TV-Produktionen bilden einen wichtigen Teil der Medienbranche, der öffentlich kaum wahrgenommen wird. Wie arbeitet es sich da? | Foto: depositphotos.com/DarioStudios
TV-Produktionen bilden einen wichtigen Teil der Medienbranche, der öffentlich kaum wahrgenommen wird. Wie arbeitet es sich da? | Foto: depositphotos.com/DarioStudios
 
THEMA | TV-Fernsehproduktionen

Hochauflösender Alltag?

Vom Arbeiten in und für Fernsehproduktionsfirmen
10. August 2017, Andrea Hansen

Lena Breuer sortiert gerade ihre Woche am heimischen Schreibtisch, als wir sie anrufen. Und da gibt es einiges zu sortieren – Lena Breuer hat sich breit aufgestellt. Sie arbeitet als Freie direkt für Sender, außerdem für einige ausgesuchte Produktionsfirmen und ist als „One-Woman-Show“ mit einem Medienmacher-Netzwerk im Hintergrund selbst Produzentin. Zuvor hat sie Journalistik in Dortmund studiert, beim ZDF volontiert und zunächst auch weiter dort gearbeitet. Doch irgendwann wurden Stellen abgebaut – auch ihre. „Heute bin ich dem ZDF total dankbar, dass es mich rausgeschmissen hat. Ich bin mit meiner Situation absolut zufrieden“, sagt die 31-Jährige.

Marius Meyer bastelt bei unserem Anruf gerade an einem datenjournalistischen Projekt für seine neu gegründete Firma „nucleus Medienproduktion“. Nach Studium, Volontariat und Tätigkeit als „Jungredakteur“ in einer kleinen Fernsehproduktion hat er anderthalb Jahre Pause vom Journalismus gemacht und in einem ganz anderen Bereich gearbeitet. Er hatte einfach die Nase voll. Aber weil er ein guter Journalist ist und den Beruf gerne ausübt, ist er zurück und will es in der eigenen Firma anders machen als sein alter Chef. Bewusst setzt er dabei nicht nur auf Fernsehen, auch wenn das seine Kernkompetenz ist: „Heute muss man mehr bieten als einen Film für einen festen Sendeplatz. Außerdem gibt es ja auch viel mehr Möglichkeiten, die muss man doch nutzen“, erklärt der 38-Jährige, der sich auf den Neustart in Eigenregie freut.

Dimitra Tsiagidou hat am Wochenende frei. Sie ist Volontärin in einer PR-Agentur und fühlt sich – nach Jahren in verschiedenen Fernsehproduktionen – angekommen: „Ich bin als Quereinsteigerin zum Fernsehen gegangen. Es hat mir Spaß gemacht, war aber nicht mein Traumjob. Darum ist mir der Ausstieg auch leichter gefallen als vielen Kollegen“, erzählt die 38-Jährige. Zurück möchte sie auf gar keinen Fall: „In den knapp zehn Jahren, die ich in diesem Bereich gearbeitet habe, hat sich die Situation verschärft. Der Umgang mancher Sender mit Produktionsfirmen ist nicht in Ordnung, oft wird dies dann dann auf dem Rücken der Mitarbeiter ausgetragen. Das ist nicht fair“, findet sie.

Kleine Firmen, große Firmen: Bei Fernsehproduktionen gilt NRW in Deutschland als Standort Nummer eins. | Foto: .:: db ::.
Kleine Firmen, große Firmen: Bei Fernsehproduktionen gilt NRW in Deutschland als
Standort Nummer eins. | Foto: .:: db ::.

Groß und doch verborgen

Drei Biografien – eine Gemeinsamkeit: Erfahrungen mit Produktionsfirmen. Von diesem Bereich der Medienbranche bekommt die Außenwelt relativ wenig mit. Dabei ist er an Rhein und Ruhr ziemlich groß – mit 182 aktiven TV-Produktionsfirmen lag NRW 2014 laut Statista auf dem zweiten Platz im Bundesvergleich hinter Berlin. Das Dortmunder Formatt-Institut sieht NRW sogar seit zehn Jahren als Deutschlands Fernsehstandort Nummer eins: In keinem Bundesland würden mehr Fernsehminuten gedreht als in NRW. Zudem sei die hiesige Film- und Medienstiftung die finanzstärkste überhaupt. Und für die Stadt Köln ist die Kultur- und Kreativwirtschaft der Wachstumsmotor der Region. Komischerweise fühlt sich das für viele, die in dieser Branche arbeiten, ganz anders an.

