Landesregierungen, Städte und Gemeinden entdecken den Newsroom für ihren öffentlichen Informationsauftrag. Was für Journalistinnen und Journalisten in Redaktionen und die Öffentlichkeitsarbeiter in Unternehmen Alltag ist, lohnt bei öffentlichen Verwaltungen einen genaueren Blick. Kritiker fürchten, dass Behörden das Instrument Newsroom nutzen könnten, um die Grenzen öffentlichen Informierens in Richtung Inszenierung zu überschreiten, um gezielt mediale Kanäle zu besetzen, vielleicht auch Redaktionen zu umgehen. Pragmatiker halten dagegen, dass der Newsroom nur eine Frage der effizienteren Arbeitsorganisation ist.
In Nordrhein-Westfalen setzen immer mehr Kommunen in ihrer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit auf einen Newsroom. Die Landeshauptstadt Düsseldorf hat sich über Jahre ein mächtiges Medienportal samt Newsroom gebaut. Köln werkelt noch daran. Viele andere sind schon dabei: Essen, Bonn, Krefeld, Mönchengladbach, Oberhausen und Bochum, selbst kleinere Gemeinden wie Kerpen und Lippstadt. Auch weitere Behörden wollen auf das Konzept umstellen: In der Düsseldorfer Staatskanzlei wurden schon Mauern eingerissen – hinter der denkmalgeschützten Fassade soll im Herbst der Newsroom der NRW-Landesregierung einziehen.
Zeitgemäße Öffentlichkeitsarbeit
Die Behörden folgen damit einem Trend. Der Blick in die Presseabteilungen von Wirtschaftsunternehmen zeigt: Ohne Newsroom und Social Media geht zeitgemäße Öffentlichkeitsarbeit wohl nicht mehr. „Every company is a media company“, beschreibt dies der ehemalige Financial-Times-Redakteur Tom Foremski. Die Komplexität von Inhalten, Medien und Kanälen zwinge Unternehmen, sich so zu organisieren.
Entsprechend haben Deutschlands Großunternehmen in den vergangenen Jahren ihre interne und externe Kommunikation von Grund auf neu gebaut – mit einem Newsroom als zentralem Element. Allerdings ist der Begriff dehnbar (siehe Kasten Vielfalt der Newsroom-Modelle). Manche verstehen darunter auch das schicke Großraumbüro mit ovalem Konferenztisch und Flachbildschirm an der Wand. Für andere ist der Newsroom eher ein strategisches Konzept. Denn im Kern geht es beim Newsroom um die Organisation der Arbeitsabläufe. Das ist in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit nicht anders als in Redaktionen verschiedener Medien. Der Newsroom ist das „Multifunktionswerkzeug für die integrierte Kommunikation rund um Themen, Events und Inhalte“, wie es ein niedersächsischer Dienstanbieter bewirbt.
Vielfalt der Newsroom-Modelle
Newsrooms sind auch in Unternehmen unterschiedlich ausgelegt. 2016 hat das Institut für Angewandte Medienwissenschaft (IAM) in Winterthur eine Untersuchung zu Corporate Newsrooms in der Schweiz gemacht. Die Antworten der befragten Schweizer Unternehmen und Verwaltungen haben gezeigt: Der Newsroom ist zwar weit verbreitet, aber alle 77 Befragten haben darunter etwas anderes verstanden. Guido Keel und Markus Niederhäuser, Autoren einer Studie zum Newsroom, stellten fest: „Nicht überall, wo von einem Corporate Newsroom die Rede ist, sind auch wirklich Newsroom-typische Strukturen und Abläufe vorhanden.“ Larissa Lauth hat in ihrer Masterarbeit für die Uni Mainz die Kriterien für den Newsroom beschrieben. Als zwingende Merkmale sieht sie:
• die starke Themenorientierung,
• dass die Untereinheiten der Unternehmenskommunikation in einem Raum sitzen,
• eine matrixartige Struktur mit Themen- und Kanalteams,
• transparente Zuständigkeiten sowie
•eine tägliche Besprechung der Nachrichtenlage. /whi
Volker Thoms, der sich als Berliner Korrespondent des PR-Journals viel mit Newsrooms befasst hat, formuliert es so: „Ein Newsroom hebt die räumliche und organisatorische Trennung zwischen PR, Social Media, Redaktion sowie interner und externer Kommunikation auf. Die Bereiche sollen enger zusammenarbeiten, was Interaktion und Abstimmungen vereinfachen und die Reaktionszeit verkürzen soll. Botschaften sollen zentral abgestimmt und den verschiedenen Kanälen angepasst werden. Aufgaben lassen sich im Team flexibler verteilen.“ Eines stellt Thoms in seinem Kommentar „Die Pressefreiheit stirbt nicht im Newsroom“ deutlich heraus: „Journalismus wird es niemals werden. Es fehlt an Objektivität auf Seiten des Absenders.“ Schließlich sei dort kaum etwas Kritisches zu finden.
