Sie hatte hier und da mal ihre Tücken, die Technik. Doch unterm Strich hat alles geklappt: Zum ersten Mal hat der DJV-NRW seinen Gewerkschaftstag digital ausgerichtet. So konnten die Mitglieder am 22. August verteilt über ganz NRW an der Videokonferenz teilnehmen und per Knopfdruck über eine eigene App die Mitglieder der Fachausschüsse sowie die Delegierten für den Bundesverbandstag wählen und über die Anträge abstimmen.
Zwei Themen weckten dabei besondere Aufmerksamkeit: die Irrungen und Wirrungen rund um die Corona-Soforthilfen für Freie und die vermehrten An- und Übergriffe auf Journalistinnen und Journalisten. Rückenwind gab es zudem für die Positionsbestimmung des DJV-NRW im Zukunftsprozess.
So ganz virtuell lief der Gewerkschaftstag dann aber auch in Coronazeiten nicht ab: Während es sich die Mitglieder vor dem heimischen Rechner bequem machten, versammelten sich in Düsseldorf die Mitglieder des Landesvorstands samt Präsidium sowie Zähl- und Antragskommission, unterstützt vom Team der Landesgeschäftsstelle. Coronakonform saßen die rund 20 Akteurinnen und Akteure in einem großen Saal, der normalerweise Platz für mehr als hundert Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Gewerkschaftstags geboten hätte. Zueinander fanden alle im virtuellen Besprechungsraum, der die Kamerabilder aus Wohnzimmern, Küchen und Gärten mit denen aus dem Düsseldorfer Tagungsraum zusammenführte. Auch der Bundesvorsitzende Frank Überall überbrachte sein virtuelles Grußwort aus dem eigenen Büro in Köln.
Neu und doch vertraut
So ungewohnt dies einerseits war, so vertraut war dann doch der Ablauf des Gewerkschaftstags. Unter Regie des souveränen Tagungspräsidiums mit Jörg Prostka, Kai Heddergott und Nicola Balkenhol legten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bis zum späten Nachmittag gemeinsam den Kurs für die Zukunft fest: Berichte, Verabschiedung des Haushalts, Wahlen der Fachausschüsse und der Delegierten für den Verbandstag und nicht zuletzt die Anträge.
Wie immer wurde diskutiert und auch mal gestritten. Die Wortmeldungen wurden nicht per Handzeichen oder Karte angemeldet, sondern über die App, die auch die Abstimmungen ermöglichte. Was allerdings fehlte, waren der persönliche Austausch und das Netzwerken – mal eben einen Schwatz von Sitzreihe zu Sitzreihe zu halten oder vor dem Tagungsraum zusammen einen Kaffee zu trinken.
In seiner Eröffnungsansprache blickte der Landesvorsitzende Frank Stach morgens zunächst auf das Jahr 2019 zurück: „Was wir in dem einen Jahr alles gemacht und getan haben, das war und ist eine Menge.“ Stach zählte Tarifverhandlungen und Streiks auf, den Einsatz für Freie und Angestellte, das Engagement für die Medienvielfalt, vor allem gegen den fortschreitenden Konzentrationsprozess bei den Tageszeitungen in NRW und für die Sicherung des Lokalfunksystems.
Auch 2020 reißen die schlechten Nachrichten aus der NRW-Medienlandschaft nicht ab: In Ostwestfalen will die Westfalen-Blatt-Gruppe aus dem Tarif ausscheren. Im Vest übernimmt der Dortmunder Verlag Lensing das Medienhaus Bauer. Und bei der Deutschen Welle stockte zum Unmut der Beschäftigten die Tarifverhandlungen.
Und dann natürlich Corona …
Hinzu kam seit März die Coronakrise, die Journalistinnen und Journalisten viel abverlangt hat. Die immense Nachfrage nach verlässlichen lokalen und regionalen Informationen galt es bei deutlich erschwerten Arbeitsbedingungen, zum Teil sogar in Kurzarbeit zu befriedigen. Umso wichtiger sei es gewesen, bekräftigte Stach, dass die Landesregierung Journalistinnen und Journalisten entprechend den Forderungen des DJV-NRW als systemrelevant eingestuft habe. So konnte etwa die drängende Frage der Kinderbetreuung geklärt werden.
Wenig erfreulich nannte Stach den Umgang mit freien Kolleginnen und Kollegen in der Krise. „Missverständliche und zum Teil widersprüchliche Aussagen zur Corona-Soforthilfe legten zusätzliches Blei auf die Schultern derjenigen, die an der Krise womöglich am schwersten zu tragen hatten“, kritisierte der Landesvorsitzende. „Hier hat sich gezeigt, wie wertvoll der DJV ist.“ Stach lobte vor allem die hervorragende Beratungs- und Informationsleistung des Teams der Geschäftsstelle. „Ihr wart für viele Kolleginnen und Kollegen draußen der rettende Anker.“
Dass auch der Landesvorstand gute Arbeit geleistet hatte, bestätigte der Gewerkschaftstag: Mit großer Mehrheit erteilte er Frank Stach, Andrea Hansen, Kristian van Bentem, Pascal Hesse, Barbara Löcherbach, Andrea Donat, Katrin Kroemer, Stefan Lenz und Thomas Schwarz die Entlastung für 2019 und verabschiedete den Haushalt für das laufende Jahr.
