THEMA | Über die AfD berichten

Es geht um das Wie

Redaktionen suchen nach dem angemessenem Umgang mit der AfD
29. Juli 2025, Corinna Blümel
Die WAZ-Redaktion in Gelsenkirchen springt nicht über jedes Stöckchen, sagt Lokalchef Sinan Sat.

Klar ist: Die Partei ist keine wie andere“, sagt Sinan Sat, Redaktionsleiter der WAZ in Gelsenkirchen, über die AfD. „Aber wir wollen sie nicht schneiden, ignorieren oder klein machen. Das ist nicht unsere Aufgabe. Wir berichten nachrichtlich sauber, ordnen ein, zeigen die Hintergründe. Das ist der Rahmen, den wir uns als WAZ gegeben haben.“ Die Einstufung durch den Verfassungsschutz, das gegebene Stillhalteabkommen und das noch ausstehende Urteil nach der Klage der AfD änderten nichts daran.

Das sehen viele ähnlich, ob in lokalen, landes- oder bundesweiten Medien. Etwa Niklas Wieczorek, Leiter der Stadtredaktion Münster bei den Westfälischen Nachrichten (WN). Es sei nicht Aufgabe des Journalismus, Parteien „aktiv zu ignorieren oder proaktiv so über sie zu berichten, dass ihre Wahlchancen sinken“.

Muss sich etwas ändern?

In den Redaktionen der Republik wird schon lange über den professionell richtigen Umgang mit der AfD diskutiert. Neu befeuert hat diese Auseinandersetzung das Gutachten des Verfassungsschutzes, in dem er die Partei als „erwiesen rechtsextremistische Bestrebung“ bewertet. Zwar gibt es dazu zurzeit noch ein Stillhaltezusage der Behörde gegenüber der AfD und ein Urteil steht noch aus. Aber die Frage stellt sich neu: Müsste sich der journalistische Umgang mit der Partei nach dieser Einstufung ändern?

Eine Frau schaut seitlich mit ernstem Gesicht in die Kamera. Sie ist Brillenträgerin und hat kurze mittelbrauche Haare. Die Frau sitzt auf einem Sessel und hat ein buch auf den Knien liegen, im Hintergrund ist ein rprivater Raum zu shen, links ein gut gefülltes Bücherregal.
Dr. Nicola Balkenhol, Leiterin Online / Multimedia im Deutschlandradio.

Das bereitet unter anderem Nicola Balkenhol, Leiterin der Abteilung Multimedia / Online im Deutschlandradio, Kopfzerbrechen. Es sei zwar unumgänglich, dass die größte Oppositionspartei im Programm abgebildet wird und zu Wort kommt. „Aber heißt das, dass wir sie wirklich gleich behandeln sollten wie jede andere Partei?“, fragt Balkenhol und fordert dazu eine breitere Diskussion in der Branche – und besonders im öffentlich-rechtlichen Rundfunk (siehe auch „Das Grau ausleuchten“).

Formal ergibt sich keine Verpflichtung

Das Meinungsspektrum dazu ist maximal breit und reicht von „behandeln wie jede andere Partei“ bis „komplett von der Berichterstattung ausschließen, um ja keine Plattform zu geben“. Für jede der Positionen lassen sich prominente Stimmen finden.

Dabei richtet sich die Einstufung der AfD als gesichert rechtsextremistisch vorrangig an die Sicherheitsbehörden, weil sie deren Befugnisse erweitert. Rein rechtlich ergibt sich aus dem Gutachten keine Verpflichtung für Medien, ihre Berichterstattung zu ändern. Presse- und Rundfunkfreiheit bleiben unangetastet. Trotzdem schaut auch die Medienbranche kritischer auf ihr eigenes Tun – öffentlich, aber auch redaktionsintern.

Die Medienstrategie der AfD ist bekannt: Mit gezielten Provokationen hat sie ihr zentrales Thema Zuwanderung über Jahre im Gespräch gehalten. Empörte Reaktionen etablierter Parteien und Medien waren und sind willkommen, weil sie das Opfernarrativ und damit das Zusammengehörigkeitsgefühl der Anhängerinnen und Anhänger stärken: „Wir gegen die“.

