JOURNALISTENTAG 2022

Vermitteln und Erklären

Endlich wieder vor Ort – der Journalistentag 2022
22. Dezember 2022, Corinna Blümel, Mitarbeit Achim Graf, Stefan Heinze, Arne Pöhnert, Uwe Tonscheidt und Mareike Weberink

eine schöne Rückkehr an einen vertrauten Ort: Nach dem virtuellen Journalistentag im Februar 2021 trafen sich nun wieder rund 400 Medienschaffende persönlich in der Sparkassenakademie in Dortmund. Von Studierenden bis zu Kolleginnen und Kollegen, deren beruflich aktive Jahre länger zurückliegen, nutzten sie den großen Branchentreff des DJV-NRW, um sich mit den Entwicklungen und Perspektiven des Journalistenberufs und der Medienbranche auseinanderzusetzen.

Gelegenheit dazu boten knapp 20 Foren, Workshops und Werkstattgespräche plus externe Angebote. Auf der Agenda standen Themen wie Ukrainekrieg und Klimakatastrophe, die die Redaktionen jeden Tag herausfordern, aber auch das duale Rundfunksystem, die Zukunft des Lokalen und Spezialthemen wie News für die türkischstämmige Community, New Work in Redaktionen, die Sicherheit in der Lebensmittelversorgung oder der journalistische Umgang mit der Parallelwelt Metaverse.

Journalistentag 2022: Besucherinnen am Stand des DJV-NRW. | Foto: Alexander Schneider
Journalistentag 2022: Besucherinnen am Stand des DJV-NRW. | Foto: Alexander Schneider

Ermöglicht wurde der Tag voller Erkenntnisgewinn wie immer durch viel ehrenamtliche Arbeit, die Expertise des RDN-Teams um Stefan Prott und Tatjana Hetfeld sowie den Einsatz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der DJV-Landesgeschäftsstelle – und natürlich durch das Engagement der Sponsoren.

Wahrheitsfindung als Prozess der Annäherung

„Der Wahrheit verpflichtet“ lautete das Schwerpunktthema in diesem Jahr. Wahrheitsfindung sei im Journalismus ein Prozess der Annährung, erklärte der Landesvorsitzende Frank Stach in seiner Eröffnungsrede, zugleich gebe es unumstößliche Fakten und Gewissheiten. Allerdings: „Unsere Gesellschaft hat die Meinung zum Fetisch erhoben, nicht aber die Fakten.“ In dieser Gemengelage komme gerade Journalistinnen und Journalisten eine besondere Rolle zu. „Wir sind Vermittler, Erklärer und Entdecker von Wahrheiten.“

Genau dafür sprach NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst den Journalistinnen und Journalisten in seinem Video-Grußwort Anerkennung aus: „Danke, dass Sie sich für die Wahrheit einsetzen, sich der Wahrheit verpflichtet fühlen und für die Wahrheit arbeiten.“

Aber was, wenn es nicht mehr möglich ist, staatliche Verbrechen zu dokumentieren und darüber zu berichten? Das zeigte der Auftritt der Iranerin Faranak Rafiei, die mit einem Recherche-Kollektiv den „blutigen November“ 2019 im Iran aufgearbeitet hat (Bericht abrufbar unter iranfactrecords.com). Die damaligen Proteste hatte das Regime mit einem Massaker beendet – ohne Reaktion der Weltöffentlichkeit. Denn die Regierung hatte das Land drei Tage lang komplett vom Internet abgekoppelt, sodass kaum Bilder und Berichte nach draußen dringen konnten.

Schwieriges Berichten aus dem Krieg

Das journalistische Ringen um Wahrheit war Thema im Impuls von Katrin Eigendorf (ZDF), die jüngst mit dem Grimme- und dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet worden ist. Anhand von Beispielen wie dem Abschuss des Flugs MH 17 und dem Krieg gegen die Ukraine verdeutlichte sie Russlands strategischen Einsatz von Desinformation. Die Forderung, beide Seiten darzustellen, habe das Ziel, „dass die bewusste Lüge gleichberechtigt neben den recherchierten Fakten steht, um die Wahrheit zu verschleiern“. Ein klassischer Fall von false balance. Das Aufdecken von Lügen sei so alt wie der Beruf, „aber wir haben heute mehr Druck als früher“. Da könne es sogar mehr Mut kosten, zum Recherchierten zu stehen, als in Kriegsgebiete zu fahren.

