Medienszene NRW

Der WDR braucht einen Kulturwandel

Gutachterin Monika Wulf-Mathies bescheinigt dem Sender „strukturelle Defizite“
19. Oktober 2018, BK

Zeugnistag für den WDR, und die Noten lagen eher im schlechteren Bereich: Im September legte die ehemalige EU-Kommissarin und Gewerkschaftschefin Monika Wulf-Mathies ihr Gutachten vor, das sie im Auftrag des Senders angefertigt hatte. Ihr Fazit war deutlich: Das Betriebsklima könnte besser sein, es fehlt an Wertschätzung füreinander. Vor allem aber sorgten starre Strukturen und unklare Regeln dafür, dass Diskriminierung und Machtmissbrauch bis hin zu sexueller Belästigung möglich waren. Und wenn auch letztere den Ausschlag für die strenge Analyse gab, so sei sie doch nur „die Spitze des Eisbergs“. Danach braucht der WDR einen grundlegenden Kulturwandel.

Im April waren die Vorwürfe wegen sexueller Belästigung unter dem Stichwort #MeToo bekannt geworden. Damals beauftragte der WDR die Gutachterin Wulf-Mathies zu prüfen, wie das Haus in der Vergangenheit mit Hinweisen auf sexuelle Belästigung umgegangen ist (vgl. „WDR nach #metoo und vor dem Kulturwandel„, JOURNAL 4/18). Die Fälle reichen zurück bis in die 1990er Jahre. Für ihre Untersuchung erhielt die 76-Jährige Zugang zu allen Informationen und Vorgängen. Vor allem hat sie mit zahlreichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Programm und Verwaltung gesprochen, mit der Geschäftsleitung, der Personalratsvorsitzenden, der Gleichstellungsbeauftragten und mit Mitgliedern des Interventionsausschusses.

Foto: WDR-Pressestelle
Foto: WDR-Pressestelle

Kein Schutz für Betroffene

Zwar seien Verantwortliche in der Vergangenheit den meist anonymen Hinweisen nachgegangen. Aber man habe offenbar nicht darüber nachgedacht, Maßnahmen zum Schutz der Betroffenen zu ergreifen: „Generell lässt sich für diese Fälle sagen, dass ein größerer Ermittlungseifer notwendig gewesen wäre.“ Allerdings gibt Monika Wulf-Mathies zu bedenken, dass es damals gesellschaftlich keine große Sensibilität für das Thema gegeben habe.

Das nun vorgelegte Gutachten steht unter der Überschrift „Mehr als #MeToo – die Verantwortung des WDR als Arbeitgeber“ und gibt damit schon den Hinweis, dass es um strukturelle Defizite geht. Entsprechend zeigt der Bericht nicht nur auf, wo es gehakt hat. Er enthält auch zahlreiche Verbesserungsvorschläge sowie ein Aufgabenpaket. Darunter die Einrichtung einer dauerhaften, externen Anlaufstelle für Betroffene, eine neue, umfassendere Dienstvereinbarung zur Einrichtung einer Clearingstelle, die Beschwerden prüfen und Kommunikationsmängel beseitigen soll, sowie ein definiertes Verfahren mit klaren Berichtswegen und Zuständigkeiten.

Starkes Machtgefälle

Die strukturellen Defizite sieht Wulf-Mathies vor allem bei den personellen Rahmenbedingungen. So werde bei der Vergabe von Führungspositionen zu wenig Wert auf soziale Kompetenz und charakterliche Eignung gelegt. Dezentrale Arbeitsstrukturen förderten ein „Eigenleben in den Direktionen“. Gesprächspartner hätten über „Silo-Strukturen“ geklagt, die zur Abschottung und Verfestigung hierarchischer Abhängigkeitsverhältnisse führten. Ein starkes Machtgefälle bestehe nicht nur zwischen Führungskräften und Untergebenen, sondern auch zwischen Redakteuren und freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. So könnten diese Abhängigkeitsverhältnisse zum Nährboden für Diskriminierung und Machtmissbrauch werden.

„Sexuelle Belästigung ist eine sehr hässliche Form von Machtmissbrauch“, erklärte Wulf-Mathies. Trotz aller Gleichstellungsbemühungen bestehe immer noch ein strukturelles Machtgefälle zwischen in der Regel männlichen Chefs und weiblichen Untergebenen, das Raum für Grenzüberschreitungen lasse. Die Gutachterin verwies aber auch darauf, dass die geschilderten Strukturen sicher nicht nur den WDR beträfen, sondern auch andere Medien- und Kulturinstitutionen. Und sie lobte: Es sei „durchaus mutig“, sich einer intensiven externen Prüfung zu unterziehen und die Ergebnisse nicht in der Schublade verschwinden zu lassen.

Schon in Gang gesetzt

Wie der WDR auf seiner Internetseite berichtet, hat die Geschäftsleitung nicht auf das Ergebnis der Untersuchung gewartet, sondern schon im Juni einen Prozess für einen Kulturwandel in Gang gesetzt, der die Zusammenarbeit und die Kommunikation im WDR verbessern soll. Es gehöre zu einer guten Führungsverantwortung, sich auch Unangenehmes anzuhören.

In den kommenden Monaten sollen in verschiedenen Workshops Ideen und Lösungsansätze für ein respektvolles und dialogorientiertes Miteinander entwickelt werden. Prozessverantwortliche sind Verwaltungsdirektorin Dr. Katrin Vernau und Personalratsvorsitzende Christiane Seitz gemeinsam.

Der Rundfunkrat hat im öffentlichen Teil seiner Sitzung Ende September über die Ergebnisse des Gutachtens und die eingeleiteten Maßnahmen diskutiert. Das Gremium, das schon im Mai ein Statement zu den Vorgängen veröffentlicht hatte, forderte nun erneut, den strukturellen Risiken wie einem starken Machtgefälle und fehlenden Qualifikationen bei Führungskräften konsequent entgegenzuwirken. Rundfunkrats-mitglieder warfen mit Blick auf die festgestellte Verunsicherung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch die Frage auf, ob der WDR, verglichen mit anderen Unternehmen und speziell Medienhäusern, spezifische Probleme habe. Vom Intendanten, der die Verbesserung des Betriebsklimas zur Chefsache erklärt hat, erwartet der Rundfunkrat, dass er im Frühjahr 2019 über konkrete Fortschritte berichtet.||

 

Ein Beitrag aus JOURNAL 5/18 – dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Oktober 2018.