THEMA | Demo-Berichterstattung

Wer darf eigentlich was?

Bildjournalismus ist mitunter eine Gratwanderung
14. Februar 2021, Corinna Blümel

Wer Bildberichterstattung machen will, muss ran ans Geschehen. Das gilt bei Demonstrationen, vor allem aber bei Protestaktionen wie zum Beispiel im Tagebau Garzweiler oder am Kraftwerk Datteln 4. Bilder aus der Ferne können nur vage erzählen, wie Klimaschützerinnen und -schützer einen Braunkohle-Bagger besetzen. Oder wie Einsatzkräfte eine Sitzblockade auflösen.

Auch Bildjournalist David Klammer wollte am 4. Dezember im Dannenröder Forst ganz nah dran sein. In dem jahrhundertealten Mischwald in Hessen hatten sich Aktivistinnen und Aktivisten im Protest gegen die geplante Abholzung als „Swing Force“ oben in den Baumwipfeln angeseilt. Für diesen Tag hatte die Polizei die Räumung von Baumhäusern angekündigt. Der Bildjournalist, der von der Kölner Agentur laif vertreten wird und an einer Filmdokumentation über die Aktivistinnen und Aktivisten arbeitet, suchte für diesen Tag die besondere Perspektive. Deswegen stieg er frühmorgens hoch in einen Baum, um die Räumung von oben zu dokumentieren.

Die „Swing Force“ im Dannenröder Forst im November: Aktivistinnen und Aktivisten haben sich in den Bäumen angeseilt. |
Die „Swing Force“ im Dannenröder Forst im November: Aktivistinnen und Aktivisten haben sich in den Bäumen angeseilt. | Foto: David Klammer/laif

In Gewahrsam genommen

Wie Klammer auf Twitter berichtete, informierte er telefonisch die zuständige Pressestelle der Polizei in Gießen über sein Vorhaben. Auch gab er sich nach eigener Aussage in der Situation vor Ort jederzeit als Journalist zu erkennen, unter anderem mit seinem von freelens ausgestellten Presseausweis. Er habe mit den Beamten vor Ort kooperiert. „Dennoch wurde ich bei der Räumung des Baumhauses in Gewahrsam genommen, mein Klettergurt wurde mir abgenommen, und ich erhielt einen Platzverweis für fünf Tage“, berichtet er auf Twitter. Die Folge: In den FolgeTagen konnte er keine weiteren Aufnahmen von den Räumungen machen.

Klammer hatte den Eindruck, so erzählt er später am Telefon, dass die Polizei gezielt den Kontakt zwischen den aktiv Teilnehmenden und den professionellen Bildjournalistinnen und -journalisten verhindern wollte. Ähnliche Erfahrungen machen viele Kolleginnen und Kollegen – vor allem diejenigen, die fotografieren oder filmen. Obwohl sie durch den Presseausweis als professionelle Medienschaffende zu erkennen sind, werden sie von den Einsatzkräften vor Ort wie Aktivistinnen oder Aktivisten behandelt.

Vorsorgliche Betretungsverbote

Eine der polizeilichen Maßnahmen sind Betretungsverbote: Als Umweltschützer Ende Mai Aktionen am neuen Kohlekraftwerk Datteln 4 ankündigten, erteilte die Polizei Recklinghausen auch einer Reihe Bildkolleginnen und -kollegen vorsorglich Aufenthaltsverbote für das Kraftwerksgelände und für mehrere umliegende öffentliche Straßen (siehe auch JOURNAL 3/20). Der Grund: Sie hatten im Februar 2020 über eine Aktion auf dem Gelände berichtet.

Der DJV-NRW hat im Nachgang der Vorfälle das Gespräch mit der Polizei in Recklinghausen gesucht und durchgesprochen, wie solche Fälle in Zukunft besser gelöst werden können. Es ist nicht das erste Mal, dass Landesvorstand und Geschäftsführung in dieser Mission unterwegs sind: Der DJV setzt sich auf Landes- und Bundesebene seit Langem und beharrlich für eine bessere Ausbildung von Polizisten in Sachen Pressefreiheit und Schutz von Medienschaffenden ein.

Das Ziel ist nicht nur, dass Polizistinnen und Polizisten den Presseausweis kennen, den der DJV und fünf weitere Journalistenverbände im Auftrag des Presserats ausstellen. Die Einsatzkräfte sollen auch besser verstehen, was Journalistinnen und Journalisten warum machen. Dass im Baumhaus zu sitzen oder auf den Bagger zu klettern eben nicht „mitbesetzen“ ist, sondern dass es erforderlich ist, um das Geschehen aus größter Nähe zu dokumentieren.