Moderator Horst Kläuser im Gespräch mit Katrin Eigendorf, Jens Jessen und Paul Ronzheimer. | Foto: Alexander Schneider
Moderator Horst Kläuser im Gespräch mit Katrin Eigendorf, Jens Jessen und Paul Ronzheimer. | Foto: Alexander Schneider

Moderator Horst Kläuser vertiefte das Thema im Panel mit Katrin Eigendorf, Paul Ronzheimer (BILD) und Jan Jessen (NRZ). „Es ist ein Informationskrieg, wie wir ihn noch nie erlebt haben“, sagte Jessen. Die Panelgäste gaben Einblick in ihre Belastungen: Die Gespräche mit traumatisierten Menschen hinterlassen Spuren, erzählte Eigendorf. „Das holt dich in den Träumen ein.“ Paul Ronzheimer pflichtete ihr bei. In manchen Situationen sei es schwer, neutral zu bleiben. Umso wichtiger seien Kontinuität und saubere Recherche. Und: „Eine örtliche Präsenz ist nicht ersetzbar.“

Während Ronzheimer auf Reisen „ein kleines mobiles Team“ ohne Begleitschutz bevorzugt, wird Eigendorf entsprechend dem Sicherheitskonzept des ZDF immer von zwei Leuten begleitet. Dass das Risiko für sie als Frau ungleich höher sei als für männliche Kriegsreporter, werde bislang nicht ausreichend thematisiert, kritisierte sie.

Herausforderungen für Redaktionen

Der Krieg fordert auch die Heimatredaktionen. So besprach Kay Bandermann mit Prof. Dr. Christian Schicha, wie es gelingt, Themenvielfalt zu sichern, wenn Kriegs- und Krisenthemen dominieren. Einen anderen Aspekt beleuchtete Kai Heddergott mit zwei Experten: das Fehlen militärischer Expertise in vielen Redaktionen. Dabei wird diese gebraucht, weil Waffen und Waffensysteme wie Panzer oder Flugabwehrwaffen seit Februar regelmäßiges Thema der Berichterstattung sind. Vor Ort war Sascha Stoltenow, Mitinhaber der Agentur SCRIPT Communications. Der ehemalige Bundeswehroffizier schreibt unter bendler-blog.de über Aspekte sicherheitspolitischer Kommunikation. Thomas Wiegold, freier Journalist und Co-Host des Podcasts „Sicherheitshalber“, war als zweiter Panelgast virtuell zugeschaltet.

Die Ungenauigkeiten in der Berichterstattung beginnen oft schon damit, dass in vielen Beiträgen die Genehmigung der Bundesregierung zur Herstellung von Waffen mit der Genehmigung zur Ausfuhr gleichgesetzt werde, erläuterte Wiegold. Stoltenow verwies auf eine Regel seiner Agentur: „Wir schreiben nichts, was wir nicht verstehen. Wenn es Unklarheiten gibt, dann muss man nachfragen. Dass das in den Redaktionen wieder möglich wird, dafür müssen die Verleger sorgen.“

Ringen um das „Überthema“ Klima

Über das Verstehen oder vielmehr die Widerstände derer, die nicht verstehen wollen, sprach Andrea Hansen in der Session zum Umgang mit Klimawandel und Energiewende mit Barbara Junge von der taz, der Psychologin und Buchautorin Katharina van Bronswijk sowie Özden Terli vom ZDF. Die Menschen hätten „nicht verstanden, dass es sie persönlich betrifft, nicht eine Insel im Pazifik in vielleicht 200 Jahren“, stellte van Bronswijk fest, und Junge berichtete, dass man selbst bei der taz manchmal um das „Überthema“ Klima ringen müsse. Terli kritisierte es als Ablenkungsmanöver, wenn Aktivistinnen und Aktivisten in Terrornähe gerückt würden, „dabei hat die Politik den Wandel in den letzten Jahren verschleppt“.

