GLOSSE |

Schweizer Taschenmesser fürs Interview

26. April 2022, Eine Glosse von Ralf Heimann
Ralf Heimann | Foto: Nikolaus Urban
Ralf Heimann | Foto: Nikolaus Urban

Es gibt einen Witz, der ungefähr so geht: Ein Politiker fragt beim Besuch einer Firma den Geschäftsführer: „Und wie viele Menschen arbeiten hier?“ Der Geschäftsführer antwortet: „Wir schätzen, so die Hälfte.“ Der Witz liegt in dem unabsichtlichen Missverständnis. Man redet aneinander vorbei, ohne es zu wollen.

Gekonnt ausweichen

Im Journalismus passiert das oft ganz bewusst. Das Interview zum Beispiel ist eine Darstellungsform, bei der es darum geht, den gestellten Fragen so gut es geht auszuweichen. Als die ZEIT neulich den BILD-Chefredakteur Johannes Boie im Interview fragte, auf welche Probleme er bei seinem Start gestoßen sei, sagte er: „Man stellt in so einer großen Organisation natürlich gelegentlich fest: Okay, das sollte so nicht sein. Darunter auch Kulturdinge.“ Die Interviewenden fragten, um welche Kulturdinge es denn gehe. Boie antwortete: „Der Umgang zwischen Kollegen bei Bild muss immer ein anständiger sein.“ Und das war nicht so? Boie sagte: „Das ist in keiner Redaktion perfekt.“

Allgemeine Aussagen sind so etwas wie das Schweizer Taschenmesser in der Kunst der mehr oder weniger geschickten Abwehr von Fragen. Etwas später wollten die Interviewenden noch wissen, warum die Führungskräfte im Springer-Verlag nach dem Rauswurf von Julian Reichelt denn nun ein Diversity- und Inklu­sionstraining absolvieren müssen. Boie sagte: „Es ist immer nötig, dass Führungskräfte sich fortbilden.“ Hier und auch schon oben kommt eine zweite Technik zur Anwendung: Man hebt das Positive hervor. Dann muss man die Defizite nicht benennen.

Die 3T-Methode

Die ehrliche Antwort auf die Frage nach den Kulturdingen wäre vielleicht gewesen: „Wie unsere Leute miteinander umgegangen sind, das war allerunterste Schublade.“ Und die auf die Frage nach der Fortbildung: „Unsere Leute haben von Diversity und Inklusion keinen blassen Schimmer.“ Das könnte die Wahrheit sein. Aber sie braucht natürlich einen Mutigen, der sie ausspricht. Die allgemeine Aussage dagegen führt direkt auf eine Umleitung, auf der man den Ortsteil Tacheles weiträumig umfährt. In ihrem Verlauf steht auf drei Verkehrsschildern jeweils ein T, denn diese drei Buchstaben geben der Umleitung ihren Namen (3T-Methode). Sie stehen für Touch, Turn und Talk.

Die Technik funktioniert so: Man antwortet irgendetwas, das den Inhalt der gestellten Frage nur sachte berührt (Touch). Dann wendet man (Turn), leitet über zu einem anderen Thema und platziert eine eigene Botschaft (Talk). So kommt man durch jede Talkshow.

Und nicht nur das, die Technik hilft einem auch im Privat­leben. Beispielfrage: „Wer hat denn die Schokolade im Kühlschrank gegessen?“ Antwortvorschlag: „Interessante Frage. Aber hast du meinen Schlüssel gesehen? Der lag hier doch gerade noch rum.“

Ohne Lüge rauskommen

Wichtig ist, das richtige Werkzeug zu wählen. Angenommen, Ihr Nachbar fragt nach seinem Urlaub, ob Sie – wie versprochen – auch immer seine Blumen gegossen haben; sie waren aber in der zweiten Woche selbst noch kurzfristig am Meer. Dann sagen Sie: „Ich habe deine Blumen sehr oft ­gegossen.“ Wenn die Blumen es überlebt haben, kommen Sie so aus der Sache heraus, ohne zu lügen.

Aber es kann auch schiefgehen. Der frühere italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi wurde einmal gefragt, ob er eigentlich treu sei. Auch er griff in den Werkzeugkasten. Er entschied sich, in seiner Antwort etwas Positives hervorzuheben. Er antwortete: „Ich würde sagen, ich war in meinem Leben sehr oft treu.“||