Um Menschen in Gefahrenlagen wie großen Unwettern künftig besser zu erreichen und den behördlichen Katastrophenschutz effektiver zu unterstützen, will der WDR ein neues digitales Angebot entwickeln. Das gehöre zu den selbstkritischen Lehren, die der Sender jetzt ziehe, erklärte WDR-Intendant Tom Buhrow am 26. Juli. Die Geschäftsleitung habe mit sofortiger Wirkung eine entsprechende Task Force eingesetzt.
Zuvor hatte der WDR mit dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe und dem NRW-Innenministerium die Abläufe rund um die Warnung der Bevölkerung bei Unwetterlagen erörtert. Es sei verabredet worden, die Analyse fortzusetzen, um gemeinsam abgestimmte Empfehlungen zu erarbeiten. Der Sender zeigte sich offen für Kooperationen und bot insbesondere dem Katastrophenschutz und den Behörden eine Zusammenarbeit an.
Ein einsamer Text-Ticker
Nach der Unwetterkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz am 14. Juli und in der Nacht auf den 15. Juli musste der WDR heftige Kritik an seiner nächtlichen Berichterstattung einstecken. So monierten mehrere Medien fehlende Informationen zur Unwetterlage gerade in den späten Abendstunden. Unter dem Titel „Unterlassene Hilfeleistung: WDR lässt den Westen im Stich“ schrieb der Mediendienst DWDL von einem fast kompletten „Totalausfall“ – bis auf einen „einsamen Text-Ticker“ auf der Webseite. Auch in den sozialen Netzwerken wurde die unzureichende Berichterstattung mit großem Unmut kommentiert. Für die WDR-Kolleginnen und -Kollegen, die in der Unwetter-Nacht zur Berichterstattung unterwegs waren, waren diese Vorwürfe schwer zu ertragen, wie der DJV-NRW aus vielen Gesprächen erfuhr.(*)
Nachdem die Öffentlichkeit sich zunächst am WDR abgearbeitet hatte, musste sich auch der Südwest-Rundfunk (SWR) vorwerfen lassen, er habe im stark betroffenen Sendegebiet Rheinland-Pfalz nicht ernsthaft genug gewarnt und auch nicht angemessen über das Geschehen berichtet.
NRW-Lokalfunk überzeugte
Großes Lob gab es dagegen für den den nächtlichen Einsatz von Radio Wuppertal, unter anderem in der Süddeutschen Zeitung. Im aktuellen Podcast „Auf einer Welle“ erzählt Chefredakteur Georg Rose über die dramatische Nacht, als die Redaktion eine Sondersendung mit aktuellen Reportagen, Interviews und viertelstündlich verlesenen behördlichen Warnmeldungen stemmte. Radio Wuppertal sendete die Nacht durch, bis um 5 Uhr morgens das Notstromaggregat streikte.
Auch andere Lokalfunkstationen in den betroffenen Hochwassergebieten hielten ihre Hörerinnen und Hörer mit Sondersendungen nachts und an den darauffolgenden Tagen unter teils abenteuerlichen Bedingungen auf dem Laufenden (siehe auch „Senden, bis der Notstrom ausgeht“).
Popnacht statt Sondersendung
Mit technischen Problemen kämpfte auch das WDR-Studio in Wuppertal. Es sei ab drei Uhr nachts nicht mehr arbeitsfähig gewesen, erklärte der Sender am nächsten Tag. In einer Erklärung vom 22. Juli erläuterte der WDR, er habe mehrfach ausdrücklich vor Lebensgefahr in bestimmten Gegenden gewarnt und lokale Warnmeldungen der Behörden redaktionell verarbeitet, als sich die Lage am Abend des 14. Juli dramatisch zuspitzte. Besondere Anstrengungen habe es auf WDR 5 und auf 1Live gegeben, halbstündliche Sonder-Nachrichten auf den anderen Wellen sowie kontinuierliche Informationen auf WDR.de und über die digitalen Kanäle von WDR aktuell. Aber der WDR räumte auch ein, dass er in der Nacht hätte „engmaschiger“ informieren müssen, „zum Beispiel mit einer durchgehenden Sondersendung bei WDR 2“. Gerade auf dieser reichweitenstarken Welle hatte der WDR in die gemeinsame ARD-Popnacht geschaltet.
