GLOSSE

NEULICH… Zombie-Kneipen, zentral gezapft

15. August 2019, .stan

Der Wirt schockte unseren Stammtisch. „Wir werden bald zentralisieren“, rief er uns vom Tresen zu. Beim Servieren der Runde verriet er mehr: „Wir wollen uns mit anderen Lokalen zusammentun.“ Wegen des Kneipensterbens. „Das Bier für alle kommt künftig zentral gezapft vom Dorfkrug.“ Wir schauten ihn groß an; der ist doch drei Stadtteile entfernt. „Okay, wir wissen noch nicht, welche Biersorte dann kommt. Und es wird unterwegs natürlich ein wenig schal werden. Aber hey, weil es dann überall gleich schmeckt, merkt ihr das gar nicht. Wir vor Ort blasen nur noch Schaum drauf. Wegen der Optik.“

Wir waren empört. Dass Verlage ihre Marken kaputt sparen und auf Traditionen pfeifen – geschenkt. Ältere erinnerten sich noch an die ruhmreiche stolze Westdeutsche Allgemeine Zeitung. Die läuft dank Zentralredaktionen längst selbst in eigenen Texten nur noch als „Zeitung der Funke-Mediengruppe“. Viele gestandene Titel fristen ihre Identität inzwischen unter Begriffen wie Redaktionsnetzwerk. Die Neue Westfälische will gerade ihren Mantel wechseln und mit zwei anderen Blättern eine neue Zentralredaktion gründen. Burda will eine komplette Fernseh-Redaktion feuern und die Inhalte beim Konkurrenten Funke kaufen.

Inge schüttelte den Kopf: „Anfangs gab’s noch Aufstände, denkt mal an Dortmund oder Münster. Inzwischen nehmen die Menschen leider Zombie-Zeitungen und Mogelpackungen hin. Aber für Bier? Ich denke, dafür gehen die noch massenhaft auf die Straße.“ Gerd stimmte zu: „Zombie-Kneipen sind ’ne blöde Idee! Wer fragt uns? Es heißt doch: Gebt den Konsumenten, was sie wollen.“

User first – bei den Medien ist das längst Pflicht. „Es gab Zeiten“, erinnerte sich Malte, „da haben Redaktionen bewusst genau das ausgewählt, von dem sie überzeugt waren, ihre Leser müssten das unbedingt wissen. Lebenshilfe, Information und Aufklärung.“ Wir wussten, dieser Anspruch schwindet. Heute sind oft Klicks die Chefredakteure. „Das Internet bietet ja jedem die Möglichkeit, nur noch die Nachrichten zu lesen, die ins eigene Weltbild passen“, dozierte Uwe. „Und genau darauf muss man reagieren, wenn man überleben will.“

Es gibt Redaktionen, erzählte er, die überprüfen mit viel digitalem Aufwand ständig, welche Themen wie oft angeklickt und wie lange gelesen wurden. Die Hitliste bestimmt dann das redaktionelle Angebot. Petra schnaubte: „Auch wenn es lauter Unsinn ist, was da gewünscht wird? Und Wichtiges gar keine Rolle mehr spielt? Was, wenn das Publikum Migranten-Beschimpfung will?“

Wir lehnten uns entspannt zurück. Ganz ohne Redaktionen und Journalisten, die aufpassen, wird es wohl auch künftig nicht gehen. Darauf bestellten wir beim Wirt unserer Wahl die nächste Runde. Frisch gezapft.||

Ein Beitrag aus JOURNAL 4/19, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im August 2019.