THEMA | Medienkarrieren heute

„Hab den Mut zur selbstbestimmten Veränderung“

Fest oder frei, Journalismus oder PR: den eigenen Weg finden
24. August 2021, Andrea Hansen
Ein Berufsleben lang am gleichen Punkt? Das geht auch anders, meint Bianca Schiffgen. | Foto: privat
Ein Berufsleben lang am gleichen Punkt? Das geht auch anders, meint Bianca Schiffgen.
| Foto: privat

Bianca Schiffgens arbeitet als Beraterin, Coach und Trainerin im oberbergischen Much und begleitet Menschen bei der Entwicklung ihrer Karriere- und Lebenswege. Mit dem JOURNAL spricht sie über Zugänge in den Beruf, über fruchtbare Arbeitsbedingungen, Wechselwünsche und die innere Stimme als Kompass.

JOURNAL: Du hast selbst auch schon im Journalismus gearbeitet. Was waren deine Karrierestationen?

Bianca Schiffgens: Angefangen habe ich 2001 bei der filmpool Film- und Fernsehproduktions GmbH in Köln. Hier haben wir „Das Jugendgericht“ produziert, das war ein Ableger der ersten deutschen Gerichtsshow Barbara Salesch. Später war ich bei der Mediafields GmbH tätig, die als freie Produktionsfirma verschiedene Formate unter anderem für RTL, Sat1 und VOX gedreht hat. Dann hatte ich noch eine Station bei Sportcast, der direkten Tochter der DFL (Deutsche Fußball Liga), bevor ich 2009 zur Kommunikationsagentur bosanova GmbH wechselte.

JOURNAL: Seit 2016 berätst du unter anderem junge Menschen auf ihrem Weg in einen Medienberuf. Früher war vor allem der Einstieg schwierig. Ist das heute auch noch so?

Schiffgens: Ich hatte damals das Glück, durch mein Netzwerk im Medienbereich Fuß zu fassen, daher habe ich den Einstieg nicht als schwierig empfunden. Aber ja, es gab tatsächlich vor allem im Kölner Raum Zeiten, da waren die Praktikumsplätze heiß begehrt, weil man dadurch den Fuß in der Tür hatte. Wenn man sich geschickt anstellte, standen die Chancen im Anschluss gut, als Jungredakteur übernommen zu werden. Mitarbeitende in Redaktion und Produktion wurden gut bezahlt, und es gab Staffel- und Jahresverträge. Heute in einem Medienunternehmen unterzukommen gelingt, wenn du eine aussagekräftige, gerne auch eine ausgefallene Bewerbung abgibst. Aufmerksamkeit brauchst du ab Zeile 1 – jetzt und auch später. Storytelling kannst du also schon in deinem Anschreiben oder Kurzvideo üben.

JOURNAL: Eigentlich suchen Medienunternehmen händeringend Nachwuchs: Wo hakt es deiner Meinung nach, warum finden journalistische Arbeitgeber und junge Leute nicht mehr so leicht zueinander?

Schiffgens: Im Laufe der Zeit hat sich doch einiges sehr verändert. Mit unbezahlten Praktika, Drei-Monatsverträgen oder weniger, geringer Bezahlung, wenig Urlaub und fehlender Sicherheit. Das hat sich rumgesprochen und der Branche den guten Ruf genommen. Natürlich gibt es bei Sendern oder anderen Medienhäusern tatsächlich teilweise auch noch unbefristete Verträge. Aber die sind rar und heiß begehrt.

Zudem fragt die Generation Z heute im Jobinterview ganz klar nach der Work-Life-Balance. Hier zählt auch kein iPhone oder Laptop als Ausgleich – Freiheit ist mehr wert. Das ist zumindest das, was ich in den Gesprächen mit jungen Erwachsenen heraushöre.

JOURNAL: Journalistische Karrieren waren früher vor allem von großer Kontinuität gezeichnet. Viele gingen dort in Rente, wo sie volontiert hatten. Jetzt kommt Bewegung in die Sache. Was sind nach deiner Einschätzung die Gründe dafür?