Klima im Fokus: Barbara Junge (taz), Psychologin und Buchautorin Katharina von Bronswijk sowie Özden Terli (ZDF), mit Moderatorin Andrea Hansen. | Foto: Alexander Schneider
Klima im Fokus: Barbara Junge (taz), Psychologin und Buchautorin Katharina von Bronswijk sowie Özden Terli (ZDF), mit Moderatorin Andrea Hansen. | Foto: Alexander Schneider

Was also tun, damit die Menschen nicht dicht machen, weil ihnen das Thema zu viel wird? Die drei auf dem Panel waren sich einig, dass es gemeinschaftliches Handeln und Partizipation braucht, damit sich alle auch zuständig fühlen. Terli sieht dabei nicht nur die Medien gefordert: Alle könnten versuchen, das Thema „in Gesprächen rüber zu bringen“.

Dass man die Menschen einbeziehen muss, verdeutlichte auch das Klima-Special mit Moderator Stefan Prott und vier Experten, deren Organisationen den Journalistentag unterstützten und die regionale Projekte gegen den Klimawandel vorstellten. Da ging es um die Zukunftsinitiative Klima.Werk von Emschergenossenschaft und Lippeverband (EGLV), die zusammen mit den Städten der Emscherregion klimaresiliente Schwammstädte schaffen will. Das Beratungsunternehmen Greenzero und der Ableger Innovation City Managemet ICM setzen sich für nachhaltige Stadtentwicklung ein. Und der Windlagenbetreiber SL Naturenergie ermöglicht es Menschen, sich über einen Fond an Anlagen zu beteiligen.

„Mein Wunsch: Lasst uns der Politik und der Verwaltung auf den Füßen stehen“, appellierte Ex-WAZ-Mann
und EGLV-Sprecher Friedhelm Pothoff an die Medienschaffenden. Beim Klimawandel müssten diese, wie etwa bei den Menschenrechten, „nicht nur beobachten, sondern teilhaben“.

Über die redaktionellen Herausforderungen bei Extremlagen sprachen Agatha Mazur (KStA) und Stefan Brandenburg (WDR). | Foto: Alexander Schneider
Über die redaktionellen Herausforderungen bei Extremlagen sprachen Agatha Mazur (KStA) und Stefan Brandenburg (WDR). | Foto: Alexander Schneider

Extremlagen als Herausforderung

Einen Vorgeschmack auf die Folgen des Klimawandels hat die Flutkatastrophe im Sommer 2021 gegeben, die neben dem Ahrtal auch Regionen in NRW getroffen hat. Wie gut Medien in solchen Fällen gewappnet sind, fragte Moderator Kay Bandermann Agatha Mazur, Head of Digital der Leverkusener Lokalredaktion des Kölner Stadt-Anzeigers (KStA) und Stefan Brandenburg, WDR-Chefredakteur und Leiter des WDR-Newsrooms.

Trotz der großen Unterschiede in der personellen Ausstattung von Lokalredaktion und WDR-Newsroom zeigten sich viele Parallelen im journalistischen Alltag – zumindest, wenn es um Katastrophen im Berichtsgebiet geht. Brandenburg musste einräumen, dass die Regenmassen seinen damals frisch reformierten Programmbereich arg gefordert hatten, was entsprechend kritisiert wurde. Der KStA in Leverkusen hatte dank Online first „neue Spielräume bei der Aktualität“. Wenn allerdings, wie in Leverkusen geschehen, nur zwei Wochen nach dem Starkregen Mitte Juli ein Betriebsunfall wie die Explosion im nahegelegenen Chemiepark die Mannschaft erneut extrem fordert, zeige dies, „wie schnell man an seine Grenzen stößt, wenn ein Thema nahezu alle Kräfte bindet“ , erzählte Mazur.

Faire Bedingungen fürs Lokale

Die Berichterstattung ganz nah dran vor Ort war auch Thema in den beiden Sessions zum Lokaljournalismus, einem „der wichtigsten Gebiete des Journalismus überhaupt“, wie Moderatorin Katrin Kroemer zum Auftakt ihrer Runde feststellte. Das Panel, das nach der Zukunft des Lokaljournalismus fragte, zeigte reichlich Baustellen auf.