Katerina Juchem (Name geändert) ist heute in einer Produktionsfirma beschäftigt, mit der sie zufrieden ist. Doch sie hat auch schon andere erlebt: „Das Krasseste, was ich mitbekommen habe, waren Dreimonatsverträge. In der Sommerpause ging’s zum Arbeitsamt und danach gab es wieder einen Dreimonatsvertrag. Dieses kurzfristige Anheuern und die ebenso kurzfristige Info über den Fortgang der Beschäftigung, dieses Leben ohne jeden Puffer, ist das Schlimmste an der Branche“, findet sie.

Nach einer Pause vom Journalismus startet Marius Meyer mit einer eigenen Produktionsfirma durch. | Foto: Andrea Hansen
Nach einer Pause vom Journalismus startet Marius Meyer mit einer eigenen Produktionsfirma durch. |
Foto: Andrea Hansen

Für Firmengründer Marius Meyer war das vor allem der tägliche Druck: „Man hatte für die Sachen, die man erledigen musste, nie genug Zeit. Dafür war man sehr mit Dingen beschäftigt, die nichts mit Journalismus zu tun hatten und die sehr viel Zeit gefressen haben – beispielsweise im Internet für den Chef günstige Flugtickets suchen.“ Auf Dauer könne man in so einem Umfeld nicht kreativ arbeiten, ist seine Erfahrung. Deshalb will er das in seiner Firma auch komplett anders machen.

Sowohl Katerina Juchem als auch Marius Meyer haben gesehen, was so ein Klima der Angst mit den Mitarbeitern macht. Häufig wiederholte Drohungen bezüglich der Vertragsverlängerung führen zu Existenzängsten, die lähmen. „Wer so klein gemacht wird, kann sich auch nicht selbstbewusst und kritisch um Themen kümmern“, ist sich Marius Meyer sicher.

Eine Form von Darwinismus

„Das ist eine Form von Darwinismus. Wer sich lange klein gemacht hat, kriegt den Rücken irgendwann nicht mehr gerade“, meint auch Ralf Dombrowski (Name geändert), der bei einer Tochterfirma eines solventen Senders arbeitet. Obwohl der Betrieb groß genug für einen Betriebsrat wäre, gibt es keine Mitarbeitervertretung. Die besseren Bedingungen des Mutterhauses gelten hier nicht, „aber man kann sie im Intranet bewundern“.

Gewerkschaft betrifft nicht nur die anderen. DJV-Jacke mit der Aufschrift "Journalismus ist mehr wert". | Foto: txt
Gewerkschaft betrifft nicht nur die anderen.
DJV-Jacke mit der Aufschrift „Journalismus
ist mehr wert“. | Foto: txt

Es ist eine Zweiklassengesellschaft, findet Ralf Dombrowski. Der Sender mache strikte Vorgaben, die aber nur ein Teil des Problems seien: „Die meist jungen Leute, die zu miesen Bedingungen arbeiten, unterschreiben leider auch einfach alles.“ Sie sind vereinzelt, tauschen sich kaum aus und solidarisieren sich nicht. Keiner ist gewerkschaftlich organisiert: „Die kennen den DJV nicht mal und haben keinerlei Ahnung von ihren Rechten und Möglichkeiten“, ärgert sich Dombrowski. „Sie kommen überwiegend aus behüteten Verhältnissen. Streik ist für die etwas, was der Opa mal gemacht hat. Oder wenn die S-Bahn nicht fährt.“

Solche Erfahrungen hat auch Dimitra Tsiagidou gemacht: „Ich habe das Gefühl, da tummeln sich zu viele, die durch Quereinstieg in der Branche gelandet sind. Sie lassen sich vom vermeintlichen Glamour des Fernsehens anziehen. Dann blättert das ab, und sie sind in der Falle, weil sie keine Alternative sehen.“ Dieses Gefühl fehlender Alternativen kommt nicht von ungefähr. Auch sie hat zu spüren bekommen, dass ihre knapp zehn Jahre in Produktionsfirmen andernorts kaum als verwertbare Berufserfahrung angesehen wurden.

