Ein Winken zum Abschied? Körperliche und seelische Gründe können Journalistinnen und Journalisten aus dem Beruf drängen. | Foto: marshi
Ein Winken zum Abschied? Körperliche und seelische Gründe können Journalistinnen und Journalisten aus dem Beruf drängen. | Foto: marshi
 
THEMA | Medienkarrieren heute

Wie es miteinander weitergehen kann

Medienhäuser sollten mit Beschäftigten einen Lebens-Arbeitsplan entwickeln
24. August 2021, Corinna Blümel

Wenn qualifizierte Beschäftigte ein Medienhaus verlassen, mag das an fehlenden Entwicklungsperspektiven liegen oder ganz einfach an der Lust am Neuen (siehe „Auf zu neuen Ufern“ und „Hab den Mut zur selbstbestimmten Veränderung“). Aber manchmal spielen auch ganz andere Faktoren eine Rolle, denn Journalismus kann eine durchaus verschleißende Tätigkeit sein. Das gilt für das Körperliche genauso wie für das Seelische.

Ein zentraler Faktor dabei ist der Stress, und den gibt es in mannigfaltigen Erscheinungsformen: Wer ständig hochkonzentriert unter Zeitdruck arbeitet, wer dauerhaft Überstunden anhäuft oder über viele Jahre im Schichtdienst eingeteilt ist, wer sich auf immer neue Aufgaben und Technologien einstellen muss und dabei vielleicht auch noch die Anerkennung vermisst, läuft Gefahr auszubrennen. Je nachdem, wo und zu welchem Themen Journalistinnen und Journalisten arbeiten, empfinden manche es auch als belastend, mit jedem einzelnen Beitrag in der öffentlichen Kritik zu stehen.

Auch mit ihrem Anspruch an sich selbst können sich Kolleginnen und Kollegen zerreiben: Sie wollen gute Arbeit abliefern und ignorieren dabei ihre Grenzen. Sie fühlen sich verantwortlich, die unterbesetzte Redaktion oder Pressestelle am Laufen zu halten und arbeiten auch noch mit dem sprichwörtlichen Kopf unter dem Arm. Das kann gut gehen, wenn es um eine kleine Erkältung oder „ein bisschen Rücken“ geht. Aber auf Dauer drohen ernsthafte gesundheitliche Probleme.

Stressfaktor unsicherer Arbeitsplatz

Zu den besonders belastenden Situationen gehört es, wenn sich ein Fristvertrag an den nächsten reiht: Wie in einer dauerhaften Probezeit müssen sich Redakteurinnen und Redakteure immer wieder neu beweisen und möchten ja nicht anecken, weil sonst die nächste Verlängerung ausfallen könnte. Oder es gibt gar keinen Vertrag, obwohl man gerne angestellt arbeiten würde, sodass man sich mit niedrigen Honoraren und intransparenten Entscheidungen über Auftragsvergaben herumschlagen muss.

Stress und fehlende Arbeitszufriedenheit können sich nicht nur in Erschöpfung bis hin zur Depression niederschlagen, sondern auch in körperlichen Leiden.

Kampf statt Zusammenarbeit

Nicht zuletzt können Menschen einander auch typbedingt das Leben zur Hölle machen: Die einen wollen bisherige Prozesse und überlieferte Standards nicht aufgeben, weil sie sich in ihren Augen bewährt haben. Die anderen haben innovative Ideen, mit denen sie kein Gehör finden. Treffen diese Grundhaltungen in einer Redaktion aufeinander, kann das immens viel Energie für das Auskämpfen der Regeln kosten. Dabei können sich Teams mit Menschen verschiedener Potenziale und Altersgruppen auch gegenseitig befruchten, wenn sie gut geleitet werden. Aber mit der Führungskultur ist es in der Medienbranche leider nicht immer zum Besten bestellt (siehe „Schule für Chefs“, JOURNAL 6/18).

