Ist der Journalismus in Deutschland zu elitär? Zu männlich? Zu weiß? Woran liegt es, dass so wenige Redaktionen divers besetzt sind? Fragen, die zum Auftakt von #durchstarten21, dem Branchentreff für junge Medienschaffende, lebhaft diskutiert wurden. In diesem Jahr wurde der Treff online und erstmals an zwei Tagen ausgerichtet. Eine gute Entscheidung, wie sich herausstellte: #durchstarten21 endete mit einer Rekordzahl an Teilnehmenden. Mehr als 150 junge Menschen wählten sich ein. Und erlebten schon am Freitagabend eine lebendige Session zu einem drängenden Thema: Mehr Diversität in Redaktionen – wie schaffen wir das?
Wer kann sich den Einstieg leisten?
Wo sind sie, die Studienabbrecher, Kinder aus Nicht-Akademiker-Haushalten oder aus der migrantischen Community, fragte Nhi Le, Volontärin beim NDR. Liegt es an den vielen unbezahlten Praktika, die man sich leisten können muss? „Zeugnisse und Abschlüsse interessieren mich erst mal überhaupt nicht“, sagt Sinan Sat, Redaktionsleiter bei der WAZ aus Gelsenkirchen: „Wenn das Anschreiben nicht total Banane ist, kann jeder mal vorbeikommen und ‘nen Kaffee trinken. Ich gucke da nicht auf den Namen, das Alter oder ob das eine Frau oder ein Mann ist. Das ist nicht meins, das interessiert mich nicht. Ich will den Menschen dahinter greifen.“
Dass die Realität auch anders aussehen kann, wissen die anderen in der Runde. Mohamed Amjahid berichtet von einem Dutzend Praktika, die er während des Studiums absolviert hat. Abby Baheerathan hatte seinen ersten Kontakt mit Journalismus über eine Jugendredaktion. Heute macht er ein Volontariat beim WDR. Einem Sender, den Nhi Le etwa für das Format „Grenzenlos“ lobt. Damit werde die ganze migrantische Community angesprochen. „So etwas sollte es eigentlich bei jedem Sender geben.“ Für Nhi Le ist klar: „Wer das Gefühl hat, in den Medien nicht vorzukommen, kommt auch nicht auf die Idee, sich dort zu bewerben.“ Aus diesem Grund sei „Nachwuchsförderung superwichtig, um im Journalismus auch die gesamte Gesellschaft abbilden zu können“ – mit all ihren Perspektiven und Hintergründen.
Doch nicht nur den Nachwuchs sehen die jungen Medienschaffenden in der Pflicht: „Die Entscheider sind nicht divers“, benennt Amjahid ein aus seiner Sicht weiteres Problem. Und Abby Baheerathan ergänzt: „In Seminaren für Volos spielen Migration, Herkunft oder Diversität eine Rolle. Dabei sind die Volos die diversesten in den Häusern. Sie machen die Kurse, die die älteren Festangestellten mal machen sollten, wenn die Häuser wirklich ein Umdenken anstoßen wollen.“
Tipps aus der Praxis
Schreiben, recherchieren, fotografieren und online bedienen – alles Fähigkeiten, die jungen Medienschaffenden vermittelt werden. Doch beim Start in den Journalismus prasselt noch viel mehr auf Kolleginnen und Kollegen ein: Steuern, Versicherungen, VG Wort oder Künstlersozialkasse (KSK) sind da nur einige Beispiele. Daher widmeten sich gleich mehrere Sessions ganz konkreten Praxistipps.
Timo Stoppacher referierte zum Thema KSK, gab einen Überblick über Krankenkassenbeiträge, Rente und Pflegeversicherung. Und betonte immer wieder, wie wichtig es ist, nicht nur für Selbstständige, auch privat vorzusorgen – bis hin zur Absicherung der Berufsunfähigkeit.
Dass man dringend auch für Zeiten vorsorgen muss, in denen mal kein Geld in die Kasse kommt, erklärte die freie Journalistin Nora Hespers. Ihr Thema: Honorare berechnen. Für ein halbes Jahr, so die freie Sportjournalistin, habe sie Rücklagen gebildet. Denn Freie, die nicht entsprechend vorsorgen oder freiwillig in die Arbeitslosenversicherung einzahlen, können „ganz schnell auf Hartz IV zurückfallen“. Den Vorteil der freiwilligen Arbeitslosenversicherung erläuterte Stoppacher: Man sei „im Fall des Falles abgesichert, und die Krankenversicherung wird auch getragen“.
Ein weiterer Rat von Hespers an Freie: „Immer direkt 30 Prozent des Bruttoverdienstes auf die Seite legen für die Steuern.“ Auch für die Erholungsphasen hatte Hespers einen Tipp parat: „Legt Geld für den Urlaub zurück. Und zwar nicht nur für die Reise. Wer Urlaub macht, verdient in der Zeit kein Geld.“
Und wenn die Recherche mal länger dauert und das Geld dafür fehlt? Dazu hatte Annelie Naumann vom Netzwerk Recherche in der Session zu Stipendien und Co. die passenden Tipps. Ihr ebenso naheliegender wie wichtiger Rat ganz zu Anfang: „Die Ausschreibung genau lesen.“ Sie ermunterte auch zum Nachfragen, falls es mit der Bewerbung ums Stipendium nicht klappen sollte. Vielleicht ließe sich noch nachbessern. Wenn nicht, dann „weiß man für die Zukunft, was besser gemacht werden kann“.
