Wer echte Liebe zum Radio empfindet, kennt die wahren Perlen. Der Stichtag auf WDR 2 gehört dazu: ein Format, das glänzt. Weil Autorinnen und Autoren mit eigener Handschrift radiofon erzählen und Vergangenheit lebendig werden lassen. Da ist nichts von der Stange: Es kann schon mal Tage dauern, am Text zu feilen, prägnante O-Töne zu suchen, Expertinnen und Experten zu interviewen, den passenden Musikeinsatz zu bedenken. Erstaunlich, dass diese Radioperle auf dieser so durchformatierten Welle zu hören ist. Und doch wirken die Stichtage nie als Fremdkörper, sondern sind willkommene Hörstücke. Wie oft bin ich noch länger im Auto geblieben, bis die Sprechstimme zum Ende kam.
Als entschieden wurde, dieses Format einzustellen, haben die Verantwortlichen nicht mit der weit geteilten Liebe für dieses Kleinod gerechnet (siehe auch „Der Stichtag mobilisiert“). Die allerdings prallt an den kalten Herzen der Finanzabteilungen in den Sendern ab. Deswegen verteidigen Autorinnen und Autoren ihre Herzensangelegenheit mit viel Verve und bekommen breite Unterstützung in den sozialen Netzwerken. Prominente haben sich in einer großformatigen Anzeige zum Stichtag bekannt.
Wir als DJV empfinden dieselbe Leidenschaft für so ein Format. Natürlich gibt es in der ARD Sachzwänge. Aber ist es nicht beschämend, wenn die – im Vergleich zum Gesamtetat der Anstalten – marginalen Produktionskosten für Autorinnen und Autoren zum Ende einer so starken Marke führen, die im Kern die Werte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in sich trägt?
Für mich ist das auch ein Lehrstück, wie die Grundsolidarität unter den ARD-Anstalten zunehmend unter die Räder gerät. Der WDR wird alleine gelassen und muss ausbaden, was andere verursachen. Der NDR kündigt Kooperationen und wirft damit anderen Sendern seine Finanzprobleme vor die Füße. Da hilft es auch nicht, wenn Radio Bremen einen deutlich niedriger honorierten Ersatz für die gesamte ARD verspricht und damit die Angebote anderer Rundfunkanstalten weit unterbietet. Dafür werden Freie ausgequetscht wie Zitronen – wie dies in der Medienbranche seit Jahren um sich greift. Kein Wunder, dass das mir und vielen anderen ziemlich sauer aufgestoßen ist.||
Ein Beitrag aus JOURNAL 5/20, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Oktober 2020.