Im April 2024 reiste Hendrik Wüst in den Westen der USA, begleitet von einem eigens engagierten Fotografen und seinem Presseteam. Direkt nach der Ankunft habe sich der Ministerpräsident in einer Straßenschlucht von Los Angeles Downtown aufgebaut, um die Eskalation des Nahost-Konflikts durch einen Raketenangriff des Iran auf Israel zu kommentieren, berichtet Tobias Blasius, Landeskorrespondent von WAZ und Funke Medien NRW. Mit ernster Miene und Betroffenheit in der Stimme habe Wüst damals in die Kameras gesprochen: „Wir stehen fest an der Seite Israels. Ich bin erleichtert, dass die Luftabwehr das Schlimmste verhindern konnte.“
Nach einer Minute sei der CDU-Politiker unvermittelt zur Seite gesprungen, habe die Krawatte vom Hals gerissen und sich vor einem plätschernden Springbrunnen aufgebaut. „Anderes Thema, anderer Hintergrund, andere Gemütsverfassung“, erinnert sich Blasius. Bester Laune schaute Wüst nun in die Objektive und rief in die Mikrofone: „Nach zwölf Jahren ist endlich wieder eine Mannschaft aus Nordrhein-Westfalen Deutscher Fußball-Meister. Herzlichen Glückwunsch an Bayer Leverkusen hier aus Los Angeles.“ Schnitt.
Verschobene Gewichte
Die Szene des NRW-Ministerpräsidenten in den USA illustriert, wie professionell Politik sich heute inszeniert, um ihre Botschaften zu setzen. Aber dahinter steckt eine Entwicklung, die vor Jahren begonnen hat und sich unaufhörlich weiterdreht: Das Gewicht zwischen denen, die berichten, und denen, über die berichtet wird, verschiebt sich. Das liegt auch, aber nicht nur an der Digitalisierung und den sozialen Medien. Denn ob Unternehmen oder Verbände, Kommunen oder Ministerien: Für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie die eigene Themensetzung stehen in den Pressestellen im-mer mehr Ressourcen zur Verfügung. Zugleich schrumpfen die Redaktionen, und die Arbeitsverdichtung dort nimmt zu.
Brauchen die Pressestellen angesichts dessen überhaupt noch die Berichterstattung durch Journalistinnen und Journalisten oder verlieren klassische Medien zunehmend an Bedeutung? Wer setzt auf welche Strategie, um seine jeweiligen Ziele zu erreichen, und welche Reibungspunkte entstehen dabei? Das hat sich das JOURNAL am Beispiel der Landespolitik einmal angeschaut. Kritik an der Zusammenarbeit wird dabei bestenfalls verhalten geäußert, anders als man es aus anderen Bereichen häufiger hört (siehe auch „Redaktionen und PR: Die größten Ärgernisse“).
Die Hochglanzfassade ankratzen
Politischer Landeskorrespondent zu sein ist für Tobias Blasius nach wie vor „eine journalistische Traumaufgabe“. Es sei dieser unmittelbare Kontakt, ähnlich wie im Lokalen, der ihn begeistert. „Man kennt die Akteure, und die Akteure kennen uns.“ Und doch hat sich nach seinem Empfinden seit 2009, als er diese Aufgabe für WAZ und Funke übernahm, einiges geändert. Das betrifft etwa den erstmaligen Einzug der AfD in den Landtag 2017 genauso wie das erhöhte Arbeitstempo in den Redaktionen. Den markantesten Wandel aber erkennt er in der zunehmenden Selbstvermarktung der politischen Akteurinnen und Akteure.
„Social Media hat der Politik ganz neue Möglichkeiten eröffnet“, sagt Blasius und nennt beispielhaft die TikTok-Videos von „Markus Söder mit seinem Döner“. Doch auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst sei einer, der das Spiel beherrsche. „Unsere Aufgabe ist es, die Hochglanzfassade anzukratzen, von den PR-Inszenierungen möglichst wenig durchgehen zu lassen“, sagt der WAZ-Korrespondent.