Wie steht es um die Zukunft des ­Lokaljournalismus, fragte das Panel mit (v.l.) Stefan Lenz, Klaus Schrotthofer, Moderatorin Katrin Kroemer, Helge Lindh und Timo Conraths. | Foto: Alexander Schneider
Wie steht es um die Zukunft des ­Lokaljournalismus?, fragte das Panel mit (v.l.) Stefan Lenz, Klaus Schrotthofer, Moderatorin Katrin Kroemer, Helge Lindh und Timo Conraths. | Foto: Alexander Schneider

„Uns gehen die jungen Leute von der Fahne“, schilderte Redakteur Stefan Lenz von der Rheinischen Redaktionsgemeinschaft aus Köln die Folgen jahrelanger Personalabbaupolitik an Rhein und Ruhr. Klaus Schrotthofer, Chef der Mediengruppe NW, hat mit der Neuen Westfälischen in Ostwestfalen einen anderen Kurs eingeschlagen und macht sich grundsätzlich weniger Sorgen um den Lokaljournalismus: In den Medienhäusern seien die notwendigen „Hausaufgaben zu machen“; die Politik habe für „faire Rahmenbedingungen“ zu sorgen. „Da wünsche ich mir von der Politik mehr als Verständnis für unsere Situation, da wünsche ich mir konkrete Aktionen.“

Guten Willen gebe es beim Thema Medienförderung durchaus, erklärte der medienpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Helge Lindh, aber es holpere bei den Detailwünschen. „Ganzheitlicher und langfristiger denken“, empfahl der designierte DJV-Bundesgeschäftsführer Timo Conraths mit Blick auf Erfahrungen in anderen europäischen Ländern.

Einem anderen, nicht minder wichtigem Aspekt widmete sich das zweite Panel Lokaljournalismus, diesmal zum Umgang mit Anfeindungen, Attacken und Drohungen. Da gibt es noch viel zu tun, zeigte das Gespräch mit
Moderator Johannes Meyer. So achtet das Mindener Tageblatt heute darauf, dass bei Einsätzen mit Bedrohungsszenario, etwa den Montagsdemos der örtlichen Querdenkerszene nur noch diejenigen übernehmen, die das wirklich wollen, erzählte Chefredakteur Benjamin Piel. Der Fall der Schaufensterpuppe, die mit Strick um den Hals und einem Schild „Covid Presse“ an einer Brücke hing, hatte im Oktober 2020 bundesweit für Aufmerksamkeit gesorgt.

Fortbildungsbedarf auf beiden Seiten

Oliver von Dobrowolski von der Initiative „Better Police“ spricht nach der Diksussion über Bedrohungen mit einer Teilnehmerin. Oliver von Dobrowolski von der Initiative „Better Police“ im Panel zu Bedrohungen.
Oliver von Dobrowolski von der Initiative „Better Police“ sprach nach der Diskussion über Bedrohungen mit einer Teilnehmerin. | Foto: Alexander Schneider

Großen Handlungs- und vor allem Fortbildungsbedarf sieht der Berliner Kriminalhauptkommissar Oliver von Dobrowolski, Gründer und Sprecher der Initiative„BetterPolice“. Auf allen Ebenen der Polizei sei es wichtig, „Verständnis für die Arbeit der Presse zu vermitteln“. Es gelte „ein altes Freund-Feind-Bild“ zu verändern und eine Fehlerkultur zu entwickeln. Den Fortbildungsbedarf bei Einsatzkräften sieht auch der DJV-NRW und ist darüber regelmäßig im Gespräch mit der Polizei in NRW. Ebenso geht der Landesverband, wo es nötig ist, auf die Landespolitik zu, erläuterte Christian Weihe, Justiziar des DJV-NRW. Er verwies auf die Informationsbroschüre zum Umgang mit Bedrohungslagen, die der DJV-NRW Anfang des Jahres zusammen mit dem Innenministerium aufgelegt hat (siehe JOURNAL 1/22). Bei tätlicher Gewalt setze sich der Landesverband für eine Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft ein. Und wenn Rechtsbeistand vonnöten sei, werde er gestellt.

Allerdings zeigte das Panel, dass es nicht nur bei der Polizei Verbesserungspotenzial gibt. Die Fortbildung von Journalistinnen und Journalisten könnte auch sinnvoll sein, um die Polizeiperspektive kennenzulernen.