Ähnlich entkräftet der Text „Newsroom-Klimbim“ von Olaf Wittrock im journalist 7/2019 die Sorge, dass allein die aktuellen Newsroom-Gründungen von Parteien schon die freie Berichterstattung beschädigen könnten. Im Gegenteil: Wenn einzelne Akteure ihre Botschaften ungefiltert verbreiten könnten, könnte dies doch auch neue Anlässe für Recherchen und Nachfragen schaffen, findet der Autor.
Eine definierte Grenze
Kritik, da sind sich alle Fachleute einig, setzt vor allem da an, wo Pressestellen den Newsroom nutzen, um journalistische Berichterstattung zu umgehen oder zu behindern. So definiert Thoms die Grenze, die Politik, Behörden und andere staatliche Stellen nicht überschreiten dürfen: „Ein Problem für die Pressefreiheit entsteht dann, wenn die Politik ihre Content-Hoheit nutzt, um die klassischen Medien zurückzudrängen; sie zu gängeln.“ Gefährdet sei die freie Berichterstattung zum Beispiel, wenn Journalistinnen und Journalisten „nicht mehr von Events berichten dürfen, Presseanfragen nicht beantwortet werden, auf PKs keine Nachfragen erlaubt sind, Interviews nur unter strikten Vorgaben ablaufen oder resolute Drehvorgaben herrschen“.
Genau diese Entwicklungen müssen Medien und Journalistenverbände genau im Auge behalten. Bereits vor vier Jahren hatte das JOURNAL beschrieben, wie die Politik vor allem auf Bundesebene zunehmend versucht, sich der journalistischen Deutungsmacht zu entziehen (Auf dem Weg nach Berlin, JOURNAL 5/15).
So gibt es auch bei Kommunen und anderen Behörden gute Gründe, genau auf die saubere Trennung von Presse- und Öffentlichkeitsarbeit auf der einen und „presseähnliche“ Informationen auf der anderen Seite zu schauen. Das zeigen schon die bekannten Streitigkeiten über Amtsblätter oder die Seiten dortmund.de (siehe Kasten „Verfahren um dortmund.de“). Diese Auseinandersetzungen drehen sich um die Frage, welche Informationen Kommunen ihren Bürgerinnen und Bürger in welcher Form präsentieren (dürfen). Dass diese Fragen oft reflexhaft mit der Einführung von Newsrooms oder Newsdesks verknüpft wird, ist irreführend. Denn diese Organisationsformen, die für Professionalisierung und Effizienz stehen, eignen sich zwar gleichermaßen für Journalismus wie für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Es bleibt aber die Entscheidung des Absenders, wofür genau er sie nutzt.
Verfahren um dortmund.de
Seit mehreren Jahren tobt eine Auseinandersetzung um das Onlineportal der Stadt Dortmund. Erstmals hat ein Zeitungsunternehmen – das Dortmunder Medienhaus Lensing (Ruhr Nachrichten) – eine Stadt wegen „Presseähnlichkeit“ ihres Internetangebots verklagt. In den vergangenen Jahren waren Zeitungshäuser bereits gegen kommunale Amtsblätter vor Gericht gezogen, mit denen einzelne Städte den Verlagen nach deren Auffassung rechtswidrig Konkurrenz machen.