„Wären wir unabhängigen Journalisten nicht mehr permanent im Gefolge, um solchen Inszenierungen nachzuspüren, würde es Politikerinnen und Politikern noch leichter gemacht, sich mit Fotos und Videoschnipseln widerspruchsfrei zu präsentieren.“ Dem etwas entgegenzusetzen, darin sieht er eine der Kernaufgaben des Journalismus. Gerade jetzt, gerade in der Landespolitik.
„Man muss wissen, dass diese vor allem über den Ministerpräsidenten definiert wird“, sagt Tobias Blasius. Von einzelnen Ausnahmen und Themenlagen abgesehen, sei das Kabinett einfach viel zu wenig bekannt. Das sei schon zu Zeiten von Johannes Rau so gewesen, so sei es geblieben und gelte über NRW hinaus. Aber: „Sich über die sozialen Medien so darzustellen wie gewünscht, das ist die große Veränderung.“
Die Verlockung, mit eigenem Staff, mit Foto- und Social-Media-Teams, in die politische Direktvermarktung zu gehen, sei für Ministerien und Parteien groß, sagt Tobias Blasius. Die Staatskanzlei etwa habe einen Newsroom aufgebaut – nicht weniger als zwölf Namen werden auf der Presseseite der Staatskanzlei aufgeführt. Das sehe fast so aus wie eine Redaktion. „Aber die Wahrheit ist: Es ist keine Redaktion und natürlich auch kein Journalismus“, betont Blasius. Das sei den Verantwortlichen durchaus bewusst, glaubt er. Vielmehr habe er den Eindruck, dass die etablierten Medien in den Pressestellen weiter eine große Rolle spielen. Es sei zwar immer ein wenig vom Ressort und den einzelnen Personen abhängig, meint er. „Das ist aber schon noch eine Währung: Was steht über mich in der Zeitung? Was wird gesendet?“
„Eher flankierend“
Das sieht Maximilian Plück, seit 2020 Leiter der Redaktion Landespolitik bei der Rheinischen Post (RP), ganz ähnlich. „Ich habe den Eindruck, dass sowohl aus Regierungslager und Opposition als auch dem legislativen Bereich der Kontakt zu den Medien weiter gesucht wird“, sagt der 44-Jährige. Facebook, Twitter, TikTok und Instagram werden ihm zufolge stärker genutzt, das schon. „Wir wissen ja, dass die Opposition Hendrik Wüst immer wieder vorwirft, dass er der Insta-Präsident sei“, merkt auch Plück an. Und in der Tat nutze dieser Instagram, „sehr rege, sehr viel und sehr intensiv“. Man könne allerdings nicht sagen, dass das eine das andere ersetzt. „Ich würde das eher als flankierend bezeichnen.“
Wertvoll in Gefahrenlagen
Dass die Politik soziale Medien nutzt, ist für José Narciandi, seit 2016 Leiter des Düsseldorfer Landtagsstudios von Radio NRW, wahrlich keine Überraschung: „Ich würde mich eher wundern, wenn nicht“, sagt er. Er erlebe das aber ebenfalls nicht als Konkurrenz zur journalistischen Arbeit, sondern als Teil der neuen Informationsvielfalt. Und das sei zum Teil ja überaus wertvoll, wie er findet. Der 45-Jährige denkt dabei etwa an Gefahrenlagen wie einen Großbrand, wenn die Bevölkerung neben den aktuellen Warnungen im Radio auch über Social-Media-Kanäle der offiziellen Stellen zusätzlich unmittelbar erreicht werden könne.
Zudem nutzten die Ministerien Social Media auch für Image- oder Marketingkampagnen, beispielsweise um Lehrkräfte anzuwerben, beobachtet Narciandi. Er betrachte die Ausspielungen dann als weitere Informationsquelle, die er sich anschaue, die er prüfe und „dann eventuell sage: Aha, da ist das oder das Statement, das notier‘ ich mir, da muss ich nachhaken, ist vielleicht ein Thema.“ Ob dieses letztlich den Weg ins Mantelprogramm der Lokalradios findet, die Narciandi über Radio NRW bedient, müsse sich im Einzelfall zeigen.
