THEMA | Sprache und Diskriminierung

Es soll ruhig stören

Wie der DJV-NRW mit dem Gendern umgeht
30. Juli 2020, Corinna Blümel

Nicht erst im Rahmen des Zukunftsprozesses, den der DJV-NRW im vergangenen Jahr begonnen hat, geht es auch um die Frage, wie Mitglieder und interessierte Nichtmitglieder angesprochen werden (wollen). Die verschiedenen Workshops haben sich wiederholt auch mit geschlechtergerechte Sprache befasst. Das ist nicht nur im DJV-NRW ein vergleichsweise neues Thema. Und es ist eins, das nicht immer nur auf Zustimmung stößt, sondern manchmal auch direkte Kritik hervorruft. Der DJV-NRW gendert trotzdem – in verschiedenen Formen.

Beide Formen selbstverständlich

Schon lange und sehr selbstverständlich achten die meisten Aktiven, ob in der Geschäftsstelle oder im Ehrenamt, in der Kommunikation nach außen darauf, die weibliche und die männliche Form zu verwenden. Es sei denn, bei einer Veranstaltung haben wirklich lauter Referentinnen gesprochen. Oder in einer Lokalredaktion sitzen wirklich nur Redakteure.

Marie Kirschstein und Volkmar Kah | Fots: privat, Alexander Schneider
Marie Kirschstein und Volkmar Kah | Fots: privat, Alexander Schneider

Während der DJV-NRW auf die meisten Entwicklungen wie das große Binnen-I, oder Schräg- bzw. Unterstrich verzichtet hat, nutzt der Landesverband seit einer Weile an einigen Stellen das Gendersternchen, etwa auf Textkacheln für Social-Media-Kanäle wie Instagram und Twitter.

Was das Gendersternchen zeigen soll, erklärt Marie Kirschstein aus dem Referat Kommunikation und Marketing: „Das Sternchen soll erreichen, dass sich all unsere Mitglieder beim Lesen, Hören oder Schauen unserer Informationen angesprochen fühlen. Alle – das meint auch die, die sich weder als Mann noch als Frau verstehen oder auch als Mann und Frau. Echte Gleichberechtigung muss sich auch in unserer Sprache wiederfinden. Warum? Damit sie uns gesellschaftlich immer wieder unterkommt. Wir können und sollen uns am Gendersternchen ruhig stören. Denn zunächst sollen und wollen wir Aufmerksamkeit schaffen.“

Wenn nicht mit Sternchen, dann soll wenigstens „traditionell“ gegendert werden: Wenn Sprache nur Männer abbildet, kann sie nicht gerecht sein, erläutert Marie Kirschstein. „Wir wollen aber alle Mitglieder erreichen und sie in ihrer Vielfalt anerkennen. Das geht nicht, wenn in einem Mailing an unsere Kolleg*innen nur von Journalisten oder Moderatoren die Rede ist.“ Es sei wichtig zu verdeutlichen, wer gemeint ist. „Das haben sich die Teilnehmer*innen unserer Zukunftsworkshops auch immer wieder gewünscht.“

Neue Erwartungen statt Gewohnheit

Sprache hat viel mit Gewohnheit zu tun. Aber bei den Menschen, die täglich darüber nachdenken, welches Geschlecht in einem Text gemeint ist, wachse eine neue Erwartungshaltung. Nämlich die, dass Sprache eben vermittle, um wen es geht. „Je öfter man selbst gendert, desto mehr wundert man sich darüber, dass es andere nicht machen“, findet Kirschstein. „Ich frage mich mittlerweile beim Lesen anderer Texte: Waren wirklich nur Journalisten beim Streik dabei? Oder vielleicht auch Journalistinnen? Man stellt fest: Sprache hat großen Einfluss darauf, wie wir etwas wahrnehmen und wie wir denken. Sie erzeugt Bilder in unserem Kopf. Wenn nur das generische Maskulinum auftaucht, denkt man oft auch eher nur an Männer.“