Als Lensing 2017 klagte, gab es auf dem Stadtportal noch bezahlte Anzeigen. Diese Praxis wurde inzwischen eingestellt, wie Stadtsprecher Frank Bußmann bestätigt. Ansonsten verweist er angesichts des laufenden Verfahrens und einer im Herbst anstehenden Verhandlung vor dem Langericht auf die Berichte der Medienkorrespondenz. Dort ist zu lesen, dass „die Stadt Dortmund die Klage des Medienhauses Lensing gegen das städtische Internetangebot für unbegründet hält. Der Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) verweist darauf, dass ein entsprechendes Online-Angebot seiner Stadt notwendig sei: Ein Amtsblatt, in dem man einen Bebauungsplan bekanntgebe oder auf eine Informationsveranstaltung hinweise, werde heute ‚dem Informationsanspruch der Öffentlichkeit in keiner Weise gerecht’.“ /whi
Deutlich mehr Service
Die Rationalisierung in den Redaktionen sei einer der Gründe dafür, dass auch in Verwaltungen eine stärkere Professionalisierung und deutliche Serviceausweitung stattgefunden habe, sagt Ingrid Herden, seit Januar 2019 Sprecherin der Stadt Düsseldorf und Leiterin des Amts für Kommunikation. Die gelernte Journalistin hat einen klaren Blick auf die Entwicklung des medialen Alltags: Nach Jahrzehnten journalistischer Arbeit (Kölner Stadt-Anzeiger, Wirtschaftswoche, Cicero und Die Zeit) war sie sieben Jahre Sprecherin des NRW-Finanzministers Norbert Walter-Borjans (SPD). Sie weiß, dass Journalisten heute wesentlich weniger Zeit für Termine und Recherche haben als noch vor Jahren.
Dem trägt die Landeshauptstadt Rechnung und hat vor mehr als drei Jahren – nach eigenen Angaben als eine der ersten deutschen Großstädte – im Amt für Kommunikation einen Newsroom aufgebaut. „Das ist kein Luxus“, erklärt Ingrid Herden. „Man braucht es.“ Denn nicht nur Medienvertreter, auch der Bürger erwarte inzwischen zu Recht, dass die Stadt auf allen digitalen Kanälen präsent sei. Das zeige sich im Internet an den wachsenden Zugriffszahlen. „Es ist nur noch die Frage des Ausmaßes, nicht mehr des Ob.“ Der Aufwand sei für öffentliche Verwaltungen zwar erheblich, werde aber auch von den Bürgerinnen und Bürgern honoriert.
Zeitgemäße Presse- und Öffentlichkeitsarbeit heißt bei der Stadt Düsseldorf: Neben täglich rund 15 bis 20 Pressemitteilungen und -einladungen kümmert sich der Newsroom um die Internetseite duesseldorf.de und die Social-Media-Kanäle Facebook, Twitter, Instagram und YouTube. Aber es gibt weiterhin auch telefonische Presseanfragen, die sich direkt klären lassen. Hinzu kommen im Schnitt elf Aufträge pro Werktag, die einen größeren Aufwand erfordern. In einer großen Stadtverwaltung wie Düsseldorf mit zahlreichen Dezernaten und Abteilungen können solche Auskunftsbegehren manchmal zeitintensive Recherchen auslösen. „Und sie erfordern einen höheren Abstimmungsbedarf“, berichtet Herden. Vor allem, wenn eine Anfrage ein, zwei oder mehrere Dezernate betrifft.
Kanalgerechtes Publizieren
Zentrale Drehscheibe im Newsroom sind zwei Chefs vom Dienst, bei denen alle Nachrichten der Düsseldorfer Stadtverwaltung zusammenlaufen. Das 14-köpfige Team verteilt und publiziert die Informationen kanalgerecht. Die Düsseldorfer Internetseite ist seit 2016 responsiv und bietet unter Aktuelles ein „Medienportal“ mit tagesaktuellen Informationen, Pressemitteilungen, Fotos und Terminen der Landeshauptstadt.
Das damals eingeführte Content-Management-System auf Typo3-Basis ermöglicht der Stadt, neben der redaktionellen Betreuung von duesseldorf.de auch das Erstellen und Versenden von Pressemitteilungen. Gleichzeitig wurde die Social-Media-Arbeit verstärkt. Inzwischen hat die Facebook-Seite von duesseldorf.de mehr als 58.000 Follower, Tendenz steigend. Auch der Instagram-Kanal hat eine wachsende Fangemeinde. Eigene Nachrichtenclips und Video-Wochenrückblicke liefert seit 2017 ein eigener Video-Redakteur.
