnen Teilbereiche unserer Branche, vielleicht sogar für einzelne Betriebe. Das wird ganz sicher mehr Arbeit machen, mühsam werden. Aber ich finde, es lohnt sich. Lasst uns also den aktuellen Rückenwind auch aus der Politik mit den aus Brüssel vorgeschrieben Aktionsplänen nutzen und uns auf den Weg machen – im Interesse der Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben und der Branche insgesamt.
Und so lange auch die Belegschaften mitmachen – siehe Frankfurter Rundschau, Funke, Radio NRW oder vor wenigen Jahren die Rheinische Redaktionsgemeinschaft – haben wir auch gute Erfolgsaussichten.
Frei nach Rio Reiser: Wann, wenn nicht jetzt? Wer, wenn nicht wir?
Glückauf!
Ein Beitrag aus JOURNAL 4/23, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Dezember 2023.