Streit, heftige Kontroversen oder gar Krieg – wer im Journalismus arbeitet, wird darüber berichten (müssen), dass Menschen in Konflikte verstrickt sind. „Das ist wie Brot und Butter für uns Journalistinnen und Journalisten – ob man jetzt in der Lokalredaktion arbeitet oder im Hauptstadtbüro“, sagt Sigrun Rottmann. „Wir haben alle mit Kontroversen, Konflikten und Streitthemen zu tun.“
Es ist eine verantwortungsvolle Aufgabe, findet die Journalistin und Politikwissenschaftlerin. Denn je nachdem, wie man die eigene Berichterstattung anlegt, heizt man – absichtlich oder nicht – Aggressionen weiter an oder trägt im besseren Fall zur Versachlichung oder Lösung der Auseinandersetzungen bei.
Viel Erfahrung mit Berichten über Konflikte hat Sigrun Rottmann als Korrespondentin in Mexiko und später beim englischsprachigen Dienst des BBC Worldservice gemacht. Als sie danach als Trainerin in der Medienentwicklungszusammenarbeit für die Deutsche Welle Akademie unter anderem in Ägypten und dem Südsudan arbeitete, lernte sie das Konzept des „konfliktsensitiven Journalismus“ kennen, der viel von der Tradition des „Friedensjournalismus“ hat. Ein Ansatz, den man, seit die Zeiten politisch unruhiger werden, auch in Deutschland gut brauchen könnte, befand Rottmann.
Mit besserem Wissen analysieren können
Seit Jahren gibt sie zum konfliktsensitiven Journalismus Seminare – unter anderem am Institut für Journalistik in Dortmund und ab 2024 auch für den DJV-NRW. Diesen Ansatz macht aus, dass Journalistinnen und Journalisten ihr grundlegendes Wissen erweitern, wie sie über Krieg, Streit und Auseinandersetzungen aller Art sachlich und kompetent berichten: Was sind überhaupt Konflikte und welche Typologien gibt es? Wie unterscheiden sich Konfliktgegenstand und Austragungsform? Wie erkennt man ein Framing von Konflikten und Debatten?
„Es geht auch um eine Selbstreflektion der eigenen Voreingenommenheit, Wahrnehmungsverzerrungen und Subjektivität“, erklärt Rottmann. Wer sich damit beschäftige, so die Idee, sammele Kompetenz, Auseinandersetzungen analysieren und dadurch auch besser über sie berichten zu können.
Denn da sieht Rottmann hierzulande noch Nach- holbedarf – auch bei den Qualitätsmedien: „Dafür, dass wir in einer Gesellschaft leben, die zunehmend gereizt ist, kommt es geradezu häufig vor, dass in Medien aus Debatten ein Konflikt konstruiert wird. Dabei ist eine Debatte erstmal kein Konflikt“, erklärt Rottmann. Trotzdem würden Streitthemen oft hochgejazzt, dramatisiert, stark vereinfacht oder personalisiert und mittels einer „Kampfsprache“ darstellt.
„Gespalten“? Oder nur „uneins“?
Geradezu trendy sei es, die Polarisierung und Spaltung der Gesellschaft zu beklagen. Für Rottmann ist das ein Framing rechter Gruppierungen: „Diese Spaltung ist nicht wissenschaftlich erwiesen. Wenn wir immer sagen, die Gesellschaft ist gespalten, entsteht in den Köpfen ein Bild der Lähmung, von Unversöhnlichkeit und von Lagerbildung“, sagt die Journalistin. „Es ist ein Frame, der Konflikte nicht als bearbeitbare Prozesse darstellt.“ Ein ganz anderes Bild im Kopf ergebe sich, wenn man schreibt: „Wir sind uns in dieser Frage uneins.“ Stimmt auch noch, verdeutlicht aber, dass es trotz des Disputs auch Gemeinsamkeiten geben kann. Mit dieser Abrüstung im Kopf ist auch eine Lösung denkbar.||
Seminar: Besser berichten über Debatten, Streit und Konflikte – Infos und Anmeldung
Ein Beitrag aus JOURNAL 4/23, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Dezember 2023.