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Neulich… Tor des Jahres

19. Juli 2022, Eine Glosse von Karlheinz Stannies

„Mensch, bist Du alt geworden“, feixte Martin, reichlich uncharmant. „Fiel am Laptop gar nicht so auf.“ Nach langer Zeit traf sich der Stammtisch mal wieder persönlich. Ulla stichelte sofort zurück: „Und Du siehst aus, wie auf dem Sendeplatz nachts um halb eins. Gut, dass Du Radio machst.“ Wir lachten kreuz und quer über den Familienfeier-Tisch der Kneipe. Der hatte Putin-Format, nur ohne Schnörkel und zitternde Generäle.

Schnell flogen auch wieder Probleme um den Tisch. Verlage, die Redaktionen dichtmachen; Verlage, die Fotografen rauswerfen; Sender, die Tarife scheuen; Medienhäuser, die ihre Freien an den Rand der Existenz sparen; Mitmenschen, die uns hassen; Politiker, die uns mit Vernichtung drohen; Hunderte Journalismus-Experten und Unsinnfluenzer, die uns mit Ratschlägen überschütten. Die Liste wurde immer länger. „Und da soll man diesen Job noch lieben“, stöhnte Claudia.

Doch, Journalismus ist und bleibt großartig. Zumindest in der Theorie. Da waren wir uns einig. „Nur die Praxis schwächelt“, grummelte Mehmet. Ist es wirklich noch Journalismus, wenn man immer öfter gezwungen wird, mehr über Klicks und Digital-Abos nachzudenken als über Inhalte? Und was machen die Gutsherren der Pressefreiheit, die kleine Schar der Besitzer und Lenker privater Medien? „Immer öfter Blödsinn“, gackerte Stefan. „Stimmt“, nickte Carola, „einige sind peinlich“.

Blitzschnell hatten wir eine Fremdschäm-Hitliste zusammen. Auf Platz 3: der Verleger-Präsident. Der hatte nicht nur seinen Macho-Chefredakteur zu lange geschützt und uns andere als PR-Leute beleidigt, sondern soll auch bei seiner Doktorarbeit geschummelt haben. „Jetzt will er demnächst als Präsi zurücktreten – wegen zu viel Arbeit“, schmunzelte Seline.

So richtig vorbildlich handelte auch nicht der Herausgeber einer Qualitätszeitung, Platz 2: Der Mann gab seinem Banker-Kumpel den Tipp, dass die Redaktion gegen das Geldhaus recherchiert. „Geht gar nicht. Der Kerl ist jetzt freigestellt.“ Wir leiteten Platz 1 mit einem Finger-Trommelwirbel ein: Ein Verleger-Urgestein hatte seiner Investigativ-Redaktion die Veröffentlichung einer Exklusivrecherche verboten, um einen Verlegerkumpel nicht zu ärgern. „Die ganze Redaktion hat gekündigt und arbeitet schon woanders“, grinste Harry, „ein echtes Eigentor, vom Tor des Jahres“.

„Die hatten Glück“, brummte Hannes. „Investigative finden im Moment schnell einen anderen Job.“ Wir nickten und ahnten, was noch kommt: „Als Lokalredakteur wärst Du nicht so gefragt. Da bist Du Deinem Gutsherren ausgeliefert.“||

 

Ein Beitrag aus JOURNAL 2/22, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im April 2022.