Schiffgens: Schon lange sind wir weg von „Bankkaufmann gelernt – als Bankkaufmann verrentet“. Menschen sehen und erleben, dass man nicht in dem Beruf „gefangen“ sein muss, den man irgendwann mal studiert oder gelernt hat. Lebenslanges Lernen befähigt uns, offene Türen und Chancen zu nutzen. Demnach auch neue, andere Berufssparten auszuprobieren und hier als Expertin oder als Experte zu glänzen. Menschen verändern sich, Gegebenheiten verändern sich. Warum also soll ich mein Leben lang nur einen Beruf ausüben?

JOURNAL: Wie finde ich denn heraus, ob ein Jobwechsel für mich eine gute Idee wäre?

Schiffgens: Grundsätzlich solltest du dich fragen, ob dir dein tägliches Tun Spaß macht und dich erfüllt. Wenn das der Fall ist, warum den Job wechseln? Oft beobachte ich aber, dass Menschen jahrelang die Idee oder den Traum von einer anderen Berufung vor sich hertragen, aber dass Sicherheitsdenken ihnen den Mut raubt. Deshalb bleibt es bei dem Traum, und der Bauchschmerz jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit bleibt… Hier lohnt sich oft die Meinung von außen. Sprich mit jemandem, der dich und deine Gedanken reflektieren kann, zum Beispiel mit einem Coach.

JOURNAL: Was muss ich beim Jobwechsel beachten?

Schiffgens: Das kommt immer auf die persönliche Situation an. Was bist du grundsätzlich bereit zu investieren? Und damit meine ich nicht unbedingt nur Finanzielles. Welche Rücklagen hast du? Wie wichtig ist dein Einkommen? Bist du alleine oder hast du Familie? Welche Skills besitzt du und wie kannst du diese einbringen? Oder musst du sie gegebenenfalls durch eine Weiterbildung aufstocken?

JOURNAL: Wie schaffe ich es, mich auf neue Aufgaben einzulassen?

Schiffgens: Meistens hat jeder von uns ja auch im aktuellen Job schon mal vor einer neuen Aufgabe gestanden und musste sie lösen, daher hilft es, sich diese Situationen noch einmal bewusst zu machen. Oft ist aber der Enthusiasmus nach einem Jobwechsel eh so groß, dass dir jede neue Herausforderung ein Lächeln ins Gesicht zaubert – vor allem, wenn du aus einem sehr frustrierenden Arbeitsverhältnis kommst.

JOURNAL: Worauf muss ich als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer achten, wenn ich mich verändern will? Gibt es den idealen Zeitpunkt oder einen allgemeingültigen Fahrplan?

Schiffgens: Es gibt tatsächlich die Menschen, die ihren Karriereplan zu Hause an der Wand hängen haben. Dort sind die Stationen und die Wechsel in Zeitschritten markiert. Das kann funktionieren, aber manchmal kommt einfach das Leben dazwischen, und der Plan geht nicht auf. Ich rate gerne, Augen und Ohren offen zu halten, ein gutes Netzwerk aufzubauen und zu pflegen, Chancen und offene Türen zu nutzen und keine Angst zu haben. Lass Veränderung zu, sei mutig und verlasse deine Komfortzone, nur so kannst du weiter wachsen. Du hast bis heute viel geleistet, warum sollte der nächste Schritt nicht funktionieren? Also los!

JOURNAL: Wenn ich mich „verwechselt“ habe – wann kann ich die nächste Karrierestation ansteuern? Gibt es diese Mindestdurchhaltedauer noch, um den Lebenslauf nicht zu beschädigen?

Schiffgens: Halleluja – wenn du tatsächlich daneben gegriffen hast, also der Arbeitgeber sich als „fieses Unternehmen“ entpuppt oder der Job doch nicht deinen Idealen entspricht. Dein Gehalt ist kein Schmerzensgeld, nur damit der Lebenslauf wieder mit zwei, drei weiteren Jahren gefüllt ist. Hier ist die innere Stimme die, auf die du hören solltest. Im nächsten Vorstellungsgespräch würde ich genau so damit umgehen – offen und ehrlich! „Das war es nicht“ und als Learning, mit Haken dahinter, verbuchen.

JOURNAL: „Gebrochen“ oder bunt: Muss ich mir bei Brüchen oder sogar Lücken im Lebenslauf überhaupt Sorgen machen?