Zwar haben Journalistinnen und Journalisten diesen Mechanismus verstanden, aber er funktioniert bis heute: Spätestens, wenn ein Tabubruch in den sozialen Medien für heftige Diskussionen sorgt, fühlen sich viele Redaktionen in der Pflicht, ihn eben doch aufzugreifen.

Ein Mann mit Brille und skeptischem Gesichtsausdruck sitzt an einem Tisch. Er trägt ein helles Hemd und ein dunkles Jackett. Neben ihm steht eine Vase mit Papierblumen.
Medien sollten sich der Wirkung ihrer Formate bewusst sein, fordert Politikwissenschaftler Cord Schmelzle. | Foto: Jürgen Bauer

Immer ein Beitrag zur Normalisierung

Aber egal ob Medien die jeweilige Aussage kritisch, aufklärerisch, mit Verständnis für die Sorgen oder auch noch so sachlich und neutral behandeln: Sie tragen damit dazu bei, diese Position zu normalisieren. Denn so werden „diese Ideen und Haltungen in den öffentlichen Diskurs eingespeist und damit normalisiert“, erklärt Cord Schmelzle, Politikwissenschaftler am Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt an der Goethe-Universität Frankfurt (siehe Interview „Das Dilemma der Normalisierung verstehen“). Die Darstellung in Medien, die als seriös wahrgenommen würden, mache diese Positionen zum Teil des legitimen Meinungsspektrums und verleihe ihnen „Legitimität, weil die Glaubwürdigkeit der Medien auf sie übergeht“.

Ein Dilemma, aus dem Medien nicht herauskommen. Inzwischen sitzt die AfD längst in den Stadträten und Landtagen, seit Februar ist sie größte Oppositionspartei im Bundestag. Redaktionen kommen nicht umhin, sie bei vielen Gelegenheiten abzubilden.

Zugleich müssen Journalistinnen und Journalisten mit der Verachtung umgehen, die AfD-Politikerinnen und -Politiker sie oft spüren lassen, wie es Julia Rathcke erlebt, die seit zehn Jahren für die Rheinische Post über die AfD in NRW berichtet (siehe „Cool, calm  collected“). Und trotzdem: Um aus der Partei berichten zu können, „bleibt nichts anderes übrig, als mit allen zu sprechen, von denen man sich Erkenntnisgewinn verspricht“. Das gelte für die landespolitische Berichterstattung genauso wie für die bundespolitische, erklärt die Kollegin, die jüngst für einen ihrer Texte zum Thema mit dem Wächterpreis ausgezeichnet wurde.

Bei Zitaten zurückhaltend

Und wie sieht es im Lokalen aus? Zum erwähnten Rahmen, den sich die WAZ für den Umgang mit der AfD gesetzt hat, gehört der Verzicht auf Wortlaut-Interviews erklärt Redaktionsleiter Sinan Sat. „Und wir sind mit Zitaten im Falle der AfD zurückhaltender als bei anderen Parteien.“

Vor Ort in Gelsenkirchen achtet die Redaktion darauf, „nicht über jedes Stöckchen zu springen. Aber wir reden sachlich und höflich mit den lokalen AfD-Politikerinnen und -Politikern. Wir führen ganz normal Hintergrundgespräche. Im Lokalen geht es ja wirklich oft um Inhalte.“ Wenn man etwa über Autos ohne Zulassung schreibe, die massenhaft im öffentlichen Raum abgestellt würden, „dann setzen wir sicher nicht den Disclaimer zur Einordnung der AfD dahinter“.