Kein Verlautbarungsorgan
Für RP-Korrespondent Maximilian Plück ist dies der journalistische Gang: Man sei kein Verlautbarungsorgan, für niemanden. Schon Konrad Adenauer, so erzähle man sich, soll sich einst bei den Herausgebern beschwert haben, was „seine“ Rheinische Post denn da schreibe. „Dem Kanzler soll dann unmissverständlich klar gemacht worden sein, dass es sich keinesfalls um ‚seine‘ Rheinische Post handelt“, berichtet Plück. Auch heute komme durchaus vor, dass jemand von politischer Seite an die Zeitung herantrete, mit der vermeintlich großen Idee für eine tolle Geschichte, „und wir dann sagen, das ist für uns nichts“, erklärt er. „Wir schauen uns das an, bewerten das und steigen eventuell in eine eigene Recherche ein. Ob es tatsächlich ein Thema ist, liegt alleine bei uns.“
Zustimmung für den Wert unabhängiger journalistischer Berichterstattung gibt es von wissenschaftlicher Seite. Zweifellos habe sich das Mediennutzungsverhalten geändert, insbesondere bei den Jüngeren, bestätigt Parteienforscherin Isabelle Borucki. Einen Bedeutungsverlust für die etablierten Medien in der politischen Kommunikation erkennt die Wissenschaftlerin „vielleicht teilweise“ – verbunden mit Herausforderungen für beide Seiten. So sei „die Zielgruppenansprache für die Politik komplexer geworden“, sagt Borucki. Für diese sei die Frage: „Wie erreichen wir die Leute und über welche Kanäle, um mit politischen Inhalten durchzudringen? Oder andersherum: Wie erreichen wir die Menschen, die uns interessieren und die wir mobilisieren wollen.“ In diesem Komplex seien die etablierten Medien jedoch nach wie vor „von großer Bedeutung“ (siehe Interview „Es geht nur mit Aufklärung“).
„Ein größerer Malkasten“
Redaktionen seien für Pressestellen bei der Themensetzung „immer noch die ersten Ansprechpartner“. Das betont auch Maurizio Gemmer: Es sei keinesfalls so, dass soziale Medien deren Aufgaben übernommen hätten oder in Zukunft übernehmen könnten. Und Gemmer muss es wissen: Zwischen 2013 und 2022 arbeitete er im besagten Landespresseamt der NRW-Staatskanzlei, zuletzt als stellvertretender Leiter des Referats Pressestelle/Newsroom. Mittlerweile leitet Gemmer das Presseteam des Innenministeriums von Herbert Reul (CDU).
Was Maurizio Gemmer über die Jahre gleichwohl beobachtet hat: Dass mit neuen Kanälen auch weitere Aufgaben in der Pressearbeit dazugekommen sind. Man habe jetzt „einen größeren Malkasten“, wie er es nennt, etwa um Themen näher zu beleuchten oder Bürgerinformationen auszuspielen. „In der Coronazeit war das in der Staatkanzlei Gold wert, um Menschen zum Beispiel zu informieren, welche Verordnung denn gerade gilt“, erinnert er sich. Besonders gefordert ist die Pressestelle des Innenministeriums ohne Zweifel in Ausnahmesituationen wie nach dem Anschlag in Solingen im August. Im politischen Tagesgeschäft gehe es hingegen „eher um Grafiken und Tabellen, wenn wir zum Beispiel zeigen wollen, wie genau die neue Kriminalstatistik sich zusammensetzt“, erklärt der Sprecher.
Neben der eigenen Homepage setzt das Innenministerium dafür bisher auf die Plattform X (ehemals Twitter). Zudem baue man derzeit auch andere Kanäle auf, was aus personellen Gründen noch nicht geschehen sei, sagt Maurizio Gemmer. Auch Facebook spiele für viele Menschen weiterhin eine überraschend große Rolle, hat Gemmer festgestellt. Instagram und Facebook seien zugleich die beiden Kanäle, die Herbert Reul bereits längere Zeit nutzt.
