Das wachsende Aufkommen bewusst gestreuter Falschmeldungen und der Einzug von Populisten in hohe Regierungsämter hat die Arbeit in Redaktionen verändert. Sie müssen mehr als früher abwägen, ob das aufmerksamkeitsstärkste Bild wirklich als Aufmacher taugt. Und ob das zugespitzte, emotional aufgeladene Neue der Aufhänger einer Meldung oder eines längeren Beitrags sein sollte und auch knackig zur Überschrift wird. Denn was, wenn es sich dabei um dreiste Lügen und Manipulationen handelt?
Gerade bei der Berichterstattung von Demonstrationen oder politischen Aktionen besteht die Gefahr, dass Text und Bilder ungefiltert die verwendeten Parolen, Narrative und Symbole wiedergeben. Ungewollt übernehmen Journalistinnen und Journalisten damit quasi das PR-Geschäft für die jeweilige Interessengruppe. „Stenographie-Journalismus“ nannte das die Kommunikationswissenschaftlerin und Beraterin Nadia Zaboura in einem Tweet kurz nach der US-Wahl im November 2020. Obwohl die Stimmauszählung längst nicht beendet war, brachten verschiedene Medien ein nacktes Trump-Zitat als Überschrift: seine falsche Behauptung über den sicheren Wahlsieg.
Was also können Redaktionen tun, um nicht in diese Falle zu tappen? Bei der Bebilderung geht es um eine sehr bewusste Auswahl: Welche Botschaft transportiert jedes einzelne Bild, wenn es für sich alleine steht? Denn was hilft es, wenn die unwahren Aussagen eines Aufmacherbilds oder der falsch gesetzte visuelle Schwerpunkt irgendwo im Text eingeordnet und richtig gestellt werden? Wahrgenommen und oft auch erinnert wird von vielen im Wesentlichen das, was sie zuerst gesehen (und interpretiert) haben.
Auch bei Texten gilt es abzuwägen, ob und wie wahrheitswidrige Zitate und Inhalte wiedergegeben werden. Falls sie Gegenstand der Berichterstattung sind, empfehlen Fachleute das Truth-Sandwich – das Sandwich der Wahrheit. Die offensichtlich falsche Aussage wird als solche zwischen zwei wahre verpackt und damit eingeordnet. Mit den Worten des US-amerikanischen Journalistikprofessors Jay Rosen: „Hier sind die Schritte: 1. Geben Sie an, was wahr ist. 2. Berichten Sie, dass eine falsche oder zweifelhafte Behauptung aufgestellt wurde. (Aber nur, wenn es berichtenswert ist, das heißt, wenn es für die Öffentlichkeit wichtig ist, zu wissen, dass es passiert ist. Andernfalls sollten Sie schweigen.) 3. Wiederholen Sie, was tatsächlich die Wahrheit ist.“
Die Kolumnistin Samira El Ouassil schreibt bei Übermedien: „Die Idee hinter dem Truth-Sandwich kennen wir aus guten Reden: Es ist die Macht strukturierter Emphase. Das Wichtigste immer zu Beginn und zum Ende, dem Mittelteil schenkt man nicht so viel emotionale Beachtung und vergisst es schneller wieder. Deswegen sollten die Headlines eben nie mit einer Lüge anfangen oder aufhören, denn die Macht der Wiederholung macht sie in unserer Wahrnehmung irgendwann (zumindest teilweise) wahr.“/
Ein Beitrag aus JOURNAL 1/21, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Februar 2021.