Was die Leserinnen und Leser in der Ruhrgebietsstadt beschäftigt, weiß die WAZ-Redaktion aus Befragungen: Ordnung, innere Sicherheit, Integration. Sat: „Das waren schon immer die Themen in Gelsenkirchen, darüber haben wir schon berichtet, ehe die AfD hier groß wurde. Die kann man jetzt nicht ignorieren, weil sie auf die AfD einzahlen könnten.“

Gelsenkirchen ist bekannt für das gute Abschneiden der AfD. Elf von 88 Plätzen konnte sie vor vier Jahren im Stadtrat erringen. Auch wenn die Fraktion nur die viertgrößte und inzwischen leicht geschrumpft ist, schafft sie viel Unruhe im Rat, etwa indem sie Tagesordnungsdebatten manchmal extrem in die Länge zieht und so lächerlich macht.

Zudem errang die Partei bei der Bundestagswahl im Februar in Gelsenkirchen 24,7 Prozent der Zweitstimmen – der zweithöchste Anteil unter den westdeutschen Städten. Bei der Kommunalwahl im September könnte sie noch besser abschneiden.

Ein dunkelhaariger Mann mit Bart hockt auf einem Radweg, der in Regenfogenfarben gestrichen ist. Er trägt ein hellblaues Hemd, eine dunkle Hose und Sneaker.
In Münster hat die AfD bisher wenig Einfluss, erklärt Niklas Wieczorek, Lokalchef der Westfälischen Nachrichten. Da hilft es der Partei wohl auch nicht, Stimmung gegen den Radweg in Regenbogenfarben zu machen. | Foto: Bernd Arnold

„Geringe Wirkkraft“ in Münster

Ganz anders die Verhältnisse in Münster: Hier reichte es bei den Kommunalwahlen 2020 gerade mal für einen Platz unter 66 Ratsmitgliedern. Die Partei habe in der Stadt eine „geringe Wirkkraft“, sagt WN-Lokalchef Niklas Wieczorek. „Die AfD findet hier kaum statt. Entsprechend müssen wir im Lokalen nicht häufig über sie berichten.“ Eher sei es ein Spagat, die hohen Umfragewerte im Bund beziehungsweise das Gesamtergebnis bei der zurückliegenden Bundestagswahl mit den Werten in Münster in Beziehung zu setzen.

Die anstehenden Kommunalwahlen erfordern allerdings überall in NRW einen Blick darauf, ob Lokalredaktionen unter den aktuellen politischen Bedingungen ihre Vorberichterstattung anders gestalten sollten als früher.

Genauere und bessere Vorbereitung

Bei der WN sind die Journalistinnen und Journalisten aufgefordert, noch schärfer und präziser hinzuschauen – besonders bei den Parteien an den politischen Rändern, und zwar rechts wie links. Das besagt eine Leitlinie für die Berichterstattung vor der Kommunalwahl, die für das gesamte Verbreitungsgebiet der Westfälischen Medien Holding (WMH) gilt – also in Münster und dem Münsterland (unter anderem Münstersche Zeitung und Westfälische Nachrichten) sowie in Ostwestfalen (Westfalen-Blatt).

„Die Redaktionen prüfen die inhaltlichen Aussagen, die von Parteien kommen, natürlich immer, aber in diesen Fällen besonders gründlich“, erklärt Wieczorek. Um falschen oder sogar verfassungsfeindlichen Aussagen direkt begegnen zu können, sei für Gespräche auch „eine genauere und bessere Vorbereitung erforderlich“. Das gilt besonders für Live-Auftritte – also etwa bei redaktionellen Veranstaltungen vor der Wahl.

Die WN-Redaktion hat per Umfrage Kernthemen für die Kommunalwahl identifiziert und daraus Wahlprüfsteine entwickelt. Die Parteien sollen ihre Programmatik zu den einzelnen Punkten in pointierten Statements verdichten, die als solche veröffentlicht werden. „Vorher stellt die Redaktion natürlich sicher, dass keine inhaltlich falschen oder sogar verfassungsfeindlichen Aussagen darunter sind.“

Die Einordnung der Wahlprogramme findet in der allgemeinen Berichterstattung im Vorfeld der Wahl statt. Unter den bisher acht Kandidaturen für die Oberbürgermeisterwahl für Münster ist zum Zeitpunkt des Gesprächs (Anfang Juli) keine von der AfD bekannt.