Fest überzeugt: Print funktioniert
Wie wichtig ein gesundes Durchhaltevermögen für Selbstständige am Anfang ist, erfuhren die Teilnehmenden im Workshop des Journalismus Lab der Landesanstalt für Medien mit den Gründerinnen und Gründern von Tema Magazine und Good News Magazine. Lucia Oiro: „Am Anfang ist es ein Auf und Ab.“ Davon sollte man sich nicht entmutigen lassen, sondern Unterstützung suchen. Doch die Macherinnen und Macher vom Good News Magazine schauen optimistisch in die Zukunft. Es soll nicht nur digital erscheinen, sondern möglichst auch als gedrucktes Magazin. David Gaedt zeigte sich „fest davon überzeugt, dass Print funktioniert, wenn man es richtig macht“. Auch wenn Tageszeitungen nicht mehr so gut funktionierten und vielleicht weiter an Druckauflage verlören: „Aber ein Printmagazin, das nur viermal im Jahr erscheint, hat Zukunft.“
Mit einem anderen Zukunftsthema beschäftigte sich die Session von Dialog Milch, dem Hauptsponsor der Veranstaltung. Gemeinsam wurden Chancen, Möglichkeiten und Risiken im ländlichen Raum betrachtet und nach einer virtuellen Spielerunde, um die Zuschauenden ein wenig aufzulockern, wurde über Schlagzeilen und Themen beraten.
Das Netz noch besser verstehen
Was funktioniert im Netz und wo lauern Stolperfallen? Darüber berichtete unter anderem Hannah Monderkamp von der Rheinischen Post (RP). Seit neun Monaten produziert sie mit ihrem Team Videos für TikTok. „Wir haben vorher viel diskutiert“, räumt Monderkamp ein. Denn: „Es ist ein chinesisches Unternehmen und das ist natürlich etwas, über das man sprechen muss.“ Da es aber eine sehr schnell wachsende Plattform sei, habe man sich bei der RP für den Einstieg entschieden.
Seitdem werden Videos produziert und erreichen zum Teil mehrere hunderttausend Abrufe. Dabei greift das Team auf RP-Artikel als Grundlage zurück. „Im Normalfall nehmen wir den Artikel und schreiben da ein Script zu. Davon dreht dann einer aus dem Team ein Video.“ Als Beispiel nennt sie das Stück „Impfstoff J&J ungenügend“. Auf TikTok erklärt die RP dann, was hinter der Nachricht steckt und ob sie wahr oder falsch ist.
Zu den Learnings der zurückliegenden Monate gehört sicherlich, dass die Nutzeroberfläche mitunter hakelig zu bedienen ist und dass sich die in der App erstellten Videos nicht zur Kontrolle verschicken lassen.
Infos müssen snackable sein
Ein anderer Kanal, nämlich Instagram, stand bei der Session mit Johanna Nöllgen, Jule Zentek und Selina Marx von klima.neutral (WDR) auf dem Programm. Besonders gut, so ihre Erfahrung, kommen die sogenannten Infopostings an. Selina Marx: „Keine Angst vor trockener Kost, keine Angst vor Zahlen.“ Bei der Frage „Woher kommt eigentlich Lithium und warum ist das ein Problem“ dächten viele, solche Themen seien überhaupt nicht „entertainmentmäßig“. „Aber das stimmt nicht, unsere Community will informiert werden.“ Das Wichtige sei, dass die Informationen „snackable“ seien, also gut als Info-Häppchen serviert werden können.
Marx machte auch deutlich, wo die Grenzen ihrer Berichterstattung liegen: „Wir diskutieren auf unserem Kanal nicht, ob die Klimakrise menschengemacht ist, das ist wissenschaftlicher Standard. Wir diskutieren ja auch nicht, ob die Erde eine Scheibe ist.“
Dass Journalistinnen und Journalisten Informationen auf den unterschiedlichsten Kanälen anbieten können, gehört mittlerweile zum Standard. Ohne crossmediale Ausrichtung wird es zunehmend schwierig, das wurde auch in der Session zu Wirtschafts- und Wissenschaftsjournalismus mit dem Institut für Journalistik der TU Dortmund deutlich.
Rund um das Thema Experten drehte sich auch die Session des Informationsdienstes Wissenschaft (idw). Referent Patrick Bierther erklärte, wie Medienschaffende Expertinnen und Experten zu Sachthemen finden und woran sie deren Expertise erkennen können. Denn nur, weil eine Person etwa im Netz als Wissender auftritt, heißt das noch lange nicht, dass er oder sie wirklich vom Fach ist.
WDR-Kollege David Ohrndorf beeindruckte in seiner Session mit Virtual-Reality(VR)-Projekten. Das Steinkohlebergwerk Prosper Haniel sei zwar inzwischen zugeschüttet, doch durch den VR-Rundgang des WDR können Interessierte dauerhaft erleben, wie in Deutschland Kohle gefördert wurde. Denn zu den Stärken von VR gehört es, eigentlich „verschlossene“ Orte und Situationen zugänglich zu machen. Dabei offenbart sich aber auch eine Schwäche von VR: „Information und Argumentation“, erklärt Ohrndorf, „sind in VR schwer zu vermitteln“. Im Gegensatz zu anderen journalistischen Formaten könnten die gezeigten Bilder bei VR schlecht in einen Kontext eingebettet werden.
Die Veranstaltung #durchstarten21 wurde vom Fachausschuss Junge Journalist:innen organisiert. DJV-NRW-Geschäftsführer Volkmar Kah spart nicht mit Lob: „Ich bin von dem Programm wirklich beeindruckt gewesen. Es ist ganz toll, was auf die Beine gestellt wurde. Und noch besser ist es, dass die viele Arbeit durch eine so große Zahl an Teilnehmenden belohnt wurde.“||
Ein Beitrag aus JOURNAL 6/21, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Dezember 2021.