Reform im Öffentlich-Rechtlichen

Änderungsbedarf war auch das Stichwort im Panel zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit Moderatorin Katrin Kroemer: ARD und Co. stehen spätestens seit dem Sommer unter erhöhtem Reformdruck. Die Rede von Tom Buhrow (siehe auch Bei der Botschaft die Beschäftigten vergessen) hat die Diskussion um Reformen weiter befeuert. Der Reformprozess werde allerdings dauern, prognostizierte Steffen Grimberg, Medienjournalist und Vorsitzender des DJV Berlin-Brandenburg/JVBB, denn: „Die ARD ist so etwas wie die Bundesrepublik im Kleinen.“

Die Debatte drehte sich um die Frage, wie gut sich die Gremien ihrer Kontrollfunktion bewusst sind und ob sie sich gegebenenfalls auch gegen Intendanz und Geschäftsleitung durchsetzen können. Den WDR-Verwaltungsrat sieht dessen Vorsitzende Claudia Schare gut gewappnet. Die gesetzlichen Besetzungsvorgaben in NRW sicherten hohe Kompetenz. Zudem könnten sich Rundfunk- und Verwaltungsrat im WDR auf gut ausgestattete Gremienbüros stützen.

Mit dem Reformbedarf des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beschäftigten sich (v.l.) Medienjournalist Steffen Grimberg, Helge Lindh (SPD), Moderatorin Katrin Kroemer, Politikwissenschaftler Prof. Dr. Christoph Bieber und Claudia Schare (WDR-Verwaltungsrat). | Foto: Alexander Schneider
Mit dem Reformbedarf des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beschäftigten sich (v.l.) Medienjournalist Steffen Grimberg, Helge Lindh (SPD), Moderatorin Katrin Kroemer, Politikwissenschaftler Prof. Dr. Christoph Bieber und Claudia Schare (WDR-Verwaltungsrat). | Foto: Alexander Schneider

Auch die anderen Panelgäste, Helge Lindh als medienpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und Prof. Dr. Christoph Bieber, ehemaliges Mitglied im WDR-Rundfunkrat und Fachmann für digitale demokratische Strukturen, wollten bei allem Reformbedarf nicht grundsätzlich an den Gremien rütteln. Man müsse aufpassen, dass diese nicht gegen die Bürgerbeteiligung ausgespielt werden, über die jetzt nachgedacht werde, warnte Lindh. Und Bieber hatte einen Vorschlag zur Verjüngung der Rundfunkräte: Wie es wäre, wenn etwa die Parteien ausschließlich Leute aus ihren Jugendorganisationen entsendeten?

Während die Öffentlich-Rechtlichen gerade um ihr Ansehen kämpfen, haben die großen privaten Sendergruppen RTL und ProSiebenSAT1, ihre eigene Agenda. Sie haben eine Informations- und Nachrichtenoffensive gestartet, deren Auswirkungen auf die Branche Moderatorin Sascha Fobbe mit zwei Gästen beleuchtete.

Die Hochnäsigkeit ist weg

Die Hochnäsigkeit, mit der die Branche früher auf die Privaten geschaut habe, sei auf jeden Fall weg, stellte Martin Schulte, Redaktionsleiter RTL Aktuell, fest. RTL baut seine News-Sendungen seit Jahren kontinuierlich aus. Zuletzt startete im August 2021 das Magazin RTL Direkt um 22.15 Uhr in Konkurrenz zu den Tagesthemen. Das Bekenntnis zur Information lohne sich für RTL Deutschland, erklärte Schulte: Es zahle aufs Image ein, sei aber auch wirtschaftlich sinnvoll, weil sich das Umfeld der Nachrichtensendungen gut vermarkten lasse.

Moderatorin Sacha Fobbe diskutierte mit Martin Schulte (RTL) und Peter Pohl (Westcom) über die Nachrichtenoffenive der Privaten. | Foto: Alexander Schneider
Moderatorin Sacha Fobbe diskutierte mit Martin Schulte (RTL) und Peter Pohl (Westcom) über die Nachrichtenoffenive der Privaten. | Foto: Alexander Schneider

Verglichen damit hat SAT.1 einiges nachzuholen, erklärte Peter Pohl, Geschäftsführer der WestCom Media Group in Dortmund. Das Unternehmen erstellt unter anderem das gesetzlich vorgeschriebene, werktägliche Regionalfenster SAT.1 NRW. Da es für das Fensterprogramm eine eigene Lizenz gibt, war WestCom nicht betroffen, als der Konzern vor zehn Jahren entschied, die Nachrichten an Springer auszulagern. Nun baut SAT.1 wieder eine
eigene Nachrichtenredaktion auf – und muss erst wieder eine eigenen Marke etablieren.