Schiffgens: Lücken von zwei bis drei Monaten gehen immer. Auszeiten, Jobwechsel, Bewerbungsphasen, Weiterbildungen oder Reisen. Alles ist möglich! Eine gewisse Arbeitskontinuität sollte aber immer erkennbar sein. Im Medienbereich ist ein Jobhopping völlig o.k., in anderen Sparten wird man eventuell darauf angesprochen. Aber auch hier gilt es, die plausible Darstellung und die Learnings anzubringen, warum sollte man dich daher nicht einstellen?

JOURNAL: Warum bleiben Mitarbeitende? Wie finden und binden journalistische Arbeitgeber die richtigen Kandidatinnen und Kandidaten für ihr Unternehmen?

Schiffgens: Das hat meiner Meinung ganz viel mit intrinsischer Motivation zu tun. Ein Bonus oder Ähnliches ist fein, aber Anerkennung und die eigene Meinung einzubringen, Entscheidungen mitzutragen oder kreativ am Unternehmen mitzuwirken, beflügelt manche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter viel mehr als Geld. Hier wünsche ich mir oft ein wenig mehr Input im Vorstellungsgespräch. Bewerberinnen und Bewerber trauen sich oft nicht, ihre Wünsche kundzutun. Da liegt der Ball bei der HR-Abteilung, nach ihren Vorstellungen zu fragen. Dabei zeigt sich dann auch, ob der Job gegebenenfalls nur eine Station sein wird oder ob längerfristig gedacht wird.

JOURNAL: Was brauchen Menschen, um sich zu entwickeln?

Schiffgens: Das kommt natürlich immer aufs Individuum und die Umstände an. Aber ich denke, ein gutes Mentoring, Vorbilder, gute Zuhörerinnen und Zuhörer sowie eine gewisse Entscheidungsfreiheit helfen dabei sehr. Viele Unternehmen etablieren gerade eine Fehlerkultur. Dieses „einfach mal machen“ kostet zwar im ersten Moment Kapazitäten, Zeit und Geld, aber der Entwicklungsprozess der einzelnen Mitarbeitenden oder des Teams ist im Anschluss nicht zu bezahlen.

JOURNAL: Wie entstehen „gute Arbeitsbedingungen“?

Schiffgens: Die Frage ist, wie und von wem werden sie definiert? Dürfen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier schon mitentscheiden oder sind die Bedingungen vorgegeben? In agilen Teams ist die Leistungsbereitschaft immens höher als in den Büros, wo jeder nur seinen Dienst nach Vorschrift macht. Angespornt von Gemeinschaft geht so viel mehr. Dazu sollte es einen Ausgleich zur Work-Life-Balance geben, vor allem für die nachkommenden Generationen.

JOURNAL: Wie können Arbeitnehmer- und Arbeitgeber-Seite gemeinsam einen „Lebens-Arbeitsplan“ gestalten, sodass in jeder Lebensphase Anforderungen und Bedürfnisse beider Parteien gleichermaßen bedient werden?

Schiffgens: Die Frage ist, ob Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen Lebensplan möchten und wenn ja, ab welchem Alter? Sicherheit spielt bestimmt eine Rolle, aber ich wollte mich nicht die nächsten zwanzig Jahre binden wollen. Für die „Jungen“ sind die Entwicklungsmöglichkeiten wichtig: Wie sind die Karriereaussichten im Unternehmen? Für Eltern zählen gegebenenfalls eher die Angebote für Jobsharing oder Teilzeit. Danach ist die Frage, kann ich in diesem Unternehmen „sicher alt“ werden. Welche Unternehmen diese Dinge alle zur Zufriedenheit darlegen können, wird sich in Zukunft zeigen. Es bleibt also spannend!

JOURNAL: Was wäre also das Fazit?

Schiffgens: Höre immer wieder auf deine innere Stimme und reflektiere die aktuelle Situation. Hab den Mut zur selbstbestimmten Veränderung, bevor die Veränderung von außen kommt und du plötzlich unvorbereitet neue Wege gehen musst. Sei bereit, die nötigen Schritte zu gehen und deinen Radius zu verlassen. Dafür kannst du dir immer Unterstützung holen, falls nötig. Glaub an dich, definiere deine Ziele und starte überlegt – eher heute als morgen!||

Die Fragen stellte Andrea Hansen.

Der Beitrag ist Teil des Titelthemas „Medienkarrieren heute“. Weitere Texte sind „Auf zu neuen Ufern“ und „Wie es miteinander weitergehen kann“.

 

Ein Beitrag aus JOURNAL 4/21, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im August 2021.