„Unsere Themen effektiv platzieren“
Deutlich stärker setzt offenbar die Pressestelle des Wirtschaftsministeriums der stellvertretenden Ministerpräsidentin Mona Neubaur (Grüne) auf soziale Medien, „um unsere Themen und Statements bei unseren Zielgruppen effektiv zu platzieren“, wie Pressesprecherin Charlotte Schröder auf Anfrage schriftlich erläutert. Auf X etwa nutze man die Echtzeit-Kommunikation, „um schnell auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren und direkt mit der Öffentlichkeit in Dialog zu treten“.
Instagram ermögliche es hingegen, komplexe Themen visuell anschaulich zu präsentieren und jüngere Zielgruppen anzusprechen, erklärt sie. Seit Herbst 2023 nutzen Schröder und ihr Team zudem LinkedIn, um Themenschwerpunkte in einem professionellen Kontext zu teilen. Und dennoch „sind und bleiben Journalistinnen und Journalisten für unsere Pressestelle wichtigste Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner“, betont auch Schröder. Pressekonferenzen und Pressemitteilungen sowie die Beantwortung von Presseanfragen machen demnach weiterhin den größten Teil ihrer Arbeit aus.
Dennoch steht für Charlotte Schröder fest: „Die digitale Transformation hat in den vergangenen Jahren nicht nur die Art und Weise, wie Beiträge produziert und Nachrichten konsumiert werden, deutlich verändert, sondern auch unsere Arbeit in der Pressestelle.“ Die Vielfalt der Formate und Plattformen, für die man angefragt werde, seien es Videos oder Podcasts, habe zugenommen.
„Vor allem haben sich aber der Zeitdruck in den Redaktionen und die Fülle an Themen, für die eine oft immer kleiner werdende Redaktion zuständig ist, erhöht“, so Schröders Eindruck. „Wir versuchen natürlich, wenn es geht, alle Wünsche zu erfüllen, ohne dabei unsere Sorgfaltspflicht zu vernachlässigen.“ Schröder, die selbst viele Jahre als Fernsehreporterin gearbeitet hat, kennt den Zeitdruck nach eigenem Bekunden nur zu gut.
Der kritische Faktor Zeit
Der Faktor Zeit spielt laut Maurizio Gemmer immer eine Rolle, wenn Behörden und Medien aufeinandertreffen. Und er verstehe das: „Redaktionen haben immer weniger Zeit, die Fristen werden immer kürzer, und das ist natürlich ein Problem“, resümiert der Sprecher des Innenministeriums. Er wolle das nicht als Kritik an der Branche verstanden wissen, allenfalls als Kritik am Zeitgeist. Zugleich verstehe man sich in seiner Pressestelle als Dienstleister und versuche, Fragen „so umfänglich und ordentlich wie möglich“ zu beantworten. „Dafür müssen wir und die Kolleginnen und Kollegen in den Fachabteilungen aber recherchieren, müssen eventuell durch Listen gehen. Und das braucht eben Zeit“, sagt er.
Vertraute und privilegierte Quellen
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Das gilt gerade im Journalismus, wo der kritische Umgang mit Quellen zum grundlegenden Handwerkzeug gehört. Auch in einem gewachsenen Vertrauensverhältnis mit einer Quelle sollten Journalistinnen und Journalisten prüfen, ob deren Informationen vollständig sind oder ob sie einen „Spin“ haben beziehungsweise bestimmte Aspekte auslassen.
Und was ist mit den sogenannten privilegierten Quellen, deren Meldungen prinzipiell ungeprüft übernommen werden dürfen? Dazu zählen die etablierten Presseagenturen und anerkannte Medien, bei denen von einer fachmännischen Recherche auszugehen ist, aber auch Behörden, die zu wahrheitsgemäßen Auskünften verpflichtet sind. Das gilt zum Beispiel für Staatsanwaltschaften und Gerichte.