Auch mit dem Einsatz der Social-Media-Tools Hootsuite gehörte die Pressestelle der Stadt nach eigener Einschätzung bei der Umstellung vor drei Jahren zu den „digitalen Vorreitern“ in Deutschland. Mit ihm plant das Newsroom-Team, wann was auf welchen Kanälen und den verschiedenen Accounts der Landeshauptstadt veröffentlicht wird. Zudem dient Hootsuite dazu, Trends und Themen im Netz zu beobachten. Fazit von Ingrid Herden über den Newsroom Düsseldorfs: „Die Kollegen finden es gut.“
Denn aus den einzelnen Abteilungen heraus über den Amtsleiter zu kommunizieren, wie es früher üblich war, klappt heute nicht mehr, das stellen vor allem größere Kommunen fest. Oder wie es eine erfahrene Kollegin formulierte: „Die Zeit der Unbekümmertheit ist weg.“ Auch im vermutlich letzten Rathaus wird die Außen-Kommunikation heute bewusster als früher gesteuert. Zumal ja die NRW-Oberbürgermeister wiedergewählt werden wollen. Dafür wollen und müssen sie stärker als früher in der Öffentlichkeit präsent sein.
Und weil die Medieninformationen aus dem Rathaus oder die Erfolgsmeldungen städtischer Tochterunternehmen oft genug keine mediale Verwertung mehr finden, taucht manche Geschichte nicht nur als Pressemitteilung auf, sondern garniert mit Fotos und Bewegtbild-Elementen auf Twitter, Facebook oder Instagram.
Der Anruf bleibt oft aus
Rationalisierung in den Redaktionen und Professionalisierung in den Presstellen bringen es mit sich, dass die direkten Anfragen und aufwendigen Auskunftsersuchen, von denen Ingrid Herden erzählt, seltener werden: Nicht nur kommunale Öffentlichkeitsarbeiter beklagen, dass der Anruf von Journalistinnen und Journalisten inzwischen viel zu oft ausbleibt. Aus Zeitmangel setzen Redaktionen hinter professionell gebaute Presseinformationen gerne einen Haken – ohne Nachfrage. Auch wenn sich eine kurze Recherche durchaus angeboten hätte, wie Pressesprecher schon mal bedauernd unter der Hand erzählen.
Teamstrukturen statt Newsdesk
Im Gegensatz zu Düsseldorf setzt Dortmund bei der städtischen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zwar auf Teamstrukturen, aber nicht auf einen zentralen Newsdesk, an dem alle Informationen zusammenlaufen. Und das, obwohl Stadtsprecher Frank Bußmann reichlich Erfahrung mitbringt: Als er noch auf der anderen Seite des Schreibtischs saß, hat er den Newsdesk der Westfälischen Rundschau mitentwickelt und geleitet – ehe die WR zur Zombie-Zeitung wurde.
„Es gibt nicht den Newsdesk“, stellt Bußmann klar. Der klassische Nachrichtentisch sei in seiner Pressestelle entbehrlich, denn die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Stadt Dortmund fuße auf Strukturen, „die auch für das Instrument Newsroom stehen: Wir denken von den Inhalten her für die Kanäle“.
Die Teams von Pressestelle, der Social-Media-Kanäle sowie der Online-Seite dortmund.de organisieren morgens in einer Dreiviertelstunde das Tagesgeschäft. Ansonsten reichen Telefonate und Mails dem neunköpfigen Team in der Regel, sagt Bußmann, „um sich etwas zuzurufen“. Ergänzt wird das Mediengeschäft bei der Stadt Dortmund um Wochenrunden. Dort stimmen sich die Verantwortlichen mit Wirtschaftsförderung, Redenschreibern, Tourismus und Marketing ab, was wie und wann in die Öffentlichkeit geht. Viermal im Jahr geht’s dann in großer Runde ans Strategische. Dabei wird über den Tag und die Woche hinaus gedacht, wie sich Dortmund präsentiert. Die derzeit 88.000 Twitter-Follower und 28.000 Abonnenten bei Instagram lassen den Pressesprecher zufrieden sagen: „Wir funktionieren auch so.“
Breit informieren
Dass Informationen längst nicht mehr nur von Journalistinnen und Journalisten abgerufen werden, sondern von Bloggern, Influencern und nicht zuletzt auch von Bürgerinnen und Bürgern, beobachten Pressestellen aller Art. Diesen Trend spüren auch die Verwaltungen von Städten und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen, wie die Recherche zeigte. Längst steht die Bürgerschaft in der Öffentlichkeitsarbeit vieler Städte gleichwertig neben den Redaktionen. Ob gesperrte Straßen, eine Lesung in der Stadtbücherei oder verschobene Termine der Müllabfuhr: Die kommunalen Pressestellen informieren Medien und breite Öffentlichkeit oft zeitgleich oder zumindest kurz hintereinander.