Da geraten journalistische und polizeiliche Tätigkeiten schnell in ein Spannungsfeld: Zwar obliegt es der Polizei, Gefahren abzuwehren und Straftaten zu verfolgen, aber zugleich müssen Einsatzkräfte berücksichtigen, dass Journalistinnen und Journalisten vor Ort und vielleicht mitten im Gemenge den im Grundgesetz verankerten Anspruch auf freie Berichterstattung und Information umsetzen. Medienschaffende haben die Aufgabe, die Allgemeinheit über Ereignisse von öffentlichem Interesse zu informieren, und dazu gehören auch Protestveranstaltungen, Demonstrationen und Aktionen.

Natürlich sind Bildjournalistinnen und -journalisten optisch nicht immer von den Demonstrierenden zu unterscheiden, gerade wenn sie sich passend für den körperlich anstrengenden Einsatz ausgestattet haben. Trotzdem gilt aus DJV-Sicht: Spätestens, wenn Kolleginnen und Kollegen den Presseausweis zeigen und nachvollziehbar erläutert haben, warum sie da sind, sollten die Ordnungskräfte sie auch als Journalistinnen und Journalisten behandeln.

Keine Aufnahmen, kein Honorar

Was dürfen die Polizeieinsatzkräfte denn überhaupt in solchen Situationen? Ist es rechtens, wenn sie die erwähnten Betretungsverbote erteilen, wenn sie die Kameraausrüstung beschlagnahmen oder den Klettergurt wie im obigen Fall? Wie lange dürfen sie die Rückgabe herauszögern? Das müssen oft genug Gerichte im Nachhinein klären. Aber auch wenn die Bildkolleginnen und -kollegen nachträglich noch Recht bekommen, in der aktuellen Situation haben sie nichts davon. Und für Freie gilt dann: keine Aufnahmen, kein Honorar.

Umgekehrt stellt sich natürlich die Frage: Was ist den Journalistinnen und Journalisten in solchen Situationen erlaubt? Wenn sie mit der Gruppe von „Ende Gelände“ in den Tagebau Garzweiler stürmen, brechen sie mindestens das Hausrecht. Das gilt auch, wenn sie einer Tierschutzgruppe beim illegalen „Hofbesuch“ in den Stall folgen, um Bilder von gequältem oder vernachlässigtem Vieh einzufangen. Je nach Einzelfall können Sachbeschädigung oder sogar größere Vermögenschäden hinzukommen, die ihnen angerechnet werden.

Und wie sieht es im oben geschilderten Fall aus? Die meisten Wälder in Deutschland dürfen ohne Einschränkung betreten werden, solange man keine Schäden verursacht. Eine Schädigung des Baumbestands etwa durch Einsatz eines Klettergurts dürfte kaum interessieren, wenn das Waldstück sowieso für den Autobahnbau abgeholzt werden soll.

Rechtswidrig verhalten sich Journalistinnen und Journalisten also vermutlich erst, wenn sie sich der polizeilichen Anordnung zur Räumung widersetzen, erläutert Michael Hirschler, der beim DJV unter anderem für den Bereich Bildjournalismus zuständig ist. Denn polizeiliche Verfügungen gelten grundsätzlich auch für Medienschaffende. Allerdings haben Einsatzkräfte durchaus den Spielraum, die Belange von Journalistinnen und Journalisten zu achten. Spätestens jetzt ist es vorteilhaft, wenn sie – siehe oben – verstehen, warum jemand mit Kamera und Presseausweis im Baumwipfel bleiben will.

Medien und Polizei: Verhaltensgrundsätze aktualisieren

Seit 1993 gibt es Verhaltensgrundsätze für Medien und Polizei zur Vermeidung von Behinderungen bei der Durchführung polizeilicher Aufgaben und der freien Ausübung der Berichterstattung. Der Presserat hat der Innenministerkonferenz im November 2020 einen Entwurf vorgelegt, wie diese Verhaltensgrundsätze aktualisiert werden können. An der Ausarbeitung des Entwurfs hat der DJV zusammen mit den Verbänden dju, BDZV, VDZ und VAUNET sowie mit ARD, ZDF und Deutschlandradio mitgewirkt. Der Entwurf betont den Wert regelmäßiger Kontakte zwischen Medien und Polizei als Voraussetzung zur Vermeidung unnötiger Konfliktsituationen. Das gelte einerseits grundsätzlich, andererseits auch bei Einsätzen vor Ort. Beide Seiten sollten bemüht sein, Verständnis für die Arbeit der jeweils anderen aufzubringen. Gerade bei komplexen Einsatzlagen bedürfe es „eines sachlichen, vertrauensvollen, offenen und verlässlichen Umgangs miteinander“. Die bisherigen Verhaltensgrundsätze und den Entwurf zu Aktualisierung gibt es unter www.presserat.de

Kontakt zum Presseverantwortlichen

In der Realität und unter den oft hektischen Bedingungen vor Ort ist das Verständnis der einzelnen Polizistinnen und Polizisten allerdings oft begrenzt oder fehlt ganz. Hirschler rät deshalb, „sich vorher die Handynummer vom Presseverantwortlichen zu besorgen. Den oder die sollte man spätestens kontaktieren, wenn es um die Beschlagnahme der Kamera oder weiterer Arbeitsausrüstung geht.“

Oder wenn das erwähnte Betretens- und Aufenthaltsverbot ins Spiel kommt: Das darf die Polizei aussprechen, wenn sie berechtigt davon ausgehen kann, dass eine Person in diesem Bereich Straftaten begehen oder zu ihrer Begehung beitragen wird. Die Maßnahme muss allerdings zeitlich und örtlich auf den Umfang beschränkt werden, der erforderlich ist, um die vermutete Straftat zu verhüten. Und das Verbot darf für maximal drei Monate verhängt werden.

