JOURNALISTENTAG

Wenn es in zehn Jahren keine gedruckte Zeitung mehr gibt…

Digitale Nutzernähe für eine erfolgreiche Zukunft des Lokaljournalismus
16. Dezember 2019, Uwe Tonscheidt

Als sich Horst Kläuser für den Journalistentag auf die Moderation des Forums zum Lokaljournalismus vorbereiten will, schlägt er im digitalen Nachrichtenangebot des nördlichen Münsterlands hart auf. „Erst zahlen, dann lesen“ lautet die Devise bei der Ibbenbürener Volkszeitung. Dessen Geschäftsführer Klaus Rieping ist Podiums-Gast zum Thema „Klasse statt Masse: Wie wir näher an den Nutzer kommen.“ Als Verlagskaufmann soll er Auskunft geben, wie im Tecklenburger Land die lokale Tageszeitungsrealität 2019 aussieht.

Über „Klasse statt Masse“ diskutierten (v.l.) Klaus Rieping, Christian Pflug und Uwe Renners unter Moderation von Horst Kläuser. | Foto: Udo Geisler
Über „Klasse statt Masse“ diskutierten (v.l.) Klaus Rieping, Christian Pflug und Uwe Renners unter Moderation von Horst Kläuser. | Foto: Udo Geisler

„Sie verstecken alles hinter einer harten Paywall.“ Kläuser guckt Rieping fragend an und entschuldigt sich für die zugespitzte Wortwahl. Korrekt hätte es heißen müssen: Ohne Bezahlung gibt es zwar keine Berichte, aber viele Bilder und Schlagzeilen, die aufzeigen, was die Nutzerinnen und Nutzer hinter der Paywall erwartet. „Und das ist gut so“, sagt der Verlagschef. Das Alleinstellungsmerkmal „Lokales, Lokales, Lokales“ und der dafür zur Verfügung stehende Markt von maximal 110.000 Menschen lasse kein anderes Geschäftsmodell zu: „Da bleibt nur die harte Paywall. Wir sind erfolgreich, haben 17.000 Abonnenten.“ Und sind eine der teuersten Tageszeitungen Deutschlands: 42,90 Euro ruft der Verlag fürs monatliche „Familienabo als Bundle“ auf. Neben der gedruckten Zeitung gibt es dafür eine E-Paper-Version, Zugang zu sämtlichen Onlineinhalten mit Bilderstrecken und Videos sowie Archivzugriff bis 1898. Seit sechs Jahren gibt es das Abomodell und es funktioniert, weil die Ibbenbürener Volkszeitung in der ländlichen Region als Tageszeitung konkurrenzlos ist.

Eingeladen war Rieping auch zur Frage, wie digitale Möglichkeiten für mehr Lesernähe genutzt werden. Wer hier aktuelle ausführlichere Infos zu den im DJV-NRW-Journal viel gelobten „Themenwelten“ der Ibbenbürener erwartet, geht leer aus. Das ab drei Euro buchbare Zielgruppenangebot des Verlages für Themenbereiche wie Kultur, Sport oder Vereinsleben wird nicht thematisiert. Konkretes zur Nutzung digitaler Erkenntnisse für die tägliche Redaktionsarbeit hat der Geschäftsführer, der regelmäßig an Redaktionskonferenzen teilnimmt, auch nicht im Gepäck. Mitgebracht hat er allerdings eine überraschende Zahl, die ein digitaler Dienstleister fürs Ibbenbürener Online-Angebot ermittelte: „Wenn wir einen Power-User haben, kommt er einmal am Tag zu uns.“

Da staunen nicht nur Moderator und Publikum, da staunt auch Podiumsgast Uwe Renners – und grätscht rein. „Das kann ich für uns nicht bestätigen“, sagt der stellvertretende Chefredakteur Digital der größten Tageszeitung in Rheinland Pfalz. Die Rheinpfalz, 230.000 Druckexemplare und 35.000 zahlende Digitalkunden, ist in Sachen Ressourcen eine andere Hausnummer. „Wir haben sechsstellige Beträge investiert, damit wir die Dinge messen können“, berichtet der ehemalige Lokalredakteur.

Kultur plötzlich als Abo-Treiber

Überraschende Erkenntnis bei der Kulturberichterstattung: Gedruckt wenig gelesen „ist sie digital einer der wichtigsten Abo-Treiber“. Wer im Dom zu Speyer ein Konzert erlebt hat, der will darüber etwas lesen. Da steigt die Zahl der kostenlosen Probeabos. Ebenso ist es nach Fußballspielen des FC Kaiserslautern. „Dann haben wir 14 Tage Zeit, damit die Leute sagen: Das will ich auch weiter haben.“ Gelingt das, „dann sieht es ganz gut aus“, erklärt Renners, der sich wenig Sorgen über Abo-Kündigungen macht.