Von diesen Argumenten hat sich auch Geschäftsführer Volkmar Kah überzeugen lassen: „Ich habe mich natürlich auch in der Vergangenheit schon bemüht, immer weibliche plus männliche Form zu nutzen. Aber ich gebe zu, dass ich dem Gendersternchen erstmal skeptisch gegenüberstand. Am Ende geht es aber um das eigene Mindset, das in Sprache zum Ausdruck kommt – und auch durch Sprache geprägt wird.“ Am Ende gehe es beim Gendern um Wertschätzung und Achtsamtkeit. Achtsamkeit gegenüber den Gefühlen anderer Menschen gleich welchen Geschlechts.

„Es geht aber auch darum, alle mitzunehmen“, wirbt Kah um Toleranz. Es gelte eben auch Toleranz gegenüber denen zu zeigen, die sich mit solchen sprachlichen Veränderungen schwertun. „Wir sollten auf diesem Weg konsequent vorangehen, dabei aber ausreichend Pragmatismus haben, um alle mitzunehmen“, sagt der Geschäftsführer, der sich eher in der Rolle des Moderators sieht. „Mein Anliegen ist es, die Vielfalt unseres Verbands nach außen sichtbarer zu machen. Und da müssen wir nicht nur an der Baustelle Sprache arbeiten.“

Eine Eingewöhnungszeit

Wer genau hinschaut, wird sehen, dass der DJV-NRW in seiner Kommunikation noch lange nicht flächendeckend auf das Gendersternchen setzt. So gendert auch das JOURNAL vorerst noch in herkömmlicher Form. Gerade bei langen Texten, die über mehre Seiten gehen, könnten sonst Leserinnen und Leser abspringen, weil sie mit der neuen Form noch nicht klarkommen. Wer sich in jeder dritten Zeile über Sternchen ärgert, kann die Inhalte nicht mehr aufnehmen.

Der gleiche Effekt träte im übrigen natürlich ein, wenn in den JOURNAL-Texten nur das generische Maskulinum auftauchte. Wer geschlechtersensible Sprache für angemessen hält, ärgert sich genauso intensiv darüber, wenn sie fehlt.

Zur Veränderung beitragen

In diesem Heft verwendet das JOURNAL das Gendersternchen erstmals in Zitaten, wenn es gesprochen wurde. Auf diese Weise lässt sich die Akzeptanz vielleicht nach und nach herbeiführen. Denn wie Kübra Gümüşay in der Titelgeschichte sagt: Die immer wieder neue Auseinandersetzung mit der eigenen Sprache sei „wie eine Art Hirntraining“. Sprache ist nichts Festgeschriebenes, sie wandelt sich, findet auch Marie Kirschstein: „Leseverhalten und Hörgewohnheiten ändern sich. Dazu wollen wir als Verband beitragen.“

Anders als manche Verbände und Institutionen hat der DJV-NRW keine festen Regeln zum gendergerechten Schreiben aufgestellt, erklärt Kirschstein. Vielleicht fehle es an einigen Stellen auch noch „an einer einheitlichen Grammatik“, aber das sei kein Hindernis. Gendergerechte Sprache müsse nicht von Anfang an perfekt sitzen. Viele Menschen wollten und müssten eben erst umdenken. „Gendern heißt für uns auch experimentieren. Es bringt uns dazu, uns täglich mit Sprache auseinanderzusetzen. Was gibt es Schöneres für Journalismus-Begeisterte?“||

Der Text ist Teil der Titelgeschichte zu Sprache und Diskriminierung.
Zum Haupttext: „Eine Art Hirntraining“
Zum Kommentar „Die Anderen“ und „Wir“


Ein Beitrag aus JOURNAL 4/20, dem Medien- und Mitgliedermagazin des DJV-NRW, erschienen im August 2020.