Keine Homestorys in Gelsenkirchen

In Gelsenkirchen hat die AfD natürlich einen OB-Kandidaten aufgestellt, und Sinan Sat rechnet damit, dass der in die Stichwahl kommt. „Aber gewinnen wird er die nicht.“

Auch die WAZ Gelsenkirchen hat bei ihren Leserinnen und Lesern die wahlentscheidenden Themen erfragt und spielt diese an die Parteien. Deren Antworten überprüft die Redaktion auf sachliche Richtigkeit, druckt sie aber nicht als isolierte Statements ab, sondern verarbeitet sie in der einordnenden Berichterstattung.

Grundsätzlich wolle die Lokalredaktion Gelsenkirchen ihre Berichterstattung vor der Wahl auch nicht zu sehr auf die Partei zu fokussieren. „Wir nehmen lieber die potenziellen Wählerinnen und Wähler in den Blick und schauen, warum sie ihr Kreuz so setzen würden. Welche Probleme gibt es, wer bietet welche Lösungen an?“

Formatbewusstsein entwickeln

„Worauf wir verzichten werden – und zwar für alle OB-Kandidatinnen und -Kandidaten – sind Wortlaut-Interviews und natürlich Homestorys oder der Gang zum Lieblingsplatz in der Stadt“, erklärt Sinan Sat. „Der Mehrwert solcher Formate ist sowie eher gering.“

Der Verzicht der WAZ auf bisher übliche Formate zur Vorstellung von Kandidatinnen und Kandidaten deckt sich mit einer Empfehlung des Politikwissenschaftlers Schmelzle. Denn auch wenn Medien – siehe oben – zur Normalisierung beitragen, sobald sie die AfD selbst oder ihre Thesen und Themen zum Gegenstand machen, sollten sie „Formatbewusstsein“ entwickeln, wie er es nennt. „In einem politischen System, in dem die stärkste bis zweitstärkste Partei je nach Umfragestand gesichert rechtsextremistisch ist, scheint es mir geboten, etablierte Formate zu überdenken.“

Zwar sei nachvollziehbar, dass viele wissen wollten, von wem sie regiert werden. Aber das gefühlige Sommerinterview oder das menschelnde Porträt, in dem Frau Weidel als netter Mensch rüberkommen darf, hält er für schädlich. „Diese Formate funktionieren ja nur sympathieerzeugend. Sie geben strukturell keinen Raum für kritische Auseinandersetzungen.“

Aus seiner Sicht ein grundsätzliches Problem und gegenüber politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern „einfach die falsche Haltung im Journalismus“: „Wenn man zeigt, wie Friedrich Merz durchs Sauerland radelt und freundlich mit dem Bauern spricht, funktioniert es irgendwie schlecht, anschließend nach der Kindergrundsicherung zu fragen.“

Sachgerecht und ausgewogen

Das Beispiel führt zurück vom Lokalen zur Bundespolitik – und zu den großen Sendern. ARD, ZDF und Deutschlandradio sind laut Rundfunkstaatsvertrag verpflichtet, das gesamte politische Spektrum sachgerecht und ausgewogen abzubilden. Zum öffentlich-rechtlichen Auftrag gehört selbstverständlich die Berichterstattung über alle Parteien, die im Bundestag und in Landesparlamenten vertreten sind – also auch die AfD.

Mein Mann mit grauen, längern Haaren und Brill sitzt nachvorne gebeugt, die Ellenbogen auf die Knie gestützt. Hinter ihm sind die Monitore und Geräte eines Fernsehregieraums zu sehen.
In Faktenchecks zu Live-Interviews, ob live oder nachträglich setzt Martin Schulte, Redaktionsleiter RTL aktuell, wenig Hoffnung. | Foto: Bernd Arnold

Und auch wenn RTL dem Rundfunkstaatsvertrag nicht unterliegt, handhabt der große Privatsender es mit Selbstverständlichkeit genauso. Martin Schulte, Redaktionsleiter RTL aktuell, stellt klar: „Wir berichten nachrichtlich über die AfD, wie es unsere journalistische Pflicht ist. Die Information, dass das Amt für Verfassungsschutz die Partei als gesichert rechtsextrem eingestuft hat, fließt in die Beiträge ein. Das ist unsere gemeinsame Linie, hinter der ich voll stehe.“

