EDITORIAL |

Vom Wert der Arbeit

29. September 2025, Andrea Hansen
Andrea Hansen, Vorsitzende des DJV-NRW. | Foto: Uwe Voelkner / Fotoagentur FOX
Andrea Hansen, Vorsitzende des DJV-NRW. | Foto: Uwe Voelkner / Fotoagentur FOX

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

vor kurzem habe ich über den Streik bei Lieferando berichtet, laut Gewerkschaft NGG war es der längste in der Unternehmensgeschichte. Drei Tage am Stück. Es ging mal wieder um Grundsätzliches, unter anderem um eine Bezahlung von 15 bis 17 Euro pro Stunde.

Auf dem Heimweg im Auto rechnete ich nach und kam auf 120 bzw. 136 Euro bei einem Acht-Stunden-Tag. Mir fielen Gespräche mit einigen von euch ein, die mir von ganz ähnlichen Tagessätzen berichteten – und das für qualifizierte Tätigkeiten im Journalismus. Bei den benötigten Kompetenzen sind viele Honorare weit entfernt von einer angemessenen Bezahlung. Das soll nicht arrogant klingen mit Blick auf die Essenskuriere. Aber wer in der Medienbranche arbeitet, muss in der Regel einiges an Kenntnissen und Fähigkeiten mitbringen und oft auch noch das Equipment.

Nur mal zwei Zahlen aus meiner aktuellen Buchhaltung zum Vergleich: Für die Reparatur meines E-Bikes waren 72 Euro pro Stunde fällig. Die Steuerberatung kostete mich 75 Euro pro Stunde. Alles netto, versteht sich. Jeder Euro, den man selbst weniger verdient als die Stundensätze auf den Rechnungen, die man bezahlen muss, gefährdet die Rentabilität der eigenen Unternehmung. Von Wertschätzung seitens der Auftraggebenden fange ich gar nicht erst an.

Dass Journalismus seinen Wert hat, scheint bei vielen nur noch im Anschreiben anlässlich der nächsten Abopreiserhöhung eine Rolle zu spielen. Anders lässt sich nicht erklären, wie Medienmanager auf die Idee kommen, eine Honorarkürzung sei in Zeiten von Inflation und Kostenexplosion angemessen.

Gleichzeitig wundern Medienhäuser sich, dass die Personalgewinnung kein Selbstläufer mehr ist. Dass  draußen eben nicht mehr Hunderte warten, wenn die aktuelle Belegschaft sich verkrümelt, weil sie sich die Rahmenbedingungen nicht mehr leisten kann – oder will.

Denn wer nach Bachelor- oder Masterabschluss und Volo erst mit etwa Mitte 20 richtig in den Beruf einsteigt, möchte dann doch irgendwann mal aus der WG ausziehen. Und das Modell „Tu’ dich mit einer Lehrkraft zusammen“ funktioniert nur im Einzelfall – und kann die strukturelle Schieflage eben nicht ausgleichen.

Wir müssen aus dieser Abwärtsspirale raus: Wenn Medienhäuser immer nur am Produkt sparen, merkt man das dem Produkt immer stärker an. Dann verabschieden sich auch die Nutzerinnen und Nutzer vom Journalismus. Irgendwas zu lesen, zu hören oder zu schauen findet sich schon irgendwo – und das umsonst. So ist immer weniger Geld da, mit dem man zeitgemäße Angebote produzieren kann. Das kann nicht mehr lange gut gehen. Nicht für den Journalismus und nicht für Demokratie und Gesellschaft.

Mit nachdenklichen Grüßen,

Eure Andrea

 

Ein Beitrag aus JOURNAL 3/25, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im September 2025.