Das liegt unter anderem an der schwindenden Pressevielfalt. Wo vor wenigen Jahren zwei oder mit Glück sogar drei Zeitungsredaktionen um Informationen rangen, gibt es oft nur noch eine. In Nordrhein-Westfalen herrschen heute in vielen Gebieten bereits Pressemonopole.
Deswegen sieht Zeitungsforscher Horst Röper in städtischen Portalen wie dortmund.de sogar eine gewisse Folgerichtigkeit, wie er im WDR erklärte (zitiert im März 2018 nach Medienkorrespondenz): Die Stadtverwaltungen stünden vor dem Problem, dass bestimmte Vorhaben von den Medien hier „nicht widergespiegelt“ würden. Wenn sie diese „überhaupt unter die Bevölkerung bringen wollen, müssen sie eben selbst aktiv werden. Das tut man eben mit diesen Portalen. Und das ist aus meiner Sicht völlig richtig.“
So positionierte sich auch Alexander Vogel, Pressesprecher der Stadt Köln Ende Juni in einem Interview im Blog amtzweinull: „Wir haben einen Informationsauftrag zu erfüllen: Wir müssen und wollen die Bürgerinnen und Bürger über die Arbeit des Stadtrates und der Stadtverwaltung informieren. Da reicht es im Jahr 2019 eben nicht aus, nur ein Amtsblatt zu drucken und vor dem Presseamt einen Schaukasten aufzustellen.“ Ähnlich hatte Vogel schon auf dem Journalistentag 2018 in Dortmund argumentiert, wo er auf dem Podium zum Thema institutionelle Berichterstattung saß (siehe JOURNAL 6/18: Mut, Verantwortung, Haltung, eine Aufzeichnung der Dikussion gibt es hier). Damals ging es um die Frage, wie viel und welche Berichterstattung für kommunale Verwaltungen zulässig ist und wie stark dies den Medien in die Quere kommt.
In Köln gehe es „nicht darum, etwas an den Medien vorbei zu platzieren“, stellt Vogel auch jetzt im Interview klar, „sondern nur konsequenter über alle Kanäle, die uns zur Verfügung stehen, zu kommunizieren“.
Die Stadt hat ein fünfköpfiges Social-Media-Team aufgebaut, seit 1. August ist Renate Bauer Leiterin der neu geschaffenen Stabsstelle Digitale Kommunikation. Im nächsten Schritt soll eine Newsroom-Struktur entstehen. Das Ziel: die externe und interne Kommunikation besser aufeinander abzustimmen, zu koordinieren und über die einzelnen Kanäle wirkungsvoll auszuspielen. Dabei packen die Kölner nicht so sehr die räumliche Struktur an, wie Vogel im Interview mit amtzweinull erklärt, sondern „wir ändern unsere Organisationsstruktur, unsere Prozesse und Abläufe grundlegend“. Sogenannte Themenmanagerinnen und -manager sollen künftig „ihre Themen aufbereiten, aktuell halten und in Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen Kanälen platzieren“. Für eine Millionen-Metropole mit unzähligen Themen sei das keine einfache Aufgabe.
In Lippstadt ist alles etwas kleiner
Von einem großen Team kann Julia Scharte in Lippstadt nur träumen. Sie ist nicht nur Stadtsprecherin, sondern zugleich erste Anlaufstelle für Lippstädter. Zudem leitet Scharte noch das Büro des Bürgermeisters. „Wir bekommen viel mit“, sagt sie über ihr Arbeitsfeld. Zusammen mit der frisch eingestellten Social-Media-Kollegin Miriam Schleifer bildet sie die Pressestelle der Stadt und sendet rund 340 Pressemitteilungen pro Jahr raus.