Allerdings entbinden auch privilegierte Quellen nicht per se von der Pflicht zur journalistischen Sorgfalt. Darauf weist der DJV immer wieder hin. Ist beispielsweise die Polizei selbst aktiv in ein Geschehen einbezogen, ist sie Partei und nicht mehr unparteiischer Beobachter. Beispiele in der Vergangenheit waren etwa Räumungen von besetztem Gelände oder
Ausschreitungen während Demonstrationen./cbl
Der Personalzuwachs in Pressestellen kam laut Gemmer zuletzt allerdings häufig den Social-Media-Abteilungen zugute, nicht immer den Abteilungen, die für Medienanfragen zuständig sind. Aus diesem Grund seien sie inzwischen dazu übergegangen, „offenes Erwartungsmanagement zu betreiben“, wie er es nennt. Nach dem Motto: „Es tut uns wirklich leid, aber das kriegen wir heute nicht hin. Aber wir versuchen alles so schnell wie möglich. Und ich muss sagen, das funktioniert eigentlich ganz gut. Denn es ist einfach eine Frage der Planung, die wir damit sehr transparent machen wollen.“
Gegenseitiger Respekt
Das Wichtigste im Umgang miteinander sei ohnehin „Respekt und gegenseitige Wertschätzung der Arbeit“, davon ist auch Charlotte Schröder überzeugt.
José Narciandi hat in seiner Zeit als Landeskorrespondent für Radio NRW in der Tat grundsätzlich positive Erfahrungen bei eigenen Anfragen gemacht. Sicherlich wäre es aus seiner Sicht wünschenswert, man habe morgens in der Konferenz eine Idee, hole am selben Tag O-Töne ein und fertig sei der Beitrag. „Aber so funktioniert das nicht“, sagt er und lacht. Man habe es mit Ministerien, mit Behörden zu tun. Bevor von dort eine Antwort, eine Auskunft, ein Interview komme, müsse das abgestimmt und geprüft werden. Dafür habe er Verständnis und er erkenne das Bemühen. „Ich könnte mich aus jüngerer Zeit an kein Beispiel erinnern, wo es am Ende nicht geklappt hätte“, sagt er.
Das deckt sich mit Maximilian Plücks Erfahrungen. Zum Zeitpunkt des Gesprächs im August sitzt er nach eigener Aussage an gleich zwei Geschichten, die man am Ende hoffentlich exklusiv in der Rheinischen Post habe. Zu beiden seien Anfragen an Landespolitiker, Ministerien und Verbände rausgegangen. „Und es ist schon so, dass man da auch Antworten bekommt“, vertraut er auch dieses Mal auf seine bisherige Erfahrung.
Bisher kamen die Infos immer an
Wenngleich es an der einen oder anderen Stelle mal hake, gerade was Fristsetzungen anbetrifft, erlebt Plück in der Regel, dass die Mehrheit der Pressestellen der Landesregierung professionell arbeite und Anfragen auch ordentlich beantworte. „Ich habe das Gefühl, dass auf der anderen Seite ein großes Verständnis herrscht in Bezug darauf, wie wir arbeiten, gerade bei einer Tageszeitung.“ Er könne sich an vielleicht zwei Fälle erinnern, bei denen er das Gefühl hatte, dass wirklich auf Zeit gespielt wurde. Letztendlich aber seien auch diese Informationen bei der RP eingegangen.
Mit einer Ausnahme: Plück erinnert an die Krisenkommunikation der damaligen Umweltministerin Ursula Heinen-Esser, die sich zur Zeit der Ahrtal-Flutkatastrophe hauptsächlich auf Mallorca aufgehalten hatte. „Da hat man gemerkt, dass die Offenheit an Grenzen stößt“, sagt Maximilian Plück. „Wie man damals nur scheibchenweise die Wahrheit erfuhr, da fühlte man sich schon veräppelt.“ Doch das sei ja nicht folgenlos geblieben, habe der Ministerin letztlich den Job gekostet, betont er.