Damit der stetige Abo-Abschluss gelingt, ist es für ihn wichtig, dass möglichst die ganze Redaktionsmannschaft den Sinn der Onlinestrategie begreift und mitmacht. Die funktioniert so: Um die breite Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen, „dass es das Angebot überhaupt gibt, brauchen wir die meistgeklickten Themen wie den Unfall auf der A 6“. So holen sie die Leute ins Portal. „Dort müssen wir sie dann mit Inhalten überzeugen, für die sie auch bereit sind zu zahlen.“ Was beim Leser ankommt, ist entscheidend und lässt sich digital feststellen.

Da freuen sich bei der Themensuche die Volos manchmal mehr als ihre Ressortleitungen, plaudert Renners aus dem Nähkästchen. „Wenn ein Volontär kommt und sagt, ‚ich will die Geschichte machen‘, dann sag ich, ‚mach sie‘, und dann gucken wir uns hinterher die Daten an.“ Früher war das anders, erinnert er sich an frustrierende Volontärserlebnisse im Münsterland. Heute sei ein Lokalchef bei der Themenablehnung nicht mehr allmächtig, die festgestellte Resonanz sei entscheidend: „Wenn das Ding läuft, dann hat er verloren.“

Untersucht wurde das Leserverhalten bei der Rheinpfalz mit Lesewert (zum Leserfeedback per Scanstift siehe auch Vielfalt wagen!, JOURNAL 5/19): „Die Diskussion hat uns wirklich weiter gebracht“, sagt Renners und kündigt die Fortsetzung des Prozesses im kommenden Jahr an. Auch mit einem neuen Digital-Format: Podcast. Dazu wurden bereits Stimmtests in der Onlineredaktion gemacht und eine erfolgreiche Podcasterin als Coach engagiert. 2020 soll das Ergebnis zu hören sein.

Podcasts für den Lokalfunk nutzen

Radio Essen hat seit 14 Tagen einen Podcast im Angebot, berichtet Podiumsgast Christian Pflug. Der Chefredakteur beschreibt, wie er sich mit seinem 13-köpfigen Team jüngst Gedanken über digitale Verbesserungen gemacht hat. Ihr Ziel: das Internetstreaming stetig auszubauen und das steigende Interesse an Podcasts für die eigene Digitalpräsenz zu nutzen. Das Ergebnis der Überlegungen ist ein ausführliches fünfminütiges Paket, das die lokalen Nachrichten des Tages zusammenfasst. Es wird täglich um 19.30 Uhr gesendet und steht dann jederzeit zum Abruf als Podcast zur Verfügung.

Nicht nur da setzt Pflug im Bemühen um Nutzernähe aufs persönliche Gespräch und analoge Aktivitäten: „Wir haben einen Hörerrat, mit dem wir uns alle paar Monate zusammensetzen und über Inhalte im Programm sprechen – und über Kritik.“ Die vielen Kontakte, die man auf Terminen und Veranstaltungen habe, „bringen schon was rein“. Die klassische Kommunikation ist für ihn sinnvoll, zum Beispiel „Feedback zum Podcast-Angebot“ einholen, wenn Radio Essen in der Vorweihnachtszeit auf sechs Weihnachtsmärkten präsent ist.

Der Ibbenbürener Verlagschef reist schon mal etwas weitere Strecken, um sich mit der digitalen Zukunft für lokale Medienprodukte zu beschäftigen. „Ich habe in Skandinavien Strategien kennenlernen dürfen, die sind uns fünf Jahre voraus“, berichtet Rieping. Dort fahren Verlage Printausgaben zurück und stärken ihr digitales Angebot. „Wir lernen an den dortigen Erfolgsquoten, dass es ein Leben nach der Zeitung gibt – für den Verlag, für die Journalisten und für die Gesellschafter.“ Dem Verlagskaufmann ist klar, dass er dafür beim Thema Digitales richtig ran muss. Seine Aufgabe sei es, hier „für einen Zeitungsverlag eine Perspektive aufzuzeigen, was wir machen, wenn in zehn Jahren keine Zeitung mehr gedruckt wird.“ Es gibt keinen Widerspruch im Saal.

Was bleibt, sind reichlich Fragezeichen bei der Zukunftsgestaltung des erlösabhängigen Lokaljournalismus. „Ob‘s funktioniert, weiß der liebe Gott“, sagt Uwe Renners und beschert zumindest Moderator Horst Kläuser eine weiche Moderationslandung: „Das ist ein gutes Schlusswort.“||

Ein Beitrag in Ergänzung zu JOURNAL 6/19, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im Dezember 2019.