Das Zeugnis, das Monika Wulf-Mathies dem WDR mit ihrem Gutachten ausgestellt hat (siehe auch „Der WDR braucht einen Kulturwandel“), lässt schlucken. Wer mit festen und freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern spricht, hört häufig ähnliche Beobachtungen. Den DJV-NRW erreichte bereits im Sommer – also vor Fertigstellung des Gutachtens – der Beitrag eines Freien (Name der Redaktion bekannt), der seit Anfang der 1990er Jahre für den WDR arbeitet und seine Beobachtungen über die Entwicklung in dieser Zeit zusammengefasst hat.
Der Text, der sich auf das Interview von Intendant Tom Buhrow mit dem journalist bezieht, endete ursprünglich mit zwei Forderungen an Buhrow, die in der Zwischenzeit schon erfüllt wurden – nach einer öffentlichen Entschuldigung und nach dem Beginn eines konstruktiv-kritischen Dialogs im WDR.
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Wenn WDR-Intendant Tom Buhrow im journalist-Interview davon spricht, dass er sein Haus „nicht als angstbesetzten Laden“ kennen würde, hat er vermutlich Recht. Auf seine Person und seine Wahrnehmung dürfte das hundertprozentig zutreffen, befindet er sich doch am „very-oberen“ Ende der Hierarchie dieses Hauses. Auch als er vor rund 30 Jahren in der aktuellen Berichterstattung im Regionalprogramm unterwegs war, wird dem so gewesen sein. Er war engagiert, präsent, professionell und gehörte einem der – in der Regel männerdominierten – internen Netzwerke an.
Solche Netzwerke gibt es in jedem Unternehmen. Mitglieder kleinerer Gruppen machen die Vergabe von Posten untereinander aus, entscheiden nach Sympathie. Das kann für ein Unternehmen durchaus förderlich sein, solange die gute Stimmung sich auf die meisten Beteiligten auswirkt. In solcher recht guten Stimmung erlebte ich den WDR Anfang der 1990er Jahre, als ich als Quereinsteiger frisch von der Uni kam. Es gab allerdings einiges zu beachten.
Grundsorge bei den Freien
Freie Mitarbeitern durften damals nicht für andere Redaktionen arbeiten und schon gar nicht für private Rundfunkanstalten. Wer gar „programmprägend“ mit Gesicht im Privatfernsehen gesehen wurde, dem drohte der sofortige Auftragsverlust. Die strenge Auslegung dieser Anordnung führte zu einer unterschwelligen Grundsorge bei den Freien. Dabei war sie „von oben“ wohl nur auf Reporter gemünzt, die ohnehin sehr eng an einzelne Redaktionen gebunden waren und damit gut ihren Lebensunterhalt bestreiten konnten.
Die meisten Freien waren dagegen auf externe Engagements angewiesen. Schließlich konnte nicht jeder ein Liebling der Redaktion sein, und auch damals war das Kontingent an Aufträgen schon begrenzt. Geduldet wurden deswegen Aufträge von Nachbarredaktionen des WDR und teilweise von anderen ARD-Sendern, keinesfalls aber von RTL, SAT1 und Co.
In diesem streng hierarchisch gegliederten System trafen Redakteure und Abteilungsleiter Entscheidungen, die nur scheinbar sachlich begründet waren, aber wohl viel mit Bauchgefühl und Gewogensein zu tun hatten. Nicht gerade professionell. Für die Diplomatie in der Kommunikation sorgte dann vielleicht das kollegiale „Du“, das sprachlich eine flache Hierarchie vortäuschte.
Wer sich vom Vorgesetzten ungerecht behandelt fühlte und dachte, ein Themenvorschlag sei aus einer Laune heraus abgelehnt worden, der atmete mit der Faust in der Tasche tief durch, legte eine kleine Meckerrunde mit (festen und freien) Kollegen ein – und machte weiter. Natürlich „kann“ an einem Arbeitsplatz nicht jeder mit jedem. Da sind Reibungen programmiert. So läuft das auch im WDR.
Allerdings schien sich hier die Anzahl selbstherrlicher Cäsaren unter den Entscheidern über die Jahre überproportional zu vermehren. Das allgemeine Betriebsklima verschlechterte sich, die Grundstimmung wurde mieser. Das beobachteten auch andere, wie zahlreiche Gespräche mit festen und freien Kollegen aus Redaktion und Technik zeigten.
Es scheint in der Natur von Verwaltungen und Hierarchien mit großem Personalapparat wie dem WDR zu liegen, dass sie besonders anfällig dafür sind, leitende Positionen mit Menschen zu besetzen, die – unbesehen der fachlichen Kompetenz – charakterliche Schwächen mehr oder weniger direkt in ihren Führungsstil einfließen lassen. Und die dies ausspielen, um ihre Position zu sichern. Am besten gelingt das, indem man darunterliegende Hierarchiestufen mit Untergebenen besetzt, die einen nicht in Frage stellen, im Extremfall vielleicht sogar als „Lichtgestalt“ (oder „Alphatier“) beklatschen.