Natürlich legitimiert der Presseausweis nicht zu rechtswidrigem Verhalten, betont Hirschler. Konkret: Wer die einbrechende Tierschutz-Gruppe filmend in den Stall begleitet, muss damit rechnen, auch festgenommen zu werden. Ob daraus eine Verhaftung, ein Ermittlungsverfahren oder sogar ein Prozess wird, entscheidet zunächst der Haftrichter, dann die Staatsanwaltschaft. Im besten Fall, allerdings nicht zwingend, zieht das Argument der journalistischen Arbeit, sodass Ermittlungen nicht aufgenommen oder ohne Geldbuße eingestellt werden bzw. im Falle eines Prozesses ein Freispruch erfolgt.

Risiken einkalkulieren

Journalistinnen und Journalisten sind also gut beraten, vor der Begleitung von Aktionen abzuwägen, welche rechtlichen Risiken sie eingehen wollen. Zudem sollten sie einen starken Berufsverband wie den DJV im Rücken haben. Der hat praxisnahe Tipps, wie sie sich am besten auf solche Einsätze vorbereiten, schafft Aufmerksamkeit, wenn journalistische Arbeit behindert wird, und vertritt die Kolleginnen und Kollegen gegebenenfalls auch rechtlich.

Zur Planung der eigenen Arbeit gehört auch die Folgenabschätzung. Hirschler: „Wenn ich bei einer Aktion zum Beispiel in Garzweiler bereits damit rechnen muss, dass ich in Gewahrsam genommen werden könnte, und wenn ich trotzdem Bilder für meine Redaktion oder Agentur sicherstellen will, sollte ich jemanden in der Hinterhand haben, der für mich einspringen kann.“

Also besser nicht zu nah rangehen und darauf verzichten, genau zu dokumentieren, was vor Ort geschieht? Das kann keinesfalls die Maxime sein. „Natürlich geht es für Bildjournalistinnen und -journalisten immer darum, eine spannende und auch aussagekräftige Perspektive zu finden“, betont Michael Hirschler.

Räumung des Dannenröder Forstes im Dezember: Im Getümmel unterscheiden Einsatzkräfte nicht immer zwischen Teilnehmenden und Dokumentierenden.  | Foto: Gordon Welters/laif
Räumung des Dannenröder Forstes im Dezember: Im Getümmel unterscheiden Einsatzkräfte nicht immer zwischen Teilnehmenden und Dokumentierenden. | Foto: Gordon Welters/laif

Dabei dreht es sich nicht nur um das bessere Foto: Bildjournalismus soll belegen und für andere nachvollziehbar machen, was geschehen ist. Wer hunderte Meter entfernt steht oder vom Geschehen durch eine hohe Mauer getrennt ist, kann diese demokratisch wichtige Kontrollfunktion nur beschränkt oder gar nicht ausüben. Von einer Rechtsgüterabwägung spricht auch Volkmar Kah, Geschäftsführer des DJV-NRW. Natürlich sollen Journalistinnen und Journalisten nicht um jeden Preis Gesetze brechen, „aber sie müssen ungehindert berichten können“.

Nicht mehr als neutral wahrgenommen

Beunruhigend ist aus Kahs Sicht, dass Medienschaffende zunehmend nicht mehr als neutrale Beobachter wahrgenommen werden. Das betrifft einerseits die Ordnungskräfte, die Journalistinnen und Journalisten als Aktivisten oder Störer einstufen, andererseits aber auch die wachsende Zahl von Fällen, in denen Berichterstattende von Demonstrationsteilnehmerinnen und -teilnehmern angegriffen werden. „Da hat sich etwas gedreht, das uns zunehmend Schwierigkeiten macht.“

Der DJV setzt sich für ein besseres Verhältnis zwischen Medien und Polizei ein. Zu diesem Zweck hat er zusammen mit dem Presserat sowie anderen Berufsverbänden und Medienhäusern einen Vorschlag ausgearbeitet, um die Verhaltensgrundsätze zu aktualisieren, die helfen sollen, gegenseitige Behinderungen zu vermeiden (siehe Kasten „Polizei und Medien“). Das Ziel: polizeiliche Aufgaben und freie Ausübung der Berichterstattung gleichermaßen sichergestellen.||