Ist ein Leben ohne Tarif möglich? Ja, das ist es. Aber es ist mühsamer und unsicherer. Das wissen alle Kolleginnen und Kollegen, die in nicht-tarifgebundenen Unternehmen oder Unternehmensteilen verschiedener Medienhäuser in NRW arbeiten. Gut, wenn es wenigstens einen starken Betriebsrat gibt. Denn dem obliegt es dann, vieles, was sonst im Mantel- und Gehaltstarifvertrag geregelt ist, als Betriebsvereinbarung zu verhandeln – zusätzlich zu der großen Zahl Betriebsvereinbarungen, die auch in tarifgebundenen Unternehmen abzuschließen sind.
Solch starke Betriebsräte gibt es bei RTL auf Konzernebene sowie bei RTL News, der Inhalte-Tochter von RTL Deutschland. Das tarifungebundene Medienhaus ist in den vergangenen Jahren durch eine ganze Zahl von Umstrukturierungen gegangen – mit Aus- und Eingliederungen im Wechsel. Aktuell ist die Integration von Gruner+Jahr immer noch nicht ganz abgeschlossen. Viel Stoff für Verhandlungen, bei denen es oft um das Thema Lohngerechtigkeit geht.
Geregelte Einstiegsgehälter verhandelt
Dass es bei RTL News heute geregelte Einstiegsgehälter für Redakteurinnen und Redakteure gibt sowie zum Beispiel auch für die Berufsfelder Cutter/in, Producer/in und Mediendokumentar/in, ist den beharrlichen Verhandlungen der Kolleginnen und Kollegen im Betriebsrat zu verdanken. Allerdings stehen Vereinbarungen für die Einstiegsgehälter weiterer Berufsgruppen noch aus. Und an so etwas wie eine Berufsjahrestaffel ist ohne Tarif gar nicht zu denken.
2006 hat RTL die Gehaltstarifverhandlungen scheitern lassen und sich aus der Tarifbindung verabschiedet. Erhalten blieben dabei immerhin Regelungen wie das 13. Monatsgehalt und das Urlaubsgeld, Nachtzuschläge und ein Wochenendantrittsgeld. Seit damals steigt das Einkommen, wenn die Geschäftsleitung es für angemessen hält. „Der Zeitraum zwischen den beiden letzten Gehaltsanpassungen betrug
18 Monate – so spart der Arbeitgeber Geld, was unseren Kolleginnen und Kollegen fehlt“, kritisiert Wolfram Kuhnigk, Vorsitzender des Betriebsrats von RTL News und stellt fest, dass dem Betriebsrat „in Gesprächen mit der Geschäftsführung immer wieder ein Machtungleichgewicht deutlich wird“.
Altersvorsorge fest eingeplant
Eine Besonderheit ist bei RTL die Erfolgsbeteiligung, die in den vergangenen Jahren bei ein bis eineinhalb Monatsgehältern lag und ursprünglich komplett, inzwischen zur Hälfte in einen Trust für die Altersversorgung fließt. Für die zweite Hälfte der Erfolgsbeteiligung können die Mitarbeitenden seit einigen Jahren wählen: Das Geld kann entweder ausgezahlt und entsprechend versteuert werden. Oder es wird auf das sogenannte Wertkonto eingezahlt. Dieses dient dazu, jedem Beschäftigten einen früheren Ausstieg aus dem Arbeitsleben zu ermöglichen. Im Falle des Wertkontos zahlt der Arbeitgeber bis zu einem Deckelungsbetrag sogar noch einen Zuschuss.
Ohne Frage ein attraktives Modell: Der finanziell auskömmliche Vorruhestand ist bei vielen Kolleginnen und Kollegen fester Teil der Lebensplanung. „Allerdings hängt das Erreichen der gewünschten Summe bei vielen Kolleginnen und Kollegen daran, dass die Erfolgsbeteiligung weiter im gleichen oder zumindest ähnlichen Umfang fließt wie bisher“, gibt Bert Grickschat, langjähriges Mitglied im Betriebsrat und Vorsitzender der DJV-Betriebsgruppe bei RTL News, zu bedenken. Das schien lange sicher, weil der Sender eine exzellente Rendite einfuhr. Jetzt aber könnte sich das ändern, denn der Fernsehwerbemarkt schwächelt. Trotz einer positiven Entwicklung bei den Streaming-Umsätzen verzeichnete die RTL Group im dritten Quartal einen Umsatzrückgang, und aus dem Haus ist zu hören, dass das vierte Quartal das Ergebnis für dieses Jahr wohl nicht herausreißen wird.
Schon 2006 hatte der DJV gemahnt, dass Erfolgsbeteiligungen keinen Tarifvertrag ersetzen, sondern ihn nur ergänzen können. Das gilt unverändert. Ob Erfolgsbeteiligung oder Weihnachts- und Urlaubsgeld: Solange es freiwillige Leistungen sind, entscheidet der Arbeitgeber eben selbst, ob er sie gewährt. Er kann sie jederzeit reduzieren oder ganz abschaffen. Zudem ist eine Erfolgsbeteiligung nicht tabellenwirksam: Prozentuale Erhöhungen gibt es nur auf Gehaltsanteile. Ein wichtiger Teil des „Zinseszins“-Effekts von Lohnsteigerungen bleibt damit aus.
Kein Druckmittel
Und auch bei den Gehaltsanpassungen bleiben die Mitarbeitenden in Häusern ohne Tarif auf den guten Willen der Geschäftsleitung angewiesen. Es besteht kein Anspruch, und ein Druckmittel wie eine Streikandrohung hat die Belegschaft nicht in der Hand. Hinzu kommt: Einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mehr Geld wollen, weil sie zum Beispiel Zusatzqualifikationen oder besondere Funktionen haben, müssen in einem tariflosen Betrieb individuell mit dem Arbeitgeber verhandeln.
Vieles spricht also für verlässliche, kollektiv verhandelte Regelungen. Die sind übrigens nicht nur für die Beschäftigten ein echtes Plus. Mit dem Fachkräftemangel, der auch in der Medienbranche immer deutlicher spürbar wird, können sie für Arbeitgeber zu einem entscheidenden Faktor werden, um qualifiziertes Personal zu gewinnen und zu binden.||
Ein Beitrag aus JOURNAL 4/23, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Dezember 2023.