Pohl und Schulte sind sicher, dass die Öffentlich-Rechtlichen die private Konkurrenz im Blick haben und ihre eigenen Formate immer wieder daraufhin abklopfen, was sie besser machen können. Schwieriger als für ARD und ZDF ist es dagegen für die Privaten, sich stark auf Social-Media-Kanälen zu engagieren. Die Gebühren erlaubten den Öffentlich-Rechtlichen, „so etwas Cooles wie funk zu machen“, stellte Pohl fest. Und Schulte bestätigte: „Die Experimentierfreude leidet, weil ich schnell eine Refinanzierung brauche.“

Neue Konkurrenz für den Lokalfunk

Finanzierungsmöglichkeiten und Vermarktungspotenziale spielten auch im Panel zum Privatfunk eine Rolle: Es ging der Frage nach, warum der Radiomarkt in NRW für Anbieter so attraktiv ist. Nach Jahren der Abschottung sind in den vergangenen zwölf Monaten zahlreiche landesweite Angebote über DAB+ sowie der UKW-Sender NRW1 hinzugekommen. Auf dem Panel begrüßte Moderatorin Sascha Fobbe den Direktor der Landesmedienanstalt NRW, Dr. Tobias Schmid, den Chefredakteur von Radio RSG, Thorsten Kabitz, und Jan-Uwe Brinkmann, dessen Arbeitgeber Teutocast mit Sportradio Deutschland und Femotion zwei Programme über DAB+ in NRW verbreitet.

Brinkmann und Schmid betonten die Chancen, die NRW aufgrund guter Rahmenbedingungen biete. Dass bei den neuen Angeboten, die teils mit hohen Ansprüchen gestartet sind, inhaltlich noch Luft nach oben ist, zeigten entsprechend kritische Reaktionen aus dem Publikum.

Eine Lesung von Oyindamola Alashe bildete den Abschluss des Journalistentags 2022. | Foto: Alexander Schneider
Eine Lesung von Oyindamola Alashe bildete den Abschluss des Journalistentags 2022. | Foto: Alexander Schneider

Zugleich wurde in dem Gespräch deutlich, welche Auswirkungen die neuen Anbieter auf den Arbeitsmarkt haben: Für den Lokalfunk in NRW wird es zunehmend schwierig, Stellen zu besetzen – auch weil die Wettbewerber besser zahlen.

So viel Interessantes zur Auswahl!

Wie in den vergangenen Jahren glänzte das Programm durch Vielfalt – war aber auch so voll, dass es nicht möglich war, alles Interessante zu nutzen. Oben lockten die Angebote in der Aula und den zahlreichen Räumen, unten im Foyer trafen sich Kolleginnen und Kollegen zum Essen und Netzwerken, informierten sich an den Ständen und frischten die Konzentration mit einem Kaffee vom Hauptsponsor Sparkassen in Nordrhein-Westfalen auf. Und huschten dann schnell wieder hoch, um sich eine weitere Gesprächsrunde anzuhören.

Den Abschluss des langen Tags bildete die Lesung mit Oyindamola Alashe, Journalistin und Mitautorin des Buchs „Ich, ein Kind der kleinen Mehrheit“, das die Geschichte von Gianni Jovanovic erzählt, der als Sohn einer Roma-Familie immer wieder rassistische Anfeindungen erlebte, gegen die er heute laut und selbstbewusst ankämpft.

„Es war toll, nach einer so langen Coronapause wieder mit so vielen Kolleginnen und Kollegen zusammenzukommen“, zog Frank Stach ein zufriedenes Fazit nach der Veranstaltung. „Das macht wieder Lust auf mehr, und wir freuen uns schon auf den Journalistentag 2023.“||

 

Zur Vertiefung der Inhalte gibt es unter hier kurze Texte ausgesuchter Einzelpanels.

Ein Beitrag aus JOURNAL 4/22, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Dezember 2022.