Verbesserte Soforthilfen
Die Pandemie bedingte nicht nur die neue Form des Gewerkschaftstags, sie fand auch ihren Niederschlag in Redebeiträgen und nachmittags in der Beratung der Anträge. Einstimmige Unterstützung gab es für den Antrag mit der Forderung nach verbesserten Corona-Soforthilfen, die der Lebens- und Arbeitswirklichkeit freiberuflich tätiger Journalistinnen und Journalisten entsprechen müssten.
Der Gewerkschaftstag verabschiedete zudem die Forderung nach Unterstützung der freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Deutschen Welle (DW) und dem Deutschlandradio (DLR). Wegen der Regelungen im Bundespersonalvertretungsgesetz werden diese bisher nicht von den Personalräten vertreten. Eine entsprechende Änderung dieser Regelung fordert der DJV schon lange, unabhängig davon will der Landesverband die Freien an den Senderstandorten Bonn (DW) bzw. Köln (DLR) nun noch klarer dabei unterstützen, sich zu organisieren und ihre Interessen in den Häusern zu artikulieren.
Darüber hinaus sprach sich der Gewerkschaftstag dafür aus, den FAIRhaltenskodex zur vertrauensvollen Zusammenarbeit von Festen und Freien zu aktualisieren. Als der Kodex 2013 verabschiedet wurde, standen Themen wie angemessene Honorare und transparente Auftragsvergabe und -abwicklung im Mittelpunkt. Die sind natürlich weiterhin wichtig, aber inzwischen sind zum Beispiel auch Fragen der Sicherheit und des Arbeitsschutzes in den Fokus gerückt. Die Teilnehmenden überwiesen den Antrag an den Fachausschuss Freie, damit dieser einen Antrag für den Verbandstag im November formuliert.
Besserer Schutz ist unerlässlich
Besseren Schutz von freien und festangestellten Journalistinnen und Journalisten bei ihrer Berufsausübung fordert auch die Resolution, die der Geewerkschaftstag am Nachmittag verabschiedete. „Die zunehmende Bedrängung, Behinderung und tätliche Bedrohung von Kolleginnen und Kollegen, vor allem am Rande von Demonstrationen und Kundgebungen, ist für uns weder akzeptabel noch länger hinnehmbar“, machte Stach deutlich.
Der Appell der Resolution richtet sich gleichermaßen an Auftrag- und Arbeitgeber sowie an Polizei und Ordnungskräfte. Der DJV-NRW betont damit einmal mehr, dass ein besserer Schutz unerlässlich ist.
Wichtige Signale setzte der Gewerkschaftag auch beim Thema Lokalfunk: Lokalradios sind eine wichtige Informationsquelle und zudem ein Vielfaltsfaktor. Das gilt spätestens, seit in vielen Städten und Landkreisen in NRW nur noch eine lokale Tageszeitung erscheint, die teils sogar noch erhebliche Teile ihrer Inhalte zukauft. Gerade in der Krise brauchen die Lokalsender Unterstützung.
Lokalfunksystem sichern
Darüber hinaus macht sich der DJV-NRW weiterhin für den Fortbestand des Lokalfunksystems stark. Dabei geht es um den Erhalt der Arbeitsplätze, aber auch um die Forderung, keine Kürzungen im Sendebetrieb vorzunehmen. „Neue Organisationsformen sollen nicht ausgeschlossen, sondern gefördert und aktiv mitgestaltet werden“, heißt es in dem verabschiedeten Antrag weiter. Nach Vorstellung des DJV-NRW sollen in den Prozess die Mitglieder in den Sendern sowie in den Veranstaltergemeinschaften einbezogen werden, ebenso der Verein der Chefredakteure.
Um Medienvielfalt ging es auch in einem weiteren Antrag. So wird sich der DJV-NRW bei der Poltik auf Landes- und Bundesebene dafür einsetzen, dass Hilfen an Medienhäuser künftig an bestimmte Kriterien zur Beschäftigung fester und freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geknüpft werden. Dies soll helfen, der Forderung nach mehr Diversität und Vertretung verschiedener Blickwinkel in der Berichterstattung gerecht zu werden.
Der Gewerkschaftstag sprach sich unter anderem für eine neue Schnuppermitgliedschaft aus und forderte eine ausreichende finanzielle Ausstattung für die WDR-Lokalzeiten. Die Redaktionen dürften nicht länger aus Kostengründen darauf angewiesen sein, Beiträge von anderen Lokalzeiten zu übernehmen, um ihre Sendezeit zu füllen. Dazu passend machte sich der DJV-NRW auch bei Politikerinnen und Politikern aller Parteien und Fraktionen in den Landtagen dafür stark, die dringend erforderliche Beitragserhöhung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht unter dem Vorwand der Coronapandemie zu verschieben oder zu blockieren. Ähnlich wie beim Lokalfunk geht es um Arbeitsplätze und Auftragsvolumen für freie Journalistinnen und Journalisten, aber auch um die Fragen der regionalen Information, der Meinungsvielfalt und demokratischen Willensbildung.