Gefühl der Austauschbarkeit

Nach ihrer Beobachtung gibt es in Teilen der Branche keine spezifischen Einstellungsvoraussetzungen, keinerlei Aus- oder Weiterbildung und somit auch keine Qualitätssicherung. Das verstärke das Gefühl, komplett austauschbar zu sein, fürchtet die heutige PR-Volontärin: „Es müssten alle etwas selbstbewusster sein. Wenn von oben nach unten gedrückt wird und alle nachgeben, wird nichts besser. Vor allem müssten die Chefs gegenüber den Sendern anders auftreten.“

Als Ein-Frau-Show plus Netzwerk findet Lena Breuer ihre Auftraggeber. | Foto: privat
Als Ein-Frau-Show plus Netzwerk findet
Lena Breuer ihre Auftraggeber. | Foto: privat

Auch für Lena Breuer hat das Problem mehr als eine Ursache. Die vielseitig aufgestellte Fernsehmacherin sieht eine Zeitenwende in der Branche gekommen. Nach ihrer Überzeugung haben manche zu lange an einem alten Modell festgehalten und sich so in eine schwierige Situation gebracht: „Ich glaube, das Konzept der kleinen Produktionsfirma mit acht bis neun Leuten ist nicht mehr zeitgemäß. Man muss heute sehr viel flexibler agieren. Da ist es nicht so schlau, sich als kleine Firma einzumauern im schicken Büro mit teurer Kaffeemaschine und großem Dienstwagen vor der Tür.“

Nach ihrer Erfahrung gibt es zwar unverschämte Redaktionen, doch die meisten zahlten so, dass sie mit ihrer Ein-Frau-Show plus Netzwerk anstelle eines fixen Kostenblocks gut klar komme: „Jeder trägt die Verantwortung für seine Arbeit und muss so klug sein zu erkennen, wenn der gewählte Weg finanziell nirgendwohin führt. Wollen die Sender von mir gute Arbeit, kann ich die nur zu einem bestimmten Preis liefern. Wenn ich diesen Betrag nicht bekomme, muss ich mir ein neues Konzept überlegen. Viele Firmen geben diesen Kostendruck an ihre Mitarbeiter weiter. Das will ich nicht.“ Stattdessen sieht sie den Unternehmer in der Pflicht, sich ein tragfähiges Geschäftsmodell zu überlegen.

Wenn die Chefs das Problem sind

Allerdings kann genau hier auch ein Problem liegen, wie man in der Branche weiß – wenn sehr einflussreiche Moderatoren eigene Produktionsfirmen gründen. Alles, was sie nicht an Dritte auszahlen, ist ihr Gewinn. Das führt dazu, dass viele ihre eigenen Mitarbeiter schlecht bezahlen und oft auch schlecht behandeln. Das Manager Magazin beschrieb das Problem in einem Beitrag im September 2011 so: „Als Chefs ihrer eigenen Produktionsfirmen haben Moderatoren die Hoheit über Investitionen, Personal und Arbeitszeiten. Zudem verschaffen sie sich neben dem Moderationshonorar des Senders und ihrem jährlichen Gewinnanteil eine dritte Einkommensquelle: das Geschäftsführergehalt ihrer Firma.“

Den Sendern wiederum böten diese Produktionsfirmen alle Vorteile, die mit Auslagerungen verbunden seien – „befristete Produktionsverträge, höhere Flexibilität, geringere Fixkosten“. Und falls die Show eingestellt werde, hätten die Sender „keinerlei Verpflichtungen gegenüber den Partnerfirmen und ihren Beschäftigten“. Die Autoren Klaus Boldt und Simon Hage zitierten Frank Plasberg mit der Aussage, er verdiene mehr, als er „in der Funktion des fest angestellten Sender-Hierarchen verdienen würde“. Doch ein Teil dieses Geldes sei „eine Risikoprämie“.

Die prominenten Moderatorinnen und Moderatoren seien zwar gute Journalisten, aber sie hätten eben nicht gelernt, Chef zu sein oder Geschäfte zu führen, hört man hinter vorgehaltener Hand in Kollegenkreisen. Das erschwere in diesen Produktionsfirmen die Qualitätskontrolle. Oder wie es eine Kollegin formuliert: „Wenn du inhaltlich arbeitest, musst du hart diskutieren und eigentlich auch im Nachgang kritisieren – das ist deutlich schwerer, wenn du mit dem Kritisierten drei Tage später deinen neuen Vertrag aushandeln musst.“ Der Qualität ist es nicht zuträglich, wenn die Kritik verstummt.

Was dieses strukturelle Problem mangelhafter Mitarbeiterführung angeht, tun sich große und kleine Produktionsfirmen offenbar wenig. Auch Marius Meyer kennt das: „Der ständige Druck sorgte dafür, dass man dauernd im Kopf hatte, was der Chef wohl sagt, wenn man vom Dreh zurückkommt. Dadurch war man unkonzentriert, und die Wahrscheinlichkeit, etwas zu versemmeln, stieg.“

Leiden am offenen Zugang

Die Medienbranche leidet an vielen Ecken und Enden am offenen Zugang: Die wenigsten, die aus einer Tätigkeit für das Fernsehen heraus eine Firma gründen, bilden sich in Sachen Unternehmensführung fort – ganz gleich, wie groß die Firma wird. Inhaber oder Führungskräfte kommen meist aus Journalismus oder Produktion und haben oft kaum Vorbilder im Unternehmen. Sie werden befördert, weil das immer so gewesen ist: Wie der Lehrer zum Direktor, wird der Moderator Geschäftsführer.