Das Bedauern über diese Entscheidung äußerten Intendant Buhrow und Programmdirektor Jörg Schönenborn erneut in der öffentlichen Rundfunkratssitzung am 25. August. Zugleich verteidigten sie den WDR gegen die Kritik und verwiesen darauf, dass in der Nacht insgesamt 153 Reporterinnen und Reporter an 143 Orten unterwegs gewesen seien. Aber, so Schönenborn, man habe in dieser Nacht leider nicht „die nächste Eskalationsstufe“ erkannt. Zwar habe ein Kollege entschieden, das gemeinsame ARD-Programm mit zusätzlichen Nachrichten zur halben und vollen Stunde zu unterbrechen, aber leider habe niemand die Schlussfolgerung gezogen, eine Sondersendung zur Flutkatastrophe zu machen.
Widersprüchliche Informationen
Eine besondere Herausforderung sei gewesen, dass es nicht ein Unglück an einem begrenzten Ort gewesen sei, erläuterte Schönenborn. Die Vielzahl an Warnmeldungen sei widersprüchlich gewesen. Auch ein Anruf bei der Landesleitstelle des NRW-Innenministeriums habe keine Klarheit gebracht. Selbst dort habe niemand den Überblick gehabt, weil der Katastrophenschutz lokal organisiert sei.
Schon Ende Juli hatte der Deutschlandfunk (Dlf) recherchiert, dass das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) im Zeitraum vom 12. bis 16. Juli mehr als hundert Warnmeldungen verschickt hatte. Darunter seien 16 Meldungen der höchsten Warnstufe gewesen, die die Radiosender sofort und Wort für Wort hätten durchgeben müssen. Beim WDR sei dies nicht geschehen. Allerdings zeigte die Auswertung des Dlf auch, dass die Kommunikation zwischen Sendern und Behörden nicht überall funktioniert hatte. So hätten den Dlf selbst zwar überregionale Unwetterwarnungen für mehrere Bundesländer erreicht, die er auch weitergegeben habe. Warnmeldungen der höchsten Kategorie seien beim Dlf dagegen nicht angekommen.
In den Tagen und Wochen nach dem Unwetter berichtete der WDR im Hörfunk und Fernsehen ausführlich über die Folgen des Starkregens und der Überflutungen. Trotzdem wird bei vielen Menschen hängenbleiben, dass der Landessender an der entscheidenden Stelle nicht so funktioniert hat, wie Menschen das erwarten und mit Bezug auf die Gebührenfinanzierung auch deutlich einfordern.
Leistung nicht schmälern
Denn die kontinuierliche und verlässliche Information der Bevölkerung, insbesondere über die linearen Kanäle, gehört gerade in Katastrophenlagen zur Kernaufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Das betonte auch der DJV-NRW, als die Diskussion um die öffentlich-rechtliche Berichterstattung zum Unwetter hochkochte. „Ob der WDR dieser Aufgabe ausreichend gerecht geworden ist, muss in Ruhe aufgearbeitet werden – im öffentlichen Diskurs, aber vor allem auch in den Gremien des Senders. Und das wird passieren“, erklärte DJV-NRW-Geschäftsführer Volkmar Kah, der selbst Mitglied des WDR-Rundfunkrats ist.
Die Frage, ob der WDR für solche Situationen strategisch richtig aufgestellt ist und in den Hierarchien die richtigen Entscheidungen getroffen wurden, dürfe aber nicht dazu führen, pauschal die Leistungen der vielen Kolleginnen und Kollegen abzuwerten, die für den WDR und andere Medien „seit Beginn des schlimmen Unwetters 24/7 im Einsatz waren, um uns über die Wetterlage und deren Folgen zu informiere“.||
Transparenz-Hinweis I: Corinna Blümel ist stellvertretendes Mitglied im WDR-Rundfunkrat.
Transparenz-Hinweis II: Der Satz zur Reaktion der WDR-Kolleginnen und -Kollegen auf die negative Berichterstattung wurde nachträglich ergänzt.
Ein Beitrag aus JOURNAL 4/21, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im August 2021.