Ein Dauerbrenner sind auch die prekären Arbeitsbedingungen durch Kettenbefristung von Arbeitsverträgen bei Fernsehproduktionsgesellschaften. Letzere erstellen im Auftrag einen wachsenden Teil des Programms der privaten und der öffentlich-rechtlichen Sender und beschäftigen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter häufig mit einer Vertragsdauer von wenigen Monaten. Das erschwert die Lebensplanung der betroffenen Kolleginnen und Kollegen und hebelt zugleich die Tarifverträge aus, die der DJV mit Sendeanstalten geschlossen hat. Der DJV-NRW wird dieses Thema über seinen Fachausschuss Rundfunk weiter verfolgen.
Die Zukunft gestalten
Ist der DJV als Gewerkschaft und Berufsverband heute nur noch damit beschäftigt, weitere Verschlechterungen bei den Arbeitsbedingungen und der Medienvielfalt abzuwehren? Nein, es muss auch darum gehen, die Zukunft positiv zu gestalten. Um die eigenen Perspektiven und Möglichkeiten zu erkunden und sich dynamisch weiterzuentwickeln, hatte der DJV-NRW deswegen im vergangenen Jahr seinen groß angelegten Zukunftsprozess gestartet und dabei Mitglieder und auch Nichtmitglieder eingebunden. Zahlreiche Aktive bringen sich hier dauerhaft ein, um zu erkunden, wie der DJV-NRW noch besser werden kann (siehe zuletzt JOURNAL 2/20, „Reise zum (Marken-)Kern“).
Drei Attribute haben sich bei dem Prozess herauskristallisiert, die den weiteren Weg des DJV-NRW leiten und prägen werden: unabhängig, wegweisend, solidarisch. Beim digitalen Gewerkschaftstag stimmten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nun dem Antrag zu, diese Kernwerte zu verankern und den DJV-NRW in diesem Sinne weiterzuentwickeln.
Ganz unabhängig vom Zukunftsprozess hat sich der DJV-NRW – wie viele andere Organisationen und Unternehmen – in den vergangenen Monaten einem Modernisierungsschub unterzogen, wie der Landesvorsitzende Frank Stach auch im Editorial zum JOURNAL 4/20 beschrieben hatte: mehr digitale Zusammenarbeit, virtuelle Gremiensitzungen für Landesvorstand, Fachausschüsse und Ortsvereine. Und nun die gelungene Premiere des virtuellen – oder eigentlich hybriden – Gewerkschaftstags.
„Eine solche Veranstaltung als Mischung von Präsenz- und Onlineteilnahme zu organisieren war für uns ein Novum“, sagt DJV-NRW-Geschäftsführer Volkmar Kah und zieht eine positive Bilanz (siehe auch Kasten unten „Drei Fragen“). „Es war spannend zu sehen, wie viele Mitglieder sich über diese neue Form eingebracht haben. Daher kann ich mir gut vorstellen, dass wir als DJV-NRW auch in Zukunft auf solche Formate setzen.“ ||
Drei Fragen an Volkmar Kah
JOURNAL: Ist der digitale Gewerkschaftstag ein Modell für die Zukunft?
Volkmar Kah: Es ist einfach so, dass das persönliche Gespräch nur schwierig zu ersetzen ist. So ein Gewerkschaftstag ist ja mehr als das reine Abstimmen über Anträge oder die Entlastung des Vorstands. Er lebt auch durch die kleinen Gespräche am Rand. Trotzdem hat die Online-Teilnahme auch Vorzüge.
JOURNAL: Welche Vorzüge sind das?
Kah: Es ermöglicht auch denjenigen die Teilnahme, die an dem Tag vielleicht nicht anreisen können. Zum Beispiel, weil es manchmal eine Herausforderung ist, die Kinderbetreuung für einen ganzen Tag zu organisieren. Am Bildschirm ist die Teilhabe und Mitbestimmung auch dann möglich. Das ist natürlich ein dickes Plus.
JOURNAL: Gibt es also eine Wiederholung?
Kah: Wir haben durch die erste Veranstaltung viel gelernt. Wo es gut läuft, wo noch Luft nach oben ist. Dabei sind sicherlich auch Anregungen für die Zukunft amgefallen, nicht zuletzt durch den Input und die Rückmeldungen der Teilnehmenden. Wir haben viel positives Feedback erhalten. Welche Formate sich auch nach der Coronazeit etablieren, wird sich in den kommenden Monaten herauskristallisieren.
Die Fragen stellte Mareike Weberink.
Ein Beitrag aus JOURNAL 5/20, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Oktober 2020.