Zusätzlich zur gemeinsamen Linie ist der journalistische Umgang mit der AfD regelmäßiges Thema. „Wir diskutieren das natürlich tagesaktuell in der Redaktion und klären das mit der Chefredaktion. Bei Fragen von Tiefe und Relevanz stimmen wir immer eine gemeinsame Linie ab, natürlich auch mit dem Politikressort. Wir würden nicht wollen, dass Sendungen wie RTL aktuell, RTL Direkt oder Punkt 12 unterschiedlich mit der Partei umgehen.“

Einen Einblick zu redaktionsinternen Diskussionen beim Deutschlandfunk gibt Nicola Balkenhol im Text ab Seite 26. Aber eine solche Diskussion lässt sich auch in der Mediathek nachhören: Im Format „Streitkultur“ vom 14. Juni tauschte Christiane Florin, Abteilungsleiterin Kultur Aktuell, sich mit ihrem Kollegen Friedbert Meurer, Abteilungsleiter Aktuelles, genau über die Frage aus, wie ein journalistisch angemessener Umgang mit der AfD aussieht.

Der Deutschlandfunk müsse die ganze Bandbreite möglichst aller Meinungen abbilden, argumentiert Meurer. Sonst verliere man Teile der Bevölkerung – die nähmen dann Informationen zur AfD nur noch über deren parteieigene Medien wahr. Interviews seien schwierig, gehörten aber dazu.

Florin hält dagegen: Auch kritische Interviews bräuchten eine gemeinsame Kommunikationsbasis. Genau diese teile die AfD eben nicht, vielmehr setze sie auf die Zerstörung des Diskurses.

Problematische Live-Gespräche

Tatsächlich sind es gerade die Live-Gespräche mit Politikerinnen und Politikern der AfD, die auch öffentlich immer wieder für Diskussionen und Kritik sorgen. Dabei geht es nicht nur um die Frage, ob und zu welchen Themen man sie in Interviews befragt oder in Talkshows einlädt. Es geht auch um die Schwierigkeit, überhaupt ein geordnetes Gespräch mit Erkenntnisgewinn zu führen.

Zwar haben Journalistinnen und Journalisten in den vergangenen Jahren dazugelernt, aber auch jetzt kommt es noch vor, dass sie im Interview scheitern. Denn auch die andere Seite konnte Übung sammeln. So gehört zu deren bekannten Strategien, konkrete Fragen zu ignorieren, um auf eigene Themen zu lenken, oder Falschaussagen in so schneller Folge zu platzieren, dass es sich während des Gesprächs nicht mehr einfangen lässt.

„Überwältigungsstrategie“ hat Politikwissenschaftler Gideon Botsch das jüngst im Interview mit BR24 Medien genannt. Insbesondere in Live-Interviews sei es nahezu unmöglich, darauf angemessen zu reagieren, erklärte Botsch: „Ein Gesprächspartner, der Sie überwältigen will, der wird Ihnen immer entgleiten, indem er auf andere Themen ausweicht und Sie mit Dingen konfrontiert, die Sie in dem Moment unmöglich wissen können.“

Faktenchecks oder nicht?

Wenn das geschehen ist, nutzt es auch wenig, online nachträgliche Faktenchecks zu veröffentlichen, so die Erfahrung unter anderem von Nicola Balkenhol. „Die werden einfach deutlich weniger wahrgenommen.“

Als „Beruhigung für die Redaktion“ hat die Publizistin Katharina Nocum die Faktenchecks auf der re:publica25 in Berlin bezeichnet (siehe auch Kasten „‚Was wäre wenn‘ durchspielen“): „Diejenigen, die am dringendsten diese Faktenchecks lesen sollten, die lesen sie ganz sicher nicht. Die sehen nur den tollen Ausschnitt als Social-Media-Post.“