Eigentlich sollen unprofessionelle Entscheidungen eines Vorgegebenen dadurch abgefedert werden, dass die Ebene darunter personell „bunt“ zusammengesetzt ist (im Sinne von Meinungsvielfalt und Engagement). Aber diese „Reparatur“ ist nicht mehr gewährleistet, wenn diese hierarchische Stufe mit Günstlingen und Ja-Sagern besetzt wird. Die erforderliche Kompensation wird so an die darunter liegende Ebene delegiert. Allerdings sinkt damit auch die Durchsetzbarkeit von Maßnahmen, weil untere Ränge kaum ernst genommen werden.
Bei dem beschriebenen Durchreichen „nach unten“ handelt es sich nicht um planvolles Delegieren. Die Beteiligten sind sich dieser Prozesskette nicht bewusst – weil sie mittendrin stecken.
Schleichende Deprofessionalisierung
Zieht sich der unbeabsichtigte Prozess bis auf die unteren Ebenen durch, entsteht ein Gefühl der Unsicherheit über alle Hierarchiestufen. Anstelle des dringend erforderlichen konstruktiven Dialogs stellt sich eine Lähmung ein. Und das in einem Medienunternehmen, das eigentlich von Natur aus dem Diskurs, also dem Ausloten, Abwägen, Bewerten unterschiedlicher Ansichten, Meinungen und Informationen verschrieben sein müsste.
Tatsächlich klagten in den vergangenen Jahren immer mehr angestellte und freie Kolleginnen und Kollegen über den Trend zur unkritischen Stromlinie im WDR. Zu diesem Trend tragen verschiedene Faktoren bei, etwa die zunehmende Arbeitsverdichtung bei gleichzeitigem Wegfall von Planstellen. Seit Mitte der Nullerjahre ächzen insbesondere die Fernsehredaktionen unter Vorgaben für Zuschauerquoten, gefolgt von Forderungen nach einer „Verjüngung“ des Programms und der Verordnung zur Sichtbarkeit in den Sozialen Medien.
Die damit verbundenen Programmreformen erfolgten gewissermaßen per Dekret, ohne die Mitarbeiter umfassend einzubeziehen. Durch diffuse Ansagen wurden Redakteurinnen und Redakteure zu verunsicherten, unzufriedenen Semiprofessionellen. Der auf ihnen lastende Druck kehrte bei manchen wohl mehr und mehr ihre Launen heraus und ließ die Sehnsucht nach Brückentagen wachsen. Bei anderen förderte er die Emigration ins Innere. Auch wegen der Nebeneffekte: einem Schwund an Respekt und Wertschätzung im Umgang miteinander.
Der Verlust der Professionalität, die kreative Lähmung und die mangelnde Bereitschaft zur Selbstkritik sind mir mehrfach begegnet. Da wird eine kleine kritische Bemerkung in einer Redaktionssitzung schon mal als „Verrat“ abgekanzelt. Oder Freie erfahren hintenherum, dass sie in der Redaktion dafür bekannt seien, „Widerworte“ zu geben. Widerworte?
Angst folgt Sorge folgt Unsicherheit
Zwar spricht Tom Buhrow im journalist-Interview von der Kritikfreude im WDR, doch scheint mir dies eher eine verklärte Wahrnehmung zu sein. Eben: beruhend auf Zuständen, wie sie vor 30 Jahren vorgelegen haben mögen. Mit dem aktuellen Betriebsklima hat das allerdings nichts mehr gemein.
In breiten Teilen des Unternehmens hat der befindlichkeitsorientierte Führungsstil übernommen, so dass anstelle einer professionell orientierten Entscheidungskultur auf Basis eines kritischen Diskurses auf allen hierarchischen Stufen eher Willkür zu beobachten ist. Willkür in allen ihren Facetten, bis hin zum Machtmissbrauch jeglicher Spielart, auch sexualisiert. So konnten Alphatiere und ähnlich veranlagte Geister ihr Unwesen über lange Jahre unbehelligt treiben. Die „oben“ haben es nicht gesehen, die „unten“ den Mund gehalten. Daher gilt gewissermaßen ein besonderer Dank der Sensibilisierung durch die #MeToo-Debatte.
Zwei Mitarbeitern wurde deswegen gekündigt. Aber das allgemeine Betriebsklima bleibt erstmal. Vielleicht sollte man den Ausspruch des Rundfunkratmitglieds Karin Knöbelspies ernster nehmen, die in einer Rundfunkratssitzung fragte: „Was ist das für ein Laden, der so angstbesetzt ist?“
Die WDR-Personalrätin Christiane Seitz verwendete den Begriff Angst nicht, als sie ihren Rückzug aus dem Interventionsteam zur Klärung sexueller Übergriffe begründete. Aber sie schrieb von einer „grundlegenden Forderung im Umgang mit Beschäftigten“. Der muss wohl vollkommen neu definiert werden.
Wenn denn noch genug Personal übrig geblieben ist, das einen konstruktiv-kritischen Diskurs versteht, ohne sich direkt angegriffen zu fühlen – für einen respektvollen Umgang über alle Hierarchieebenen hinweg. Das hätte einen positiven Effekt auf die Sachebene, für eine Rückkehr zur journalistischen Professionalität!||
Ein Text ergänzend zu JOURNAL 5/18, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Oktober 2018.