Wie man es besser macht, hat Maximilian Plück gleich zu Beginn seiner Korrespondentenzeit erlebt, als die Landespressestellen wegen Corona im Ausnahmezustand arbeiteten. Insbesondere das Team des Gesundheitsministeriums von Karl-Josef Laumann müsse man hervorheben, wie hochprofessionell das damals gehandhabt worden sei. „Ich hatte großen Respekt, allein wegen der schieren Anfragenflut, die da bearbeitet werden musste. Das war trotz allem zuverlässig und in der Regel zügig“, lobt der Journalist. Sein Eindruck: „Es war das Zusammenspiel eines unkomplizierten Ministers mit einer gut aufgestellten Pressestelle.“
Doch Corona hatte auch Folgen, die über die Zeit der Pandemie hinausreichen. Insbesondere für die Landespressekonferenz (LPK, siehe Kasten). „Einige Entwicklungen aus der Zeit sind geblieben“, sagt José Narciandi, der seit drei Jahren mit im LPK-Vorstand sitzt. So werden etwa die Konferenzen, die eigentlich als Präsenzveranstaltungen gedacht sind, weiterhin zusätzlich als Livestream angeboten. Tatsächlich sei der Raum nach Corona einige Zeit leerer geblieben als gewohnt, sagt er.
Die Landespressekonferenz
In der Landespressekonferenz NRW sind aktuell rund 140 Journalistinnen und Journalisten von Zeitungen, Agenturen, Radio- und TV-Sendern sowie Magazinen zusammengeschlossen. Sie ist als Verein organisiert und versteht sich „als zentraler Ort für die Kommunikation zwischen Politik und Medien“.
Neben regelmäßigen Pressekonferenzen zu landespolitischen Schwerpunkten vermittelt die LPK auch Hintergrundgespräche, in denen Informationen „unter drei“ vertraulich behandelt werden. Zusätzlich zu wiederkehrenden Terminen, etwa der Vorstellung der jährlichen Kriminal- und Unfallstatistik oder der Erntebilanz, finden Veranstaltungen aus aktuellen Anlässen statt.
Der Raum der LPK liegt im Düsseldorfer Landtag, dazu gehört ein gesonderter Arbeitsraum für Mitglieder. „Hier sind wir Gastgeber für angemeldete Pressekonferenzen, die jeweils von einem Vorstandsmitglied geleitet werden“, heißt es auf der Vereinsseite (www.lpk-nrw.de). Will heißen: Welche Veranstaltungen zugelassen werden und wer dazu eingeladen wird, entscheidet ausschließlich der fünfköpfige LPK-Vorstand, der jährlich neu bestimmt wird. Vorsitzender ist seit Juni 2024 Jochen Trum, Leiter der Programmgruppe Politik und Dokumentation NRW beim WDR (siehe auch JOURNAL 1/24 „Auf den Kern besinnen“). Er folgte auf Tobias Blasius (WAZ/Funke Medien), der nach neun Jahren im Amt auf eigenen Wunsch ausschied. Stellvertreterinnen und Stellvertreter sind Dorothea Hülsmeier (dpa), José Narciandi (Radio NRW), DJV-NRW-Landesvorstandsmitglied Vivien Leue (Deutschlandradio) und Maximilian Plück (Rheinische Post).//
Während Pressesprecherin Schröder den Eindruck hat, dass es „nicht mehr so geworden ist, wie es vorher war“, erkennt Narciandi eine gewisse Normalisierung. „Da gibt es eine große Sehnsucht der Kolleginnen und Kollegen nach persönlicher Begegnung“, so seine Vermutung. Gerade auch, da es nach der Pressekonferenz meist die Möglichkeit gibt, an die Ministerin oder den Minister heranzutreten und die eine oder andere Nachfrage zu stellen. „Oder auch nur, um mal Hallo zu sagen.“
Für WAZ-Korrespondent Tobias Blasius ist dieser unmittelbare Austausch von hohem Wert. Nicht ohne Grund fungierte er bis Mitte des Jahres insgesamt neun Jahre lang als LPK-Vorsitzender, machte er sich genau dafür stark. Auch Hintergrundgespräche seien nach wie vor wichtig. Allerdings bleibt dafür im Tagesgeschäft immer weniger Zeit, wie unter anderem RP-Kollege Plück anmerkt. Doch auch für José Narciandi von Radio NRW ist es wichtig, dass es „ein gewisses, vertrauensvolles Miteinander gibt“, wie er sagt. Dass in Ministerien und Pressestellen Menschen sitzen, „die mit meinem Namen, meinem Gesicht, etwas anfangen können“.