Die Lippstädter standen vor den gleichen Problemen wie die Großstädte Köln und Düsseldorf: „Die Ansprüche der Bürger sind in den vergangenen Jahren deutlich größer geworden“, stellt Julia Scharte fest.Der klassische Konsum von Tageszeitungen gehe zurück. Selbstverständlich ist für die Pressesprecherin: „Wir wollen den Redaktionen nichts vorenthalten.“
Pressemitteilungen und Informationen gehen zunächst an die Redaktionen, bevor sie dann im Laufe des Tages auf den Social-Media-Kanälen online gestellt werden. Und dass schon aus Eigennutz: „Wir wollen pflegen, was wir an Medien vor Ort haben.“
Ähnlich wie Tageszeitungsverlage auch habe die Lippstädter Verwaltung ihre digitalen Angebote ausgeweitet. „Wir merken auch, dass es nicht gut ist, wenn wir nicht informieren.“ Dann häufen sich Beschwerden von Bürgern, sagt Scharte, „wenn plötzlich der Bagger vor der Tür steht und sie die Meldung in der Zeitung nicht gelesen haben.“
Vor 23 Jahren war Lippstadt nach eigenen Angaben die erste Stadt im Kreis Soest, die einen Internetauftritt hatte. Seitdem wurde die Homepage dreimal überarbeitet, zuletzt im Herbst 2018. Mit responsiven Designs passt Lippstadt sich nun problemlos an die neue Endgeräte-Vielfalt an und ermöglicht einen barrierefreien Zugang – auch ohne über Facebook surfen zu müssen. Auf allen Seiten werden Angebote jetzt angeteasert, Fotos sind mit erläuternden Texten belegt.
Virtueller Newsroom
Neu ist der „Newsroom“, den es in Lippstadt eigentlich nur in einer virtuellen Variante gibt. Denn hier versteht die Pressestelle darunter einen Social-Media-Feed, der alle Neuigkeiten aus den sozialen Kanälen der Stadt bündelt. Juicer heißt das zunächst kostenlose Feed-Programm. Bislang werden in der Übersicht die Nachrichten des städtischen Facebook-Auftritts gesammelt. Bald sollen dort auch Nachrichten von städtischen Betrieben und der Wirtschaftsförderung zu lesen sein.
Die Resonanz von Anfang des Jahres bis Anfang Juli: 407 Zugriffe auf die Social-Media-Kanäle per Juicer-Newsroom. Dass die Social-Media-Kanäle ganz praktisch für die Kommunikation mit dem Bürger sind, hat sich in Lippstadt bei Großbränden und einem Wassereinbruch gezeigt. Scharte: „Die Posts wurden extrem viel gelesen und weitergeleitet.“ Weil Social-Media-Kanäle eine direkte Wirkung hatten, sind sie auch gleich in die Krisenpläne der Stadt eingebaut worden. Ein Youtube-Kanal wäre schön, sagt Scharte, verweist aber gleich auf die begrenzten personellen und finanziellen Kapazitäten der Stadt.
Das Problem der Wäscheleine
Dem Thema eigener TV-Kanal auf Youtube erteilt auch Wolfgang Speen, Pressesprecher der Stadt Mönchengladbach, sofort lachend eine Absage mit einem Sprichwort: „Schuster, bleib’ bei deinen Leisten.“ Das Grundproblem ist für Speen dasselbe wie für andere Kolleginnen und Kollegen im Lande: „Was mache ich, wenn eine PM in den Redaktionen mal zwei Wochen an der Wäscheleine hängt?“ Denn der Auftrag der öffentlichen Verwaltung und damit der Pressestellen ist klar: „Wir müssen an den Bürger herankommen.“
Zwar lassen sich in Mönchengladbach die Pressemitteilungen wie auch das Amtsblatt und die Ausschreibungen auch per RSS-Feed abonnieren. Auch gibt es alle zwei Wochen von der Stadt einen Newsletter. Speen ist sich sicher, dass der Informationsauftritt seiner Stadt von Medien-Kollegen und deren Arbeitgebern aufmerksam beäugt wird: „Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Kommunen ist eine Pflichtaufgabe. Daher sollten in Zeiten der sich verändernden Medienlandschaft und einer damit einhergehenden Monopolisierung in manchen Städten alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, die Bürgerinnen und Bürger umfassend zu informieren. Dies sollte allerdings nicht dazu führen, die Aufgaben der Medien komplett zu übernehmen. Man muss aufpassen, wie weit man geht.“
Seit gut eineinhalb Jahren hat die Stadt einen Newsroom für integrierte Kommunikation, berichtet der Leiter der Stabsstelle Presse und Kommunikation. „Wir sind quasi das Sprachrohr der Verwaltung.“ Das reicht von der Pressemitteilung über die Social-Media-Auftritte einschließlich Instagram und YouTube bis zum Bürger-Dialog. In der Stabsstelle laufen alle Fäden der externen und internen Kommunikation zusammen.