Die Einschätzung, dass nachträgliche Faktenchecks wenig nützen, teilt Martin Schulte. Auch Falschaussagen live zu enttarnen sei kaum möglich. „Wir haben bei RTL News zwar eine sehr schlagkräftige Abteilung für Verifikation und Faktenchecks, aber die kann ja nicht beim Interview daneben sitzen und ständig eingreifen.“ Dass (nicht nur in Live-Gesprächen) so viele Falschaussagen rausgehauen würden, sei ja nicht auf die eine Partei beschränkt und auch nicht auf Deutschland. „Das Problem haben wir seit einer Weile international.“

Dass Schulte bei RTL aktuell bisher trotzdem kein Problem mit Live-Interviews sieht, liegt daran, dass es die in der Hauptnachrichtensendung selten gebe: „Wir haben 21 Minuten Sendezeit, für ein gehaltvolles Interview braucht man mindestens drei Minuten.“ Deswegen wähle man sehr genau aus, wen man live zu Wort kommen lasse.

Präferenz: Versetzt senden

Für den Fall, dass es jemanden von der AfD wäre, hätte Schulte eine klare Präferenz: „Das wäre immer ein Eins-zu-eins-Setting“, sagt er und erläutert das an einem Beispiel: „Nicolas Blome interviewt jemanden aus der AfD. Das Interview wird aufgezeichnet und zwei Stunden später auch genau so gesendet, also ohne Schnitte und mit dem Hinweis, dass es eine Aufzeichnung ist. Aber in der Zwischenzeit haben die Faktenchecks stattgefunden, sodass wir in der An- und Abmoderation auf Falschaussagen hinweisen könnten.“

Dabei können auch Interviews einen Erkenntnisgewinn bringen, wenn sie im herkömmlichen Sinn als gescheitert gelten würden, erklärt Balkenhol. Denn Hörerinnen und Hörer könnten dabei nachvollziehen, dass jemand nicht willens oder in der Lage sei, die Fragen zu einem Sachthema zu beantworten.

Medien werden als parteiisch markiert

Interviews scheitern zu lassen sei durchaus „Teil der Inszenierung“, erklärt Politikwissenschaftler Schmelzle. „Damit will die AfD erreichen, dass vor allem öffentlich-rechtliche Medien im politischen Meinungsstreit als Partei wahrgenommen werden.“

Redaktionen müssten sich darüber im Klaren sein, dass der Konflikt mit den Moderatorinnen und Moderatoren zur Strategie gehöre, und vor diesem Hintergrund überlegen, ob sie diese Möglichkeit geben wollten. „Vielleicht muss man die Ressourcen Aufmerksamkeit und Legitimität auch rationieren und überlegen, wen man überhaupt befragt.“

Dass Journalistinnen und Journalisten für Inszenierungen instrumentalisiert werden, beschreibt auch Julia Rathcke: Da die AfD ihre Pressekonferenzen streame, müssen man dort mit Konfrontation rechnen – inklusive Vorwürfen wegen vermeintlich hinterhältiger Fragen.

Alle diese Punkte machen den journalistischen Umgang mit der AfD nicht einfacher. Die geschilderten redaktionsinternen Diskussionen helfen, einen angemessenen Weg zu finden.

Schmelzles Idee eines normalisierungs- und formatbewussten Journalismus kann dabei Orientierung geben, indem er hilft, die Zusammenhänge zwischen der Berichterstattung über radikal rechte Parteien, den verwendeten Formaten und deren Erfolg zu verstehen. „Wie setzt man diese Erkenntnis in ein Verhältnis zum Informationsauftrag?“, fragt sich der Politikwissenschaftler selbst und rät Journalistinnen und Journalisten „zu reflektieren, was das für ihre Berichterstattung bedeutet“.

Oder wie Nicola Balkenhol es ausdrückt: „Was können wir beitragen, um eine extreme gesellschaftliche Spaltung zu verhindern?“ Wenn Journalistinnen und Journalisten sich das als Maxime im Umgang mit der AfD vornehmen, ist allen gedient.||

Ein Beitrag aus JOURNAL 2/25, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Juli 2025.