Wie können Arbeitgeber dazu beitragen, dass Beschäftigte nicht vorzeitig aus gesundheitlichen Gründen ausscheiden müssen? Damit befasste sich der Gewerkschaftstag 2021 in der Antragsdiskussion. | Foto: Alexander Schneider 
Wie können Arbeitgeber dazu beitragen, dass Beschäftigte nicht vorzeitig aus gesundheitlichen Gründen ausscheiden müssen? Damit befasste sich der Gewerkschaftstag 2021 in der Antragsdiskussion. | Foto: Alexander Schneider

Verlust an wertvollem Erfahrungswissen

Ob seelische oder körperliche Langzeitfolgen solcher Belastungen: Wenn einzelne Kolleginnen und Kollegen über längere Zeiten ausfallen, führt das wiederum zu Mehrarbeit für das restliche Team und dem entsprechenden schlechten Gewissen beim erkrankten Redaktionsmitglied – ein Teufelskreis. Oft genug verlassen die Betroffenen das Haus über kurz oder lang, gehen vielleicht sogar früher als geplant und zum eigenen Nachteil in Rente. Damit gehen in den Redaktionen Erfahrungswissen und journalistische Expertise verloren, die oft nicht ohne Weiteres zu ersetzen sind.

Dabei können Arbeitgeber nach Überzeugung des DJV-NRW dazu beitragen, dass Beschäftigte nicht vorzeitig aus gesundheitlichen Gründen aus dem Berufsleben ausscheiden müssen. Der Gewerkschaftstag 2021 verabschiedete dazu einen Antrag (siehe Kasten unten). Gefordert seien kreative Lösungen, sagt Volkmar Kah, Geschäftsführer des DJV-NRW: „Natürlich schauen die großen Medienhäuser auf ihre Personalentwicklung und die Gesundheit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und trotzdem sind wir überzeugt, dass sie durch bessere und langfristige Planung die Lebensarbeitszeit ihrer Beschäftigten besser gestalten könnten – natürlich im Einvernehmen und mit den Betroffenen gemeinsam.“

So könnte es zum Beispiel für Nachrichtenredakteurinnen und -redakteure nach jahrzehntelangem Schichtdienst einen alternativen Arbeitsplatz im Haus geben, der ihre Expertise auch Jüngeren zugutekommen lässt, und Kameraleute müssten nicht wegen Rückenproblemen frühverrentet werden.

Kah betont, dass es im Interesse der Arbeitgeber sei, erfahrene, hochqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter halten zu können. „Das gilt umso mehr insofern, als die Medienhäuser sehen, dass es für sie längst nicht mehr selbstverständlich ist, beim Nachwuchs die Besten für sich zu gewinnen.“||

Medienhäuser müssen Lebens-Arbeitsplan für ihre Beschäftigten entwickeln

Der Gewerkschaftstag des DJV-NRW hat im April 2021 einen Antrag zu diesem Thema verabschiedet:
Der DJV-NRW fordert die Medienhäuser auf, die individuellen Perspektiven der (angestellten und fest-frei) Beschäftigten mit einem Lebens-Arbeitsplan noch besser und kontinuierlich im Blick zu behalten. Der DJV-NRW wird sich dafür einsetzen, das auch als Forderung in künftige Manteltarifverhandlungen mit den Medienhäusern einbringen.

Ziel ist, das notwendige lebenslange Lernen zu ermöglichen und zugleich die Gesundheit aller Beschäftigten dauerhaft zu sichern. Angesichts des gestiegenen regulären Renteneintrittsalters sind neue Modelle erforderlich, damit ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Arbeitsbiografie relativ gesund abschließen können.

Insbesondere für verschleißintensive Beschäftigungen (z.B. Schichtarbeit oder Kameraleute) müssen die Arbeitgeber eine berufliche Perspektive erarbeiten, die alternative Beschäftigungsmöglichkeiten ab einem gewissen Alter und/oder einer gesundheitlichen Einschränkung ermöglicht. Eine Lösung könnte auch darin bestehen, verschleißintensive Arbeit mit einem früheren Rentenbezug etwa durch eine Betriebliche Altersvorsorge auszugleichen. Dabei muss sichergestellt sein, dass solche Lösungen gemeinsam mit den jeweiligen Betroffenen gesucht werden und nicht gegen deren Willen umgesetzt werden können.

Erfahrene Kolleginnen und Kollegen können bei Interesse nach einer entsprechenden Weiterbildung zum Beispiel als Trainerinnen und Trainer für die Aus- und Weiterbildung sowie in der Konfliktberatung und im betrieblichen Gesundheitsmanagement eingesetzt werden. Dadurch würde Kompetenz weitervermittelt, und die Vorteile „gemischter Teams“ lassen sich optimal nutzen.||

Der Beitrag ist Teil des Titelthemas „Medienkarrieren heute“. Weitere Texte sind „Auf zu neuen Ufern“ und „Hab den Mut zur selbstbestimmten Veränderung“.

 

Ein Beitrag aus JOURNAL 4/21, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im August 2021.