Oberbürgermeister Hans Wilhelm Reiners wirbt im Editorial der Anzeigenblatt-Beilage Blickpunkt Stadt für Social Media: „Folgen Sie der Stadt auf Facebook und Twitter.“ Speen glaubt, dass er und sein neunköpfiges Team einen guten Job machen: „Die Anforderungen an die Kommunikationsabteilung sind in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Durch den Einsatz unterschiedlichster Instrumente ist ein permanentes Content Management erforderlich, um die jeweiligen Zielgruppen zu erreichen.“
Wolfgang Speen verbindet jetzt gut drei Jahrzehnte Verwaltungserfahrung mit Praxisnähe. Zur Rolle der Pressestellen von öffentlichen Verwaltungen hat der Praktiker eine klare Position – auch mit Blick auf das laufende gerichtliche Verfahren um das Dortmunder Onlineportal: „Wir sind nicht dazu da, die Medien zu ersetzen.“||
Kritischer Blick auch auf sichere Quellen
Der Zeitdruck in Redaktionen, aktuell Neues gleichzeitig auf vielen Kanälen mit immer weniger Personal zu produzieren, verführt offenbar häufiger zum Durchwinken. Redaktionen übernehmen Meldungen aus dem Rathaus, von Polizei und Feuerwehr gerne, wenn die Texte, Fotos und Videos nach professionellen Standards aufbereitet und damit schnell verwertbar sind. Und da es sich um Informationen aus sogenannten „privilegierten Quellen“ handelt, ihre Nachrichten also der Wahrheit entsprechen, geben sich Redaktionen oft mit der Ein-Quellen-Geschichte und damit der Sicht des Rathauses zufrieden.
Längst ist daraus ein teuflischer Kreislauf für den Journalismus und die Zukunft der Redakteure geworden. Nicht ohne Grund mahnte jüngst der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall, dass „ein Polizeibericht für Redaktionen eine wichtige Ausgangsinformation ist, mehr nicht“. Keinesfalls dürften Schilderungen und Behauptungen solcher Berichte ungeprüft in die Medienberichterstattung Einzug halten.
Vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen im Hambacher Tagebau meinte er weiter: „Es ist kritikwürdig, dass nach der Tagebau-Erstürmung einige Medien die Behauptung der Polizei übernommen hatten, 16 Polizisten seien verletzt worden. Die Recherchen eines WDR-Journalisten ergaben, dass nur zwei Polizisten Verletzungen durch Fremdeinwirkung davontrugen.“ Überall erinnerte die Kolleginnen und Kollegen daran, dass die Polizei bei Auseinandersetzungen Partei sei und nicht unparteiischer Beobachter: „Das müssen wir Journalisten immer im Hinterkopf haben, wenn wir den Polizeibericht lesen.“
Damit Redaktionen über genügend Material verfügen, seien Bilder und Informationen von Journalisten vor Ort unverzichtbar. Oliver Malchow, Bundesvorsitzender der Polizei-Gewerkschaft GdP, erklärte im Gespräch mit Überall, ihn beschleiche „öfter das Gefühl, dass die jeweilige Anfrage oftmals einfach nur abgearbeitet wird, ohne sich dem Thema wirklich nähern zu wollen“. Zudem gäben sich Journalisten oft mit einem schriftlichen Statement zufrieden, „ohne das direkte Gespräch mit mir gesucht zu haben. Vor allem im Gespräch ergeben sich doch oft vielschichtigere Sichtweisen und Argumentationslinien“./whi
Ein Beitrag aus JOURNAL 4/19, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im August 2019.