Zu große Nähe kein Thema mehr
Dass aus dieser Vertraulichkeit eine unangemessene Vertrautheit entstehen könnte, befürchtet Tobias Blasius indes nicht. „Eine zu große Nähe zwischen Politik und Medien war eher vor 20 oder 30 Jahren ein Thema.“ Im Gegenteil habe man in seiner Zeit als LPK-Vorsitzender neue Formate eingeführt, die das Gegenteil bewirken sollen: „Wir haben etwa ein Jahresgespräch mit der Sprecherrunde der Landesregierung, in der mögliche Probleme offen thematisiert werden“, sagt Blasius.
Dabei ging es bislang beispielsweise um die Einhaltung zugesagter Fristen oder darum, dass sich einzelne Ministerinnen und Minister aus journalistischer Sicht zu selten öffentlich zeigten. „Eine Videoschalte ist für sie ja einfacher, als sich in einer PK kritischen Fragen zu stellen, live und in Farbe“, merkt er an. Entsprechend freut Blasius sich, dass die Jahresgespräche nach seinem Ausscheiden aus dem Vorstandsamt in diesem Sommer fortgeführt werden.
Das gilt auch für die sogenannte Offene Fragerunde: Als LPK habe man es geschafft, dass sich die jeweilige Ministerpräsidentin oder der Ministerpräsident „vier Mal im Jahr stellt und dabei auch gegrillt werden kann“, wie Blasius verdeutlicht. Das habe man bei Hannelore Kraft begonnen, stand diese wegen ihrer eher zurückhaltenden Öffentlichkeitsarbeit doch häufig in der Kritik. Das regelmäßige Treffen wurde über die Amtszeit von Armin Laschet hinweg bis heute fortgeführt. Auch Hendrik Wüst stelle sich, „weil sich die Kolleginnen und Kollegen in Düsseldorf da einig sind und das eingefordert haben“.
Achtung gegenseitiger Interessen
Das hat Gewicht: In den Pressestellen sei die LPK „eine total bedeutende Institution, weil man so im Dialog bleibt“, sagt Maurizio Gemmer. Es gebe regelmäßige Termine, wie die Vorstellung der Kriminalstatistik oder des Verfassungsschutzberichts, die ausschließlich dort stattfinden. „Das hat Tradition und daran halten wir fest.“ Sicherlich, räumt er ein, hätten beide Seiten ihre Interessen. „Aber gerade im Bewusstsein dessen ist die Zusammenarbeit wirklich gut und einfach wichtig.“
Charlotte Schröder von der Pressestelle des Wirtschaftsministeriums zeigt sich ebenfalls zufrieden, auch über die Konferenzen hinaus: „Wir erleben es im Tagesgeschäft häufig, dass wir umfangreich Gelegenheit bekommen, Stellung zu nehmen – gerade zu kritischen Themen“, berichtet sie. Leider komme es bei informellen Gesprächen am Telefon manchmal vor, dass Aussagen in die Berichterstattung aufgenommen werden, die nicht dafür vorgesehen waren. „Das sind aber Einzelfälle, die sich immer aufklären lassen.“
Die aktuelle Herausforderung sieht Schröder an anderer Stelle: Halbwahrheiten, Desinformation und Verschwörungstheorien seien ein ernstes Thema. „Dem müssen wir durch Fakten und Transparenz entschlossen entgegentreten – auf allen Kanälen“, betont sie. „Daran arbeiten wir jeden Tag. Dazu braucht es natürlich auch Journalismus, der einen wichtigen Beitrag dazu leistet, aufzuklären und zu sensibilisieren.“ Die Demokratie lebe von Werten wie Meinungs- und Pressefreiheit – „gerade in Zeiten, in denen die Demokratie immer weiter unter Druck gerät“, betont Schröder.