Organisationsstrukturen, Mitarbeitermotivation, Personalentwicklung? Nie gelernt! Die „unternehmerische Freiheit“ wird dann oft zum Nachteil der Beschäftigten ausgelegt.
Lena Breuer kritisiert zum Beispiel, wie Volontariate gestaltet werden: „Das hat wenig mit Ausbildung zu tun. Viele Volos in Produktionsfirmen sind einfach Beschiss. Da gibt es eine Woche Sprecherziehung, und den Rest der Zeit ist man eine volle, sehr billige Arbeitskraft.“ Genauso kritisch sieht sie den Erfindungsreichtum bei Berufsbezeichnungen: „Jungrealisator, Jungredakteur – alles sind nur Etiketten, um weniger zu bezahlen.“

Die junge Fernsehfrau ist da in der Analyse ganz dicht bei einem alten Hasen. In einem DWDL-Interview im August 2016 sagte der Kick-Media-Vorstand Alexander Elbertzhagen, er schmunzele über die Fantasie der Produktionsfirmen bei Berufsbezeichnungen. „Früher war es ein harter Weg, bis sie Redakteur wurden. Da galt das noch was. Heute bekommen sie einen schicken Titel schneller, dafür weniger Geld.“ Die destruktiven Momente dieser Art der Unternehmensführung werden verdrängt. Doch geringe Identifikation mit dem Unternehmen, mangelhafte Fehler- und Kritikkultur durch permanenten Druck und Einbußen bei Kreativität und Qualität bleiben nicht aus.

Die guten Auftraggeber suchen

Lena Breuer sagt, dass Arbeitszufriedenheit extrem abhängig von der Firma ist, in der bzw. für die man arbeitet: „Meine Erkenntnis war sehr schnell zu Beginn meiner Selbstständigkeit, dass man sich von denen, bei denen man nicht zufrieden ist, verabschieden sollte. Ich habe heute das große Glück, nur Angebote von den netten Firmen zu bekommen.“

Darauf wollte Marius Meyer nicht vertrauen und hat mit nucleus lieber seine eigene Firma gegründet: „Wer mit mir bzw. für mich arbeitet, soll genug Zeit für seine Arbeit haben. Ich werde klar kommunizieren, mich an Absprachen halten und nicht regelmäßig wie mein Ex-Chef um 17:55 Uhr anrufen und fordern, dass eine sehr umfangreiche Aufgabe noch über Nacht erledigt wird.“ Das Schlimmste für ihn wäre, wenn er als Chef selbst den Druck erzeugte, unter dem er gelitten hat.

Dimitra Tsiagidou ist in ihrem neuen Job als PR-Frau rundum zufrieden – ihr bleiben nur gute Wünsche für die Ex-Kollegen: „Einfach ein bisschen mehr Sicherheit und dass das Absetzen einer Sendung nicht vor allem die Mitarbeiter trifft.“

Die Jungen erreichen und mobilisieren

Ralf Dombrowski hofft, dass die Gewerkschaften vielleicht doch noch auf geniale Ideen kommen, die die Gruppe seiner jungen, uninformierten Kollegen erreichen und mobilisieren. Weil die gar nicht merken, was alles verloren geht, wenn man sich nicht wehrt: „Wenn die Lokführer streiken, machen die sich mehr Gedanken darüber, wie sie zur Arbeit kommen, als darüber, was die Streikenden wollen.“ Und da sieht er auch die Journalisten in der Pflicht: „So ist ja auch die Berichterstattung – als ob die Mehrheit der Leute mehr mit den Firmenchefs als mit den Streikenden gemein hätte.“ Er findet, man sollte sich mal wieder etwas genauer anschauen, wer einem eigentlich wirklich das Leben schwer macht. Bei den Bedingungen in vielen Produktionsfirmen könne man froh sein, wenn der Zug mal nicht komme…||

*Anmerkung der Redaktion: Die meisten Gesprächspartner wollten nicht zitiert oder namentlich genannt werden. Wir danken den Kolleginnen und Kollegen, die mit uns – mit Klarnamen oder anonymisiert – so offen ihre Erfahrungen und Eindrücke geteilt haben.

 

Ein Beitrag aus JOURNAL 4/17, dem Mitglieder- und Medienmagazin des DJV-NRW.