Dass der Einzug der AfD ins Landesparlament seine Aufgabe nicht leichter gemacht hat, das merkt auch Maximilian Plück. Der Ton im Parlament sei rauer geworden, die Zahl der Ordnungsrufe drastisch gestiegen. Das führe dazu, dass „Debatten teilweise unsäglich entgleiten und Populismus offen zur Schau gestellt wird“. Man schaue bei der Rheinischen Post da ganz genau hin, sagt Plück, gemeinsam mit seiner Landespolitik-Kollegin Sina Zehrfeld sowie Julia Rathcke aus dem Meinungs-Ressort, die sich ganz intensiv mit der AfD befasse.
Parteienforscherin Isabelle Borucki kann das nur empfehlen. Für sie ist der Kampf gegen Fake News eine zentrale Aufgabe etablierter Medien. „Das heißt: Definitiv immer gegensteuern, immer Faktencheck. Und immer darauf hinweisen, wo und wie Geschichten zustande kommen“, empfiehlt die Professorin. Dazu gehöre auch: „transparent machen, wie seriöser Journalismus funktioniert.“
Nicht nur auf Klicktabellen starren
Im hektischen Redaktionsalltag ist das allerdings nicht immer so einfach. Für WAZ-Korrespondent Tobias Blasius kommt noch etwas Entscheidendes hinzu, das die Branche kritisch reflektieren müsse: „Das Starren auf Klicktabellen und Dashboards. Das macht die Spielräume für hochwertigen, landespolitischen Journalismus enger.“
Dass viele Verlage verstärkt auf die Online-Reichweite achten, findet Blasius grundsätzlich nachvollziehbar. „Wenn man aber bei Beiträgen über das Haushaltsgesetz – das wichtigste Landesgesetz überhaupt – die Klickrate anschaut, kommen einem die Tränen“, beklagt er. Die Verlautbarung alleine den Ministerien zu überlassen, kommt für ihn nicht infrage. Da befinde man sich jedoch „ein bisschen in der Zange, zwischen der Selbstinszenierung der Politik und der Klickorientierung der Verlage“, wie er bekennt.
Um sich dem etwas entziehen zu können, helfe es sicherlich, wenn man sich über die Jahre ein gewisses Standing erarbeitet habe. Aber Blasius möchte das nicht am Alter festmachen: Er erlebe viele junge Kolleginnen und Kollegen, die das genauso sehen, egal ob diese schreiben, filmen oder streamen. Diese will er ermutigen, in ihren Häusern dafür zu werben, „dass ein Thema markenbildend sein kann, auch wenn es nicht so oft geklickt wird“.
Dass die Veränderungen durch Digitalisierung und soziale Medien in seinem Berufsstand gravierend sind, wie in jedem anderen Bereich, sei unübersehbar, meint Tobias Blasius. Wohin Künstliche Intelligenz als weitere Entwicklung die Branche führen wird, ist zudem kaum abzusehen.
Gerade deshalb sieht er die gesellschaftliche Bedeutung. „Am Ende“, sagt Blasius, „ist lebendiger Journalismus Rückhalt für die Demokratie.“ Würde dieser fehlen, seien die Konsequenzen klar: „Die Kulissenwechsel, die PR-Anteile, die Hochglanz-Präsenz, sie wären noch viel stärker als ohnehin schon“, sagt Blasius. Sein Appell an Journalistinnen und Journalisten: „Wir müssen wachsam sein und zugleich kritische Distanz wahren.“ Das gilt in Düsseldorf, und zuweilen auch in den USA.||
Ein Beitrag aus JOURNAL 3/24, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im September 2024.